Der ursprünglich aus der angelsächsischen Rechtsterminologie stammende Begriff ‚Compliance’ gewinnt in der deutschen Unternehmenslandschaft zunehmend an Bedeutung. Über diesen Begriff sind unterschiedlichste Auffassungen hinsichtlich des Inhalts, des Umfangs und der gesetzlichen Verankerung anzutreffen. In das Öffentlichkeitsbewusstsein dringt dieser Begriff über medienwirksam präsentierte Anstrengungen, die von skandalgeplagten Konzernen, wie zum Beispiel Siemens, unternommen werden, um umfassende Compliance-Organisationen einzurichten. Diese zunächst positiver Entwicklung birgt jedoch die Gefahr, dass durch eine Nachahmung seitens anderer Unternehmen, ohne dabei die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, eine teure und nutzlose „Best-Practice-Spirale“ in Gang gesetzt wird, die im Ergebnis nur Beratungsgesellschaften zugute kommt. Aufgrund der Gefahr der unreflektierte Nachahmung und der hohen Einführungskosten, ist es für das Leitungsorgan, schon um dem Vorwurf der Verschwendung zu entgehen, von hoher Bedeutung zu wissen, ob und inwieweit eine gesetzliche Pflicht zur Beachtung von Compliance besteht, oder Compliance vielmehr eine Frage des unternehmerischen Ermessens ist. Letzteres wird durch die haftungsausschließende Norm des § 93 I S. 2 AktG, der so genannten Business-Judgment-Rule, geschützt. Die Arbeit prüft, ob eine Compliance-Organisation in einer inländischen börsennotierten Aktiengesellschaft eingerichtet werden muss, weil eine entsprechende Pflicht des Vorstands besteht. Wäre dies der Fall, wäre es dem Vor-stand versagt, sich im Einzelfall auf die vorgenannte Norm zu berufen. Im Rahmen der Untersuchung werden verschiedene Standards dahingehend überprüft, ob sich aus ihnen die Verpflichtung zur Einrichtung einer Compliance-Organisation ableiten lässt. Besonderes Augenmerk wird darauf verwendet, ob sich eine solche Verpflichtung aus § 91 II AktG oder aus § 93 I S.1 AktG herleiten lässt. Nach dem Ergebnis der Arbeit ist dies nicht der Fall. Es besteht also nach Ansicht des Autors keine generelle gesetzliche Pflicht des Vorstands dazu, in der inländischen börsennotierten Aktiengesellschaft eine Compliance-Organisation einzurichten. Die weitere Entwicklung der Dinge um Compliance bleibt jedoch abzuwarten. Compliance wird eine immer größere Bedeutung beigemessen, die sich irgendwann dahingehend verfestigen kann, dass Compliance-Organisationen verpflichtend werden.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- I. Einleitung
- II. Die Compliance-Organisation: Pflicht oder Ermessensentscheidung?
- 1. Compliance in Schrifttum und Normlandschaft
- 1.1. Inhalt, Zweck und Reichweite von Compliance
- 1.2. Mögliche Rechtsgrundlagen für eine Compliance-Pflicht
- 2. Compliance-Pflicht aus der Befolgung des DCGK
- 2.1. Schrifttum
- 2.2. Rechtsprechung
- 3. Compliance-Pflicht aus der Übertragung branchenspezifischer Gesetzesregelungen in das allgemeine Aktienrecht
- 3.1. Wertpapierhandelsrecht, § 33 I WpHG
- 3.2. Bankaufsichtsrecht, § 25a I KWG
- 3.3. Versicherungsaufsichtsrechts, § 64a I und III VAG
- 3.4. Zusammenfassendes Ergebnis
- 4. Compliance-Pflicht aus analoger Anwendung des § 130 I. S. 1 OWIG
- 5. Compliance-Pflicht aus § 91 II AktG unter Berücksichtigung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes
- 5.1. Grundlagen und Bestandteile des § 91 II AktG
- 5.1.1. Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen
- 5.1.2. Überwachungssystem
- 5.2. Abgrenzung zu Risikomanagement und Compliance
- 5.3. Auswirkungen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes
- 5.3.1. 'Comply or Explain'-Modell
- 5.3.2. Erklärung zur Unternehmensführung
- 5.3.3. Beschreibung des Risikomanagementsystems
- 5.3.4. Prüfungsausschuss und Compliance
- 5.4. Zusammenfassendes Ergebnis
- 6. Compliance-Pflicht aus § 93 AktG
- 6.1. Die Doppelfunktion des § 93 I S. 1 AktG
- 6.2. Grundlagen der Business-Judgment-Rule des § 93 I S. 2 AktG
- 6.3. Funktionsweise der Business-Judgment-Rule im Verhältnis zum Verhaltensmaßstab des § 93 I S. 1 AktG
- 6.4. Rolle des Verhaltensmaßstabes des § 93 I S. 1 AktG bei Prüfung einzelner Voraussetzungen der Business-Judgment-Rule
- 6.4.1. Verantwortliches Handeln zum Wohle der Gesellschaft
- 6.4.2. Herstellung nachvollziehbar angemessener Information
- 6.4.3. Gutgläubigkeit innerhalb der Grenzen des objektiv Nachvollziehbaren
- 6.5. Anwendung der Business-Judgment-Rule auf die Entscheidung zur Einführung von Compliance-Maßnahmen
- 6.5.1. Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung
- 6.5.2. Freiheit von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen
- 6.5.3. Handeln zum Wohle der Gesellschaft
- 6.5.4. Entscheidung auf Basis angemessener Information
- 6.5.5. Gutgläubigkeit
- 6.5.6. Zusammenfassendes Ergebnis
- 6.6. Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne des § 93 II S. 1 AktG bei Nicht-Eintritt der Business-Judgment-Rule
- 6.6.1. Die Pflichtverletzung als zentrale Vorraussetzung des § 93 II S. 1 AktG
- 6.6.2. Die Sorgfaltspflicht als objektiver Tatbestand aus der Doppelfunktion des § 93 I S. 1 AktG
- 6.6.3. Die Legalitäts- und die Überwachungspflicht als zentrale Bestandteile der organschaftlichen Sorgfaltspflicht
- 6.6.4. Umfang und Grenzen der Überwachungspflichten
- 6.6.5. Eingreifen eines erweiterten Handlungsspielraums bei unbestimmten Rechtsbegriffen
- 6.6.6. Compliance-Pflicht aus der Pflicht zur Legalität und zur Überwachung
- III. Zusammenfassung, Würdigung und Ausblick
- Die rechtlichen Grundlagen für eine Compliance-Pflicht in Aktiengesellschaften
- Die Rolle des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK)
- Die Anwendung der Business-Judgment-Rule im Zusammenhang mit Compliance
- Der Einfluss des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes
- Die Sorgfaltspflicht des Vorstands und die Überwachungspflicht
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit der Frage, ob die Compliance-Organisation in inländischen börsennotierten Aktiengesellschaften eine gesetzliche Pflicht des Vorstands darstellt oder eine unternehmerische Ermessensentscheidung im Sinne der Business-Judgment-Rule ist. Die Arbeit untersucht die rechtlichen Grundlagen für eine Compliance-Pflicht aus verschiedenen Perspektiven, darunter die Befolgung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), die Übertragung branchenspezifischer Gesetzesregelungen in das allgemeine Aktienrecht und die Anwendung des § 93 AktG.
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung stellt die Thematik und die Forschungsfrage der Arbeit vor. Kapitel II analysiert die rechtlichen Grundlagen für eine Compliance-Pflicht in Aktiengesellschaften. Zunächst wird der Begriff Compliance aus wissenschaftlicher und normativer Sicht beleuchtet. Anschließend werden verschiedene Rechtsgrundlagen für eine Compliance-Pflicht untersucht, darunter die Befolgung des DCGK, die Übertragung branchenspezifischer Gesetzesregelungen in das allgemeine Aktienrecht und die analoge Anwendung des § 130 I S. 1 OWIG. Kapitel III befasst sich mit der Frage, ob die Compliance-Pflicht aus § 91 II AktG unter Berücksichtigung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes abgeleitet werden kann. Dabei werden die Grundlagen und Bestandteile des § 91 II AktG sowie die Auswirkungen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes auf Compliance und Risikomanagement untersucht. Kapitel IV analysiert die Bedeutung des § 93 AktG im Zusammenhang mit Compliance. Es werden die Doppelfunktion des § 93 I S. 1 AktG, die Grundlagen der Business-Judgment-Rule des § 93 I S. 2 AktG und die Anwendung der Business-Judgment-Rule auf die Entscheidung zur Einführung von Compliance-Maßnahmen untersucht.
Schlüsselwörter (Keywords)
Compliance-Organisation, Aktiengesellschaft, Vorstand, Business-Judgment-Rule, Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK), Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, § 91 II AktG, § 93 AktG, Sorgfaltspflicht, Überwachungspflicht, Legalitätspflicht, Risikomanagement
- Arbeit zitieren
- Igor Rösch (Autor:in), 2010, Die Compliance-Organisation in der inländischen Aktiengesellschaft. Gesetzliche Pflicht des Vorstands oder Business-Judgment-Rule?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169831