Konzeption der existentialistischen Hölle in Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“


Seminararbeit, 2010

18 Seiten


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die existentialistische Hölle
2.1. Schauplatz - Hölle
2.2. Figurencharakteristik
2.2.1. Joseph Garcin
2.2.2. Inés Serrano
2.2.3. Estelle Rigault
2.3. Elemente des Existentialismus in Huis clos
2.3.1. Die Abhängigkeit von den anderen
2.3.2. Blicke und Spiegel
2.3.3. Die Unwahrhaftigkeit (mauvaise foi)
2.3.4. Gewohnheit vs. Freiheit

3. Schlussbetrachtung

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Für die Nachkriegsgeneration stellte Jean-Paul Sartre eine Kultfigur dar. Er repräsentierte die Auflehnung gegen gesellschaftliche Konventionen und verhärtete Denkmuster und gilt als Vorreiter und Hauptvertreter des Existentialismus, sowie als einer der wichtigsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts in Frankreich. In seinen dramatischen Werken verwirklichte Sartre einige wichtige Elemente seiner existentialistischen Philosophie. So auch in dem Einakter Huis clos (1944), welcher einen der ersten Höhepunkte seines dramatischen Schaffens markierte und der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt.

Huis clos handelt von drei sich vollkommen unbekannten Personen, die jeweils nacheinander von einem Kellner in einen Raum geführt werden und dort für immer bleiben. Das ist die Hölle! Warum eigentlich? Diese Frage möchte ich im Folgenden versuchen zu klären und somit die Grundzüge der existentialistischen Hölle Sartres aufdecken.

Um verstehen zu können, wie die Hölle Sartres funktioniert, konzentriere ich mich zunächst auf die Rahmenbedingungen des Dramas. Es werden der Ort des Geschehens, sowie die verschiedenen Charaktere beleuchtet. Bei der Figurencharakteristik lege ich einen besonderen Schwerpunkt auf die Entwicklung der Personen im Verlauf des Stückes, indem schrittweise ihr wahres Wesen zum Vorschein kommt. Anschließend möchte ich einige Elemente des Existentialismus Sartres herausarbeiten, welche die Ursache für die Höllenqualen darstellen. In diesem Sinne gehe ich zunächst auf die Abhängigkeit von den anderen ein, ihre gegenseitigen Blicke und die Funktion des Spiegels, danach komme ich auf die Unaufrichtigkeit zu sprechen. Am Schluss möchte ich den Gegensatz von erstarrten Gewohnheiten und der Freiheit aufzeigen.

2. Die existentialistische Hölle

Sartre entwirft die Hölle in Huis clos nicht nach dem konventionellen Bild. Entgegen der Vorstellung vom Fegefeuer und Folterinstrumenten, erscheint Sartres Hölle auf den ersten Blick erträglich und dem Leben auf der Erde ähnlich.

2.1. Schauplatz - Hölle

Das Geschehen spielt sich in einem geschmacklos eingerichteten Salon im Second- Empire-Stil ab. Das Mobiliar passt nicht zusammen und es stehen drei jeweils andersfarbige Sofas bereit. Vermeintlich nutzlose Gegenstände wie eine bronze farbene Barbedienne-Figur und ein Papiermesser sind in dem Zimmer verteilt. Zunächst lässt nichts darauf schließen, dass dieser Raum die Hölle symbolisieren soll, doch durch verschiedene Andeutungen der Personen wird schnell klar, um was für einen Ort es sich hier handelt.

Die Personen sind jedes Mal wieder über die Räumlichkeiten überrascht, fragen erst nach den Folterinstrumenten und gleich darauf nach der Zahnbürste. „Denn man meint, wenn es in der Hölle nicht so furchtbar zugeht, könne man sein gewohntes Leben fortsetzen“ (Biemel 1993:54). Laut Biemel wird hier das Moment der Allgemeinheit angesprochen. Wir werden unauffällig in die Situation hineinversetzt, indem wir das Gefühl bekommen, dass wir genauso handeln würden. Auch die geschmacklosen, nichtssagenden Möbel verweisen auf die Allgemeinheit, da die meisten Menschen keinen Stil haben (vgl. ebd.:54).

Der Salon ist abgeschlossen und auch die Klingel, welche dazu dient den Kellner zu rufen, kann die Situation der Dreisamkeit nicht beenden, weil sie ständig kaputt ist und eigentlich nur funktioniert, wenn der Kellner sich bereits dort befindet. Außerhalb des Zimmers sind ausschließlich Flure, Treppen und weitere Zimmer mit anderem Mobiliar vorhanden. Es existiert kein Draußen. Das verdeutlicht die Situation des Gefangenseins, aus der es kein Entrinnen gibt.

Es existieren keine Spiegel und das Zimmer ist fensterlos, so dass kein Tageslicht hinein gelangt, deshalb wird es künstlich beleuchtet. Das Licht kann nicht von den Insassen, sondern nur von der Direktorin ausgeschaltet werden. Da der Strom umsonst ist, wird dies jedoch nie getan. Selbst die Bronzefigur ist zu schwer, um sie nach der Lampe zu werfen. Das heißt für die Eingesperrten „mit offenen Augen leben“ (S. 15). Im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie besitzen keine Augenlider mehr und können somit nicht vom Geschehen innerhalb des Raumes wegsehen. Schlafen wird zur Unmöglichkeit. Sie führen ein Dasein ohne Unterbrechungen und sind zur ständigen Konfrontation mit den anderen verurteilt.

Wir folgern; es ist nicht der Ort an sich, der teuflisch ist. Sartres Hölle überzeugt zwar nicht durch Geschmack oder guten Service, dies allein verursacht jedoch keinen Zustand der Qual. Es findet dort auch keine körperliche Folter statt. Dennoch tragen die Räumlichkeiten zu der leidvollen Situation der Verdammten bei, indem sie ihnen die Möglichkeit Abstand voneinander zu nehmen oder sich abzulenken verwehren.

2.2. Figurencharakteristik

Die Figuren des Dramas spielen eine bedeutende Rolle für die Konzeption der Hölle in Huis clos. Der wohl wichtigste Aspekt liegt dabei in der gefährlichen Dreierkonstellation. Wären nur zwei Personen anwesend, könnten sie einen Pakt schließen und jeder würde dem anderen die gewünschte Rolle vorspielen. Durch das Auftauchen eines Dritten wird ein Bündnis allerdings unmöglich, da jeder den anderen zerstören kann und durch den Blick des anderen jede Zweierbeziehung zerbricht. In die Hölle Sartres werden die kürzlich verstorbenen Garcin, Inés und Estelle geschickt. Sie kennen sich nicht und stammen aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Die Protagonisten des Stückes sind allesamt Antihelden, die sich jeweils durch ihre eigene Tat auszeichnen, aufgrund dieser sie von ihrer Existenz zur Essenz, zum Wesen ihres Menschseins, gelangten und nun, nach ihrem Tod, nichts mehr daran ändern können. Die verschiedenen Charaktere offenbaren sich erst allmählich im Verlauf des Stückes. Ausschließlich Inés verstellt sich weder, noch gibt sie vor jemand anderes zu sein. Am Ende können jedoch auch die „unschuldige“ Estelle und der „heldenhafte“ Garcin ihr wahres Ich nicht mehr verbergen.

2.2.1. Joseph Garcin

Zunächst erfahren wir von Joseph Garcin, dass er als Journalist in Rio de Janeiro arbeitete und eine pazifistische Zeitung herausbrachte als plötzlich der Krieg ausbrach. Angeblich spielte er dabei nicht mit und wurde daraufhin erschossen. Er behauptet nach seinen Grundsätzen gehandelt zu haben und daran ist für ihn nichts Verwerfliches (vgl. S. 27). Die erste Version seiner Lebensgeschichte klingt heroisch. In Wirklichkeit plagen ihn jedoch große Selbstzweifel. Besonders seine Arbeit in Rio und die Umstände seines Todes bereiten ihm Kopfzerbrechen. Er steht unter einem inneren Spannungszustand, ist ängstlich und unsicher. Dies äußert sich insbesondere durch sein nervöses Mundzucken, was Inés sofort als Zeichen der Angst entlarvt (vgl. S. 18). Garcin muss viele Ereignisse auf der Erde noch verarbeiten und versucht sein Leben neu zu ordnen, um mit sich selbst ins Reine zu kommen.

Daher versucht er den anderen gegenüber äußerste Höflichkeit zu wahren und sie möglichst zu meiden.

Seine Versuche den beiden Frauen aus dem Weg zu gehen scheitern jedoch und sie entlocken dem Journalisten mit der Zeit immer mehr Informationen, die er mit vorgespielter Selbstsicherheit darlegt. Inés und Estelle stellen dennoch schnell fest, dass er seine Aussagen beschönigt und nur die halbe Wahrheit spricht. Er eröffnet ihnen, dass er seine Frau aus der Gosse geholt hat und sie seither tyrannisierte. Häufig betrank er sich und betrug seine Frau mit anderen während sie im gleichen Haus schlief (vgl. S. 35f). Sie bewunderte ihn jedoch zu sehr und einige Zeit nach Garcins Tod starb sie vor Kummer um ihn (vgl. S. 51). Wie er seine Frau gepeinigt haben muss, zeigt sich im Umgang mit Estelle, er verhält sich plötzlich ordinär und macht sie mit sichtlicher Freude zunichte (vgl. S. 38f). Es interessiert ihn nicht wirklich, was er seiner Frau angetan hat, er verwendet es zunächst lediglich als Vorwand für sein Dasein in der Hölle.

Was ihn wirklich quält ist die Tatsache, dass er, als der Krieg ausbrach, desertierte. Er floh mit dem Zug nach Mexiko, um nicht eingesperrt zu werden, an der Grenze wurde er jedoch geschnappt und mit zwölf Kugeln in den Leib erlegt (vgl. S. 49). Ihn plagt es, dass er auf der Erde als Feigling gilt. Denn mutig sein war ihm immer das Wichtigste: „Mir war Geld und Liebe egal. Ich wollte ein Mann sein. Ein harter“ (S. 56). Nun kann er an seiner Situation nichts mehr ändern, egal wie sehr er sich die Chance wünscht, sein Leben zu berichtigen: „Wenn man nur einen einzigen Tag zu ihnen zurück könnte...“ (S. 52). Da er einsieht, dass es kein Zurück gibt und er auf der Erde allmählich vergessen wird, bemüht er sich um Estelles Anerkennung. Er will von ihr hören, dass sie ihm vertraut und ihn nicht für einen Feigling hält. (vgl. S. 52). Estelle versagt in dieser Rolle und Garcin merkt, dass er in diesem Punkt Inés überzeugen muss - eine Unmöglichkeit.

Garcin erkennt durch Inés, dass seine Situation nicht mehr zu ändern ist. Er hat in der entscheidenden Situation gekniffen und muss nun damit zurechtkommen, d.h. für ihn Höllenqualen auf Ewigkeit.

2.2.2. Inés Serrano

Von Anfang an kann Inés mit ihrem Dasein in der Hölle besser umgehen als ihre zwei Gegenspieler. Sie versucht nicht, das Zimmer zu verlassen, stellt dem Kellner keine Fragen und begegnet den anderen nicht mit gespielter Höflichkeit und Rücksichtnahme (vgl. S. 17f). Sofort erkennt sie, dass Garcin feige und ihr Folterknecht ist (vgl. Biemel 1993: 56). Inés hat keine Probleme mit ihrer Vergangenheit und obwohl sie eigentlich keine Lust hat, ihre Geschichte zu erzählen, breitet sie ihre Sünden schamlos vor den anderen aus. Inés war Postangestellte und wohnte bei ihrem Vetter, dessen Freundin Florence sie ihm ausspannte und mit ihr ans andere Ende der Stadt zog. Als ihr Vetter einige Zeit später von einer Straßenbahn überfahren wurde, redete sie Florence ein, dass sie beide Schuld an seinem Tod wären, ihn gar getötet hätten. Geplagt von ihren Schuldgefühlen drehte Florence eines Nachts den Gashahn auf. Auf diese Weise starben beide (vgl. S. 37f).

Mit dem Auftritt Estelles ändert Inés schlagartig ihre etwas ungehobelte Art. Sie offeriert ihr höflich ihr Sofa und bei der Vorstellung kommt sie Garcin zuvor (vgl. S. 20f). Sie macht der schönen Estelle Komplimente, stellt sich ihr als Spiegel zur Verfügung und bietet ihr schnell das persönliche „du“ an. Auch körperliche Annäherungsversuche entlarven Inés‘ Homosexualität und ihre Zuneigung für Estelle. Sie bittet Estelle sich zu ihr auf die Couch zu setzen, näher zu rücken und hilft ihr beim Nachziehen der Lippen (vgl. S. 30 ff). Als sie feststellt, dass Estelle sich nicht für sie interessiert und ihre Annäherungsversuche eher abstoßend findet, schlagen ihre Gefühle ins Negative um. Besonders gegenüber Garcin, den sie als Konkurrenten sieht, entwickelt sie eine starke Abneigung (vgl. S. 32f).

Inés hat keine Angst und ist bereit zum Kampf mit offenem Visier (vgl. S. 34). Mit ihrem scharfen Verstand trägt sie zur Analyse der Situation bei und enthüllt die verschiedenen Aspekte des Beisammenseins der drei Protagonisten und die zu erwartenden Foltermethoden. Durch sie wird auch Estelle und Garcin klar, dass in der Hölle nichts dem Zufall überlassen wurde und alles bis in die kleinste Einzelheit festgelegt worden ist (vgl. S. 25). Die Postangestellte durchschaut die Lügengeschichten der beiden anderen: „Für wen spielen Sie diese Komödie? Wir sind doch unter uns [...]. Unter Mördern“ (S. 27) und erkennt: „Der Folterknecht ist jeder von uns für die beiden anderen“ (S. 28).

Da Inés schon in ihrem Leben als Verdammte galt (vgl. S. 36), liegt es in ihrer Natur die anderen zu quälen. Sie behauptet sogar, dass sie nur existieren kann, wenn andere leiden (vgl. S. 38). Um ihren Hass richtig auskosten zu können benutzt sie ihren Intellekt, wann immer sich ihr die Möglichkeit dazu bietet (vgl. S. 58). Mit ihrer starken körperlichen Begierde und ihrem Hang andere zu foltern, demonstriert Inés, dass Menschen aufgrund ihrer Freiheit zum Handeln zu allem in der Lage sind.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Konzeption der existentialistischen Hölle in Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Das französische Theater des 20. Jahrhunderts
Autor
Jahr
2010
Seiten
18
Katalognummer
V170028
ISBN (eBook)
9783640885961
ISBN (Buch)
9783640885695
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jean-Paul Sartre, Existenzialismus, Huis clos, Geschlossene Gesellschaft, Hölle
Arbeit zitieren
Christin Lübke (Autor:in), 2010, Konzeption der existentialistischen Hölle in Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170028

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