Das Feindbild „Hartz-IV-Empfänger“ in der öffentlichen Meinung

Die Darstellung des „Sozialschmarotzers“ am Beispiel der BILD-Zeitung


Essay, 2010

14 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Intention des Essays
1.2 Die Debatte
1.3 Vorgehensweise

2. Überblick: Hartz IV -Intention, Konzeption und Folgen
2.1 Vorgeschichte
2.2 Die Reform und ihre gesellschaftlichen Folgen

3. Der innere Feind der Gesellschaft im Sozialstaat

4. Darstellung von Hartz-IV-Empfängern in der BILD-Zeitung
4.1 Allgemeines
4.2 Beispiele

5. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Anhang 1: Arno Dübel

Anhang 2: „Karibik-Klaus“

Anhang 3: „Teneriffa-Peter“

1. Einleitung

1.1 Intention des Essays

Es wirkt mit Sicherheit im ersten Moment befremdlich, Langzeitarbeitslose als inneren Feind der Gesellschaft zu bezeichnen. Natürlich dürfen wir dabei nicht von einem alltäglichen Feindbegriff ausgehen, der nur zu oft Gewaltbereitschaft und Krieg mit sich führt. Anhand verschiedener theoretischer Konzeptionen wird auf den folgenden Seiten dargestellt, ob sich diese Formulierung behaupten kann. Es geht in diesem Essay um eine Debatte, die durch Polemik und politische Stilisierung in den öffentlichen Informationsquellen auffallend gefärbt wirkt. Weder soll diese Arbeit dazu dienen, die Debatte in eine bestimmte Richtung zu lenken, noch soll eine künstliche Dämonisierung der Massenmedien erfolgen. Hier geht es um die reine Untersuchung der Darstellung von Hartz-IV-Empfängern in demjenigen Medium, das unsere öffentliche Debatte immer noch am meisten1 beeinflusst. Die Frage nach der Moral der zu untersuchenden Darstellungen soll im Rahmen dieses Essays nicht behandelt werden.

1.2 Die Debatte

Debatten um Faulheit und Arbeitsscheu können bis in die Antike zurückverfolgt werden. Hesiod beschreibt in der Dekadenztheorie das Goldene Zeitalter als ein Leben „ fern von Mühen und Trübsal “2, was eine absolute Maxime darstellt und als erstrebenswert gilt. Cicero definiert schlicht: „ Faulheit ist die Furcht vor bevorstehender Arbeit “3.

Das Ziel der Freiheit von Arbeit rückte durch die industrielle Revolution in greifbare Nähe. Umso wichtiger wurde dabei aber die grundsätzliche Frage, ob eigentlich nur der Ertrag der Arbeit wichtig sei oder Arbeit an sich schon ein Wert darstelle und sie allein schon deswegen nötig sei, weil sich ohne Arbeit die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben schwierig gestaltet und man selbst in Müßiggang verfällt.4 Es scheint, dass geregelte Arbeit und Teilhabe an der Gesellschaft Hand in Hand gehen. Die aktuellen Diskussionen gehen deshalb über Bildungsgutscheine für Langzeitarbeitslose bis hin zur Streichung des Kindergeldanspruchs, wenn ein Kind zu wenig am öffentlichen Leben teilhaben darf.

„Hartz IV“, ursprünglich nur einer von vielen Reformschritten im Zuge der Agenda 2010 Gerhard Schröders, ist inzwischen zu einem Schlagwort für den zuvor genannten Müßiggang geworden, gespickt mit Stereotypen und außerordentlich homogenen Feindbildern. Was meinen wir überhaupt, wenn wir von Hartz IV sprechen? Geht es um den bloßen Bezug des Arbeitslosengeldes II oder steckt gesellschaftlich inzwischen viel mehr hinter dem Begriff? Welches daraus resultierende Bild haben wir von Hartz-IV-Empfängern? Und vor allem: Differenzieren wir in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion in der nötigen Weise, um unsere Vorstellungen von einem Leben mit Hartz IV nicht auf polemischem Stammtischniveau zu belassen? Um die exemplarische Beantwortung dieser Fragen soll es in diesem Essay gehen.

1.3 Vorgehensweise

Im zweiten Kapitel wird kurz in die Grundzüge der Hartz-IV-Gesetzgebung eingeführt. Hier sollen vor allem die Intentionen angesprochen werden sowie die Folgen, die eine derart konzeptionierte Reform mit sich bringen kann.

Im dritten Kapitel folgt ein theoretischer Überbau, was überhaupt den inneren Feind eines Sozialgefüges ausmacht und warum es diese Feindschaften gibt.

Immer wenn Geld zwischen Staat und Bürger fließt, gibt es Gewinner und Verlierer. Und genau an dieser Schnittstelle des zweiten und dritten Kapitels wirft sich die Frage auf, wie sich die Meinung der Gesellschaft über Empfänger dieser Sozialleistungen bildet. Unweigerlich kommen wir zu der Erkenntnis, dass es vor allem die Massenmedien mit ihrem informatorischen Auftrag sein müssen, die das Bild prägen, welches wir von unserer eigenen Gesellschaft bzw. ihren einzelnen Schichten und Milieus haben. Im Rahmen dieses Essays können natürlich nicht alle Medien angesprochen werden, die Einfluss auf die Meinungsbildung haben. Am Rande erwähnt sei hierbei z.B. das beliebte Nachmittags- programm einiger TV-Privatsender5, welches in diesem Essay nicht behandelt wird. Als Beispiel soll dagegen ein Medium dienen, das als nach wie vor meistgelesene überregionale Zeitung in Deutschland großen Einfluss auf die innergesellschaftlichen Diskussionen ausübt - die BILD-Zeitung. Anhand einiger Artikel, die in der öffentlichen Diskussion für Furore gesorgt haben, wird dargestellt, wie mit der Thematik umgegangen wird.

Am Schluss werden die Erkenntnisse zusammengefasst und es wird ein kurzer Ausblick gewährt.

2. Überblick: Hartz IV -Intention, Konzeption und Folgen

2.1 Vorgeschichte

Die unmittelbare Diskussion, die dem Hartz IV-Gesetzgebungsprozess voranging, kann symptomatisch an einem Discussion Paper des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung von 2001 verdeutlicht werden6. Es ging in der öffentlichen Debatte um die Grenzen der Zumutbarkeit für Arbeitslose und immer wiederkehrende Missbrauchsvorwürfe in Bezug auf soziale Leistungen. Angeführt wird hier immer wieder das Argument, dass Sanktionsmechanismen in Deutschland nicht funktionieren würden bzw. die Gesetzgebung mit der Praxis oft nicht übereinstimme. Dem Missbrauch würde so die Tür geöffnet. Das Paper reiht sich in die Diskussion ein, die durch Kanzler Schröder im April 2001 mit den Worten „ Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft “ entfacht wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde emotional über „Sozialschmarotzer“, „Faulenzer“, „Drückeberger“ und ähnliche Formulierungen diskutiert. Die Stereotypen sind also nicht neu und auch nicht spezifisch für die jetzige Sozialstaatskonzeption nach Hartz IV. Im Gegenteil: Es wurde damals versucht, genau diese Debatte vom Tisch zu bekommen und gleichzeitig die Arbeitslosenzahlen zu senken, indem man neue Aktivierungsstrategien, wie z.B. Fortbildungsmaßnahmen oder Arbeitsgelegenheiten, implementierte. Es sollte erreicht werden, Langzeitarbeitslosen durch individuelle Hilfestellung, verbunden mit verstärkten Fortbildungsmaßnahmen, noch mehr zur Seite zu stehen. Dadurch sollte nicht etwa eine Entmündigung, sondern das genaue Gegenteil erreicht werden - eine Stärkung der Eigenverantwortung des Einzelnen. Damit verschob sich zugleich die Achse von der strukturellen Arbeitslosigkeit zur Arbeitslosigkeit als Problem des Individuums.7

2.2 Die Reform und ihre gesellschaftlichen Folgen

Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurde ein Moment freigesetzt, welches die öffentliche Debatte in ihrer emotionalen Weise enorm stützt: Die Sozialhilfe wurde nicht ganz abgeschafft, sondern wird nur noch erwerbsunfähigen Arbeitslosen gewährt. Die erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen fallen unter Hartz IV. Daraus resultiert, dass alle Hartz-IV-Empfänger theoretisch arbeiten könnten. Dieses Moment wirkt beschleunigend für die Missbrauchsdebatte und die Vorstellung einer „sozialen Hängematte“.8 Dass Hartz-IV-Empfänger aber eine außerordentlich heterogene Gruppe sind, die immer breiter gestreut wird, ist unbedingt zu beachten.9 Dadurch, dass alle erwerbsfähigen Arbeitslosen ihre Leistung aus demselben Topf beziehen, wird dies oft vergessen.

Durch die Reformen gibt es verstärkt die Möglichkeit, durch Arbeitsgelegenheiten und sogenannte „1-Euro-Jobs“10 wieder Stück für Stück auf den Arbeitsmarkt zu finden. Dieses Element wirkt einerseits aktivierend, andererseits ist die Frage der Zumutbarkeit einiger Jobs neu zu stellen. Die meisten Bezieher sind gewillt zu arbeiten. Was sie in erster Linie daran hindert, Arbeitsgelegenheiten wahrzunehmen, ist die „ tiefe Verunsicherung “11, die der Verlust des regulären Arbeitsplatzes und die Aufnahme einer prekären Beschäftigung mit sich bringen.

3. Der innere Feind der Gesellschaft im Sozialstaat

Wenn wir uns mit Sozialstaatskonzeptionen beschäftigen, scheint der Einbezug des Feindschaftsbegriffes unausweichlich, ist doch die soziale Frage eine der wesentlichen Mittel, um Feindschaften innerhalb eines Sozialsystems zu vermeiden bzw. zu überwinden. Dass aus der intendierten Eliminierung von Feindschaft neue Feindschaft entstehen kann oder vielleicht sogar muss, ist hierbei das unausweichliche Übel. Hölscher beschreibt diese Perversität in historischer Perspektive folgendermaßen: „ Je h ö her die Schwelle erlaubter Feindschaft angesetzt worden ist, desto geringer wurde der faktische Legimitationsdruck für tats ä chliche Feindschaften. “12 Im Klartext können wir also sagen, dass das System des Sozialstaats an seinem Versuch, soziale Gerechtigkeit13 bzw.

[...]


1 Das soll natürlich nicht heißen, dass die öffentliche Debatte als Einheit verstanden wird. Die BILD-Zeitung ist ein Mehrheits-Massenmedium und kein Einheits-Medium. Auch Einflüsse anderer Medien sind natürlich nach wie vor sehr stark.

2 Hesiod, Werke und Tage, 113.

3 Cicero, Tusculanae, 4, 19.

4 vgl. Lehnert: Arbeit, nein danke?!, S. 11.

5 Es handelt sich bei diesen Sendungen um die Zuspitzung der Polemik. Mildere Beispiele für die Sozialschmarotzer-Debatte finden wir aber auch schon in den öffentlich-rechtlichen Sendern in Konzeptionen wie „Anne Will“ oder „Menschen bei Maischberger“ (jeweils ARD).

6 Oschmiansky / Kull / Schmid: Faule Arbeitslose, Berlin 2001.

7 vgl. Rudolph / Niekant: Hartz IV, S. 7.

8 vgl. ebd., S. 11.

9 vgl. Ames: Das Erleben der Betroffenen, 195f.

10 Auch dieser Begriff ist zum Schlagwort geworden. Arbeitsgelegenheiten mit Löhnen in solch niedriger Höhe sind eher die Ausnahme.

11 Ames: Das Erleben der Betroffenen, S. 206.

12 Hölscher: Feindschaft als politisch-soziale Beziehung, S. 256.

13 Allein der abstrakte Begriff der Gerechtigkeit kann so universal verstanden und definiert werden, dass hier immer verschiedene Ansichten aufeinandertreffen werden. Dies ist nicht einmal unbedingt der

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Details

Title
Das Feindbild „Hartz-IV-Empfänger“ in der öffentlichen Meinung
Subtitle
Die Darstellung des „Sozialschmarotzers“ am Beispiel der BILD-Zeitung
College
University of Constance
Grade
2,0
Author
Year
2010
Pages
14
Catalog Number
V168893
ISBN (eBook)
9783640868421
File size
1239 KB
Language
German
Keywords
feindbild, meinung, darstellung, beispiel, bild-zeitung
Quote paper
Andreas Lins (Author), 2010, Das Feindbild „Hartz-IV-Empfänger“ in der öffentlichen Meinung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168893

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