Der Tod in Venedig - Eine psychoanalytische Untersuchung


Hausarbeit, 2010

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Grundlagen der Tiefenpsychologie Freuds
1.1 Das Unbewusste
1.2 Die Verdrängung
1.3 Die Bedeutung des Traumes

2. Der Tod in Venedig
2.1 Thomas Mann und Sigmund Freud
2.2 Inhalt des „Tod in Venedig“
2.3 Der erste Traum
2.4 Der zweite Traum
2.5 Gustav von Aschenbach und Tadzio
2.6 Vater- und Mutter-Figur

Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Novelle „Der Tod in Venedig“ von Thomas Mann aus dem Jahre 1912 wurde bereits von zahlreichen Wissenschaftlern untersucht, analysiert und interpretiert. Die Arbeiten und somit auch die Forschungsliteratur haben solch einen großen Umfang, dass sich Susanne Widmaier-Haag in ihrer Doktorarbeit „Es war das Lächeln des Narziß“ größtenteils bereits bestehenden psychoanalytischen Interpretationen zu der Novelle Manns widmet. Dabei gibt es verschiedene Auffassungen darüber, ob Mann zur Zeit der Entstehung Freud bereits gelesen hatte oder nicht.

Diese Arbeit wird aufzeigen, dass Thomas Mann Kenntnisse über Freuds Theorien hatte und diese bewusst im „Tod in Venedig“ einsetzte. Da es sich hierbei um eine tiefenpsychologische Untersuchung handelt, wird das Hauptinteresse dem „Unbewussten“ und damit auch der „Verdrängung“ gelten. Im Gegensatz zu anderen Arbeiten wird dabei jedoch darauf verzichtet, Rückschlüsse auf Thomas Manns Leben und Psyche zu ziehen. Stattdessen wird untersucht, inwiefern Thomas Mann sein Wissen über das Unbewusste in die Novelle eingebaut hat. Nach einer kurzen Einführung in die Tiefenpsychologie Sigmund Freuds, wird die Figur des Gustav von Aschenbach im Fokus der Untersuchung stehen. Inwiefern hat Thomas Mann seinen Protagonisten mit unbewussten und verdrängten Triebregungen und Wünschen erschaffen und wie werden diese für den Leser deutlich? Dabei wird vor allem auf Gustav von Aschenbachs Verhältnis zu dem polnischen Jungen Tadzio und die traumähnlichen Zustände der Hauptfigur eingegangen. Es wird sich zeigen, dass der Werdegang Aschenbachs auch durch sein Verhältnis zu seiner Familie beeinflusst wird, auch wenn diese im „Tod in Venedig“ nur nebenbei bemerkt wird.

1. Grundlagen der Tiefenpsychologie Freuds

Um ein literarisches Werk tiefenpsychologisch untersuchen zu können, ist es notwendig, dass man ein Grundverständnis davon hat, was man unter Tiefenpsychologie versteht. Da es zahlreiche Ansätze hierzu gibt, wird sich diese Arbeit dabei auf die Theorien Sigmund Freuds beschränken. Ihm ist die erste wissenschaftliche Untersuchung des Unbewussten, die Hauptannahme der Tiefenpsychologie, zu verdanken und mit seiner Psychoanalyse ist er einer der bekanntesten Vertreter auf diesem Gebiet. Auf eine detaillierte Analyse der Theorien Freuds wird in diesem Kapitel verzichtet, da es sich lediglich um einen kurzen Überblick handelt, der ein besseres Verständnis der tiefenpsychologischen Untersuchung der Novelle „Der Tod in Venedig“ von Thomas Mann im Hauptteil gewährleisten soll.

1.1 Das Unbewusste

Freud begründet seine Annahme eines Unbewussten dadurch, dass viele bewusste Prozesse wie beispielsweise Träume, Verhaltensweisen von psychisch Kranken, aber auch normale Gedankengänge für sich gesehen keinen Sinn ergeben, sondern ihre Entstehung in einem Bereich stattgefunden haben muss, der nicht Teil des Bewussten ist.[1]

Obwohl diese unbewussten Prozesse kein Teil des eigentlichen Bewusstseins sind, stehen sie mit den bewussten Vorgängen in enger Verbindung. „[…] [S]ie [die unbewussten Prozesse] lassen sich mit einer gewissen Arbeitsleitung in sie [die bewussten Prozesse] umsetzen, durch sie ersetzen und sie können mit all den Kategorien beschrieben werden, die wir auf die bewußten Seelenakte anwenden […]“[2] Es handelt sich also um Vorgänge, die in manchen Fällen sogar nahezu identisch mit bewussten Prozessen sind. Ihr wesentlicher Unterschied besteht darin, dass das Bewusstsein keinen direkten Zugriff auf sie hat.

Aufgrund dieser Unterteilung des Bewusstseins in das Unbewusstsein und Bewusstsein, unterteilt Freud den psychischen Akt, worunter sämtliche Vorstellungen und Gedankengänge zu verstehen sind, in zwei Phasen. Dazwischen befindet sich eine Art Prüfung, die Freud auch Zensur nennt. Die erste Phase vollzieht sich im Unbewussten. Von da aus muss sich der psychische Akt der bereits erwähnten Prüfung oder Zensur unterziehen. Besteht er sie nicht, bleibt er im Unbewussten und gilt als verdrängt. (Zum Begriff der Verdrängung siehe Kapitel 1.2). Wenn der psychische Akt jedoch in der Lage ist, die Zensur zu bestehen, gelangt er in die zweite Phase, in das Bewusstsein.[3] Hierbei ist „[…] [s]ein Verhältnis [der des psychischen Aktes] zum Bewußtsein […] aber durch diese Zugehörigkeit noch nicht eindeutig bestimmt. Er ist noch nicht bewußt, wohl aber bewußtseinsfähig […], d.h. er kann nun ohne besonderen Widerstand beim Zutreffen gewisser Bedingungen Objekt des Bewußtseins werden.“[4] Am besten lässt sich dies am Beispiel der Erinnerungen erklären. Vergangene Geschehnisse sind nicht permanent im Bewussten existent, werden jedoch durch bestimmte Umstände ins Bewusstsein gerufen, das bedeutet, sie sind die ganze Zeit bewusstseinsfähig, werden aber erst durch den Akt des Erinnerns bewusst. An verdrängte Geschehnisse hingegen kann man sich nicht erinnern. Dieser Vorgang ist in der Psychoanalyse als Phänomen des Traumas bekannt. Ein meist negatives Erlebnis aus der Kindheit oder aber auch aus späterer Zeit wird vom Bewusstsein verdrängt, weil die Erinnerung zu schmerzhaft wäre.

Der wesentliche Teil des Unbewussten besteht aus „Triebrepräsentanzen, die ihre Besetzung abführen wollen, also aus Wunschregungen.“[5] Dabei stehen sich die verschiedenen Triebe niemals gegensätzlich gegenüber. Sie harmonieren eher miteinander. Sollten zwei Wunschregungen gleichzeitig auftreten, dessen Befriedigungen aber nicht im Einklang stehen, wählt das Unbewusste einen Mittelweg und schließt somit einen Kompromiss zwischen beiden Trieben.[6] Die Triebe sind dabei dem Lustprinzip unterworfen und haben keinerlei Bezug zur Realität. Sie berücksichtigen also nicht die Frage, ob die Befriedigung überhaupt möglich ist, sondern streben nur danach, dass sie eintritt. Dies geschieht alles im Bereich des Unbewussten und macht einen Großteil dieses Bereiches des menschlichen Bewusstseins aus. Die Problematik bei der Untersuchung des Unbewussten ist, dass man keinen Zugang dazu hat. Freud jedoch war der Meinung, dass unbewusste Vorgänge durch Träume oder Neurosen ausgedrückt werden. Diese wurden somit auch zum Hauptuntersuchungsgegenstand seiner psychoanaltischen Behandlungsmethode.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das System des Unbewussten aus zumeist in der frühen Kindheit stattgefundenen verdrängten Erlebnissen zusammengesetzt ist, die das gesamte Leben lang als Trauma aktiv bleiben. Sie äußern sich durch Abwehrmechanismen wie Neurosen oder Träume.[7] Diese Erlebnisse stellen Triebregungen dar, die durch die Verdrängung keine Befriedigung erfahren.

1.2 Die Verdrängung

„Die Verdrängungslehre ist nun der Grundpfeiler, auf dem das Gebäude der Psychoanalyse ruht.“[8] Dieses Zitat Freuds zeigt, welches hohe Maß an Bedeutung dem Begriff der Verdrängung zukommt. Deshalb wird diesem Thema auch in dieser Arbeit ein kurzes, aber eigenes Kapitel gewidmet. Um erklären zu können, wie die Verdrängung zustande kommt, ist es nötig, einen kleinen Exkurs in die Trieblehre Freuds zu unternehmen. Freud ist der Ansicht, dass der Mensch in seinem Handeln von angeborenen Trieben gesteuert wird. Ein mögliches Synonym wäre hier der Begriff „Grundbedürfnisse“. Die Befriedigung der Triebe geht im Normalfall immer mit Lustgewinn einher, wonach jeder Mensch strebt.

Kommt es nun zu dem Fall, dass die Befriedigung eines Triebes in einer Hinsicht Lust, in einer anderen Hinsicht jedoch Unlust erzeugt, stellt sich die Frage, ob die erzeugte Unlust oder die erzeugte Lust größer ist. Dominiert die Unlust, tritt die Verdrängung ein.[9] Freud unterteilt die Verdrängung in zwei Phasen. Die erste nennt er „Urverdrängung“, bei welcher die „psychische […] (Vorstellungs-)Repräsentanz des Triebes“[10] nicht ins Bewusste gelangt. Unter dieser Repräsentanz versteht Freud eine bestimmte Vorstellung, die durch den menschlichen Trieb mit einer fest zugehörigen Besetzung verbunden ist. Bei dieser Besetzung handelt es sich nach Freud entweder um Interesse oder Libido.[11] Weiterhin findet in der ersten Phase der Verdrängung eine Fixierung statt, welche bewirkt, dass die Repräsentanz erhalten und am jeweiligen Trieb gebunden bleibt.[12] Die zweite Phase nennt Freud die „eigentliche Verdrängung“. Sie betrifft Gedanken und Vorstellungen, die mit der verdrängten Repräsentanz in Verbindung stehen oder zumindest über Umwege in Verbindung gebracht werden können. Die eigentliche Verdrängung verursacht nun eine weitere Verdrängung dieser assoziativ mit der Urverdrängung verknüpften Vorstellungen.[13]

Der Prozess der Verdrängung vollzieht sich an der Grenze zwischen Unbewusstem und Bewusstem. Dabei bleibt die verdrängte Vorstellung im Unbewusstsein und behält ihre Besetzung hinsichtlich des Triebes, der mit der Vorstellung verknüpft ist. Im Bewussten dagegen findet eine Ersetzung der ursprünglichen Besetzung statt.[14] So entstehen nach Freud Phobien gegenüber mehr oder wenig harmlosen Tieren und Gegenständen. Die ursprüngliche Angst, die man verspürt, wird verdrängt und stattdessen wird ein anderes Subjekt zum Auslöser. Das heißt, dass die Angst oder auch eine andere Triebregung nicht mehr dem Objekt gegenüber empfunden wird, welches sie ursprünglich auslöste, sondern sich nach der Verdrängung auf ein Ersatzobjekt bezieht.

1.3 Die Bedeutung des Traumes

Wie schon im Kapitel über das Unbewusste erwähnt, war Freud der Ansicht, dass Träume unbewusste Vorgänge zum Vorschein bringen. „Ein Traum ist also auch eine Projektion, eine Veräußerlichung eines inneren Vorgangs.“[15] Oftmals handeln Träume von Erlebnissen des vorangegangenen Tages, wobei der Träumende immer den Protagonisten des Traumes darstellt. Freud nennt dieses Phänomen „Narzißmus des Schlafzustandes“.[16] Nach welchen Auswahlkriterien werden diejenigen Tageserfahrungen ausgewählt, die Gegenstand des Traumes beziehungsweise der Träume werden? Nach Freud ist dies ein Resultat der Arbeit des Unbewussten. Dieses verstärkt gewisse Erlebnisse des Tages, so dass sie zum Inhalt des Traumes werden.[17] Somit bringen Träume und die ihnen verwandten Halluzinationen verdrängte Wünsche aus dem Unbewussten zum Vorschein und lassen die Erfüllung eben dieser als Realität erscheinen.[18] Das Verhältnis zwischen Traum und Realität ist allerdings ähnlich dem der Triebe. „Der Schlafzustand will nichts von der Außenwelt wissen, interessiert sich nicht für die Realität oder nur insoweit, als das Verlassen des Schlafzustandes, das Erwachen, in Betracht kommt.“[19]

2. Der Tod in Venedig

Die Zahl an psychoanalytischen Untersuchungen des „Tod in Venedig“ ist groß. Meistens werden hierbei Rückschlüsse auf den Autor Thomas Mann gezogen. Diese Arbeit jedoch wird einen etwas anderen Weg einschlagen. Geht man davon aus, dass Mann die Theorien Freuds zumindest in ihren Grundzügen kannte und berücksichtigt man die intensive Arbeit, die der Autor bei seinen Werken der Ausgestaltung seiner Charaktere und der Handlung zuteil kommen ließ, ist es nur naheliegend, dass er eben die Grundzüge des Unbewussten in seinen Protagonisten Gustav von Aschenbach einfließen ließ, um ihn authentischer wirken zu lassen. Um eine tiefenpsychologische Untersuchung des Gustav von Aschenbach durchführen zu können, ist es allerdings zuvor notwendig zu beweisen, dass Thomas Mann Freuds Theorien kannte.

2.1 Thomas Mann und Sigmund Freud

Thomas Mann behauptete selbst 1925 in einem Interview mit der italienischen Zeitschrift „LaStampa“, dass seine Novelle „Der Tod in Venedig“ unter dem Einfluss Sigmund Freuds entstanden ist.[20] Diese Aussage Manns ist eigentlich schon aussagekräftig genug, um zu beweisen, dass Mann Freud zur Zeit der Entstehung seiner Novelle bereits gelesen hatte. Manfred Diercks zeigt in seinem Aufsatz „Der Wahn und die Träume in ››Der Tod in Venedig‹‹. Thomas Manns folgenreiche Freud-Lektüre im Jahr 1911.“ zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen der Novelle Thomas Manns und der von Wilhelm Jensen, „Gradiva“. Diese hatte Freud psychoanalytisch in seinem Werk „Der Wahn und die Träume in W. Jensens Gradiva “ untersucht. Da sowohl die Hauptfigur dieser Novelle und Gustav von Aschenbach ähnliche Charaktereigenschaften und Gemütszustände aufweisen als auch in der Handlung sehr viele Parallelen erkennbar sind, geht auch Diercks von einer Umsetzung der Psychoanalyse Freuds im „Tod in Venedig“ aus. Auf der Basis dieser Erkenntnis ist nun eine Weiterarbeit an einem psychologischen Profil des Gustav von Aschenbach möglich. Um sämtliche Ausführungen verständlicher zu machen, folgt vor der eingehenden Analyse der Novelle ein kurzer Inhaltsüberblick des „Tod in Venedig“.

2.2 Inhalt des „Tod in Venedig“

Der leicht in die Jahre gekommene Gustav von Aschenbach, ein bekannter und dank seiner Arbeit sogar mit dem Adelstitel belohnter, Schriftsteller unternimmt einen Spaziergang in München. Er trifft auf einen, auf ihn unheimlich und bedrohend wirkenden, Wanderer. Darauf folgt eine, für Aschenbach untypische, Reiselust. Aschenbach hat bis dahin sein gesamtes Leben der Arbeit gewidmet. Er war nur kurz verheiratet bis seine Frau starb und sein einziges Kind, eine Tochter, ist zum Zeitpunkt der Handlung bereits selbst in den Ehestand eingetreten.

Sein erster Weg führt ihn zu einer Insel nahe der Adriaküste, wo er sich allerdings nicht wohlfühlt. Eine plötzliche Eingebung lässt ihn nach Venedig weiterreisen. Auf der Schifffahrt trifft er eine weitere unheimliche und groteske Figur. Es handelt sich um einen alten Mann, der mit einer Gruppe von jungen Herren reist und zwanghaft versucht, ebenfalls jung zu wirken. Aschenbach empfindet diese Erscheinung nicht nur als unheimlich, sondern geradezu als widerwärtig.

Im Hotel in Venedig angekommen, begegnet der Protagonist dem polnischen Jüngling Tadzio. Aschenbach ist begeistert von der Schönheit des 14-Jährigen und bewundert ihn von Tag zu Tag mehr. Er ist der Ansicht, dass er als Künstler die vollkommene Schönheit im Äußeren des Jungen zu würdigen wisse.

Durch das schwüle Wetter in Venedig sieht sich Gustav von Aschenbach jedoch bald gezwungen die Stadt aufgrund seiner Gesundheit wieder zu verlassen. Als jedoch sein Gepäck bei der Abreise abhandenkommt, sieht er darin einen Vorwand, wieder in sein Hotel zurückzukehren. Dort erkennt er, dass ihm der Abschied von der Stadt nur wegen des jungen Tadzio so schwer gefallen ist und gesteht sich selber schließlich seine Liebe zu dem Jüngling ein.

Gleichzeitig befällt eine Cholera-Epidemie die Stadt, welche von den Behörden jedoch zu verheimlichen versucht wird. Aschenbach wird schließlich von einem englischen Reisebüroangestellten über die Gefahr informiert und erhält den Rat, Venedig schnellstmöglich zu verlassen. Dieser jedoch bleibt in der Stadt und warnt auch Tadzio, der mit seiner Mutter, einer Gouvernante und seinen Schwestern im Hotel weilt, nicht vor der Krankheit, die sich in der Stadt ausbreitet.

Der alternde Schriftsteller verfolgt Tadzio und beginnt sein Äußeres zu verjüngen, damit er ihm auch gefalle. Schließlich stirbt Aschenbach in einem Liegestuhl am Strand, während er Tadzio im Meer beobachtet. In seinen letzten Minuten erscheint es ihm, als winke der Junge ihm ins Meer zu folgen.

2.3 Der erste Traum

Nach der Begegnung mit dem fremdwirkenden Wanderer hat Aschenbach einen traumähnlichen Zustand. Bereits hier ist eine Verbindung zu Freuds Theorie gut sichtbar. Der Schriftsteller träumt von einem dicht bewachsenen Urwald mit einer reichen Sumpflandschaft. Die Beschreibungen „feucht, üppig und ungeheuer, […] sah aus geilem Farrengewucher, aus Gründen von fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem Pflanzenwerk haarige Palmenschäfte nah und ferne emporstrecken, […] Bäume ihre Wurzeln […] in stockende, grünschattig spiegelnde Fluten versenken […]“[21] drängen einem neben der Vorstellung von einer völlig fremden Landschaft auch eindeutig sexuelle Assoziationen auf. Wie zuvor bereits ausgeführt, befindet man sich beim Träumen in einem Zustand, in dem das Unbewusste, wenn auch in einer verschlüsselten Form, zum Vorschein kommt. Die Sexualität spielt auch bei Freud eine große Rolle. Berücksichtigt man die Neigung Aschenbachs zu Tadzio, lässt sich hier bereits eine unterdrückte, also verdrängte Sexualität erkennen, die durch den Wachtraum zu Tage tritt. Für das scheinbar asketische Leben Aschenbachs gibt es einige Hinweise im Text. So heißt es: „ Die Ehe, die er noch in jungendlichem Alter mit einem Mädchen aus gelehrter Familie eingegangen, wurde nach kurzer Glücksfrist durch den Tod getrennt. Eine Tochter, schon Gattin, war ihm geblieben. Einen Sohn hatte er nie besessen.“[22] An anderer Stelle beschreibt ein Bekannter Aschenbachs Lebensstil. „››Sehen Sie, Aschenbach hat von jeher nur so gelebt‹‹ - und der Sprecher schloß die Finger seiner Linken fest zur Faust -; ››niemals so ‹‹ - und er ließ die geöffnete Hand bequem von der Lehne des Sessels hängen.“[23] Auch der bereits erwähnte Manfred Diercks bemerkt diesen Umstand. „Geradezu akribisch wird jede Möglichkeit der Gefühlsbindung aus seinem Leben getilgt.“[24] Dieser Zustand wurde schon zu Kindestagen in Aschenbachs Leben hergestellt. So musste er aufgrund seiner kränklichen Konstitution zu Hause unterrichtet werden und wuchs ohne gleichaltrige Spielkameraden auf.

[...]


[1] Vgl. Freud, Sigmund: Das Unbewußte. Die Rechtfertigung des Unbewußten. In: Freud-Studienausgabe, Bd. III. Hrsg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachery. 6. Aufl. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag GmbH 1975. S. 125-126

[2] Ebd. S. 127

[3] Vgl. Ebd. S. 131-132

[4] Ebd. S. 132

[5] Freud, Sigmund: Das Unbewußte. a.a.O., S. 145

[6] Vgl. Ebd. S. 145

[7] [Art.] Unbewusste. In: Metzler Lexikon Philosophie. Hrsg. von Peter Prechtl, Franz-Peter Burkard. 3. Aufl. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler 2008. S. 633

[8] Freud, Sigmund: Das Unbewußte. a.a.O., S. 105

[9] Vgl. Ebd. S. 108

[10] Freud, Sigmund: Das Unbewußte. a.a.O., S. 109

[11] Vgl. Ebd. S. 113

[12] Vgl. Ebd. S. 109

[13] Vgl. Ebd. S. 109

[14] Vgl. Ebd. S. 139

[15] Ebd. S. 180

[16] Ebd. S. 180

[17] Vgl. Freud, Sigmund: Das Unbewußte. a.a.O., S. 181

[18] Vgl. Ebd. S. 187

[19] Ebd. S. 190

[20] Vgl. Diercks, Manfred: Der Wahn und die Träume in ››Der Tod in Venedig‹‹. Thomas Manns folgenreiche Freud-Lektüre im Jahr 1911. In: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse. Bd. IV. Stuttgart: Klett-Cotta 1990. S. 242

[21] Mann, Thomas: Der Tod in Venedig und andere Erzählungen. 2. Aufl. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag GmbH 2008. S. 176

[22] Ebd. S. 185

[23] Ebd.. S. 180

[24] Diercks, Manfred: Der Wahn und die Träume in ››Der Tod in Venedig‹‹. a.a.O., S. 249

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Tod in Venedig - Eine psychoanalytische Untersuchung
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
20
Katalognummer
V169071
ISBN (eBook)
9783640871377
ISBN (Buch)
9783640871506
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
venedig, eine, untersuchung
Arbeit zitieren
Jana Hölters (Autor:in), 2010, Der Tod in Venedig - Eine psychoanalytische Untersuchung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169071

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