Diese Arbeit stellt das Denken und die Person Fritz Mauthners in einen historischen Kontext. Zum einen gibt es seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in der gesamten westlichen Welt ein Phänomen, das als Sprachkrise beschrieben werden kann. Intellektuelle, Schriftsteller und Philosophen entdecken die Kluft zwischen der Welt und dem Wort, es entsteht der Eindruck, als würde die Sprache die Wirklichkeit nicht mehr erfassen. Zum anderen lässt sich im zentraleuropäischen Raum, in dem Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie, seit den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende ein vermehrtes und verstärktes Interesse an der Sprache feststellen. Dieses Interesse an der Sprache, ihrem Wesen und ihren Funktionen, lässt sich in den Werken Robert Musils, Fritz Mauthners, Franz Kafkas, Hugo von Hofmannsthals, Ludwig Wittgensteins, Moriz Schlicks und Karl Kraus’ – um nur einige zu nennen – vermehrt und sehr früh feststellen. Daher kann man annehmen, die Artikulation und die Aufmerksamkeit der Intellektuellen in der Habsburgermonarchie ist durch ein bestimmtes, sprachskeptisches Klima im vielsprachigen, pluralistischen und kulturell heterogenen Zentraleuropa begünstigt worden. Dieses Klima ist vor allem in den urbanen Ballungszentren wie Wien oder Prag besonders dicht.
Fritz Mauthner, in Böhmen geboren und in Prag aufgewachsen, eignet besonders gut, um das sprachskeptische Klima der Monarchie sowie die Sprachkrise allgemein darzustellen.
Die ersten drei Teile der Arbeit verorten Mauthner zunächst in der philosophischen Tradition der abendländischen Sprachkritik und dann im soziokulturellen Kontext der Monarchie.
Der vierte Teil der Arbeit zeichnet dann in drei Schritten die Genese des sprachkritischen Klimas in der Monarchie um die Jahrhundertwende nach. Dabei hat auch die Reformation und in weiterer Folge die Gegenreformation als „rhetorische Veranstaltung“ großen Einfluss auf die Mentalität der Menschen in Zentraleuropa. Eine weitere Komponente in der Genese des sprachskeptischen Klimas ist in der Zeit der josephinischen Reformen zu verorten, veranschaulicht an Joseph von Sonnenfels’ Werk Über den Geschäftsstil. Der dritte Meilenstein auf dem Weg in die sprachkritische Atmosphäre bildet die Ideologisierung der Sprachen durch den Nationalismus im 19. Jahrhundert.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- A. Sprachkrise und Sprachkritik
- I. Sprachkrise
- 1. Der gebrochene Vertrag und der Symbolismus
- 2. Vom Epilog zum Vorwort
- II. Sprachkritik
- 1. Sprachkritik vom Standpunkt der Aufklärung
- 2. Sprachkritik vom Standpunkt des bildungsbürgerlichen Elitarismus und Konservativismus
- 3. Sprachkritik vom Standpunkt der „Philologie“ – Das Karl-Kraus-Syndrom
- 4. Sprachkritik im Sinne Mauthners
- I. Sprachkrise
- B. Fritz Mauthner in seiner Zeit
- I. Fritz Mauthners Selbstverortung in der Geschichte der Philosophie
- 1. Sprachkritik vom Standpunkt der Aufklärung
- 2. Die Dialektik der Aufklärung und Fritz Mauthners Sprachkritik
- II. Ein ganz kurzer Abriss einer Biographie Fritz Mauthners
- III. Fritz Mauthner in den Krisen um 1900
- 1. Identitätskrisen als existenzielle Krisen – zwei Seiten der Moderne
- 2. Der Selbstmord als natürlicher Tod, als Weg aus der Krise
- 3. Der Selbstmord als Metapher - zwei Beispiele
- 4. Die Krisen der Politik - das Fortwursteln als Selbstmord des Regierens
- 5. Die Identität des Deutschnationalen - Fritz Mauthners persönlicher Weg aus der österreichischen Krise
- 6. Das Ende der Erzählungen – die (post)moderne Unbestimmtheit als Ursache für die Krise der Sprache?
- I. Fritz Mauthners Selbstverortung in der Geschichte der Philosophie
- C. Die Krise der Sprache, ihre Ursachen und Symptome nach Fritz Mauthner
- 1. Die Krise der Zeit, des Denkens und der Sprache – zwei Diagnosen
- 2. Mauthners Kampf gegen den Wortaberglauben
- 3. Mauthners Naturalisierung der Muttersprache und seine Legitimation der Nation
- 4. Literarische Reflexionen der Krise der abstrakten Sprache - zwei Beispiele
- D. Die Genese der sprachkritischen Atmosphäre in der Habsburgermonarchie
- I. Regionale Erweiterung, Barock und Gegenreformation
- 1. Schlacht bei Mohács
- 2. Barock und Gegenreformation
- II. Zentralisierung, Aufklärung und aufgeklärter Absolutismus
- 1. Vom Barock zur Aufklärung
- 2. Staatsraison
- 3. Joseph von Sonnenfels und der Geschäftsstil
- III. Der Nationalismus und die Sprachenkrisen
- 1. Konservativismus und Vormärz
- 2. Der Nationalismus und die Ideologisierung der Sprachen
- 3. Barocke Rhetorik
- IV. Zusammenfassung
- I. Regionale Erweiterung, Barock und Gegenreformation
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Sprachskepsis des österreichischen Schriftstellers, Journalisten und Philosophen Fritz Mauthner, die als eine der ersten umfassenden Artikulationen des Umstandes gilt, dass die Sprache die Welt nicht mehr angemessen erfasst. Die Arbeit setzt Mauthners Sprachkritik in einen historischen Kontext, sowohl in einen weiteren geistesgeschichtlichen Kontext als auch in den konkreten Kontext der zentraleuropäischen Region um die Jahrhundertwende.
- Die historische Dimension der Sprachphilosophie Fritz Mauthners
- Die Krise der Sprache in der westlichen Welt
- Die Rolle der Vielsprachigkeit und kulturellen Pluralität im Habsburgerreich
- Die Genese der sprachkritischen Atmosphäre in Zentraleuropa
- Die Verbindung zwischen Mauthners Denken und seiner Lebenswirklichkeit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Sprachskepsis Mauthners vor und erläutert die historische Dimension der Sprachphilosophie im Kontext der zentraleuropäischen Region um die Jahrhundertwende. Es wird die These aufgestellt, dass die intensive Auseinandersetzung der österreichischen Intellektuellen mit der Sprache im Zusammenhang mit der Vielsprachigkeit und kulturellen Pluralität des Habsburgerreiches steht.
Kapitel A beleuchtet die Sprachkrise und die Sprachkritik im Allgemeinen. Es werden verschiedene Standpunkte zur Sprachkritik vorgestellt, darunter die Aufklärungsperspektive, der bildungsbürgerliche Elitarismus und Konservativismus, die „Philologie“ und die Sprachkritik im Sinne Mauthners.
Kapitel B befasst sich mit Fritz Mauthner in seiner Zeit. Es werden seine Selbstverortung in der Geschichte der Philosophie, ein kurzer Abriss seiner Biographie und seine Rolle in den Krisen um 1900 behandelt.
Kapitel C analysiert die Ursachen und Symptome der Sprachkrise nach Fritz Mauthner. Es werden Mauthners Kampf gegen den Wortaberglauben, seine Naturalisierung der Muttersprache und seine Legitimation der Nation sowie literarische Reflexionen der Krise der abstrakten Sprache betrachtet.
Kapitel D untersucht die Genese der sprachkritischen Atmosphäre in der Habsburgermonarchie. Es werden die regionale Erweiterung, der Barock und die Gegenreformation, die Zentralisierung, die Aufklärung und der aufgeklärte Absolutismus sowie der Nationalismus und die Sprachenkrisen analysiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Themen wie Sprachkrise, Sprachkritik, Vielsprachigkeit, kulturelle Pluralität, Fritz Mauthner, Österreich, Habsburgermonarchie, Jahrhundertwende, Aufklärung, Nationalismus, Barock, Gegenreformation, Geschichte der Philosophie, Literatur, Symbolismus, und historische Dimension.
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- Mag. Dr. Christopher Ebner (Author), 2004, Fritz Mauthner und die Moderne, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169529