Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Stalking - ein neues Phänomen?
Exkurs: Stalking und Mobbing/Bullying - Abgrenzungsversuche
2 Rechtliche Rahmenbedingungen
3 Prävalenz
4 Typologisierungsversuche
4.1 Stalking-Typologie nach Zona et al. (1993)
4.2 Stalking-Typologie nach Harmon et al. (1995)
4.3 Stalking-Typologie nach Kienlen et al. (1997)
4.4 Stalking-Typologie nach Schwartz-Watts und Morgan (1998)
4.5 Stalking-Typologie nach DeBecker (1997)
4.6 Stalking-Typologie nach Mullen et al. (1999)
4.7 Stalking-Typologie nach Dreßing und Gass (2005)
5 Die Opfer des Stalking: Stalkees
5.1 Wer wird gestalkt - und warum?
5.2 Folgen
6 Präventions- und Interventionsmöglichkeiten
6.1 Präventionsmöglichkeiten: Stalking vermeiden und verhindern
6.2 Interventionsmöglichkeiten: Sich gegen Stalking zur Wehr setzen
Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung: Stalking - ein neues Phänomen?
Der englische Begriff „Stalking“ bzw. „to stalk“ lässt sich in etwa mit den Begriffen „anschleichen“ oder „auf die Pirsch gehen“ übersetzen. Hinter dem Anglizismus verbirgt sich ganz allgemein eine „vom Opfer nicht intendierte exzessive Verfolgung eines Menschen mit andauernder oder wiederholter Belästigung, Bedrohung oder gar Ausübung von Gewalt“ (Fiedler 2006:1). Dabei bezeichnet Stalking keinesfalls ein neues Phänomen. Dreßing (2005) erläutert, dass sich Verhaltensweisen, welche heute unter dem Begriff des Stalking subsumiert werden, bereits in der Antike entdecken ließen. Die Sichtweise und Bewertung dieser Verhaltensweisen habe sich im Lauf der Jahrhunderte erheblich verändert. Erst die Verurteilung und Kriminalisierung der StalkerInnen stelle ein Phänomen unserer Zeit dar (vgl. ebd.). Ohne den Begriff des Stalking zu verwenden, so erläutert Dreßing (2005) des Weiteren, seien ähnliche Verhaltensmuster bereits vor mehr als 100 Jahren in der psychiatrischen Literatur beschrieben worden. Die damals gängige Beschreibung Erotomanie („Liebeswahn“) oder auch Clérambault-Syndrom - benannt nach einem französischem Psychiater, der sich 1927 ausführlich mit dem Phänomen beschäftigte - sei ursprünglich auf Frauen gemünzt gewesen, welche die feste Überzeugung hegten, ein bestimmter Mann sei abgrundtief in sie verliebt (vgl. Fiedler 2006). Im Rahmen dieses Liebeswahns sei es nun möglich gewesen, dass der vermeintliche Liebhaber belästigt, bedroht oder sogar körperlich attackiert wurde (vgl. Dreßing 2005). Bedenkt man nun, dass in Zeiten, in denen die Unterordnung der Frau in einer Beziehung als selbstverständlich galt und eine Trennung von ihrer Seite aus damit undenkbar erschienen wäre, ein Mann seiner Frau nachgestellt und mit allen Mitteln versucht hätte, sie für sich zurück zu gewinnen, so dürfte deutlich werden, wie wichtig soziale Werte und Normen für eine Definition von Stalking sind. In so einem Fall hätte das Verhalten des Mannes schließlich als gesellschaftlich konform gegolten und wäre sicherlich nicht sanktioniert worden.
Es existieren unterschiedlichste Definitionen von Stalking, sowohl im klinisch- wissenschaftlichen als auch im juristischen Kontext. In der vorliegenden Hausarbeit meint Stalking, in Anlehnung an Definitionen von Meloy und Gothard (1995) sowie Pathé und Mullen (1997), die beabsichtigte und wiederholte unerwünschte Kontaktaufnahme, Verfolgung und Belästigung einer anderen Person. Darunter fallen insbesondere:
1. Telefonanrufe,
2. Briefe, Faxe, E-Mails und SMS,
3. das Verfolgen, Auflauern und Herumtreiben in der Nähe des Opfers,
4. die Zusendung von Geschenken oder Durchführung von Bestellungen im Auftrag des Opfers,
5. die Beschädigung von Eigentum und Hausfriedensbruch,
6. Körperverletzung, aggressive Gewalthandlungen und sexuelle Nötigung,
7. sowie die Kontaktaufnahme über Dritte („Stalking by Proxy“).
Die vorliegende Hausarbeit unternimmt den Versuch, das Phänomen Stalking in seinen unterschiedlichen Facetten zu beleuchten und auf diese Weise die Herausforderungen für ein entsprechendes Beratungsangebot darzustellen.
Exkurs: Stalking und Mobbing/Bullying - Abgrenzungsversuche
Der Begriff „Mobbing“ (bzw. im angelsächsischen Raum der Begriff „Bullying“) lässt sich auf das englische Verb „to mob“ (über jemanden lärmend herfallen/ anpöbeln/ angreifen, attackieren) zurückführen (vgl. Drawe/ Oetken 2005). Von Mobbing könne dann gesprochen werden, wenn MitarbeiterInnen oder Vorgesetze („bossing“) innerhalb einer gewissen Grauzone zwischen erlaubten und verbotenen Handlungen feindselig gegen Einzelne oder bestimmte Personengruppen handelten. Im Unterschied zu einem Streit, in welchem, unabhängig von seiner Heftigkeit, gewisse Verfahrensregeln eingehalten würden, sodass die soziale Beziehung und die Integrität des Streitpartners nicht (zwangsläufig) in Frage gestellt würden, stehe in einem Mobbing-Konflikt die Auseinandersetzung mit der strittigen Person im Vordergrund. Die meist über einen längeren Zeitraum stattfindenden böswilligen und zermürbenden Angriffe seien für die Mobbing-Betroffenen nur schwer oder gar nicht zu beweisen. In Folge des hohen Stresses könnten bei ihnen u.a. psychosomatische Störungen wie z.B. Schlaflosigkeit, Magen- und Darmprobleme, Kopfschmerzen u-ä. auftreten. Weitere Merkmale seien das Gefühl der existenziellen Bedrohung bei gleichzeitiger Hilflosigkeit (vgl. ebd.).
Fiedler (2006) erläutert, zwischen Mobbing/Bullying und Stalking ließen sich vielfältige Überlappungen feststellen. Auch Drawe und Oetken (2005) stimmen dieser Aussage zu, da es sich bei beiden Phänomenen um schädigende Handlungen handle, welche Beunruhigung, Angst, Sorge oder Panik bei den Opfern hervorrufen könnten. Jedoch unterschieden sich sowohl die Bereiche, in denen der jeweilige Tatbestand stattfände (Arbeitsplatz vs. Privatbereich), als auch die Motivation der jeweiligen TäterInnen. Während Opfer von Mobbingattacken die Möglichkeit hätten, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, könne beispielsweise ein Wohnortwechsel den Opfern von Stalking nur bedingt helfen, da die meisten StalkerInnen ihre Opfer hartnäckig verfolgen. Zudem begrenze sich Stalking nur auf eine Person wohingegen Mobbing/Bullying sich durchaus gegen eine ganze Personengruppe richten könne. Auch hinsichtlich der körperlichen Gewalt oder gar der Tötung eines Opfers bestünden Unterschiede, da diese beim Mobbing weniger als beim Stalking zu beachten seien. - Gemeinsamkeiten wiesen hingegen beide Phänomene darin auf, dass sich sowohl jeder Mobbing- als auch jeder Stalking-Prozess sehr facettenreich darstellen lasse und jeweils eine eigene Dynamik entwickle (vgl. ebd.). Im Vergleich zeigt sich somit, dass zwar einige Parallelen zwischen den beiden Tatbeständen bestehen, es sich jedoch keinesfalls um das gleiche Phänomen handelt. Daher muss auch das Vorgehen von Polizei und BeraterInnen im pädagogischen Kontext dementsprechend unterschiedliche sein.
2 Rechtliche Rahmenbedingungen
Ganz allgemein lasse sich Stalking definieren als ein Muster schikanöser und als bedrohlich erlebter Verhaltensweisen, die sich grob in zwei unterschiedliche Kategorien einbinden ließen:
„[1] Stalking als zwanghaftes Belästigen und Bedrohen von bekannten Personen, zu denen nur kurze Zeit oder auch bereits länger freundschaftliche oder intime Beziehungen bestanden oder bestehen, zumeist beobachtbar in der Folge des Versuchs eines der Beteiligten, die bestehende Beziehung aufzulösen bzw. zu beenden.
[2] Stalking als zwanghaftes Verfolgen, Belästigen und Bedrohen von Personen, von prominenten und ‚entfernten Liebesobjekten’, zu denen bisher keine persönlichen Beziehungen bestanden.“
(Fiedler 2006:15)
Beide Phänomene, so Fiedler (2006) des Weiteren, konkurrierten miteinander, hätten aber die Entwicklung so genannter Anti-Stalking-Gesetze motiviert und beschleunigt. Bei der Ausarbeitung von Gesetzen werde dabei häufig zwischen „leichtem Stalking oder Belästigen“ und „schwerem oder gewalttätigem Stalking“1 unterschieden, was auch Niederschlag in der Definition der einzelnen Straftatbestände in unterschiedlichen Ländern gefunden habe.
In der BRD wurde am 29.11.2006, so erläutern Weiß und Winterer (2008), durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages der Entwurf für einen neuen § 238 StGB („Nachstellung“) vorgestellt, der am 30.11.2006 vom Bundestag als Gesetz verabschiedet wurde und am 31.03.2007 in Kraft getreten ist. Damit sei Realität geworden, was das Land Hessen mit seinem ersten Gesetzesantrag vom 05. Juli 2004 zu erreichen suchte und was seither lebhaft und auch kontrovers diskutiert worden sei. Baden-Württemberg habe hierzu durch die gemeinsame Initiative mit Hessen im Februar 2006 maßgeblich beigetragen (vgl. ebd.). Der seit 2007 geltende Paragraph lautet im Einzelnen:
„(1) Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich
1. seine räumliche Nähe aufsucht,
2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,
3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen,
4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht oder
5. eine andere vergleichbare Handlung vornimmt
und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
[…]“
(vgl §238 StGB)
3 Prävalenz: Häufigkeit und Ausmaß
Fiedler (2006) erläutert, zwar existiere eine Vielzahl von Repräsentativerhebungen, in denen nach der Häufigkeit und dem Ausmaß von Stalking geforscht werde, allerdings ließen sich die gewonnenen Daten nur unter Schwierigkeiten vergleichen, da die ermittelten Prävalenzen sich in ihrer zu Grunde liegenden Definition unterscheiden würden. Die Untersuchungen ließen sich, so Fiedler (2006) des Weiteren, in enge und weite Definitionen distinguieren. Enge Definitionen setzten eine deutliche Bedrohung und Einschüchterung des Opfers voraus - die Häufigkeitsangaben bezögen sich darauf, ob die verfolgte Person eindeutig Gefühle der Angst bis Panik erlebt habe. Bei eher weit gefassten Definitionen hingegen, könnten wiederholte Versuche des Stalkers/der Stalkerin auf unterschiedlichste Art Kontakt mit dem Opfer aufzunehmen, obwohl das Opfer solche Kontakte unter keinen Umständen wünscht, als bindendes Kriterium angesehen werden (vgl. ebd.). So ergibt sich, dass sich bei eher weit gefassten Definitionen eine deutlich erhöhte Prävalenzrate im Vergleich zu eher eng gefassten Definitionen feststellen lässt.
Trotz der teilweise recht unterschiedlichen Definitionen von Stalking, so Dreßing (2005), müsse von hohen Lebenszeitprävalenzen ausgegangen werden. Unter Berücksichtigung aller epidemiologischer Studien sei davon auszugehen, dass ungefähr 12-16% der Frauen und etwa 4-7% der Männer einmal in ihrem Leben Opfer eines Stalkers/einer Stalkerin würden (Sheridan et al. 2003, zit. Nach Dreßing 2005). In der ersten deutschen Studie zur Häufigkeit von Stalking in der Bevölkerung, so Dreßing (2005) weiter, seien 2000 nach repräsentativen Kriterien aus der Einwohnermeldedatei der Stadt Mannheim ausgewählten Personen postalisch befragt worden. Dabei hätten 11,6% der Befragten angegeben, einmal in ihrem Leben bereits Opfer eines Stalkers/einer Stalkerin gewesen zu sein - wobei die hier zu Grunde liegende Definition eine Handlung dann als Stalking definiert, wenn mindestens zwei unterschiedliche unerwünschte Kontaktaufnahmen für eine Dauer von mindestens 14 Tagen aufgetreten sind. Unter den genannten Stalking-Opfern befanden sich 87,2% Frauen und 12,8% Männer.
Hinsichtlich der Gefährlichkeit bzw. dem Gewaltrisiko von Stalking berichtet Fiedler (2006), dass Bedrohungen in unterschiedlichster Weise erfolgen könnten und beispielsweise zum Ergebnis hätten, dass Eigentum beschädigt oder entwendet - oder aber das Opfer angegriffen oder getötet werde. Die ausgesprochenen Drohungen könnten aber auch
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 01: Stalking und Gewalt (Dreßing et al. 2005, zit. nach Dreßing 2005)
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1 Mit den jeweils einzelnen Aspekten Nachzulesen unter Fiedler 2006:15