Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Veränderungen im usbekischen Jihadismus
II. Transnationaler Terrorismus
II.1 - Internationale Agenda
II.2 - Transnationale Ideologie
II.3 - Multinationale Mitgliedschaft
II.4 - Vernetzung und Zusammenarbeit einzelner Gruppen
III. Die Entwicklung der militanten Jihad-Bewegung Usbekistans
III.1 - Agenda
III.2 - Ideologie
III.3 - Mitgliedschaft
III.4 - Zusammenarbeit mit anderen Gruppen
IV. Einordnung in das Konzept „Transnationaler Terrorismus“
Literaturverzeichnis
I. Veränderungen im usbekischen Jihadismus
Mit der Verurteilung der Mitglieder der sogenannten „Sauerland-Gruppe“ am 4. März 2010, rückte ein Phänomen in den medialen Blickpunkt, für welches sich in der Politikwissenschaft der Begriff „Transnationaler Terrorismus“ etabliert hat. Die Attentäter gestanden die Mitgliedschaft in einer Gruppe namens „Islamische Jihad Union (IJU)“[1]. Eine Organisation, welche ihre Wurzeln in der „Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU)“ hat. Spätestens mit den geplanten Sprengstoffanschlägen auf US-amerikanische Ziele, welche auf bundesdeutschem Gebiet von türkischstämmigen Deutschen und deutschen Konvertiten verübt werden sollten, zeigt der usbekische Jihadismus eine augenfällige Veränderung seiner Gestalt. Von seiner ursprünglich nationalen politischen Zielsetzung, hin zu heutigen internationalen Aktionen unterlag er einem systematischen Wandel.
Ziel dieser Arbeit ist, zu zeigen, dass bei dieser Veränderung von einer Transnationalisierung des religiös motivierten usbekischen Terrorismus die Rede sein kann. Hierzu wird zuerst die theoretische Konzeption des transnationalen Terrorismus näher vorgestellt. Die zentralen Charakteristika dieses „neuen Terrorismus“[2], prototypisch verkörpert durch das islamistische Terrornetzwerk al-Qaida, werden in Abgrenzung zu „herkömmlichen“ Formen von Terrorismus erläutert und als Analysehilfsmittel greifbar gemacht. Anhand der herausgestellten Merkmale, wird im Weiteren der usbekische Jihadismus auf die Ausprägung dieser zentralen Wesenszüge des transnationalen Terrorismus untersucht. Hierzu wird innerhalb der einzelnen Merkmale chronologisch vorgegangen. Vom Aufkommen der islamistischen Bewegung „Adolat“ zu Beginn der 90er Jahre, bis zur „modernen“ Erscheinung der IJU, wird die Entwicklung der Ausprägung der einzelnen Merkmale zugänglich gemacht. Es wird argumentiert, dass der usbekische Jihadismus erst mit Auftreten der IJU eine Komponente aufweist, welche den theoretischen Annahmen des transnationalen Terrorismus vollständig entspricht. Zwar zeigt schon die IBU im Laufe ihrer Geschichte deutliche Anzeichen einer Internationalisierung, doch die Spezifika in Agenda, Ideologie, Mitgliederstruktur und Vernetzungsgrad mit anderen Gruppen werden erst durch die IJU zu Beispielen für die empirische Haltbarkeit der Annahmen über Charakteristika des transnationalen Terrorismus.
II. Transnationaler Terrorismus
Der Begriff „Transnationaler Terrorismus“ fand erstmals 1996 im Terrorismusbericht des US- Außenministeriums Erwähnung[3]. Obwohl er hier explizit im Kontext von Gefahren durch das wachsende Aufkommen von unabhängig voneinander operierenden islamistischen Terroristen gebraucht wurde[4], werden heute weitere Merkmale darunter subsumiert. Diese unterscheiden sich von terroristischen Aktionen „alten Typs“[5] qualitativ und systematisch. Die Differenzen zu internem nationalem Terrorismus sowie dem ebenfalls bekannten internationalen Terrorismus, werden in der deutschsprachigen Literatur vor allem von Ulrich Schneckener ausgewertet und im Konzept des „Transnationalen Terrorismus“ wissenschaftlich kultiviert. Anhand des islamistischen Netzwerkes „al-Qaida“ isoliert er vier Merkmale, die als zentrale Charakteristika dieser neuen Bedrohung gelten können und diese von konventionellem Terrorismus unterscheiden[6].
II.1 - Internationale Agenda
Im Unterschied zu bisher aufgetretenen Formen des nationalen und internationalen Terrorismus, verfolgen transnationale Organisationen nicht vorrangig nationale politische Zielsetzungen. Sie streben nicht die Änderung einer nationalen Ordnung an. Vielmehr soll die gegenwärtige internationale Ordnung verändert werden[7]. Hierbei geraten zunehmend innerund intergesellschaftliche Akteure ins Visier der Terroristen[8]. In Korrespondenz zu einer zunehmenden Zahl von Anschlägen auf US-amerikanische Bürger und Einrichtungen kann hierbei der Trend festgestellt werden, dass die USA als Hauptfeindbild transnationaler Terroristen gelten[9]. Die verhasste internationale Vormachtstellung der Vereinigten Staaten macht diese und ihre Verbündeten zu potentiellen Anschlagszielen. Da die von den USA verkörperten Werte und Normen von vielen Staaten, insbesondere Europas, geteilt werden, rücken auch diese ins Blickfeld transnationaler terroristischer Aktionen. Die Agenda sieht also die Bekämpfung nicht eines einzelnen Regimes, sondern „des Westens selbst“ vor[10] [11]. Dies rechtfertigt die Durchführung von Anschlägen in allen Ländern, welche von der national mithin unabhängig gewordenen Agenda als feindlich eingestuft werden. Als Ziele kommen auch Einrichtungen des betreffenden Staates im Ausland oder militärische Präsenz in Einsatzgebieten in Betracht. Eine internationale Agenda kann festgestellt werden, wenn sich die Zielsetzung der Organisation auf mehr als ein Land bezieht.
II.2 - Transnationale Ideologie
Während herkömmliche Terroristen durch eine gemeinsame politische Zielsetzung für den Staat in dem sie operierten verbunden waren, ist dieser Punkt für eine Organisation mit national übergreifender Agenda obsolet geworden. Pragmatisch begründete Koalitionen verschiedener Akteure, welche insgesamt nicht mehr teilen, als eine gemeinsame politische Zielvorstellung, weichen hier zu Gunsten einer Anhängerschaft mit möglichst einheitlicher ideologischer Ausrichtung11. Die Ideologie einer transnationalen Organisation muss die Fähigkeit haben, ein Zusammengehörigkeitsgefühl bei Menschen unterschiedlicher Nationalität und Kultur hervorzurufen. Durch das Auftreten einer verstärkt anonymisierten, „führerlosen“[12] Operationsweise einzelner Teile des Netzwerkes, kommt einem starken gemeinsamen ideologischen Fundament wesentliche Bedeutung zu. Neben dieser elementaren verbindenden Funktion, wirkt sie - grade auch vor dem Hintergrund autonomen Handelns - handlungsanlei- tend für den Einzelnen[13].
Eine transnationale Ideologie, die die angesprochenen Anforderungen erfüllen kann, bietet sich mit der Religion an. Weltreligionen sind von vornherein transnationale Konzepte. Durch ihre meist generationenüberdauernde soziokulturelle Verankerung, nehmen sie im Leben des Terroristen außerdem einen viel höheren Stellenwert ein, als es für ein rein intellektuelles Konstrukt anzunehmen wäre[14]. Eine radikale Um- oder Andersinterpretation religiöser Grundsätze wird notwendig um sie als Erklärung für die verübten Bluttaten gelten lassen zu können. Beispielhaft dafür steht die „Gewaltideologie Dschihadismus“[15], welche terroristische Akte als Verteidigungsmaßnahmen zum Schutz des Glaubens auslegt. Ziele sind hierbei die westlichen Staaten, insb. die USA, (“Kreuzfahrer“) sowie gleichfalls muslimische Regime, welche als vom Glauben abgefallen gelten[16], und mithin ebenfalls bekämpft werden müssten.
II.3 - Multinationale Mitgliedschaft
In dem Maße, in dem sich das Operationsgebiet einer Terrorgruppe verändert, unterliegt auch die Zusammensetzung ihrer Mitglieder einer Transformation. Setzen sich nationale Terrorgruppen aus Angehörigen des Ziellandes zusammen, so erzeugen die räumliche Entgrenzung des Aktionsgebietes und die transnational verbindende Ideologie eine wachsende Multinationalität der Anhängerschaft. Jeder kann am Kampf teilnehmen, der sich der Ideologie verschrieben fühlt[17]. Schon aus funktionalen, pragmatischen Gründen, ist eine weltweit operierende Organisation auf ortsansässige Gefolgsleute und Verbündete angewiesen, die sich im Einsatzgebiet auskennen und nicht durch bspw. Unkenntnis lokaler Besonderheiten auffallen. Dies macht eine funktionierende Logistik und Anschlagsvorbereitung vor Ort leichter, wenn nicht sogar erst möglich. Unabhängig von direkten operativen Erwägungen, bergen Anhänger aus verschiedenen Ländern auch das Potential, eine Kontaktaufnahme mit ähnlich gesinnten lokalen Gruppierungen zu erleichtern und eine weitere Vernetzung zu ermöglichen[18].
Diese Vorteile einer national heterogenen Mitgliedschaft, versuchen sich transnationale Terrororganisationen bewusst zu erschließen. Dies manifestiert sich in Rekrutierungsmechanismen, welche bewusst auf Staatsangehörige potentieller Anschlagsländer abzielen[19]. Man bemüht sich, an diese schon in ihren Heimatländern heranzutreten und soweit zu ideologisie- ren, dass eine Ausbildung in terroristischen Praktiken und weitere ideologische Festigung in Einrichtungen der Organisation möglichst frei von Aufdeckungsgefahr möglich ist. Dies dient nicht zuletzt auch dazu, die stark heterogenen Anhänger auf ein einheitliches ideologisches Level zu bringen um eine, dem Charakter der Organisation entsprechende, geistige Uniformität der Mitglieder zu erzeugen[20].
II.4 - Vernetzung und Zusammenarbeit einzelner Gruppen
Die oben beschriebenen Merkmale bilden günstige Bedingungen für eine zunehmende Ausbildung transnationaler Netzwerkstrukturen zwischen einzelnen terroristischen Akteuren. Sie erstrecken sich über mehrere Staaten und müssen in ihrer Struktur einerseits offen genug für Kontakte zwischen Personen und/oder Gruppen sein[21], andererseits aber auch ein Maß an Geheimhaltung gewährleisten, welches das Aufdeckungsrisiko gering hält[22]. Um das zu erreichen, bedient sich ein transnationales Terrornetzwerk hierbei einer Netzwerkgestaltung, in welcher einige wenige Schaltstellen hochgradig miteinander vernetzt sind und gleichzeitig mit schwach vernetzten, autonomeren Akteuren in Kontakt stehen[23]. Anstelle einer starren hierarchischen Ordnung tritt eine amorphe Struktur, in welcher Verantwortlichkeiten für Außenstehende nur schwer zuzuweisen sind[24]. Das Funktionieren einer derartigen Struktur ist u.a. wiederum abhängig von einer gemeinsamen Ideologie, die eine Verbindung v.a. zwischen schwächer vernetzten Akteuren schafft. Der Aufbau von Beziehungen zu lokal operierenden Gruppen erweitert den Aktionsradius eines transnationalen Netzwerkes. Es bedient
sich auf diese Art schon vorhandener Strukturen für die Verfolgung seiner eigenen Ziele[25]. Von logistischer Hilfe bis zur gemeinsamen Anschlagsdurchführung, kann die Zusammenarbeit von ganz unterschiedlicher Intensität sein. Das transnationale Netzwerk kann hierbei von einer ideologischen Inspirationsquelle bis zum bestimmenden Faktor einzelner Operationen, verschiedene Niveaus der Einflussnahme erreichen. Die Beziehungen zwischen den Organisationen entstehen vornehmlich durch persönliche Kontakte auf Führungsebene[26]. Veranschaulicht werden können die unterschiedlichen Intensitätsgrade der Verbindung, mit dem Erfüllen von Funktionen eines Dachverbands der einzelnen Gruppen auf der einen sowie bewusster personeller Verschmelzung und damit einhergehender direkter Kontrolle und ideologischer Angleichung auf der anderen Seite[27]. Mit zunehmendem Einfluss auf die einzelne Gruppe, erhöht sich allerdings auch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Ambivalenzen und Zielkonflikten zwischen lokaler Gruppe und transnationalem Netzwerk. Trotz eines beidseitigen Profits von der Zusammenarbeit ist nicht auszuschließen, dass sich verbündete Organisationen durch die Einflussnahme des transnationalen Netzwerks in ihrer Autonomie in verfolgten Zielen und Operationsweisen eingeschränkt sehen[28].
III. Die Entwicklung der militanten Jihad-Bewegung Usbekistans
III.1 - Agenda
Die Anfänge der IBU liegen in der radikal-islamischen Bewegung „Adolat“. Eine salafistische Gruppe, die 1991 von Juma Namangani und Tahir Yoldashev im usbekischen Teil des Ferghana-Tals gegründet wurde. Inspiriert durch saudisch-wahhabitische Islamausbildung, stand die Bewegung im Widerspruch zu der kommunistisch geprägten Regierung des Landes. Das Ferghana-Tal sollte den Ausgangspunkt für eine islamische Revolution und die Errichtung eines Kalifats in Usbekistan bilden[29]. Zur Vorbereitung dieser, gründete Adolat im Bereich der Stadt Namangan Koranschulen und baute Moscheen[30]. Mit der Besetzung des Hauptquartiers der Kommunistischen Partei und der Einführung der Scharia in Namangan trat die Gruppe im Dezember 1991 in offenen Konflikt zum herrschenden säkularen System[31]. Der islamistische Aufstand wurde mit Gewalt niedergeschlagen und die Anhänger Adolats verfolgt.
[...]
[1] Farin, Tim (2009): Schreckliche Geständnisse mit einem Lächeln., zeitonline vom 11. August 2009, http://www.zeit.de/online/2009/33/sauerlandprozess-gestaendnis, Zugriff am 10.03. 2010.
[2] Neumann, Peter ( 2009): Terrorismus im 21. Jahrhundert., in: Kompass 2020 - Deutschland in den internationalen Beziehungen. Ziele, Instrumente, Perspektiven., Friedrich-Ebert-Stiftung, o.O., S. 3.
[3] Schneckener, Ulrich (2002): Trends des internationalen Terrorismus., Stiftung Wissenschaft und Politik, swp aktuell Nr. 21, http://www.swp-berlin.org/common/get_document.php?asset_id=492, Zugriff am 10.03.2010, S. 3.
[4] U.S. Department of State (1996): 1996 Patterns of Global Terrorism, http://www.state.gov/www/global/ terror- ism/1996Report/1996index.html#intro, Zugriff am 10.03.2010.
[5] Gemeint ist interner nationaler Terrorismus und internationaler Terrorismus nach palästinensischem Vorbild., Vgl.: Schneckener, Ulrich (2006): Transnationaler Terrorismus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 40.
[6] Ebd., S. 57.
[7] Ebd., S. 57.
[8] Nitschke, Peter (2008): Globaler Terrorismus - Die neue Dimension, in: Nitschke, P.: Globaler Terrorismus und Europa, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 13-33, S. 28.
[9] Schneckener, 2002, S. 2.
[10] Schneckener, Ulrich (2002a): Netzwerke des Terrors, Stiftung Wissenschaft und Politik, swp Studie S 42, http://www.swp-berlin.org/common/get_document.php?asset_id=177, Zugriff am 10.03.2010, S. 22.
[11] Schneckener, 2006, S. 60.
[12] Hoffman, Bruce (2007): Terrorismus - der unerklärte Krieg, Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, S. 411.
[13] Schneckener, 2006, S. 60.
[14] Ebd., S. 61.
[15] Hirschmann, Kai (2006): Internationaler Terrorismus., Informationen zur politischen Bildung Nr. 291, S. 24 - 30, S. 25.
[16] Ebd., S. 27.
[17] Schneckener, 2006, S. 67.
[18] Ebd., S. 69.
[19] Schneckener, 2002a, S. 30.
[20] Vgl.: Ebd., S. 30.
[21] Schneckener, 2006, S. 72.
[22] Ebd., S. 74.
[23] Ebd., S. 74.
[24] Hoffman, 2007, S. 410.
[25] Schneckener, 2006, S. 81.
[26] Schneckener, 2002, S. 28.
[27] Vgl.: Schneckener, 2006, S. 81-82.
[28] Ebd., S. 84.
[29] Chaudet, Didier (2008): Islamist Terrorism in Greater Central Asia: The „Al-Qaedazation“ of Uzbek Jihadism, Institut francais des relationes internationales, Russie.Nei.Visions Nr. 35, http://www.ifri.org/downloads/ifriuzbek jihadismchaudetengdecember2008.pdf, Zugriff am 15.03.2010, S.9.
[30] Wigen, Einar (2009): Islamic Jihad Union: al-Qaida’s Key to the Turkic World?, Norwegian Defense Research Establishment, http://www.mil.no/multimedia/archive/00122/00687_122609a.pdf, Zugriff am 15.03.2010, S. 10.
[31] Ebd., S.10.
- Arbeit zitieren
- Daniel Helwig (Autor), 2010, Die Transnationalisierung des usbekischen Jihadismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170023
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