Folgende Fragestellungen sollen beantwortet werden:
1a) Sind Unterschiede in der Muskelaktivität bei hämophilen Patienten mit Kontraktur im Vergleich zu hämophilen Patienten ohne Kontraktur im bipedalen Stand zu erkennen?
1b) Zeigen sich in der graduellen Kniebeuge zwischen den hämophilen Patienten mit und ohne Kontraktur Unterschiede in der Aktivität der kniegelenksumgreifenden Muskulatur.
1c) Unterscheidet sich das Aktivitätsverhalten der hämophilen Patienten zu einer nicht hämophilen Kontrollgruppe im Verlauf vom bipedalen Stand zur graduellen Kniebeuge. ---- Methodik und Vorgehen:
In der Studie wurden 25 männliche Patienten mit Hämophilie und eine Kontrollgruppe (N=21), die nicht von Hämophilie betroffen ist, elektromyographisch erfasst. Hierbei wurde die Aktivität folgender Muskeln erhoben: M. tensor fasciae latae (TFL) M. rectus femoris (RF), M. vastus medialis (VM), M. vastus lateralis (VL), M. biceps femoris (BF) und M. semitendinosus (ST). Nach einer Vorbehandlung der Haut durch Haarentfernung und Reinigung deren Oberfläche mit einer Abrasionspaste (Fa. Epicont, GE Medical Systems Information Technologies GmbH, Freiburg, Deutschland) folgte das Anbringen der Elektroden (Fa. ARBO, Tyco Healthcare, Halberstadt, Deutschland) auf die Haut. Die Messungen fanden unter verschiedenen Anforderungen statt. So folgten Messungen im bipedalen bzw. monopedalen Stand und mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad, auf unterschiedlichen Untergründen und mit geschlossenen Augen, auf die in dieser Untersuchung nicht eingegangen werden soll. In dieser Arbeit werden folgende Standpositionen untersucht: bipedaler Stand und eine graduelle Kniebeuge mit einem Flexionswinkel von 30 Grad.
Um die Aktivität der knieführenden Muskulatur zu bestimmen, werden Daten aus elektromyographischen Untersuchungen herangezogen. Die Elektromyographie (EMG) ist eine experimentelle Technik die sich der Entstehung, Aufzeichnung und Analyse myoelektrischer Signale widmet. Myoelektrische Signale werden durch physiologische Zustandsvariationen der Muskelfasermembran generiert (Konrad, 2005).
Inhaltsverzeichnis
II. Abbildungsverzeichnis
III. Tabellenverzeichnis
IV. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Hämophilie
1.1.1 Historie
1.2 Ätiologie des Krankheitsbildes und Pathogenese
1.2.1 Hämophile Athropathie
1.2.2 Kontrakturen
1.3 Das Knie
1.4 Physiologie und Funktionen im Stand und der graduellen Kniebeuge
1.5 Elektromyographie
1.5.1 Einsatz, Möglichkeiten und Grenzen der Elektromyographie
1.5.2 Elektromyographische Messungen am hämophilen Kniegelenk
2. Fragestellung
3. Material und Methoden
3.1 Probandenauswahl
3.1.1 Ein- und Ausschlusskriterien
3.1.2 Probandenbeschreibung
3.1.3 Einteilung der Probanden hinsichtlich des Gelenkstatus
3.2 Studiendesign
3.2.1 Datenerhebung
3.2.2 Versuchsanordnung
3.3 Untersuchungsgeräte und Testverfahren
3.3.1 Die Oberflächenelektromyographie (OEMG)
3.3.2 Die EMG-Elektroden
3.3.3 EMG-Messung
3.4 Statistische Untersuchung
3.4.1 Vorarbeiten zur statistischen Untersuchung
3.4.2 Statistische Verfahren
4. Ergebnisse
4.1 Gliederung der Untersuchung
4.1.1 Bipedaler Stand - stärker betroffenes Gelenk - Hämophile mit Kontraktur vs. Hämophile ohne Kontraktur
4.1.2 Bipedaler Stand - stärker betroffenes Gelenk - Hämophile mit Kontraktur vs. Kontrollgruppe
4.1.3 Bipedaler Stand - stärker betroffenes Gelenk - Hämophile ohne Kontraktur vs. Kontrollgruppe
4.1.4 Bipedaler Stand - geringer betroffenes Gelenk - Hämophile mit Kontraktur vs. Hämophile ohne Kontraktur
4.1.5 Bipedaler Stand - geringer betroffenes Gelenk - Hämophile mit Kontraktur vs. Kontrollgruppe
4.1.6 Bipedaler Stand - geringer betroffenes Gelenk - Hämophile ohne Kontraktur vs. Kontrollgruppe
4.1.7 Differenzen - stärker betroffenes Gelenk - Hämophile mit Kontraktur vs. Hämophile ohne Kontraktur
4.1.8 Differenzen - stärker betroffenes Gelenk - Hämophile mit Kontraktur vs. Kontrollgruppe
4.1.9 Differenzen - stärker betroffenes Gelenk - Hämophile ohne Kontraktur vs. Kontrollgruppe
4.1.10 Differenzen - geringer betroffenes Gelenk - Hämophile mit Kontraktur vs. Hämophile ohne Kontraktur
4.1.11 Differenzen - geringer betroffenes Gelenk - Hämophile mit Kontraktur vs. Kontrollgruppe
4.1.12 Differenzen - geringer betroffenes Gelenk - Hämophile ohne Kontraktur vs. Kontrollgruppe
5. Diskussion
5.1 Untersuchung
5.1.1 Aktivitätsverhalten im bipedalen Stand
5.1.2 Aktivitätsverhalten im Verlauf vom bipedalen Stand zur graduellen Kniebeuge innerhalb des hämophilen Patientenklientels
5.1.3 Aktivitätsverhalten im Verlauf vom bipedalen Stand zur graduellen Kniebeuge zwischen Hämophilen und einer Kontrollgruppe
5.2 Methodenkritik
5.2.1 Studiendesign
5.2.2 Probandengut
5.2.3 Elektromyographie
5.3 Schlussbetrachtung und Ausblick
6. Zusammenfassung
VI. Anhang
VII. Danksagung
II. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Schema der Blutgerinnung
Abb. 2: Lokalisation der häufigsten Blutungen in verschiedenen Altersgruppen
Abb. 3: Mögliche Folgen von Gelenkeinblutungen „Circulus vitiosus“
Abb. 4: intraartikulärer Blutungen am Kniegelenk
Abb. 5: Klinisches Bild von hämophilen Patienten mit Spitzfuß-Sprunggelenk-Deformität und Kontraktur am Kniegelenk
Abb. 6: Kapsel-Band-Apparat eines rechten Kniegelenks
Abb. 7: Körperhaltung im aufrechten Stand
Abb. 8: Elektrodenposition M. vastus medialis
Abb. 9: Ausschlusskriterien für die hämophile Patientengruppe
Abb. 10: Vorgehen zur Einteilung der stärker betroffenen (sb) Kniegelenksseite
Abb. 11: Überblick über das Studiendesign
Abb. 12: Testposition graduelle Kniebeuge
Abb. 13: Elektrodenlokalisation ventrale und dorsale Ansicht
Abb. 14: Instrumentierung eines Probanden
Abb. 15: Messstationen des EMG-Rohsignals
Abb. 16: Übersicht der angewendeten statistischen Verfahren
Abb. 17: Bipedaler Stand (Bo) H_Kon_sb versus H_sb
Abb. 18: Bipedaler Stand (Bo) H_Kon_sb versus C
Abb. 19: Bipedaler Stand (Bo) H_sb versus C
Abb. 20: Bipedaler Stand (Bo) H_Kon_gb versus H_gb
Abb. 21: Bipedaler Stand (Bo) H_Kon_gb versus C
Abb. 22: Bipedaler Stand (Bo) H_gb versus C
Abb. 23: Differenzen (KB-Bo) H_Kon_sb versus H_sb
Abb. 24: Differenzen (KB-Bo) H_Kon_sb versus C
Abb. 25: Differenzen (KB-Bo) H_sb versus C
Abb. 26: Differenzen (KB-Bo) H_Kon_gb versus H_gb
Abb. 27: Differenzen (KB-Bo) H_Kon_gb versus C
Abb. 28: Differenzen (KB-Bo) H_gb versus C
III. Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Einteilung der Hämophilie A und B nach Schweregrad und dem Blutungsereignis
Tab. 2: Häufigkeiten angeborener Einzelfaktorendefizite im Vergleich
Tab. 3: Klinisch-radiologische Stadieneinteilung der Gelenkveränderung bei Hämophilie
Tab. 4: Stadienbezogene Therapie der hämophilen Arthropathie
Tab. 5: Untersuchte Muskeln des Kniegelenkes
Tab. 6: Ein- und Ausschlusskriterien
Tab. 7: Einteilung der Hämophilie-Probanden nach Schweregrad
Tab. 8: Elektrodenlokalisation nach SENIAM
Tab. 9: Festlegung des Signifikanzniveaus für die verwendeten Testverfahren
Tab. 10: Ermittlung des „virtuellen Beines“ der gesunden, nicht-hämophilen Kontrollgruppe im bipedalen Stand
Tab. 11: Ermittlung des „virtuellen Beines“ der gesunden, nicht-hämophilen Kontrollgruppe im bipedalen Stand
Tab. 12: Ermittlung des „virtuellen Beines“ der gesunden, nicht-hämophilen Kontrollgruppe in der graduellen Kniebeuge
Tab. 13: Ermittlung des „virtuellen Beines“ der gesunden, nicht-hämophilen Kontrollgruppe in der graduellen Kniebeuge
Tab. 14: Muskelaktivitätswerte H_Kon_sb versus H_sb im bipedalen Stand
Tab. 15: Ergebnisse der ANOVA H_Kon_sb versus H_sb im bipedalen Stand
Tab. 16: Muskelaktivitätswerte H_Kon_sb versus C im bipedalen Stand
Tab. 17: Ergebnisse der ANOVA H_Kon_sb versus C im bipedalen Stand
Tab. 18: Muskelaktivitätswerte H_sb versus C im bipedalen Stand
Tab. 19: Ergebnisse der ANOVA; H_sb versus C im bipedalen Stand
Tab. 20: Muskelaktivitätswerte H_Kon_gb versus H_gb im bipedalen Stand
Tab. 21: Ergebnisse der ANOVA H_Kon_gb versus H_gb im bipedalen Stand
Tab. 22: Muskelaktivitätswerte H_Kon_gb versus Kontrollgruppe im bipedalen Stand
Tab. 23: Ergebnisse der ANOVA H_Kon_gb versus Kontrollgruppe im bipedalen Stand
Tab. 24: Muskelaktivitätswerte H_gb versus C im bipedalen Stand
Tab. 25: Ergebnisse der ANOVA; H_gb versus C im bipedalen Stand
Tab. 26: Muskelaktivitätswerte H_Kon_sb versus H_sb in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 27: Ergebnisse der ANOVA; H_Kon_sb versus H_sb in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 28: Muskelaktivitätswerte H_Kon_sb versus C in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 29: Ergebnisse der ANOVA H_Kon_sb versus C in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 30: Muskelaktivitätswerte H_sb versus C in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 31: Ergebnisse der ANOVA H_sb versus C in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 32: Muskelaktivitätswerte H_Kon_gb versus H_gb in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 33: Ergebnisse der ANOVA H_Kon_gb versus H_gb in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 34: Muskelaktivitätswerte H_Kon_gb versus C in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 35: Ergebnisse der ANOVA H_Kon_gb versus C in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 36: Muskelaktivitätswerte H_gb versus C in der Differenz (KB-Bo)
Tab. 37: Ergebnisse der ANOVA H_Kon_gb versus H_gb in der Differenz (KB-Bo)
IV. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Hämophilie, auch Bluterkrankheit genannt, ist eine meist x-chromosomale rezessiv vererbte Gerinnungsstörung (Pabinger-Fasching & Hartl, 2004). Durch einen Mangel oder Defekt von Gerinnungsfaktoren treten Gelenk- und Weichteileinblutungen auf. Da sich die Blutungen initial auf der Gelenkinnenhaut entwickeln, sind mit Knie, Ellenbogen, Sprung- und Schultergelenken, vor allem die Gelenke betroffen, die eine besonders große Synovialfläche aufweisen (Erlemann et al., 1990).
Das am häufigsten von Einblutungen betroffene Gelenk bei Erwachsenen ist das Kniegelenk. Ohne Behandlung kann es zu Muskelveränderungen, wie beispielsweise Atrophien oder Kontrakturen, kommen. Diese führen wiederum zu starken Einschränkungen im Alltag durch Behinderung der Mobilität oder sogar zu Invalidität.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Muskelaktivitäten der knieführenden Muskulatur, die mit Hilfe einer elektromyographischen Untersuchung gemessen wurden, bei hämophilen Patienten, die bereits an einer Kontraktur leiden, und bei Patienten ohne Kontraktur auszuwerten und zu interpretieren.
Das zentrale Ziel dieser Arbeit ist es, den Einfluss einer bestehenden Kontraktur auf die Muskelaktivität im bipedalen Stand und einer graduellen Kniebeuge (Knieflexionswinkel 30 Grad) nachzuweisen. Es stellt sich die Frage, ob eine veränderte Muskelaktivität bei hämophilen Patienten mit und ohne Kontraktur vorliegt.
Blutgerinnung
Das Blut befindet sich normalerweise im geschlossenen Gefäßsystem. Wird dieses System verletzt und Blut austritt, gerinnt dieses im Regelfall nach kurzer Zeit. Vor allem bei älteren Menschen werden die Gefäße brüchiger. Der erste Schritt der Blutgerinnung besteht darin, dass Thrombozyten, sobald sie aus dem Gefäßsystem austreten, verkleben. Dieser erste Pfropf dichtet vorläufig das Loch in der Gefäßwand ab. Um ein haltbares Blutgerinnsel zu erhalten benötigt der Körper das Zusammenwirken von Blutgerinnungseiweißen (Gerinnungsfaktoren), die den Stoff Fibrin bilden (Pechlaner, 2004).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Schema der Blutgerinnung (Siegenthaler, 1987)
Das dargestellte Blutgerinnungsschema (Abb. 1) berücksichtigt alle Phasen und Faktoren, welche allgemein anerkannt und von klinischer Bedeutung sind. Beteiligt bei der Gerinnung im Instrinsic-System sind nur die intravasal zirkulierenden Gerinnungsfaktoren. Bei der Gerinnung im Extrinsic-System stammt das Thromboplastin aus geschädigtem Gewebe. Die Beschleunigung der Gerinnung im extravasalen Bezirk, durch Einwirkung des Gewebsthromboplastins, ist zweckmäßig, weil sie die Ausdehnung einer Blutung ins traumatisierte extravaskuläre Gewebe verhindert. Festzuhalten ist, dass beide Gerinnungssysteme für eine wirksame Hämostase notwendig sind (Siegenthaler, 1987).
1.1 Hämophilie
1.1.1 Historie
Der Begriff Hämophilie (griech.: haima-; -philos) wurde Anfang des 19. Jahrhunderts geprägt. Die Bluterkrankheit ist allerdings schon seit über 2000 Jahren bekannt (De Palma, 1967). Die ursächlichen Zusammenhänge der Hämophilie waren bis in das 20. Jahrhundert unbekannt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fand jedoch Otto in den USA den erblichen Charakter heraus und deutete die Blutungsneigung als eigenständige Erkrankung (Rachinger, 2004). Meckel vermutete 1816, dass der Krankheit ein Gerinnungsdefekt zu Grunde liegt. Erst 1893 wurde durch Wright auf die stark verlängerte Gerinnungszeit aufmerksam gemacht, die die Hämophilie mit sich bringt. 1911 gelang die Abgrenzung gegenüber anderen Blutungskrankheiten, durch die Auswertung von bis dahin publizierten Fällen durch Bulloch und Fildes. Sie definierten die essentiellen diagnostischen Kriterien der Hämophilie. Die wohl ersten Ansätze einer „Substitutionstherapie“ begann im selben Jahr der Wissenschaftler Addis, in dem er einem „Bluter“ geringe Mengen von normalem Plasma injizierte und dadurch die Gerinnung schneller eintrat (Begemann & Rastetter, 1986). Im Jahr 1936 gelang es das Fehlen des sogenannten Anti-hämophilen Faktors nachzuweisen (Patek & Taylor, 1936). 1950 wurde neben der klassischen Hämophilie (Hämophilie A), eine zweite Form der Blutgerinnungsstörung, die Hämophilie B, festgestellt (Pavlovsky et al., 1950). Im Jahr 1945 hatten Bluter noch eine Lebenserwartung von 16 Jahren, mittlerweile aber hat sich die Lebenserwartung den Blutgesunden angeglichen (Brackmann et al., 1980). Der für die Hämophilie A verantwortliche Gerinnungsfaktor VIII ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts vollkommen biochemisch und gerinnungsphysiologisch aufgeschlüsselt. Seit den 1970er Jahren können die den hämophilen Patienten fehlenden Gerinnungsfaktoren substituiert werden (Kreuz & Escuriola-Ettinghausen, 1997).
Die Krankheitsbezeichnung „Hämophilie“ ist heute international anerkannt.
1.2 Ätiologie des Krankheitsbildes und Pathogenese Formen der Hämophilie
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Hämophilie A und Hämophilie B.
Die Hämophilie A, häufigste geschlechtsgebundene, X-chromosomale Blutgerinnungsstörung, kennzeichnet sich durch das komplette Fehlen, den schweren Mangel oder defekte Funktion des Gerinnungsfaktors VIII. Der Gerinnungsfaktor VIII ist einer im Blutplasma nur in Spuren vorhandener Gerinnungs - Cofaktor. In der Klinik ist die Hämophilie A als „klassische Hämophilie“ bekannt (Mannhalter, 2004).
Die Hämophilie B, ebenso eine X-chromosomal übertragene Gerinnungsstörung, äußert sich auch durch Blutungen bei minimalen Verletzungen. Sie unterscheidet sich im Vergleich zur Hämophilie A (Gerinnungsfaktor VIII) in einem Defekt oder Mangel von Gerinnungsfaktor IX. Gerinnungsfaktor IX ist ein Vitamin K abhängiges Gerinnungsprotein. Die Unterscheidung zwischen beiden Typen der Hämophilie ist nur über einen Gerinnungstest möglich und aus Gründen einer erfolgreichen Therapie notwendig (Mannhalter, 2004).
Symptomatologie
Das Krankheitsbild der Hämophilie A oder B ist geprägt durch eine Neigung zu rezidivierenden Blutungen. Diese können spontan auftreten oder durch Traumata ausgelöst werden. Je nach Schweregrad sind diese Blutungen schwer zu stillen (Lasch, 1971).
Schon kleinste Verletzungen können bei einer schweren Form der Hämophilie zu langwierigen Blutungen führen. Das Ausmaß der Faktoraktivität bestimmt im Wesentlichen die Blutungsneigung. Patienten mit einer Subhämophilie leiden meist nur nach operativen Eingriffen an stärkeren Blutungen.
Die Schwere der Hämophilie wird nach der Mangeleinteilung wie folgt festgelegt (Tab. 1).
Tab. 1: Einteilung der Hämophilie A und B nach Schweregrad und dem Blutungsereignis (nach Thomas, 1995)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eine Restaktivität von weniger als 1%, hat bedrohliche und häufige Blutungen zur Folge, besonders in die großen Gelenke wie das Kniegelenk. Eine höhere Restaktivität bedeutet zugleich eine Abnahme der Blutungsneigung, trotzdem kann es bei invasiven Eingriffen zu lebensbedrohlichen Blutungen kommen (Thomas, 1995).
Im frühen Kindesalter kann die Hämophilie oft schon nach starken Blutungen in Folge des Milchzahndurchbruches diagnostiziert werden. Mit zunehmendem Alter sowie zunehmender Beweglichkeit steigt auch die Blutungshäufigkeit vor allem in die Gelenke an.
Ihren Häufigkeitsgipfel hat die Blutungsfrequenz allgemein zwischen 10 und 30 Jahren. Nach dem 30. Lebensjahr ist ein deutlicher Abstieg der Blutungsfrequenz zu erkennen (Landbeck, 1970; Weseloh, 1973; siehe Abb. 2).
Epidemiologie
Die Prävalenz der Hämophilie (A+B) liegt in Deutschland laut dem Hämophiliezentrum Heidelberg im Jahre 2009 bei ca. 6000 erkrankten Personen in Deutschland. Bei der Hämophilie A wird eine Inzidenz von 1-2 Erkrankungen auf 10.000 männliche Geburten gen]annt. Bei der Hämophilie B treten ca. 1-2 Neuerkrankungen bei 50.000 männlichen Geburten auf.
Die folgende Tabelle zeigt, dass die Hämophilie die am meisten verbreitete Blutgerinnungsstörung im Bereich der einzelfaktordefizitären Krankheiten ist.
Tab. 2: Häufigkeiten angeborener Einzelfaktorendefizite im Vergleich (Eigene Tabelle in Anlehnung an Kirchhof, 1987)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Hämophilie wird nicht allein in Familien beobachtet, in denen die Bluterkrankheit bereits diagnostiziert ist, sondern aufgrund von Genmutationen in 35 bis 45% der Fälle auch in Familien, in denen diese Krankheit noch nicht aufgetreten ist (Weseloh, 1973).
Aufgrund der x-chromosomal rezessiven Vererbung der Hämophilie erkranken meist nur Männer an der Blutgerinnungsstörung. Frauen erkranken normalerweise nicht, da die Krankheit nur genotypisch, aber nicht phänotypisch vorhanden ist. Sie treten als Konduktorinnen auf (Pitzen & Rössler, 1976). Nachkommen aus Beziehungen zwischen Konduktorinnen und Blutern haben eine hohe Erkrankungswahrscheinlichkeit (Lasch, 1971). Interessant ist, dass die Krankheit in ganz seltenen Fällen auch bei Frauen nachgewiesen wurde. Dazu muss einer der folgenden Aspekte gegeben sein:
- Die Konduktorin hat eine Faktor - VIII - Konzentration von unter 25 %
- Sie ist Nachkomme aus der Beziehung Bluter + Konduktorin
- Die Bluterin hat einen weiblichen Phänotyp aber ein männliches chromosomales Geschlecht
- Eine echte Hämophilie, die sporadisch auftritt (vgl. Begemann & Rastetter, 1986)
„Differentialdiagnostisch ist bei solchen Fällen zunächst das Vorliegen eines Willebrand - Jürgens - Syndrom oder einer Immunkoagulopathie mit Faktor - VIII - bzw. Faktor - IX - Hemmkörper auszuschließen (Begemann & Rastetter, 1986).“
Der Faktor F VIII im zirkulierenden Blutkreislauf setzt sich aus zwei Untereinheiten zusammen: F VIII C und F VIII AP. Der F VIII AP ist der Träger der Ristocetinkofaktor-Aktivität und der von Willebrand-Aktivität. Diese Untereinheiten des Komplexes werden an verschiedenen Orten synthetisiert und haben differierende Aufgaben (Thomas, 1995).
Die Konzentration von Faktor VIII C ist bei der Hämophilie A vermindert.
Die Hämophilie B ist bedingt durch einen Mangel an Faktor IX. Dieser Faktor IX ist ein einkettiges Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 56000. Gebildet wird es in der Leber und seine Synthese ist Vitamin-K-abhängig. Das Molekül besteht besteht im Wesentlichen aus einer Gla-Domäne (die zwölf γ-Carboxyglutaminsäurereste enthält, die für die Kalziumbindung wichtig sind), einer Epidermal-growth-factor-Region und einer katalytischen Domäne.
Das Faktor-IX-Gen liegt an der Spitze des langen Arms des X-Chromosoms und hat eine Größe von 34 kB. Hämophilie B ist genetisch sehr heterogen. Mutationen in allen Teilen des Gens können zur Hämophilie B führen. Die Mutation in der Promotorregion führt zu einer speziellen Form der Hämophilie (Faktor-IX-Leiden), bei der der Faktor- IX-Spiegel im Lauf des Lebens ansteigt (Pabinger-Fasching & Lechner, 2006).
Lokalisation
Am häufigsten von Blutungen betroffen sind die großen Gelenke mit ca. 80 % aller Blutungen. Mit einem Anteil von ca. 13 % reihen sich die Muskelblutungen an zweiter Stelle ein, seltener sind innere sowie Blutungen in Mund und Rachenraum (Brackmann, 1980). Innerhalb der Gelenke ist bei Erwachsenen das Kniegelenk, das wiederholt zu intraartikulären Blutungen neigt, das das Zielgelenk, („target joint“) (Mulder 2004). Es ist am häufigsten betroffen (40%) (Schimpf, 1978), gefolgt von Ellbogen-, Sprung- und Hüftgelenk. Das Handgelenk ist eher selten betroffen (Ahlberg, 1965; Arnold & Hilgartner, 1977; Hofmann et al., 1975; Landbeck, 1970).
Blutungen entwickeln sich aus der Gelenkinnenhaut. Zunächst sind die Gelenke betroffen, die eine große Synovialfläche besitzen, wie das Knie-, Ellenbogen-, Knöchel- und Schultergelenk (Erlemann et al., 1990; Rodriguez-Merchan, 1996). Aufgrund dessen bezeichnet man sie auch als Indikatorgelenke des Hämophilen (Erlemann et al., 1990).
Scharniergelenke mit nur einem Freiheitsgrad sind allgemein häufiger betroffen als andere (Hofmann et al., 1975).
Eine aktuelle Studie, erhoben von Stephensen am Kent Haemophilia Centre, die an 100 Hämophiliepatienten (schwere Hämophilie A) durchgeführt wurde, zeigt allerdings, entgegen dem bisherigen Tenor (siehe Landbeck, 1970 etc., siehe auch Abb. 2), dass das Kniegelenk nach der Verbesserung der Behandlungsmethoden nicht mehr so häufig von Einblutungen betroffen ist. Am häufigsten betroffen ist nach Stephensen das Sprunggelenk. Blutungen ins Kniegelenk werden als genauso selten dargestellt wie Blutungen in das Ellbogengelenk, was darauf hindeutet, dass sich das herkömmliche Muster von Gelenkblutungen bei der Hämophilie deutlich verändert hat (Stephensen et al., 2009).
Die durchschnittliche Blutungsfrequenz beträgt bei Patienten mit schwerer Hämophilie (Faktoraktivität unter 1 %) 35 bis 40 Blutungen pro Jahr in das jeweilige Gelenk (Schimpf, 1978).
Die Kniegelenke waren bis Mitte der achtziger Jahre die am häufigsten und schwersten betroffenen Gelenke (Atkins et al., 1987). Durch die Substitutionstherapie gelang es die sportliche Aktivität zu steigern. Jedoch häuften sich die Verletzungen in den Ellenbogen- und Sprunggelenken mit Blutungsereignissen. An diesen beiden Gelenken werden die Gelenkblutungen eher ignoriert bzw. seltener behandelt, weil sie sich nicht so extrem immobilisierend auswirken wie das Kniegelenk. Diese ausbleibende Behandlung gilt als besonders gelenkschädigend (Hamel et al., 1988).
Erlemann et al. (1990) kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass im Vergleich zum Ellenbogengelenk im Kniegelenk doppelt so häufig eine Hämarthros auftreten müsste, um den gleichen Grad der Schädigung zu verursachen.
Aufgrund dessen sind die Ellenbogengelenke mittlerweile bei jüngeren Patienten zum häufigsten Punkt einer hämophilen Athropathie geworden (Hogh et al., 1987). Neueste Studien zeigen, dass rund die Hälfte aller hämophilen Kinder und Jugendlichen heutzutage Schäden in den Ellenbogengelenken aufweisen. Erstaunlich ist, dass bei Erwachsenen das Kniegelenk die Statistiken anführt (Erlemann et al., 1990; Gamble et al., 1996; Syrbe & Linde, 1990).
Rodriguez-Merchan (1996) erklärt die Anfälligkeit des Knies damit, dass es eine mangelnde innere knöcherne Stabilität aufweist und es zudem an den Funktionen eines Scharniergelenks liegt. Konsequenz daraus ist, dass alle anders gerichteten Krafteinflüsse, die außerhalb dieses Mechanismus stattfinden, nicht über eine muskelgedämpfte Ausweichbewegung kompensiert werden und die Überleitung auf den Kapsel-BandApparat über ungünstige Hebelarme erfolgt. Somit konstatiert Rodriguez-Merchan, dass das Scharnier-Kniegelenk extremen Stressoren unterliegt es diese zu Traumatisierungen des Gewebes führen können. Gerade Hämophiliepatienten reagieren bei geringen Verletzungen des Gewebes am Band- und Kapselapparat mit spontanen Einblutungen (Hofmann et al., 1975).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Lokalisation der häufigsten Blutungen in verschiedenen Altersgruppen (nach Landbeck, 1973)
Trotz der Tatsache, dass seit den 1970er Jahren die fehlenden Gerinnungsfaktoren substituiert werden können (Mohr, 1993; Dzinay et al., 1995; Kreuz et al., 1997; Hamel et al., 1988; Erlemann et al., 1990) und sich somit die Lebenserwartung deutlich erhöht hat, treten immer noch rezidivierende Blutungen in Gelenken und Muskeln auf (Gamble et al., 1996).
1.2.1 Hämophile Arthropathie
Gelenkblutungen können Entzündungen auslösen, die sich über Knorpelschäden bis hin zu Gelenkzerstörungen ausweiten können. Andererseits können ausgehend von den Gelenkblutungen, Schmerzen und Bewegungseinschränkungen die Folge sein, die über Muskelverkürzungen, Gelenkinstabilität ebenfalls einen Funktionsverlust des Gelenks bezwecken können.
Wie der Zyklus bei Gelenkblutungen verlaufen kann, zeigt das Schaubild (Abb. 3).
Bedingt durch die Blutabbauprodukte entstehen bei einem multifaktoriellen Mechanismus durch gewebetoxische Enzyme und Radikale schwere sekundäre Knorpelschäden, zunehmende arthrotische Veränderungen und letztlich fortschreitende Gelenkversteifungen (Erlemann et al., 1990; Hamel et al., 1988; Hogh et al., 1987; Arnold & Hilgartner, 1977; Atkins et al., 1987). Unter hämophiler Arthropathie versteht man die blutungsbedingten Dauerschäden der Gelenke, die in den Vordergrund des klinischen Erscheinungsbildes gerückt sind.
Resultat der hämophilen Arthropathie kann schließlich im Rahmen einer sekundären Arthrose in fortschreitenden Fehlstellungen und Gelenkversteifungen (Kontrakturen) zu einer schweren Behinderung des Hämophiliepatienten führen.
Aus klinischer Sicht äußern sich diese Gelenkblutungen kurzfristig sehr individuell und folgende unmittelbare Symptome treten beim Patienten meist schon vor der eigentlich klinisch nachweisbaren Blutung auf: Überwärmung, Schwellung, Schmerz, Bewegungseinschränkung oder auch Muskelspasmus. Unter adäquater Therapie lassen die Beschwerden in wenigen Tagen nach, sobald das Blut resorbiert worden ist. (Roosendaal et al., 1999).
Langfristige Folge intraartikulärer Blutungen sind weitaus schwerwiegender. Wiederholte Blutungen schädigen die betroffenen Gelenke in Form der sogenannten hämophilen Arthropathie. Auswirkungen können von ausgeprägten Deformitäten und Verkrüppelungen, Veränderungen der Synovialis bis hin zur gänzlichen Zerstörung des Gelenkknorpels führen (Roosendaal et al., 1999).
Um das klinische Bild der hämophile Arthropathie genauer zu beschreiben, stellte König 1892 bereits ein erstes 3-stufiges Modell auf (Müller et al., 1999). Ausgehend davon unterteilte De Palma 1967 das Krankheitsbild in vier Stadien. Das aktuellste Modell legten Arnold und Hilgartner 1977 vor (Tab. 3).
Tab. 3: Klinisch-radiologische Stadieneinteilung der Gelenkveränderung bei Hämophilie (Freyschmidt, 2008) (nach Arnold & Hilgartner 1977)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sie kombinierten klinische und radiologische Eigenschaften zu einer gemeinsamen Klassifizierung der hämophilen Arthropathie (Freischmidt, 2008). Eine konservative Behandlungsmaßnahme kann bis zu Stadium drei erfolgen, am Stadium vier lassen sich operative Maßnahmen nicht mehr vermeiden. Wie genau die jeweilige Therapieform in den einzelnen Stadien (Tab. 4) aussieht kann ebenfalls Arnold und Hilgartner (1977) entnommen werden.
Tab. 4: Stadienbezogene Therapie der hämophilen Arthropathie (nach Müller et al., 1999)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Folgen muskuloskelettaler Probleme der Kniegelenksarthropathie
Nach Roosendaal (1999) führen die rezidivierenden Gelenk- und Muskelblutungen zu anatomischen Veränderungen in den Gelenken und können zur Folge Knochenarthropathie, Osteoporose, eine Umwandlung der Knorpelschicht und Gelenkkapselverdickungen haben (Roosendaal et al., 1999).
Mögliche Folgen können sich auch auf die funktionelle Aspekte auswirken. Langfristig können rezidivierende Einblutungen zu Kontrakturhaltungen in den betroffenen Gelenken führen (Abb. 4), welche aufgrund der schmerzbedingten Immobilisation schließlich in einer Atrophie der gelenkumspannenden Muskulatur enden kann (Kurme et al., 1968).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: intraartikulärer Blutungen
Battistella et al. (1980) beschreibt diesen Zyklus am Kniegelenk (aus: Ellis W. Jones, als Teufelskreis, den „Circulus vitiosus“ (vgl. 1968)
Abb. 2). Falls bei diesem Teufelskreis nicht therapeutisch interveniert und eine Lösung gefunden wird, bleiben langfristige Schädigungen wie z. B. Deformierungen und sogar der vollständige Funktionsverlust nicht aus (Gilbert, 2000).
Muskuläre und skeletale Funktionsstörungen
Nach Landbeck (1970) treten die primären Blutungen in die Gelenke schon im frühen Kindesalter auf. Ausgelöst durch die Hämorrhagie treten bereits chronische Entzündungen der inneren Schicht der Gelenkkapsel auf. Dies kann bei jungen Menschen zum vorzeitigen Auftreten einer Vergrößerung der Knochenkerne und der Epiphysen führen (Rodriguez-Merchan, 1996). Aufgrund der Steigerung der gelenknahen Durchblutung kann es zu einem asymmetrischen Wachstum kommen. Das bedeutet, dass es zu Differenzen in den Beinlängen sowie zu Fehlstellungen kommen kann. Für das Kniegelenk bedeutet dies, dass Valgusdeformitäten nicht auszuschließen sind. Valgusdeformitäten entstehen bei asymmetrischer Überwucherung der Epiphysen. Weitere Funktionsstörungen können posteriore Subluxationen, Gelenkversteifungen und vollständige Bewegungseinschränkungen sein (Rodriguez-Merchan, 1999).
Die Muskulatur ist von Hämorrhagien weitaus weniger betroffen. Die Prävalenz bei intraartikulären Gelenkblutungen liegt bei 79% im Gegensatz zu den Muskeleinblutungen, die bei ca. 13 % liegt. Zu beachten ist, dass die unteren Extremitäten um ein Vielfaches häufiger betroffen sind. (Hofmann et al., 1982).
Überwiegend betroffen sind der M. quadriceps (44%) und die Wadenmuskulatur (35%). Selten betroffen sind die Muskeln der Tibialias-anterior-Gruppe, die Adduktoren sowie die ischiokrurale Muskeln (Lachiewicz, 2001).
Äußere Einwirkungen, wie z. B. kleine Stöße, sind häufiger die Ursache für Muskelblutungen, seltener verursachen sie Gelenkblutungen. Sie sind Auslöser für Funktionsbehinderungen u.a., welche mit starken Schmerzen verbunden sind.
Folge gehäufter und wiederholter Blutungen in die gleiche Muskulatur kann laut Hofmann et al. (1982) zu Pseudotumoren führen. Sie zählen zu den seltenen Komplikationen der Hämophilie. Bei 1-2% der hämophilen Patienten mit schwerer Verlaufsform entwickeln sich aus den Blutungen nicht mehr abheilende blutgefüllte Zysten, die sich mit der Zeit wie ein Tumor deutlich größenprogredient zeigen können. Diese alten, abgekapselten Hämatome, die von einer dicken fibrösen Kapsel umschlossen sind, müssen dann operativ entfernt werden (Berdel et al., 2009).
Außerdem können Komplikationen wiederholten Blutungen zur Ausbildung eines Kompartmentsyndroms führen, einer Muskelischämie zusammen mit Kontrakturen und neurologischen Beeinträchtigungen (Beeton, 1998).
1.2.2 Kontrakturen
Den größten Einfluss auf die Lebensqualität des hämophilen Patienten haben die Kontrakturen. Sie schränken ihn ein durch Funktionsstörungen und eine verringerte Mobilität (Rodriguez-Merchan, 1999).
Im Endstadium ist der Gelenkknorpel aufgrund der Einblutungen zerstört und die fortgeschrittene Fibrosierung führt zur Kontraktur (Rupp, 2005).
Etwa 50% der hämophilen Patienten mit einer schweren Hämophilie haben Gelenkkontrakturen, maßgeblich im Kniegelenk (Buzzard, 1999).
Das Hauptziel des muskuloskelettalen Systems ist es, den Körper in verschiedenen Positionen und Haltungen (aufrecht, gebeugt etc.) zu stabilisieren und eine Bewegung zu ermöglichen. Schäden an einem dieser Teile des muskuloskeletalen Systems können ein oder mehrere Grundfunktionen einschränken (Abb. 5). Längere Inaktivität und Bettruhe können eine Vielzahl von negativen muskuloskelettalen Effekten begünstigen, wie Muskelatrophie oder degenerative Gelenkerkrankungen und Kontrakturen bei Patienten mit Hämophilie.
Eine Kontrata ist Mural, gdranitach- Abb. 5: Klinisches Bild von hämophilen net, dass nicht der volle Bewegungsraum Patienten mit Spitzfuß - SprunggelenkDeformität und Kontraktur am Kniegelenk (Ribbans & Rees, 1999)
lenk-, Muskel- oder Weichteilbegrenzung (Halor et al., 1990).
Diese Kontrakturen können unterteilt werden in drei Kategorien je nach pathogenetischen Veränderungen in den jeweils vorkommenden anatomischen Bereichen: 1. Gelenk, 2. Muskeln, 3. Bindegewebe.
Der typische Gang eines hämophilen Patienten mit schweren Kontrakturen umfasst Flexionskontrakturen der Hüft- und Knie und der Plantarflexion im Sprunggelenk mit einer erhöhten Lendenwirbellordose (Buzzard, 1999).
Die häufigsten Ursachen der Kontraktur des Kniegelenks sind die Verkürzung der Oberschenkel- und eine Enge des Bindegewebes in der Kniekehle durch wiederholte Hämarthrosen, Gelenkzerstörungen, intramuskuläre Blutungen, lange Immobilität oder der Mangel an Bewegung (Buzzard, 1999).
Gelenkkontrakturen sind in der Regel die Folge von degenerativen Gelenkerkrankungen, die durch wiederholte Hämarthrosen verursacht wurden. Sie können aber auch als Folge einer einzigen Blutung auftreten (Atkins et al., 1987). Young und Hudacek konnten zeigen, dass eine Folge von Hämarthrosen eine akute Synovitis und eine synoviale Hypertrophie verursachen können, welche leicht zu weiteren Blutungen führen kann. Der Schmerz, der mit intraartikulären Blutungen sowie synovialen Ergüssen einhergeht, endet meist unwillkürlich mit der Schienung des Gelenks. Zum Beispiel: Der Patient hält das erkrankte Gelenk in einer Schonstellung mit normaler Dehnung, welche zu Kollagen in der Gelenkkapsel und zum Schrumpfen der Weichteile führen kann. Wiederholte Hämarthrosen können schließlich zu Knorpelschwund, Verengung und einer Reduzierung der Bewegungsspanne führen (Young et al., 1954).
Kontrakturen im Muskel
Kontrakturen in der Muskulatur sind keine Seltenheit bei hämophilen Personen. Sie können spontan oder traumatisch auftreten. Aufgrund der heutigen medizinischen Versorgung und der Prävention, ist es Hämophilen möglich sich im aktiven Sporttreiben zu engagieren. Das Sporttreiben begünstigt jedoch, dass die unteren Extremitäten von Traumata betroffen sein können.
Eine Fibrose der Muskelfaser kann nach intramuskulären Blutungen auftreten und Flexionskontrakturen hervorrufen
Komplikationen der heterotopen Knochenbildung Pseudotumor sind ebenfalls als Folge der direkten Muskeltraumen festgestellt worden. Es wird angenommen, dass Fibrosis eine Folgeerscheinung von ischämischen Veränderungen ist, die sich im Muskel abspielen, der die Kontraktur herbeiführt, das wird Volkmansche ischämische Kontraktur genannt (Buzzard, 1999).
Eine längere Immobilität der Gelenke produziert ein Engegefühl in der Kapsel aufgrund der Verkürzung der Kollagenfasem.
Das Wuchern der Kollagenfasern kann auch zu einer größeren Kapseldichte führen und anschließend eine Reduktion im Bereich der Bewegung des Gelenkes mit sich bringen. Halor konstatiert, dass das Schultergelenk beispielsweise pathologisch in Erscheinung tritt, wie die hintere Kapsel des Kniegelenk (Halor et al., 1990).
1.3 Das Knie
Die Anatomie des Kniegelenks
Die unteren Extremitäten sind beim Menschen funktionell Stütz- und Fortbewegungsorgane (Wirth,C.J. et al., 2005). Das Kniegelenk, auch artikulatio genus genannt, ist das größte Gelenk im menschlichen Körper und zugleich und das mittlere Gelenk der unteren Extremität (Kapandji, 1999). Die knöchernen Gelenkpartner bilden dabei die Articulatio femoropatellaris, die Articulatio femorotibialis und die Verbindung zwischen Tibia und Fibula durch das plane Gelenk, der Articulatio tibiofibularis (Mutschler, 1982).
In der sagitalen Ebene kann es gebeugt und gestreckt werden. Diese beiden Bewegungsmöglichkeiten sind zentraler Bestandteil der Phasen des bipedalen Ganges (Wirth,C.J. et al., 2005). Das Kniegelenk zeichnet sich durch einen Grad der Freiheit aus. Durch das Kniegelenk kann die Distanz zwischen Rumpf und Unterstützungsfläche verändert werden. Des Weiteren wird es durch axiale Druckkräfte beansprucht. Eine zweite axiale Bewegung, in der Transversalebene, wird erzeugt, indem das Knie in gebeugter Stellung eine Längsrotation ausführt.
Einen Überblick über die Muskeln und den Aufbau des Kniegelenks gibt die Abbildung (Abb. 6).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6: Kapsel-Band-Apparat eines rechten Kniegelenks in der Ansicht von ventrallateral (a) und ventral-medial (b). Freigelegt sind Strukturen der vertikalen und horizontalen Zugverspannungen der Patella (Wirth et al., 2005)
Das komplexeste Gelenk (Appell, H.J.; Stand-Voss, C., 2008) erfüllt zwei mechanische konträre Forderungen (Kapandji, 1999):
1. In Streckstellung muss es stabil sein, um der aus der Last des Teilkörpergewichtes und den Band- und Muskelkräften resultierenden Beanspruchung standzuhalten.
2. Ab einem gewissen Beugungsgrad muss es beweglich sein, um dem Fuß bei unebener Fläche optimale Stellung geben zu können.
Das Kniegelenk erfüllt diese Aufgabe mit Hilfe sinnvoll spezialisierter Einrichtungen; allerdings birgt der verringerte Gelenkflächenkontakt, die Voraussetzung für volle Beweglichkeit, Gefahr von Verletzungen und Luxationen:
Das Knie in instabiler Beugestellung ist der Gefahr von Band- und Meniskusverletzungen ausgesetzt, das gestreckte Knie erleidet hingegen eher intraartikuläre Frakturen und Bandrisse.
Muskulatur im Kniegelenk
Die Bewegung der unteren Extremitäten, besonders der Kniegelenke, geschieht maßgeblich über die Kreuzbänder. Die Kreuzbänder sind das zentrale Führungselement der Kniegelenke („Pivot central“). Unterstützend tragen die Seitenbänder, der dorsale Kapsel-Bandapparat und die Menisken zur Bewegung bei.
Neben diesen passiven Stabilisatoren stehen die aktiv stabilisierenden, das Gelenk überbrückenden Muskelgruppen, die für Flexion, Extension und Koordination des Kniegelenks sorgen (Ludolph & Hierholzer, 1980).
Die für die Untersuchung bedeutsamen Muskeln des Kniegelenks sind tabellarisch aufgelistet, geordnet nach Muskel, Ursprung (Origio), Ansatz (Insertio) und Nerven (Nervus).
Tab. 5: Untersuchte Muskeln des Kniegelenkes (Schünke et al., 2005)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1.4 Physiologie und Funktionen im Stand und der graduellen Kniebeuge
Die Stabilisierung und Regelung des Gleichgewichtes im Zustand des Stehen und des Laufens wird beim Menschen über drei Sinneseingänge geregelt. Diese sind das Auge, das Labyrinth und die Körpersensibilität. Nach Jung (1984) werden der stabile Stand und der Gang gesteuert über vestibuläre, optische, Muskel-, Gelenk und hautsensible Sinnesmeldungen.
Die Körperstabilität wird durch die tonische Vorinnervation der Stützmuskulatur in Form eines bewegungsvorbereitenden Innervationsmuster erzielt, sodass bei jedem Bewegungsentwurf eine antizipierende Muskelaktivierung zur Körperstützung der Zielbewegung vorausgeht(Hess, 1965). Nashner (1970)spricht des Weiteren von einem „feed back“, welches dem sich bewegenden Menschen als Kontrollfunktion dient.
Physiologie des aufrechten Standes
Der aufrechte Stand ist ein aktiver Vorgang bei dem nicht nur die tonische Haltemuskulatur kontrahiert. In der Standregulation wird mittels der Muskulatur der Ober- und Unterschenkel und der Hüfte die Balance des Körperschwerpunktes über einer kleinen Standfläche gehalten (Hufschmidt & Mauritz, 1984). Gesunde, nicht-hämophile Menschen nutzen für den normalen Stand nur einen sehr geringen Spielraum. Perry (2003) stellt fest, dass der Körperschwerpunkt 0,6 cm posterior der Hüftgelenksachse und anterior vom Kniegelenk liegt.
Der ruhende Stand, bei dem die Muskulatur nur gering aktiviert wird, stellt für den Menschen eine balancierende Situation dar. Der M. triceps surae verhindert ein Überkippen nach vorn (Gowitzke & Milner, 1988). Soames und Atha vertieften diese Forschung und konnten die Aktivierungsanteile (Prozent der Standzeit) einzelnen Muskeln nachweisen:
M. tibialis anterior, BF, ST, TFL - 15 Prozent; M. soleus, RF - 36 Prozent; M. gastrocnemius - ca. 66 Prozent. Der letzt genannte Muskel ist somit der Indikatormuskel bei der posturalen Kontrolle. Bezogen auf die hämophilen Patienten kann die aufrechte Haltung (selten) trotz einer fixierten Beugekontraktur durch eine übermäßige Dorsalextension im oberen Sprunggelenk erhalten werden (Perry, 2003). Die Folge von Funktionsstörungen des Bewegungssystems ist meist eine spontane erhöhte Muskelaktivität im ruhigen Stand (Vele, 1984), wie es sich bei den Hämophilen (mit Kontrakturen) explizit in der Extensorengruppe des Kniegelenks (Abb. 7) zeigt (Kurz, 2006).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 7: Körperhaltung im aufrechten Stand (aufrechte Position = Körperlot) Links: gesunde, nicht-hämophile Person
Rechts: hämophile Person mit Kontraktur im Kniegelenk (Perry, 2003)
Physiologie der Kniebeuge
Die Kniebeuge ist eine funktionelle, mehrgelenkige Bewegung in einer kinematischen Kette und ist geprägt von einer Roll-Gleitbewegung. Ziel ist es einen möglichst hohen Anteil an Rollbewegung zu vollziehen. Die Anteile hängen von der Belastung und dem Kniebeugewinkel ab (Schumpe, 1984).
Beim Mechanismus des Kniebeugens rollt der Femur auf der Tibiafläche nach hinten und gleich auf der Tibia nach vorn. Die Bewegung besteht aus der Interaktion von Rollen und Gleiten. Der Kontaktpunkt der korrespondierenden Gelenkflächen geht dabei unidirektional nach dorsal. Bei der Verschiebung werden unterschiedliche korrespondierende Gelenkflächen belastet. Der Knorpel wird belastet durch Rollen, beim die Gelenkflächen senkrecht aufeinandertreffen (Seuser et al. 2002, 2003).
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