Leseprobe
Einleitung
1. Didaktische Begründungen des individualisierten Lernens
1.1. Begriffsklärung: Was ist individualisiertes Lernen?
1.2. Förderung der Selbsttätigkeit und Selbststeuerung
1.3. Berücksichtigung individueller Voraussetzungen und Interessen
2. Grundlegende Leitgedanken der Konzeption: Planungsansätze und didaktische Schwerpunktsetzung
2.1. Die Klasse 5d – Bedingungen, Bedarfslage, Schülerhorizont
2.2. Zielsetzungen der Unterrichtsreihe
2.3. Organisation des Lernens: Lektüreauswahl, Arbeitsmaterial, Leseportfolio
2.4. Ausgewählte Sozialformen und Methoden
2.5. Rolle des Lehrers
2.6. Übersicht über die Gesamtsequenz
3. Planung und Durchführung von drei ausgewählten Stunden
3.1. Freiarbeit am Beispiel der 4./5. Unterrichtsstunde
3.2. Plenumsarbeit am Beispiel der 9. Unterrichtsstunde
3.3. Evaluation des Projekts in der 21. Unterrichtsstunde
4. Evaluation des Konzepts
4.1. Evaluation durch die Schüler
4.2. Evaluation durch den Lehrer
5. Fazit und Ausblick
6. Literaturverzeichnis
Anhang
Einleitung
Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne.
(Jean Paul)
Jeder, der gern Bücher liest, weiß um die einzigartige Erfahrung, die das Lesen von Büchern mit sich bringen kann: die Möglichkeit in unbekannte Länder und Welten einzutauchen, etwas Neues über andere zu erfahren, über sich selbst nachzudenken oder einfach eine gute Unterhaltung zu genießen. Allerdings kommen viele Schüler gar nicht mehr in den Genuss solcher Erfahrungen, da das Lesen von Büchern nicht in ihrer Freizeitgestaltung vorkommt und die wenigen in der Schule thematisierten Pflichtlektüren oft als langweilig und aufgezwungen empfunden werden.
Die bereits in den späten 1980er und 1990er Jahren durch die Lesesozialisationsforschung herausgestellte, stark sinkende Lesemotivation von Schülern[1] und die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Literaturunterricht, wurde schließlich im Zuge der Veröffentlichung der PISA-I-Ergebnisse von 2000 in die Debatten um Unterricht und Bildungssystem aufgenommen.
Weiterhin hat die OECD-PISA-Studie 2000 das Lesen als "die Basiskompetenz für eine befriedigende Lebensführung in persönlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sowie für eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben"[2] herausgestellt, die es möglich macht, sich die Welt zu erschließen und sich im Alltag zu orientieren. Schließlich ist diese Kompetenz unter anderem eine Voraussetzung für die computergestützte Kommunikation sowie die berufliche Mobilität in der Informationsgesellschaft.
In der Deutschdidaktik, die um das Aufgaben- und Blickfeld der Lesedidaktik erweitert wurde, stellt sich seither die Frage, wie man Schülern helfen kann, ihre Aversion gegenüber dem Lesen abzubauen und zugleich ihre Lesemotivation zu steigern. Sollte es demnach nicht eine primäre Aufgabe des Unterrichts sein, das Leseinteresse der Kinder und Jugendlichen zu fördern?
Vor diesem Spannungsfeld der aktuellen Diskussion und Auseinandersetzung mit der Thematik der Lesemotivation und -förderung sowie aus den eigenen Lehrerfahrungen im Deutschunterricht entstand die Idee, dieser Problematik mit einer eigenen Unterrichtsreihe zu begegnen. Dabei galt es die aktuelle Unterrichtsforschung miteinzubeziehen, die das individualisierte Lernen als eine Gelegenheit sieht, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Lerner angemessen zu begegnen sowie dem Lehrer ermöglicht, einzelne Schüler gezielt zu fördern und obendrein selbst Entlastung während des Unterrichts zu erfahren. Daraus ergibt sich die folgende Leitfrage: In wiefern kann diese Art des Unterrichts wirklich eine effektive Förderung des einzelnen Schülers hinsichtlich seiner Kompetenzen und Lesemotivation leisten?
Ziel dieser Arbeit ist es also, ein Konzept der Begegnung und Auseinandersetzung mit Jugendliteratur im Deutschunterricht einer fünften Klasse des Kreisgymnasiums Heinsberg in Form von individualisiertem Lernen darzulegen und die Umsetzung in der Praxis auf ihre Chancen und Grenzen zu reflektieren sowie kritisch zu evaluieren.
Ausgehend von der Definition der Begriffe „individualisiertes Lernen“ und „Binnendifferenzierung“ sowie ihrer allgemein-didaktischen Begründungen sollen die Planungsansätze und Schwerpunktsetzungen der Unterrichtsreihe entwickelt werden. In einem zweiten Schritt werden diese grundlegenden Leitgedanken der Konzeption genauer erläutert. Dabei werden die Zusammensetzung der Lerngruppe, die institutionellen Voraussetzungen für die Planung der Unterrichtsreihe und die Auswahl der Sozialformen und Methoden sowie die Leistungsbewertung durch das Portfolio ins Blickfeld gerückt. In diesem Zusammenhang wird zudem die Rolle der Lehrperson reflektiert, die im Rahmen des individualisierten Unterrichts Abstand vom traditionellen „Lehren“ nimmt und dem Lernenden vor allem beratend zur Seite steht bzw. in Auswertungs- und Reflexionsrunden als Moderator agiert. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt daher auf den Lehrerfunktionen „organisieren und verwalten“, „beraten“ sowie „Leistung messen und beurteilen“. In einem dritten Schritt werden ausgewählte Unterrichtsstunden hinsichtlich ihrer Planung und Durchführung beschrieben. Abschließend soll die Unterrichtsreihe kritisch reflektiert und evaluiert werden, indem die Perspektive der Schüler sowie der Lehrperson einbezogen wird. In einem Fazit und Ausblick wird der Nutzen der Unterrichtsreihe für den zukünftigen Literaturunterricht sowie Ansätze zur Optimierung dieses Vorhabens dargestellt.
1. Didaktische Begründungen des individualisierten Lernens
Da die Konzeption einen Versuch darstellt, Elemente des individualisierten Lernens gewinnbringend im Unterricht umzusetzen, ist es zunächst notwendig, eine Begriffsklärung vorzunehmen sowie wesentliche Vorteile des individuellen Lernens zu erörtern.
1.1. Begriffsklärung: Was ist individualisiertes Lernen?
Die Individualisierung von Unterricht ist keine Erfindung der letzten Jahre. Die Wurzeln des offenen Unterrichts, der beim Arrangieren von Lernwegen die unterschiedlichen Voraussetzungen der einzelnen Schüler berücksichtigt, liegen bereits in der Reformpädagogik.[3] Aus der Erkenntnis heraus, dass etliche Kinder und Jugendliche mit dem pädagogischen Standardrepertoire nicht mehr zu erreichen sind, ist es heute notwendig, die Schüler anzuleiten, eigene Lernwege zu verfolgen. Dies bedeutet eine konsequentere Umsetzung des individualisierten Lernens. Doch wodurch zeichnet es sich eigentlich aus?
Obgleich die Individualisierung von Lernprozessen als eine notwendige Entwicklung angesehen wird und als Zielvorgabe in Richtlinien und Literatur zu finden ist, gibt es keine einheitliche Definition. Unter Berücksichtigung neuerer Forschungsliteratur soll dennoch eine Begriffsklärung skizziert werden. Nach Lischewski und Müller[4], die an grundlegende Thesen Habels[5] anknüpfen, liegt dem individualisierten Lernen zunächst einmal die Vorstellung zu Grunde, dass es sich beim Lernen um einen lebenslangen Prozess handelt. Genauer gesagt, ist damit eine Art „menschlich-emanzipatorischer Vorgang“[6] gemeint. Der Mensch entwickelt sich demnach immer weiter und baut seine Möglichkeiten ständig aus. Subjektorientierung ist ein weiteres Anliegen des individualisierten Lernens; d. h. die subjektiven Bedürfnisse und Interessen des Lerners werden im Lernprozess in den Mittelpunkt gestellt, der Lerner wird somit zum Subjekt des Lernens.[7] Die daraus entstehende Mitbestimmung hinsichtlich der Planung und Durchführung von Lernprozessen motiviert den Lerner somit intrinsisch.
Nichtsdestotrotz sollte das individuelle Lernen durch ein ausgewogenes Verhältnis von Individuum und sozialem Umfeld geprägt sein.[8] Dies ist erforderlich, damit weder der Einzelne durch eine Überbewertung der Gruppe auf der Strecke bleibt, noch eine Überbetonung des Individuellen eine Gesellschaft von sozial autistischen Einzelwesen zur Folge hat.[9]
Weiterhin wird durch das individualisierte Lernen die traditionelle Rollenverteilung zwischen Lehrern als „Lehrende“ und Schülern als „zu Belehrende“ aufgebrochen. Ziel ist es, die bisher eher „lehrreiche“ zu einer „lernreichen“ Schule zu machen. Allerdings geht es keinesfalls darum, die Kinder und Jugendlichen in ihren Lernprozessen allein zu lassen; der Lehrer agiert als Moderator und Berater. Dadurch entsteht eine Lernumgebung, die die „emanzipatorische Entwicklung des Individuums unterstütz[t] und begleite[t]“.[10]
Darüber hinaus soll das individualisierte Lernen die Möglichkeit schaffen, die bisher mangelhafte Begleitung von besonders begabten oder weniger begabten Schülern durch eine gezielte Förderung des einzelnen Schülers, „je nach [seinen] individuellen Voraussetzungen und Maßgaben“[11] zu erzielen.
Habel bezeichnet das individualisierte Lernen als einen Aneignungsprozess, der die Selbsttätigkeit, Sozialität und Reflexivität in ein ausgewogenes Verhältnis setzt. Angestrebt wird die Autonomie des Individuums, welche „sich durch eigene Handlungs-, Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit auszeichnet und die Stufen des ‚Lernens’ und des ‚Lernen des Lernens’ im Sinne Humboldts erreichen [soll].“[12] Die Selbsttätigkeit versteht sich dabei als Möglichkeit der eigenständigen Wahl von Thema, Ziel und Methode durch den Lerner. Sozialität meint den Austausch im Klassenverband über Niveau und Standards der durchgeführten Projekte sowie über die Arbeitsergebnisse. Reflexivität bedeutet, dass die eigenen Arbeitsschritte dokumentiert werden.[13] Das individualisierte Lernen ermöglicht laut Paradies und Linser[14] unter anderem die Vermittlung und Stärkung der
Selbstkompetenz, zieldifferenzierte Spezialisierung, regelmäßige Selbstkontrolle und Selbstkritik.
Abschließend muss zur begrifflichen Klarheit zwischen individuellem Lernen und Binnendifferenzierung unterschieden werden. Die obigen Ausführungen machen deutlich, dass das individuelle Lernen jeden einzelnen Lerner in den Blick nimmt und diesen in Planung und Durchführung des Unterrichts involviert. Binnendifferenzierung ist gewiss ein Weg, um im Unterricht eine Individualisierung zu erreichen. Dennoch stellt die Binnendifferenzierung nicht so sehr das Individuum in den Mittelpunkt, sondern teilt die Lerner meist nur hinsichtlich ihrer Leistungsunterschiede in einzelne Gruppen ein und weist diesen z. B. in Bezug auf Lernstil, Lerntempo, Lernbereitschaft und Lerninteresse Aufgaben und Lernmaterialien zu.[15]
1.2. Förderung der Selbsttätigkeit und Selbststeuerung
Ein wichtiger Aspekt des individualisierten Lernens – und somit des hier dargelegten Konzepts – ist die Selbsttätigkeit und Selbststeuerung von Lernprozessen durch den Lerner. Doch was kennzeichnet das selbstgesteuerte Lernen, welche Forderungen stellt es an Lehrende und Lernende und welche Chancen bietet es hinsichtlich eines Lern- und Motivationszuwachses in der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand?
Zunächst ist festzuhalten, dass Lernen weder ein rein fremd-, noch ein rein selbstgesteuerter Prozess ist und es sich vielmehr um eine Mischform von Fremd- und Selbststeuerung handelt, wobei gewiss je nach Lernsituation das eine oder das andere in den Vordergrund tritt.[16] Weiterhin gibt es in der Pädagogik größtenteils einen Konsens darüber, dass sowohl selbstgesteuerte als auch lehrerzentrierte Phasen ihre Berechtigung haben. Offener Unterricht stellt dabei „eine nötige und sinnvolle Ergänzung bzw. Alternative zum lehrerzentrierten Unterricht“[17] dar. Im offenen Unterricht – wie Gudjons darlegt – wird der Lernende selbst zum Initiator und übernimmt Verantwortung für seine Lerntätigkeit;[18] das Lernen gewinnt dadurch an Selbstbestimmung und Selbststeuerung. Konrad fügt hinzu: „Lernende können als selbstgesteuert bezeichnet werden, wenn sie in Abhängigkeit von der Art ihrer Lernmotivation selbstbestimmt eine oder mehrere Selbststeuerungsmaßnahmen [...] ergreifen und den Fortgang des Lernprozesses selbst überwachen, regulieren und bewerten.“[19] Die Selbststeuerung bezieht sich also nicht nur auf die Auswahl von Lerninhalten, sondern fordert die Lerner auch dazu auf, ihre eigenen Lernwege bewusst zu steuern, zu kontrollieren und zu reflektieren. Dabei bestimmen sie unter anderem das Lerntempo, die Reihenfolge der einzelnen Lernhandlungen sowie die Anwendung des neu Gelernten selbst. Durch die Selbstbestimmung nimmt das Erleben von Außensteuerung ab, wodurch das eigene Handeln eine ganz neue Sinnhaftigkeit bekommt und die sachbezogene Motivation (höchstwahrscheinlich) steigt.[20] Die Selbststeuerung ist also eng mit der Motivation und dem Willen der Lernenden verbunden.
Damit es nicht zu einer Überforderung der Lerner durch das große Maß an Selbstbestimmung kommt, müssen die notwendigen Qualifikationen, wie z. B. Lernstrategien, Arbeitsmethoden und Arbeitstechniken, vor Phasen der Selbststeuerung vermittelt und trainiert werden.[21] Außerdem kann laut Dubs[22] der Lehrer die Lernmotivation der Schüler durch verständliche und hilfreiche Arbeitsmaterialien, Arbeitsaufträge, Hilfsmittel (u. a. Duden, Nachschlagewerke) und zielgerichtetes Feedback unterstützen. Der Lehrer hat also die Pflicht die Lernprozesse und Lernfortschritte zu beobachten und je nach Bedarfslage des einzelnen Lerners auch beratend und bewertend zur Seite zu stehen.[23]
Ein wichtiger Punkt der Konzeption ist zudem die Verbindlichkeit, die in Korrelation zum Erfolg des selbstgesteuerten Lernens steht. Durch das Einfordern von Produkten des Lernprozesses – in der vorliegenden Konzeption ist es das Portfolio – wird den Lernenden zum einen die Verantwortlichkeit für den eigenen Lernprozess deutlich. Zum anderen geben die Schülerprodukte Aufschluss über die jeweiligen Lernprozesse und stellen somit eine Bewertungsgrundlage für die Lehrperson dar.
1.3. Berücksichtigung individueller Voraussetzungen und Interessen
Der traditionelle Unterricht verfolgt, orientiert an einem mittleren Leistungsniveau und durchschnittlichen Lerngeschwindigkeiten, das Ziel „möglichst viele Kinder in möglichst kurzer Zeit von A nach B zu bringen.“[24] Ziel ist eine undifferenzierte Wissensvermittlung, was zur Folge hat, dass viele Kinder und Jugendliche unter- bzw. überfordert auf der Strecke bleiben.[25]
Das neue Schulgesetz von 2006 begegnet diesem Mangel, indem es neben dem allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule, erforderliche Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Werthaltungen zu vermitteln, ein weiteres Ziel setzt: jeden Schüler individuell zu fördern und die individuellen Voraussetzungen der Lerner zu berücksichtigen.[26] Individualisiertes Lernen geht auf diese Zielsetzung ein, indem die unterschiedlichen Voraussetzungen und Interessen der Lernenden im Unterricht miteinbezogen werden. Dies geschieht auch unter Berücksichtigung der neueren Erkenntnisse aus der Lern- und Gehirnforschung, die gezeigt haben, dass jeder Schüler auf unterschiedliche Art und Weise lernt sowie individuelle Interessen, eigene Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten mitbringt.[27]
In der Tat wird Lernen besonders effizient und bedeutsam, wenn Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen ihren eigenen Interessen und Forschungsfragen nachgehen zu können. Dieses selbstständige Streben nach Erkenntnis und Wissen von Seiten der Lernenden gilt es zu pflegen. Schule soll also auf vielfältige Weise Möglichkeiten schaffen, auf persönlichen Lernwegen die natürliche Neugier wieder zu entdecken und Anregungen zu geben, den eigenen Fragen nachzugehen.
Dies setzt voraus, dass die Lehrperson sich als Berater versteht und Vertrauen in die Selbstorganisationsfähigkeit der Schüler hat. Denn nur wenn die Hauptverantwortung für den Lernprozess, die Leistung und deren Qualität in Schülerhand gegeben wird, werden die individuellen Voraussetzungen des einzelnen Lerners und dessen Interessen ernsthaft berücksichtigt. Das Einbeziehen der Interessen der Schüler erkennt zugleich die Identität des einzelnen Schülers an. Schiffer und Schiffer betonen, dass diese Würdigung der Identität die „Grundlage für Höchstleistungen und Wohlbefinden“[28] ist.
Diese zentrale Stellung der Individualität des Einzelnen hat natürlich Auswirkungen auf die Unterrichtsplanung. Für die Lehrperson bedeutet dies ein Umdenken: „Jeder einzelne Schüler soll individuell maximal gefordert und damit optimal gefördert werden.“[29] Die Lehrperson hat nun die Aufgabe, möglichst vielfältige Lernmaterialien oder Impulse anzubieten, die sich die Lernenden hinsichtlich der für sie interessanten Lerninhalte und umsetzbaren Lernzielniveaus auswählen können.[30] Jedem Lerner soll ein eigener Lernweg und somit auch das Verfolgen von eigenen Interessen und Zielen, mit individueller Zeiteinteilung und der Möglichkeit eigene Fehler zu machen, zugestanden werden.[31] Konsequenz eines individualisierten Unterrichtes ist oftmals die Sozialform der Einzelarbeit, woraus resultiert, dass soziale Aspekte des Lernens in den Hintergrund treten.[32]
Trotz aller Orientierung am Individuum ist daher aber auch Pflicht und Aufgabe der Schule auf ein Leben in der heutigen Gesellschaft vorzubereiten. Reichel und Svoboda[33] sehen es daher als notwendig an, dass Unterricht zum gleichen Anteil Interessen, Neugierde, Engagement und Kreativität der Lernenden miteinbezieht, wie es das aufmerksame Zuhören, Abschreiben und Auswendiglernen in den Mittelpunkt stellt. Diese gesunde Ausgewogenheit zwischen den Polen der Selbst- und Fremdbestimmung gilt es herzustellen.
2. Grundlegende Leitgedanken der Konzeption: Planungsansätze und didaktische Schwerpunktsetzung
Für die Konzeption der Unterrichtsreihe ist es notwendig, die fach- und schulspezifischen Ausgangsbedingungen zu berücksichtigen. Denn nur unter Einbeziehung der Bedarfslage und der fachlichen Ziele können anschließend angemessene Bedingungen für die Auseinandersetzung mit Literatur geschaffen werden, die die Motivation der Lerner wecken, über den Literaturunterricht hinaus Bücher zu lesen.
2.1. Die Klasse 5d – Bedingungen, Bedarfslage, Schülerhorizont
Die Unterrichtsreihe wurde in der Klasse 5d des Kreisgymnasiums Heinsberg mit insgesamt 13 Schülerinnen und 13 Schülern im Alter von 10 bzw. 11 Jahren durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine weitestgehend sehr interessierte, aufmerksame und leistungsbereite Lerngruppe.
[...]
[1] In der vorliegenden Arbeit wird zu Gunsten der einfacheren Lesbarkeit stets von Schülern und Lehrern gesprochen; damit sind selbstverständlich auch Schülerinnen und Lehrerinnen gemeint.
[2] Baumert, Jürgen, Petra Stanat und Anke Demmrich: PISA 2000: Untersuchungsgegenstand, theoretische Grundlagen und Durchführung der Studie. In: Deutsches PISA-Konsortium (Hg.). PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske und Budrich 2001, S. 16.
[3] Insbesondere haben Montessori, Freinet, Petersen, Parkhurst und Dewey diese Bestrebungen innerhalb der Reformpädagogik im frühen 20. Jahrhundert mitgeprägt. Vgl. Norbert Edel „Offener Unterricht“ In: Gislinde Bovet und Volker Huwendiek (Hg.). Leitfaden Schulpraxis. Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor, 2006, S. 104.
[4] Vgl. Friedhelm Lischewski und Renate Müller. Individualisiertes Lernen – Möglichkeiten und Grenzen in der Schulpraxis. Dissertation, Universität Duisburg-Essen, 2006, S. 7-8.
[5] Vgl. Werner Habel. Individualisiertes Lernen und Standards – ein Widerspruch? Thesenpapier zum „Forum Bildung“, Kongress der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Bochum: 18.-19.2.2005.
[6] Ebd., S. 14.
[7] In Abgrenzung dazu stellt „Schülerzentrierung“ laut Lischewski und Müller lediglich den Versuch dar, Lernende mithilfe von verschiedenen Methoden davon zu überzeugen, etwas zu lernen, was nicht unbedingt ihren Interessen etc. entspricht. Vgl. Friedhelm Lischewski und Renate Müller. Individualisiertes Lernen – Möglichkeiten und Grenzen in der Schulpraxis, S. 24-25.
[8] Im deutschen Schulwesen wurde die Individualisierung meist zugunsten der Sozialisation unterbewertet, was David Gribble unter anderem mit der Aussage zu erklären versucht, dass das Bildungssystem von oben nach unten angelegt worden ist, um die verschiedenen Gesellschaftsschichten in der jeweiligen Schulform zu reproduzieren. Vgl. David Gribble. Auf der Seite der Kinder. Welche Reform braucht die Schule? Weinheim: Beltz, 1991.
[9] Vgl. Ute Holzkamp-Osterkamp. Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung, Bd. 1. Frankfurt a. M.: Campus Verlag, 1975, S. 16-17.
[10] Werner Habel. Individualisiertes Lernen und Standards – ein Widerspruch?, S. 9.
[11] Ebd., S. 13. Habel vertritt zudem die Meinung, dass die Formierung von Extra-Klassen als sozial nicht vertretbar und lerntheoretisch nicht sinnvoll ist.
[12] Werner Habel. Individualisiertes Lernen im Regelschulsystem. Ein Forschungs- und Entwicklungsbericht. Universität Duisburg-Essen, 2005, S. 54.
[13] Vgl., ebd., S. 54.
[14] Vgl. Liane Paradies und Hans Jürgen Linser. Differenzieren im Unterricht. Frankfurt a. M.: Cornelsen Scriptor, 2001, S. 52.
[15] Vgl. ebd., S. 37-38.
[16] Vgl. René Reichel und Ursula Svoboda. Selbstverantwortung fördern. Indivi duelles Lernen begleiten. Linz: Veritas Verlag, 2008, S. 27.
[17] Norbert Edel. „Offener Unterricht“, S. 106.
[18] Vgl. Herbert Gudjons. „Selbstgesteuertes Lernen der Schüler: Fahren ohne Führerschein?“ In: Pädagogik, Heft 5, 2003, S. 6-7.
[19] Klaus Konrad. „Wege zum selbstgesteuerten Lernen. Vom Konzept zur Umsetzung.“ In: Pädagogik Heft 5, 2003. S. 14.
[20] Natürlich haben neben der Selbstbestimmung auch weitere Faktoren, wie z. B. der angemessene Schwierigkeitsgrad der Aufgaben und die Berücksichtigung der vorhandenen Schülerinteressen Einfluss auf die intrinsische Motivation der Lernenden.
[21] Vgl. Herbert Gudjons. „Selbstgesteuertes Lernen der Schüler“, S. 7.
[22] Vgl. Rolf Dubs. Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. Zürich: Verlag SKV, 1995, S. 266.
[23] Vgl. Herbert Gudjons. „Selbstgesteuertes Lernen der Schüler“, S. 9.
[24] René Reichel und Ursula Svoboda. Selbstverantwortung fördern, S. 9.
[25] Vgl. Dieter Wrobel. Individualisiertes Lesen. Leseförderung in heterogenen Lerngruppen: Theorie, Modell, Evaluation. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 2008, S. 26.
[26] Vgl. Das Neue Schulgesetz NRW. Sonderausgabe zum Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW. Düsseldorf: Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW, 2006, § 1, Abs. 1 und §2, Abs. 4.
[27] Vgl. René Reichel und Ursula Svoboda. Selbstverantwortung fördern, S. 8.
[28] Eckhard und Heidrun Schiffer. Lerngesundheit. Weinheim: Beltz, 2004, S. 18f.
[29] René Reichel und Ursula Svoboda. Selbstverantwortung fördern, S. 9.
[30] Otto-Walter Müller. „Intelligenz, Begabung und Kreativität“ In: Gislinde Bovet und Volker Huwendiek (Hg.). Leitfaden Schulpraxis. Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor, 2006, S. 258.
[31] Vgl. René Reichel und Ursula Svoboda. Selbstverantwortung fördern, S. 41.
[32] Vgl., ebd., S. 46.
[33] Vgl., ebd., S. 15.