Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Systemische Theorie
2.1. Begriffliche Klärung
2.1.1. Was ist ein System?
2.1.2. Modelle im Überblick
2.1.3. Was ist Real?
2.2. Systemische Beratungsansätze im Kontext Schule
3. Verhaltensmodifikatorische Beratung
3.1. Begriffliche Klärung
3.2. Verhaltensmodifikatorische Beratungsansätze im Kontext Schule
3.2.1. Kontingenzverträge
3.2.2. Token Verstärkung
3.2.3. Feedback
4. Beratung im schulischen Kontext
4.1. Der Kontext von Beratung
4.2. Schulspezifische Probleme von Beratung
5. Eine Gegenüberstellung von systemischer und verhaltensmodifikatorischer Beratung
5.1. Tabellarische Zusammenfassung
6. Fazit
7. Quellenangabe
1. Einleitung
In der hier vorliegenden Hausarbeit möchte ich zwei Therapieformen vorstellen, zum einen die systemische und zum anderen die verhaltensmodifikatorische und einen Bezug zu Beratung im schulischen Kontext herstellen. Anschließend folgt eine Gegenüberstellung der zwei Theorien, in welcher ich Gemeinsamkeiten und Unterschiede näher ausführen möchte. Im Einzelnen werde ich herausarbeiten wie allgemeine Therapievorschläge explizit mit Schule in Verbindung gebracht und zur Problemlösung verwendet werden können. Es folgen Interventionsmöglichkeiten beschrieben anhand von Beispielsituationen.
Beginnend wird der Leser durch eine kurze Begriffsklärung, einer knappen Übersicht über bestehende Modelle und der Klärung einer wichtigen Ausgangsfrage an die Grundlagen der systemischen Therapie herangeführt. Anschließend folgt ein ausführlicher Bezug zur Beratung im schulischen Kontext. Hier werden Interventionsvorschläge an verschiedenen Beispielen erläutert und näher auf die systemische Sicht und dem daraus resultierenden Weg zur Problemlösung eingegangen.
Anschließend wird die verhaltensmodifikatorische Therapie begrifflich dargelegt und teilweise auf den geschichtlichen Abriss eingegangen. Es folgt der Bezug zu Beratung im schulischen Kontext. Dieser beinhaltet vor allem drei, meiner Meinung nach für den schulischen Kontext sehr relevante Programme zur Verhaltens- modifikation: Kontingenzverträge, Token-Verstärkung und Feedback. Dadurch sollen Lösungsvorschläge für Problemsituationen aus verhaltensmodifikatorischer Sicht vorgestellt werden.
Folgend wird dem Leser ein Überblick über Beratung und den dabei häufigsten Problemen geboten, um die Ausgangslage eines schulspezifischen Beratungsgespräches zu verdeutlichen.
Im Anschluss werden die beiden vorgestellten Beratungsansätze gegenübergestellt, indem Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet, verglichen und tabellarisch zusammengefasst werden.
Abschließend folgt ein Fazit, in welchem, teilweise subjektiv empfundene, Vor- und Nachteile der Beratungsformen verfasst und begründet sind. Zudem werden eigens formulierte und teilweise auch skizzierte Vorgehensweisen zur Beratung im schulischen Kontext präsentiert.
Beide der hier dargestellten Theorien, die sich mittlerweile feste Plätze in der Therapie verschaffen konnten, sind das Ergebnis eines langwierigen Entwicklungsprozesses. Sie sind allgemein anerkannt, was sich auch in der Kostenübernahme einer Therapie durch die Krankenkassen wiederspiegelt. Der Ursprung der Systemtheorie ist um 1968 zu datieren. Bertalanffy spricht hier von der sog. Allgemeinen Systemtheorie. Seit Anfang der 70er Jahre entwickelt sich allerding eine „neue“ Systemtheorie. Diese berücksichtigt vermehrt Instabilitäten, katastrophale Strukturbrüche, etc.
Der Beginn der Verhaltensmodifikation ist dagegen unbestimmter definiert. Man geht davon aus, dass die Menschen seit Anbeginn versuchen ihr Verhalten (gegenseitig) zu bestimmen und zu verändern. Erste verhaltenstherapeutische Anwendungen sind aus dem Jahre 1924 bekannt: Mary Cover Jones therapiert einen ängstlichen Jungen von einer Phobie durch Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt. Erst nach dem 2. Weltkrieg gelang es der Wissenschaft, lerntheoretisch fundierte Verfahren systematisch zur Behandlung psychischer Störungen, insbesondere Phobien, einzusetzen. Schwerpunktmäßig wurde das Verfahren in Südafrika, England, den USA und Deutschland weiterentwickelt. Der Ursprung der Verhaltensmodifikation liegt in der experimentellen Psychologie.
2. Systemische Theorie
2.1 Begriffliche Klärung
2.1.1 Was ist ein System?
„Ein System ist die Summe seiner Elemente“, es ist nichts Greifbares und wird von uns sowohl konstruiert als auch definiert. (Krause u.a.: Pädagogische Beratung UTB (2003)) Die Grenzen eines Systems werden durch die Unterschiedlichkeit der Beziehungen der einzelnen Elemente zueinander, die sich in ihrer quantitativen Intensität und qualitativen Produktivität unterscheiden können, aufgestellt. Somit wird eine Grenze zwischen System und Umwelt geschaffen. Zum Beispiel haben Familienmitglieder eine deutlich stärkere (d.h. intensivere und produktivere) Beziehung zueinander als zu anderen Menschen außerhalb des Systems „Familie“. Ein System kann aber auch als Umwelt darlegt werden. Entscheidend ist die Organisation der Beziehungen der Teile zueinander. „Schule“ kann durchaus als System für einen Schüler definiert werden, bildet aber in Hinsicht auf das System „Familie“ die Umwelt. Systemdenken berücksichtigt immer auch die Veränderung, von z.B. Mustern, Strukturen, Zusammenhängen, Rekursivität und Kohärenz.
2.1.2 Modelle im Überblick
Der Begriff „systemische Therapie“ ist ein Oberbegriff, dem eine Vielzahl von teilweise sehr heterogenen Modellen unterliegt. Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer haben in ihrer Publikation „Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung“ diese Modelle kategorisiert. In der I. Kategorie werden die klassischen Modelle, wie strukturelle Familientherapie, das Mehrgenerationen-Modell, die erlebnisorientierte Familientherapie, die strategische Familientherapie und die systemisch-kybernetische Familientherapie zusammengefasst. Die II. Kategorie beinhaltet die systemisch-konstruktivistische Therapie und das reflecting Team. In der III. und letzten großen Kategorie sind die konstruktive und hilfreichen Dialoge, die Therapie als Dekonstruktion und die L ö sungsorientierte Kurz-Therapie aufgeführt. Auch wenn diese Vielzahl von Modellen durchaus verschieden erscheint, so haben sie doch wichtige Gemeinsamkeiten, welche im Folgenden erläutert werden sollen. Die systemische Therapie setzt den Gedanken an das Vorhandensein eines Systems, in welchem man sich befindet bzw. an Systeme, die sich um einen herum befinden, voraus. Ein System in diesem Sinne ist weder greifbar, noch dessen Existenz beweisbar. Der Beobachter selbst muss das System, in welchem er sich befindet, erkennen und darüber entscheiden wie er die Ganzheit eines Ökosystems in Subganzheiten aufteilt, wie z.B. „Mensch“, „Familie“, „Verhalten“.
2.1.3 Was ist Real?
In dem vorangegangenen Abschnitt bin ich auf die systemische Denkweise und die in einer Person stattfindenden Kategorisierung von Wahrnehmungen eingegangen. Nun gilt es zu klären, ob das was wir sehen der Realität entspricht. Bereits 1981 hat Kriz die Frage formuliert, ob die Wirklichkeit überhaupt unabhängig vom erkennenden System existiert. Das würde bedeuten, dass die Wirklichkeit abhängig von seinem Betrachter/ von seinem betrachtendem System ist. Hier scheint es wichtig die sogenannte „konstruktivistische Philosophie“ mit einzubeziehen. Die Kernfrage dieser Philosophie fragt danach „Wo“ sich das, wovon wir sprechen, befindet. Ist die Wirklichkeit ein Abbild meiner Gedanken oder existiert diese unabhängig von mir? Foerster formulierte 1981 dazu: „Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung“. Allerding leben wir nicht für uns allein, es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die „Wirklichkeit“ im Dialog entsteht. Wir bilden uns also gemeinsam mit unserer Umwelt (vor allem durch Einflüsse dieser) unsere Wirklichkeit.
Zusammengefasst geht die konstruktivistische Erkenntnistheorie davon aus, dass es nicht objektiv beurteilbar ist was wir sehen, hören, schmecken, fühlen und riechen, da wir nicht wissen ob es genau so existiert. “Objektivität verlangt die Trennung des Beobachters vom Beobachteten“. (Foerster, 1987) Dies führt zur widersprüchlichen Aussage, dass Objektivität eine Beobachtung ohne Beobachter vorrausetzt. Welche Bedeutung diese Kernaussage für Systemische Beratung hat soll im Folgenden näher erläutert werden.
2.2 Systemische Beratungsansätze im Kontext Schule
Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich bzw. sinnvoll ist, dass der Berater aus einer vom Ratsuchenden verschiedenen Wirklichkeit (nämlich seiner eigenen) heraus Instruktionen, Lösungen, Vorschläge oder Interventionen entwickelt. Gibt es die erwartete Übereinstimmung zwischen der Wirklichkeit des Beraters und die des Ratsuchenden, i.d.R. die des betroffenen Schülers? Weinholz war 1994 der Ansicht, dass „aus systemischer Sicht […] eine Erziehungsplanung nur insoweit gelingen [kann], als sie zur Selbstorganisation des beteiligten Systems passt“. Wir stehen also vor dem Problem, dass bei einem Beratungsgespräch zwei Sichtweisen aufeinandertreffen. Daher soll es bei einem Beratungsgespräch nicht Aufgabe sein den jeweils anderen von seiner eigenen Sichtweise zu überzeugen. Vielmehr soll der Berater die Sichtweise des Ratsuchenden erweitern und verändern helfen, indem er dem Ratsuchenden behilflich ist neue Informationen zu sammeln. Dies sollte durch eher ungewöhnliche Fragestellungen geschehen, denn ob etwas „richtig“ oder „falsch“ ist, ist aus systemischer Sicht belanglos; nur die Frage ob etwas „nützlich“ ist führt zu neuen Erkenntnissen. Die systemische Beratung sollte nicht als Ursachenforschung betrachtet werden, sondern vielmehr als unterstütztes Suchen nach (unausgesprochenen) Regeln und deren Zirkularität, welche die Beziehung von Reiz und Reaktion beeinflusst. Es geht also nicht um Ursachen, sondern um „Zusammenpassen“. Wenn eine unerwünschte Situation eintrifft, ist diese nicht zwangsläufig das Resultat einer Ursache, sondern einem „Nicht-Zusammenpassens“ der Teile eines Systems. Dies führt zu der Sichtweise, dass auffälliges Verhalten, oft als Symptom betitelt, als Vorbote für Veränderung angesehen wird. Beratung sollte diesen Vorgang der Veränderung unterstützen und helfen das System in eine neue Richtung bzw. neue Ordnung zu lenken. Beratungsgespräche können auch als gewollte Störfaktoren bezeichnet werden mit der Funktion das System neu zu ordnen. Ein System befindet sich in andauernden Instabilitäten und ordnet sich selbstständig neu. Die Richtung ist dabei allerdings nicht lenkbar, denn das System lässt von sich aus etwas Neues entstehen.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass systemisches Denken eine Isolation von einzelnen Elementen ausschließt. Leider ist im gegenwärtigen praktischen Kontext von Beratung an Schulen meist Gegensätzliches der Fall. Man sucht nach Ursachen, Motiven und Gründen von bestimmten Verhaltensweisen. Verglichen mit einer Maschine könnte man sagen, dass nach einem defekten Teil (Symptom) gesucht wird, in der Hoffnung, dass nach erfolgreicher Reparatur die gesamte Maschine (Situation, Verhalten etc.) wieder funktioniert. Palmowski beschreibt in seinem Buch „Der Anstoß des Steins“ an drei Beispielen Problembereiche der Beratung (Einbahnstraße, Straßenkreuzung, Froschteich) und deren Auswirkung auf das Beratungsgespräch. Ich werde diese Beispiele näher erläutern, um darzustellen wie systemische Beratung eben nicht ablaufen sollte.
Im Beispiel Einbahnstra ß e wird ein stark hierarisches Setting beschrieben. Der Beratungslehrer ist der „Professionelle“, also derjenige, der „oben“ steht und scheinbar die Macht hat Probleme selbständig zu lösen. Dies wird durch seine Vorgehensweise, dem Sammeln von Fakten, Ziehen von Rückschlüssen aus Gehörtem und Gesehenem und daraus abgeleiteter Problembewertung begünstigt. Allerdings wird damit auch der Ratsuchende selber zum Problem degradiert, denn er wird unmittelbar mit dem Problem in Verbindung gebracht und (schlechtesten falls) selber als Ursache dessen gesehen. Zudem wird dem Berater sämtliche Verantwortung (für evtl. Scheitern etc.) überlassen bzw. sogar zugeschoben.
Das zweite Beispiel Palmowskis trägt die Bezeichnung Stra ß enkreuzung. Auch diese Form der Problembeschreibung ist stark hierarisch und deckt sich mit dem vorherigen Beispiel. Lediglich die Anzahl der „Experten“ nimmt zu. Der Berater wird i.d.R. gerufen wenn ein Schüler problematisches Verhalten aufweist. Nehmen wir an dieses Verhalten wird als personenspezifisch betrachtet, d.h. der Schüler zeigt dieses Verhalten vermehrt bei einem bestimmten Lehrer, so kann es passieren, dass z.B. außer dem Beratungslehrer noch der Klassenlehrer, Schuldirektor, Eltern u.a. am Beratungs- und Lösungsprozess teilnehmen. Diese Situation kann zu vermehrten Schuldvorwürfen unter den Parteien führen und dazu, dass dem tatsächlich Ratsuchenden durch eine erzwungene Unterordnung die Möglichkeit seine eigenen Ressourcen mit einzubringen, verwehrt wird. Zusätzlich werden direkte Lösungsvorschläge, die meist Ergebnis eines solchen Lösungsweges sind, häufig als Angriff gegenüber dem Ratsuchenden bewertet und somit vermehrt abgewehrt. Der grundlegende Gedanke und charakteristisch für die systemische Denkweise ist es, dass ein Symptom als nützlich angesehen werden kann. Konkret formuliert könnte man sagen, dass das Symptom eine positive Funktion hat, es trägt nämlich zur Stabilisierung und somit zum Überleben des Systems bei. (vgl. Palmowski S. 55) Für den Berater hat dies zur Folge, den Ratsuchenden zu veranlassen sich zu fragen, in welchem Kontext das als problematisch betitelte Verhalten (die problematische Situation, Person etc.) einen Sinn macht/ machen würde.
Aus systemischer Sicht ist Verhalten immer kontextgebunden und somit eine Reaktion auf diesen. Jedes System besitzt feststehende Regeln, ob es die Warteschlange an der Kasse des Supermarktes ist oder das Abteil eines Zuges, an die sich für gewöhnlich die meisten Personen (Elemente) halten, weil sie diese als angenehm und gut empfinden oder sich dadurch sicher fühlen. Übertragen auf den Kontext Schule heißt das nichts anderes als dass Regeln existieren müssen, mit denen sich jeder wohl und sicher fühlt, die als sinnvoll und vor allem als angenehmer als andere (vorherige) Regeln erachtet werden. Dies ist ein wichtiger Grundgedanke der systemischen Sichtweise für ein funktionierendes System. Die „Macht“ liegt also in den Regeln. Diese Sicht ist bedeutend für die Beratung im schulischen Kontext. Der analoge Begriff „Struktur“ wird wesentlich häufiger, zum Teil auch missverständlich, gebraucht. Die Regeln sollten nicht von einem (Lehrer) aufgestellt werden, sondern aus dem System heraus entstehen. Hierfür ist ein flexibles und dynamisches System von Nöten, damit auftauchende Probleme konstruktiv gelöst werden können. Je starrer ein System ist, desto eher reagiert es mit vermehrten Problemverhalten (einzelner oder mehrerer Mitglieder). Deshalb schlägt Palmowski vor „diesen Sachverhalt selbst mit allen Beteiligten zum Thema zu machen“.
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