Der Roman als aufklärerisches Instrument - Candide


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

34 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Bedeutung Voltaires als Repräsentant der Aufklärung

2. Candide als conte philosophique
2.1. Kurze Inhaltsdarstellung
2.2. Merkmale des conte philosophique

3. Voltaires „philosophischer Garten“
3.1. Kritik an der Leibniz-Theodizee oder die Frage nach dem Bösen in der Welt
3.2. Candides Desillusionierung
3.3. Die conclusion

Literaturverzeichnis

A. Text

B. Sekundärliteratur

Einleitung

... mais il faut cultiver notre jardin.

Diesen letzten Satz aus Voltaires Erzählung „ Candide ou l’optimisme “ wird der aufmerksame Leser so schnell nicht vergessen. Er liefert gleichsam eine Lebensweisheit sowie eine Art Lösung der philosophischen Probleme, mit denen der Protagonist in der Abenteuergeschichte konfrontiert wird. In meiner Arbeit geht es darum, diese aufzuzeigen und zu zeigen, wo der Aufklärer Voltaire sich in ihnen wiederfindet.

Bemerkenswert ist, daß niemand vor Voltaire im 18. Jahrhundert eine Erzählung geschrieben hat, die nicht nur viele aufklärerische Gedanken in sich vereint, sondern sie sogar so geschickt mit der Geschichte verknüpft, ohne daß diese wie eine schlichte Ansammlung von Maximen wirkt., was Voltaire gerade im Candide besonders gut gelungen ist, was am damaligen Erfolg des Buches erkennbar ist.

Mein Thema stellt sich insofern als reizvoll dar, als daß zwar viel Sekundärliteratur zum Candide zu finden ist, daß sich aber nur wenige damit beschäftigt haben, herauszufiltern, wie genau die in die Geschichte verkleidete aufklärerische Intention, die dahinter steckt, auf den Leser wirkt und mit welchen Mitteln Voltaire versucht, auch beim Leser ein aufgeklärtes Denken zu evozieren.

Zunächst werde ich den Autor kurz in die Epoche des 18. Jahrhunderts einordnen und erklären, daß er dieses Zeitalter der Aufklärung mit vorangetrieben und geprägt hat in der ihm eigenen kämpferischen und mutigen Weise, wobei deutlich werden soll, wie vielseitig Voltaire selber war, wenn man bedenkt, daß er nicht nur Schriftsteller, Dichter und Denker, sondern auch Literaturkritiker und Geschichtskenner war, was auch erklärt, wieso das Werk an sich so vielschichtig ist.

Dann werde ich zum besseren Verständnis den Inhalt von Candide gekürzt wiedergeben und einige hervorstechende Merkmale dieses conte philosophique mit Textbeispielen erläutern. Dabei soll unter anderem deutlich werden, warum sich gerade der Roman in der hier dargestellten Weise als Medium für die aufklärerischen Gedanken Voltaires so gut eignet. Nicht berücksichtigen kann ich hier, daß der conte an sich gleichzeitig auch eine Parodie des typischen idealen Abenteuerromans, so wie er zu dieser Zeit verfaßt wurde, darstellt.

Im folgenden werde ich einige der philosophischen Fragestellungen, die im Candide behandelt werden, aufgreifen. Dabei werde ich mich hauptsächlich auf Voltaires satirische Kritik an Leibniz‘ Theodizee und die Optimismus-Philosophie konzentrieren, um aufzuzeigen, wie schnell Spekulationen vom menschlichen Sein lächerlich erscheinen können. Voltaire stellt jedoch durch die Erlebnisse seines Helden nicht nur eine Theorie, sondern auch das Leben an sich und seinen Schöpfer in Frage, was ich auch ansprechen möchte.

Es soll deutlich werden, wie komplex das Werk ist, und dies ist auch der Grund dafür, weshalb ich sehr viele Zitate aus dem Text genommen habe, da dieser selbst am besten widerspiegelt, worum es Voltaire geht, wenn man auf die leisen und auch lauten Untertöne achtet.

Weitere Beispiele der Kritik an der politischen, sozialen und religiösen Realität des 18. Jahrhunderts würden allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen, darum werden sie nur am Rande erwähnt.

Schließlich werde ich die Entwicklung der Hauptfigur mit seiner kontinuierlichen Desillusionierung, aber Reifung darstellen, um auf die anschließende conclusion hinzuführen, die Voltaires Absicht klar ausdrücken soll, daß der Mensch sich von allen Illusionen und Spekulationen freimachen solle, um durch Arbeit dem Leben einen Sinn zu geben.

1. Bedeutung Voltaires als Repräsentant der Aufklärung

Das Zeitalter der Aufklärung, das vom Tode Ludwigs, des XIV. 1715 bis zur Französischen Revolution 1789 gerechnet werden kann, nannten die Franzosen selbst das „ siècle des lumières “.

Das „Licht“ bestand vor allem darin, daß überlieferte Grundvorstellungen in Frage gestellt wurden. Ausgehend vom methodischem Denkansatz Descartes‘, der auf dem Zweifeln beruhte, sollte nun alles kritisch durch den eigenen Verstand überprüft werden. Dies führte dazu, daß nicht nur Aberglaube und Fanatismus bekämpft wurden, sondern daß auch Autoritäten wie Kirche und Staat nicht mehr ohne weiteres akzeptiert wurden. Angriffspunkte waren die absolutistische Macht des Königs und die Vormachtstellung der Kirche. Um 1750 als einem Zeitpunkt, zu dem die Monarchie infolge von Staatsschulden und Unzufriedenheit mit dem König eine schwere Krise durchlief, häuften sich auch die Texte, die sich in aufklärerischer Weise Kritik am ancien régime übten und zu denen auch Voltaire seinen Beitrag leistete. Die Haltung vom selbstbestimmten Handeln und Denken, und daß Verstand und Tugend zu einer besseren Moral, zu Glück und Freiheit führen würden, war revolutionär. Das Bürgertum begann, sich zu emanzipieren.

Die Skepsis als Grundhaltung ist wohl am wichtigsten. Ein Denken in Systemen und abstrakten Theorien wurde angegriffen von denen, die sich philosophes nannten. Diese waren naturwissenschaftliche Denker, die sich bei ihrer Erkenntnis auf Erfahrung stützen. Voltaire identifizierte sich mit der Lehre Newtons.

Neue wissenschaftliche Entdeckungen führten zur Zerstörung des mittelalterlichen Weltbildes und so zu einer Verunsicherung der Menschen und teilweise zu Glaubensverlust. Zunehmend deistische und atheistische Positionen bildeten einen Gegenpol zur Kirche.

Als 1751 die Encyclopédie erschien, die alles kritische Wissen bündelte, und an welcher auch Voltaire ab 1754 mitarbeitete, hatte zur Folge, daß die Repressalien von Regierung und Kirche zunahmen. Mit Mitteln wie Verfolgungen, Verbannungen, Verurteilungen und Bücherverbrennungen versuchten sie, ihre Macht auszuspielen und die Aufklärungsbewegung zu verhindern.

Der 1694 in Paris geborene Sohn eines Notars, François-Marie Arouet der sich später erst Voltaire nannte, kämpfte immer wieder gegen diese Bestrebungen, aufklärerisches Denken zu verhindern. Er war gleichzeitig Poet, Schriftsteller, Historiker und eben philosophe.

Voltaire wurde vor allem durch seinen Bastille-Aufenthalt, den er 1717 wegen seiner satirischen Verse gegen den Regenten zu verdanken hatte, geprägt. Des weiteren führten auch sein Exil in England, wo er wichtige englische Geisteshaltungen kennenlernte wie die von Newton, Locke, Pope, Swift und Shakespeare, sein späteres produktives Exil auf dem Schloß Cirey, wo er sich verstärkt mit wissenschaftlichen Dingen beschäftigte, die preußischen Erfahrungen bei Friedrich dem II., sein Lebensabend am Genfer See insgesamt zu einem immensen literarischen Werk, was zur Verbreitung der Aufklärung beitrug.

Formal war er jedoch ein Klassizist. Zur Zeit seines Todes 1778 galt er als einer der größten Theaterdichter aller Zeiten. Er verfaßte 39 Theaterstücke, schrieb ein Epos, Tausende von Versen und 26 contes, obwohl man sagen muß, daß die kleine Zahl der Erzählungen keine enorme Verbreitung bei der Leserschaft erfuhr. Eine Ausnahme hingegen bildet Candide .

Von ihm stammen. zahlreiche historische Schriften und Abhandlungen sowie bedeutende philosophische Werke, die vor allem religionskritisch waren. Seine große Bedeutung als Geschichtsschreiber und Literaturkritiker: hat dem Jahrhundert Ludwigs XIV. seine Geltung bis heute verschafft.

Festzuhalten bleibt, daß er im „Brennpunkt der Zeit“ stand und als „ Mann der Öffentlichkeit “, sogar als „ öffentliche Macht “ bezeichnet werden kann, was es so vorher nicht gegeben hat, so wie es Stackelberg sieht.[1] Besonders auch durch das Medium des Briefs - Voltaire-Forscher Bestermann schätzt deren Bestand auf ca. 40000 – war er den Schriftstellern und aufgeklärten Herrschern ganz Europas präsent. Dabei ist besonders der Austausch und die Freundschaft mit dem preußischen König Friedrich dem Großen zu erwähnen, der für Voltaire das Vorbild eines aufgeklärten, modern Herrschenden darstellte.

Darüber hinaus führte er einige heftige literarische Fehden. Denn um 1762 griff Voltaire in zweifelhafte Gerichtsverfahren ein, wird zum Menschenrechtsverteidiger, z.B. beim Justizmord am Kaufmann Calas, Sirven La Barre und anderen. Sein „ Traité sur la tolérance à l’occasion de la mort de Jean Calas“ von 1763 führt beispielsweise zwei Jahre später sogar zur Rehabilitation Calas.

Die „weltweite Anerkennung der Toleranzidee“ sei weitgehend sein Werk gewesen.[2] Zeit seines Lebens waren ihm Toleranz, Gerechtigkeit und Freiheit wichtige Werte, für die er sich einsetzte. Daraus resultiert ein energisches Vorgehen gegen die Willkür und Irrtümer der Justiz und der absolutistischen Herrscher und die in deren Umfeld gedeihende Heuchelei, Niedertracht, Korruption und deren Folgen wie Folter, Verfolgung, Ungerechtigkeit, religiöse Unduldsamkeit, Krieg und Unmenschlichkeit

Er war es auch, der die Formel: Ecrasez l’infâme aufstellte, daß also die Kirche, die „Unverschämte“, zerschmettert werden sollte. Dies war ein Zeichen, daß er zu einem immer resoluteren Kämpfer für Aufklärung und Toleranz gegen geistige Bevormundung durch Zensur und Klerus wurde und allgemein gegen das Unrecht, das im Namen von Religion geschah.[3]

2.Candide als conte philosophique

Candide: ist 1759 anonym erschienen. Er wurde viel gelesen, aber auch belacht und sogar auf den Index gesetzt. Seine bleibende Aktualität wurde erst spät erkannt.

Von den aufklärerischen Erzählungen Voltaires stellt sich Candide als das am meisten geglückte Werk im Hinblick auf die „ Synthese von Ideenpropaganda und Erzählung “ dar, die in ähnlicher Form nur im L’ingénu und Zadig zu finden ist, obwohl Voltaire oft zur Waffe der „ pointierten, einem aufklärerischen Thema gewidmeten Kurzerzählung “ griff, einer Gattung also, die in der klassischen Hierarchie der literarischen Produktion als unbedeutend galt, dem Roman.[4]

Durch seine Herausgebertaktik verhinderte Voltaire den Vertrieb seines Buches so lange, bis alle Bücherpakete nach Paris geschafft waren, was. So erschien der Roman überall gleichzeitig, und konnte von der Zensur nicht schnell genug konfisziert werden.

Auf der einen Seite stand die Bevölkerung, die begeistert von dem Werk war, auf der andren Seite die gelehrten Kritiker, die nicht verstehen konnten, warum Voltaire sich auf eine so “verachtenswerte Gattung” einließ.[5]

2.1. Kurze Inhaltsdarstellung

Es geht um die Geschichte der Abenteuer des jungen, gutgläubigen Candide, der zu Beginn noch im idyllischen Schloß des westfälischen Barons „Thunder-ten–tronckh“ wohnt. Dort wird er von „Maître Pangloss“ unterrichtet, der ihn den Optimismus lehrt, sprich, daß die Welt gut sei, und daß alles, was geschieht, unausweichlich auch gut wird, was sein Schüler auch allzu leichtfertig glaubt.

Wegen verliebter Vertraulichkeiten mit der Tochter des Hauses, „Cunégonde“, wird Candide vom Schloß verjagt.

Glück und Schicksalsschläge wechseln sich ab, und er wird von einem Land ins andere getrieben: nachdem er verschleppt und zum Kriegsdienst gezwungen wird, wird er Zeuge einer schrecklichen Schlacht. Er desertiert und macht sich auf nach Holland, wo er den syphiliskranken Pangloss wieder trifft und dort erfährt, daß alle Bewohner des Schlosses massakriert worden seien, einschließlich Cunégonde.

Auf der Fahrt nach Lissabon geht ihr Schiff durch einen schrecklichen Sturm unter, wobei ihr Wohltäter, der gute „anabaptiste Jacques“ und alle anderen ertrinken. Nur Candide, Pangloss und ein Krimineller werden verschont.

Candide und sein Lehrer erleben das Erdbeben von Lissabon und irren durch die Trümmer, als sie durch ein unvorsichtiges Wort von der Inquisition verurteilt werden: Candide entgeht nur knapp und halb tot geprügelt einem Autodafé, das ein nochmaliges Beben der Erde verhindern soll. Pangloss wird aber erhängt. Geheilt wird Candide von einer alten Dame, die ihn bald darauf zu seiner geliebten Cunégonde führt, die wundersamerweise dem Familienmassaker entkommen ist. Aber für die Befreiung seiner Geliebten muß er einen Inquisitor und einen jüdischen Bankier töten.

Candide flieht mit ihr nach Amerika, wo das Paar erneut getrennt wird, kommt zu den Jesuiten in Paraguay, trifft dort zufällig den Bruder von Cunégonde, der also auch überlebt hat, doch ein Streit entbrennt, und er tötet ihn vermeintlich und kann mit der Kleidung des Toten mit seinem Diener „Cacambo“ über die Grenze fliehen.

Dann entkommt er glücklicherweise den „sauvages Oreillons“, Kannibalen, und verweilt eine Zeit im wunderbaren von aller Welt abgeschiedenem Land Eldorado, in das er auf übernatürliche Weise gerät. Reich mit Schätzen bepackt gerät er mit Cacambo, von Seeräubern bestohlen, nach Paris, dann nach England und schließlich nach Venedig, um seine Geliebte wiederzutreffen, die Cacambo freikaufen und dorthin bringen soll. In Surinam wählt er sich deshalb einen neuen gelehrten Begleiter, den Manichäer Martin, jemanden, der die Welt schwarz malt.

Erst in Konstantinopel befreit er den wundersam geretteten Pangloss, der Galeerensklave geworden ist und kann die inzwischen durch alle Unglücke häßlich und zänkisch gewordene Cunégonde freikaufen und heiratet sie mit viel Überwindung.

Mit ihr und allen Freunden bezieht er ein kleines Pachtgut und lernt am Beispiel eines alten Türken die Arbeit als eigentliche Weisheit und kleines Stück Glück kennen, die das Leben erträglich macht und welche zum Entschluß führt: „ il faut cultiver son jardin “.

[...]


[1] Jürgen von Stackelberg, Kleine Geschichte der französischen Literatur (München: Beck,1990), S.133.

[2] Ebd, S.134.

[3] Vgl. Cerstin Bauer-Funke (Hg.), Die französische Aufklärung: Literatur, Gesellschaft und Kultur des 18. Jahrhunderts

(Stuttgart, Düsseldorf, Leipzig: Klett, 1998 ), S.25 .

[4] Stackelberg, französische Literatur, S.136.

[5] Pierre Lepape, Voltaire oder Die Geburt der Intellekturellen im Zeitalter der Aufklärung (Frankfurt am Main u.a.:

Campus-Verlag, 1996), S.262.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Der Roman als aufklärerisches Instrument - Candide
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Französische Romantheorien im 18. Jahrhundert
Note
2,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
34
Katalognummer
V17002
ISBN (eBook)
9783638216890
Dateigröße
752 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Roman, Instrument, Candide, Französische, Romantheorien, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Eva Neuhaus (Autor:in), 2000, Der Roman als aufklärerisches Instrument - Candide, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17002

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