Soziale Ungerechtigkeit und Herkunftseffekte als Zugangsbeschränkung zur Hochschule


Hausarbeit, 2011

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bildungsexpansion

3. Folgen der Bildungsexpansion/ Reform

4. Raymond Boudon – Primäre und sekundäre Herkunftseffekte beim Hochschulzugang
4.1. Primäre Effekte
4.2. Sekundäre Effekte

5. Pierre Bourdieu – Reproduktionsansatz

6. Warum gibt es so wenige Arbeiterkinder an deutschen Universitäten?
6.1 Frühe Aufteilung in Bildungslaufbahnen
6.2 Berufsausbildung als scheinbar bessere Alternative?

7. Fazit und Ausblick

8. Literaturverzeichnis

„Bildung soll allen zugänglich sein. Man darf keine Standesunterschiede machen.“ Konfuzius

1. Einleitung

Ungleichheiten im Bereich der Bildung sind ein Merkmal, welches in allen modernen Gesellschaften auftritt. Doch gerade in Deutschland sind Chancenungleichheiten beim Bildungszugang besonders groß, was nicht zuletzt die PISA[1] Studien belegen.

Höhere Bildung ist heute noch immer ein Privileg von ohnehin schon privilegierten Sozialschichten (vgl. Becker 2009, S.85).

In dieser Arbeit soll erläutert werden wie es zu solchen Chancenungleichheiten in der Gesellschaft überhaupt kommen kann und wie in der Vergangenheit, mittels Reformen versucht wurde diesen Zustand zu ändern. Anschließend werde ich versuchen zu klären warum es so wenige Arbeiterkinder an deutschen Universitäten gibt und werde einen Ausblick darauf geben, was man tun könnte um diese Situation zu ändern.

2. Bildungsexpansion

„Die Bildungsexpansion bezeichnet das Phänomen, dass von jüngeren Generationen mehr Menschen eine (höhere) Bildung erhalten als deren Eltern.“[2]

In der deutschen Sozialwissenschaft meint der Begriff speziell die Ergebnisse der deutschen Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahre – gestiegene Bildungsbeteiligung, längere Verweildauer im Bildungssystem und die beschleunigte Zunahme höherer Schulabschlüsse (vgl. Becker; Hadjar 2009, S. 195).

In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg kam es in praktisch allen entwickelten Länder zu tiefgreifenden Entwicklungen in der Gesellschaft. Innovationen in wissenschaftlichen und technischen Bereichen hatten immer größeren Einfluss auf das alltägliche Leben und die Arbeitswelt der Bevölkerung. Die Anforderung an höher qualifiziertes Personal stieg stetig. Das Leben wurde, nicht zuletzt durch die zunehmende Globalisierung komplexer. Verstärkt wurde Spezialisierung und Differenzierung im Job nötig. Bildung und Wissen nahmen eine zentrale Bedeutung im Lebenslauf ein.

Mitte der 1960er Jahre wuchs indes die Kritik am deutschen Bildungssystem. Georg Picht, ein deutscher Philosoph, beanstandete die geringe Anpassung des Bildungssektors an die gegenwärtigen Entwicklungen des Arbeits- und Wirtschaftslebens. In seinem Werk „Die deutsche Bildungskatastrophe“ (1964) warnte er davor, dass Bildungsnotstand auch wirtschaftlicher Notstand sei (vgl. Becker 2006, S.27). Picht prophezeite für Deutschland einen unaufholbaren Rückstand auf andere Gesellschaften, wenn das Bildungssystem nicht grundlegend überdacht werden würde. Er forderte höhere Abiturientenzahlen und bessere Lernbedingungen für Schüler und Studenten.

Ein weiterer Kritiker des Bildungswesens war der deutsch-britische Soziologe Ralf Dahrendorf. Sein Ausgangspunkt war allerdings nicht der drohende wirtschaftliche Rückstand, sondern der hohe Grad von Chancenungleichheit beim Zugang zu höherer Bildung. In seinem Buch „Bildung ist Bürgerrecht“ (1965) betonte er, dass Bildung ein entscheidender Faktor bei der Festigung einer demokratischen Gesellschaft sei (vgl. Becker 2006, S.27/28). Dahrendorf war der Meinung, durch die Ausdehnung des sekundären und tertiären Bildungssektors, die sozialen Ungleichheiten bei der Bildungsbeteiligung vollständig abbauen zu können.

Tatsächlich kam es Mitte der 1960er Jahre zu tiefgreifenden Veränderungen im gesamten deutschen Bildungssystem. Alte Schularten wurden grundlegend überdacht und verändert und mit der Einführung neuer Lehrpläne wurden auch die Lehrmethoden reformiert. Die Volksschule, die bisher alle Schüler von der ersten bis zur achten Klasse gemeinsam besuchten, wurde aufgeteilt in Grund- und Hauptschule und ein Schulabschluss konnte nun erst nach Beendigung der neunten Klasse erreicht werden. Später kam dann noch die Realschule hinzu, die man nach der zehnten Klasse mit der „Mittleren Reife“ abschloss. Mit der Einführung des Bundesbildungsförderungsgesetzes im Jahr 1971 wurde auch Schülern und Studenten aus sozial schwächeren Familien höhere Bildung und der Zugang zur Hochschule ermöglicht. Durch die Abschaffung der Studiengebühren und der Öffnung der Hochschulen in den 1970er Jahren sollten zusätzliche Anreize geschaffen werden, nach dem Abitur ein Studium aufzunehmen. Die Fächerzahl mit Numerus Clausus wurde verringert, was aber recht schnell zur Überfüllung der Hochschulen führte.[3]

Ein wichtiges Motiv bei der kompletten Bildungsreform war das Prinzip der Chancengleichheit. Demnach sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es allen Schulkindern, egal welcher Herkunft oder welchen Geschlechts, ermöglichten die gleiche Bildung erlangen zu können. Strukturelle und sozialstrukturelle Eigenschaften des Elternhauses sollten keinen Einfluss mehr auf den Bildungsverlauf der Kinder haben (vgl. Becker 2006, S.28).

3. Folgen der Bildungsexpansion/ Reform

Insgesamt kann man sagen, dass durch die Bildungsreformen der 60er und 70er Jahre institutionelle, ökonomische und geographische Barrieren beim Zugang zu Bildung an Einfluss verloren haben (vgl. Becker 2006, S.28).

So hat sich beispielsweise das Gymnasium von einer Eliteeinrichtung zu einer Schule, die das beste Angebot für eine umfassende Allgemeinbildung bietet entwickelt. Die Ausbildung an einem Gymnasium stellt inzwischen eine wichtige Basisqualifikation für das spätere Leben dar. Die Zahl der Schüler die eine länger dauernde und damit anspruchsvollere Ausbildung in Anspruch nehmen ist seit der Wiedervereinigung in Deutschland stetig gestiegen. In diesem Zusammenhang kam es zu einer Abwendung von Hauptschulen und die „Mittlere Reife“ an der Realschule wurde zum Regelabschluss. Schüler mit gar keinem oder nur einem Hauptschulabschluss sind vergleichsweise seltener geworden. Die Hauptschule ist zunehmend nur noch eine „Restschule“, die von Schülern aus stark benachteiligten Gruppen, wie z.B. aus Migrantenfamilien besucht wird (vgl. Becker; Hadjar 2009, S.206). Somit kann festgestellt werden, dass es innerhalb der niedrigeren Schulbildung zu einer zeitlichen Ausdehnung gekommen ist. Statt wie zu Volksschulzeiten, als die Regelschulzeit noch acht Jahre betrug, besuchen die meisten Schüler heutzutage mindestens zehn Jahre eine Schule (vgl. Maaz 2006, S.38).

Auch einige kulturelle Folgen sind auf die Bildungsreform zurückzuführen. So wurde beispielsweise in verschiedenen Studien festgestellt, dass Kohorten aus der Zeit der Bildungsexpansion politisch interessierter und engagierter sind, als ältere Kohorten. Damit einhergehend gingen insgesamt auch fremdenfeindliche Einstellungen innerhalb der Bevölkerung zurück. Außerdem kam es durch das längere Verbleiben im Bildungssystem zu Verzögerungen von Familienbildungsprozessen. Für viele Menschen stehen Ausbildung und Karriere an erster Stelle in der Lebensplanung. Besonders durch die stark gestiegene Frauenerwerbstätigkeit ging auch die Geburtenrate zurück. Durch diese Entwicklungen wird es für erfolgreiche und karrierebewusste Frauen heute immer wahrscheinlicher kinderlos zu bleiben. Heiratschancen und Scheidungsrisiken sind gegenwärtig stärker an das Bildungsniveau des Partners geknüpft als früher. Gleichzeitig ist auch die Lebenserwartung der Menschen gestiegen, was zum Teil durch eine gesündere Lebensweise zu erklären ist. Gebildete Personen wissen besser wie sie ihr Leben gesund gestalten können und haben durch eine höhere Stellung im Berufsleben mehr Ressourcen zu Verfügung um sich gesund und fit zu halten (vgl. Becker; Hadjar 2009, S.207/208).

Auch soziale Besonderheiten konnten abgeschwächt werden. Besonders geschlechtsspezifische Merkmale wurden abgebaut. Mädchen konnten gegenüber Jungen ihre Defizite in der Bildung größtenteils angleichen (vgl. Becker 2006, S.28).

Dahrendorfs Ziel soziale Ungleichheiten beim Bildungszugang abzubauen konnte allerdings nicht realisiert werden. „Trotz Bildungsexpansion und verbesserter Übergangschancen hat sich für niedrige wie für höhere Sozialschichten weder die soziale Struktur der Zugangschancen zum Gymnasium, noch die soziale Struktur der intergenerationalen Vererbung von Bildungsabschlüssen grundlegend geändert.“ (Becker 2006, S.29)

Trotzdem können durch die Bildungsreform einige Erfolge im Bezug auf soziale Ungleichheiten verbucht werden. Die Zahl der Abiturienten hat sich seit 1960 mehr als versechsfacht, die Studienanfänger- und Absolventenquoten sind hingegen aber nur leicht gestiegen. Der Abbau sozialer Ungleichheiten konnte eher in Schule erreicht werden als im Bereich der Hochschulbildung. Dass heißt, dass sich die Chancenungleichheit vom sekundären in den tertiären Bildungssektor verschoben hat. Ich werde später noch genauer darauf eingehen, warum es zu diesen Entwicklungen kam.

4. Raymond Boudon – Primäre und sekundäre Herkunftseffekte beim Hochschulzugang

In den Sozialwissenschaften ist man sich inzwischen einig, dass es einen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Bildungsbeteiligung gibt. Entscheidend bei der Entstehung dieser Unterschiede sind die verschiedenen Schwellen im Bildungsverlauf, an denen wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Soziale Ungleichheiten spiegeln also den kumulativen Effekt früherer Bildungsentscheidungen wider. Um diesen Effekt erklären zu können bediene ich mich hier den mikrosoziologischen Ansätzen des französischen Soziologen und Philosophen Raymond Boudon. Für die Erklärung von Bildungsungleichheit unterscheidet Boudon zwischen primären und sekundären Effekten der Sozialschichtzugehörigkeit (vgl. Maaz 2006, S.50/51).

[...]


[1] Die PISA-Studien der OECD sind internationale Schulleistungsuntersuchungen, die seit dem Jahr 2000 in dreijährigem Turnus in den meisten Mitgliedstaaten der OECD und einer zunehmenden Anzahl von Partnerstaaten durchgeführt werden und die zum Ziel haben, alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten 15-Jähriger zu messen. (http://de.wikipedia.org/wiki/PISA-Studien Aufruf 1. April 2011)

[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Bildungsexpansion Aufruf 25. März 2011

[3] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Bildungsreform Aufruf 25. März 2011

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Soziale Ungerechtigkeit und Herkunftseffekte als Zugangsbeschränkung zur Hochschule
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Hochschule im Wandel
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
16
Katalognummer
V170128
ISBN (eBook)
9783640887767
ISBN (Buch)
9783640887965
Dateigröße
459 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
soziale, ungerechtigkeit, herkunftseffekte, zugangsbeschränkung, hochschule
Arbeit zitieren
Victoria Bock (Autor:in), 2011, Soziale Ungerechtigkeit und Herkunftseffekte als Zugangsbeschränkung zur Hochschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170128

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