Leseprobe
1.Einleitung
Schon im 15.Jahrhundert, also lange bevor man von einer Entwicklung hin zu einer multimedialen Bildgesellschaft sprechen kann, erkannte Erasmus von Rotterdam, dass ,,je weniger wir Trugbilder bewundern, desto mehr vermögen wir die Wahrheit aufzunehmen‘‘[1]. Heute leben wir in jenem visuellen Zeitalter, in dem Bilder die Autorität über unsere Vorstellungskraft besitzen und in dem wir unsere Lebensgewohnheiten nach dem Fernseher richten. Mitchell bezeichnete dieses Phänomen der stark visuell geprägten Rezeption und Interpretationsmodi einst als ,,pictoral turn‘‘[2]. Sich nicht von den vorgefertigten Informations- und Interpretationsstrukturen beeinflussen, zu lassen ist allerdings kein leichtes Unterfangen in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts, in der die digitale Revolution die Möglichkeiten der Bildbearbeitung und Manipulation revolutioniert hat. Dabei macht sich nicht nur die Fernsehindustrie die Gier des menschlichen Bedürfnisses nach Konkretheit und Anschaulichkeit zu Nutze. Der Einfluss der Medien ist, in Folge der globalen Kommerzialisierung der Medienkultur, größer denn je. Medien bilden den Orientierungsrahmen in unserer Gesellschaft, beeinflussen in enormem Maße unsere Meinungsbildung und unser Handeln, und bieten uns dadurch eine kollektive Strukturierung von Wahrnehmung zur Beteiligung an der Erfahrung von Welt[3]. Jener Einfluss muss nicht per se schlecht sein, ist aber nur dann ethisch unproblematisch, wenn man Freiheit in einem negativen Sinne, nämlich als Abwesenheit von Zwang auffasst. Allerdings übersieht diese Interpretation, dass die in den Medien angebotenen Realitätskonstruktionen durchaus auch Auswirkungen auf das, was als positive Freiheit betrachtet wird, haben kann. Demnach kann- ja muss man -die Aktivitäten der Medienunternehmen zum Objekt von medienethischen Analysen machen[4]. Rüdiger Funiok, Professor für Pädagogik und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule für Philosophie in München, spricht von einem ,,gestiegenen >> Ethik-Bedarf<<[5] ‘‘in der Gesellschaft , um in Bereichen, in denen stetig neue Handlungs- und Entscheidungsoptionen entstehen eine ,,unbestechliche, überparteiliche Instanz‘‘[6] zu präsent zu wissen, die mit Hilfe von komplexitätsreduzierenden Handlungsanweisungen einen Leitfaden vorgibt, für das, was als moralisch legitim gelten darf.
2.Hauptteil
Seit der Ablösung der nachfrageorientierten von der der angebotsorientierten Wirtschaft herrscht in der Werbebranche ein regelrechter Werbungsboom. Dies hat zum Teil recht pragmatische Gründe. Aufgrund zahlreicher Testsstudien fand man heraus, dass TV-Bildwerbung den größten Kaufimpuls auslöst. Dies liegt an den perzeptuell salienten Stimuli die in Zusammenspiel mit der ,,Vividness‘‘, also den bewegten Bildern, das größte Aufmerksamkeitspotential beim Konsumenten erzeugen, und somit letztendlich zu einem Konsumverhalten führen[7]. Neutrale oder schlicht informierende Werbung gibt es de facto also fast nicht. Werbung ist immer an eine Beeinflussung des Rezipienten zur Erfüllung der Werbeziele gekoppelt, seien sie von ökonomischer Natur , wie zum Beispiel die Steigerung des Umsatzes oder Produktverkaufs, oder von nichtökonomischer Natur, wie die Förderung der Markenerkennung oder die Erhöhung der Produktbekanntheit. Bereits bei der Gestaltung der Werbung wird dabei darauf geachtet, gezielt die vorher ermittelte Zielgruppen anzusprechen. Diese Adressierung erfolgt zumeist durch systematisch ausgewählte Bilder, während Werbetechniken zuweilen stak divergieren und ethisch durchaus auch fragwürdig sein können. Benetton beispielsweise hat die Technik der Schockwerbung perfektioniert und polarisiert regelmäßig mit Bildern toter Tiere oder sterbender Aidskranker. Der Effekt des Unerwarteten wirkt hier zusammen mit der Negativtendenz, dem Effekt, dass negativ konnotierte Bilder länger im Gedächtnis bleiben, und sorgt für einen dauerhaften Werbeeffekt. Durch die Omnipräsenz der Marke Benetton in der Öffentlichkeit wird eine derart hohe Markenbekanntheit geschaffen, dass gemäß dem Impact-Modell eine erhöhte Kaufwahrscheinlichkeit der Benetton zu erwarten ist[8]. Aus volkswirtschaftlicher Sicht also durchaus eine intelligente Strategie wenn auch moralisch wie ethisch durchaus fragwürdig. Was sich auch mit Sicherheit behaupten lässt ist, dass fundierte psychologische Erkenntnisse aus der Medienpsychologie zu immer ausgeklügelteren Werbetechniken und letztendlich zu einer Zunahme der Subtilität und Perfektion in der Werbung führen. Hier kann man von einem hohen Manipulations- wenn nicht sogar Gefahrenpotential sprechen, denn gemäß Shiffrin und Schneider‘s Theorie des Kontinuums kognitiver Prozesse erfolgt die Verarbeitung medienvermittelter Information auf zwei Arten, automatisch oder kontrolliert, wobei bei der automatischen Verarbeitung das Manipulationsrisiko am größten ist[9]. Eine solche Verarbeitung erfolgt vor allem dann, wenn Information nebenbei, unbewusst oder ohne große Aufmerksamkeit rezipiert wird, wie es vor allem bei Werbung oft der Fall ist. Werbung ist also primär eine kaufmännische Zweckveranstaltung bei der mit immer perfideren Methoden eine Konsumentenmanipulation angestrebt wird. All diejenigen, die diese Werbung erschaffen, sind im Auftrag ihrer Kunden handelnde Dienstleister. Profit ist ergo oft deren primäre Legitimation mit moralisch und ethisch fragwürdigen, wenn auch polarisierenden Werbeaktionen, mehr Umsatz und Markenbekanntschaft zu generieren. Es stellt sich jedoch die Frage nach der individualethischen Verantwortung auf Seiten der Agenturen. Als Teil reflektierter Professionalität und Beratungskompetenz müsste es de facto selbstverständlich sein gewisse Forderungen und Vorstellungen von Kundenseite, und sogar ganze Projekte –selbst wenn sie sehr ertragreich zu ein scheinen- abzulehnen, wenn sie den persönlichen Wertevorstellungen und Maßstäben nicht genügen. Würde man nach der Meinung des US-amerikanischen Ökonomen Milton Friedman gehen, wären Moral und Anstand dehnbare Wertgrößen, ausgehend von der These die moralische Verpflichtung von Unternehmen bestünde einzig und allein darin, ihre Gewinne zu maximieren. ,,The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits‘‘[10], im Zweifel dürfte man sich laut Friedman also zugunsten kapitalistischen Maximen den existentiellen Sachzwängen unterwerfen. Doch kann man im Werbesektor von einer Liberalisierung zugunsten eines moralnegierenden Kapitalismus sprechen ? Die Praxis sieht zumindest in Deutschland anders aus. Mit dem Deutschen Werberat hat man in Deutschland zumindest eine Institution, die allzu grenzwertige Werbung überwachen bzw. rügen sollen. Freiwillige branchen- beziehungsweise agenturspezifische Ethic Codes ergänzen das Bild. Dennoch muss man sich fragen ob dies nicht der falsche Weg ist und ein Umdenken zwingend notwendig ist, schließlich sind die Firmen als Auftraggeber für die Ethik und Moral zuständig und nicht unbedingt die ausführende Agentur. Wo liegt zudem die Grenze zwischen moralisch verwerflicher und ethisch legitimer Werbung. Ist es verwerflicher einen Film für die Atomlobby zu drehen als für Produkte zu werben, die keinen effektiven Nutzen vorweisen können und letztendlich nur den Verbraucher täuschen und ihm das Geld aus der Tasche ziehen? Stichwort: die Milchschnitte mit der Extraportion Milch oder die Nimm2 Lachgummi mit vielen gesunden Vitaminen. Ceterum censeo: Das Problem liegt im System selbst. Werbung ist immer persuasiv und deswegen ex definitione Täuschung beziehungsweise Manipulation. Man müsste folglich konsequent jedes Produkt anklagen. In der Praxis fokussieren wir uns jedoch auf gute und schlechte Werbung, grenzüberschreitende und systemkonforme Werbung, moralische und amoralische Werbung. Abgesehen von interpretationsfähigen gesetzlichen Rahmenordnungen ist diese Grenze im Werbebereich also oft subjektiv, und genau dieser Faktor macht das Spannungsfeld Ethik & Werbung so schwierig.[11]
[...]
[1] von Rotterdam, Erasmus (1952): Handbüchlein eines christlichen Streiters. http://zitate.net/zitate/suche.html?query=bild&page=. Zugriff am 7.11.2010
[2] Mitchell, W.J.T. (1997): Der Pictorial Turn. In: Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Berlin. 1997. S. 15-40.
[3] Vgl. Rehkämper, Klaus/Klaus Sachs-Hombach Klaus (1998) : Bild- Bildwahrnehmung- Bildverarbeitung, Wiesbaden. 1998. S.9
[4] Vgl. Karmasin, Matthias / Carsten Winter (2002) : Medienethik vor der Herausforderung der globalen Kommerzialisierung von Medienkultur: Probleme und Perspektiven. In: Karmasin, Matthias (Hg.): Medien und Ethik. Stuttgart. 2002. S.18ff
[5] Funiok, Rüdiger (2002): Medienethik: Trotz Stolpersteinen ist der Wertediskurs über Medien unverzichtbar. In: Karmasin, Matthias (Hg.): Medien und Ethik. Stuttgart.2002. S.37
[6] Ebd. S.37
[7] Vgl. Faulstich, Werner (2005): Die Entfaltung der Bildkultur in den Medien des 20 Jahrhunderts. 15.11.2005. http://www.bpb.de/themen/9QOKHF,0,0,Die_Entfaltung_der_Bildkultur_in_ den_Medien_des _20_Jahrhunderts.html. Zugriff am 15.11.2010. S.1
[8] vgl. Meinel, Tanja (2003): Die Wirkung visueller Darstellung. Wie beeinflussen Bilder in den Medien? Braunschweig. 2003.S.4
[9] Vgl. Schneider, Walter / Richard M. Shiffrin (1977): Controlled and automatic human information processing. 03.03.2000. http://jimdavies.org/summaries/schneider1977.html. Zugriff am 25.11.2010
[10] Friedmann, Milton (1970): The Social Responsibility of Business is to Increase its Profit. In: New York Times Magazine, Heft 14.09.70, S.2ff
[11] Vgl. Kühl von Puttkamer, Roland(2009): Ethik und Moral in der Werbung.16.04.2009. http://www.werbeblogger.de/2009/04/16/ethik-und-moral-in-der-werbung/. Zugriff am 27.11.10