Der Auftrag der Judenmission im Matthäusevangelium?

Mt 28,16-20 und der Missionsbefehl


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

26 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einleitende Hintergrundinformationen
2.1 Das Matthäusevangelium
2.2 Umwelt des Matthäus
2.3 Einordnung von Mt 28,16-20 in den Kontext des Evangeliums

3. Analyse der Bibelstelle
3.1 Erzählerische Einleitung (Mt 28,16-18a)
3.2 Manifest des Auferweckten (Mt 28,18b-20)
3.2.1 Das Vollmachtswort (Mt 28,18b)
3.2.2 Der Sendungsauftrag (Mt 28,19.20a)
3.2.3 Die Verheißung (Mt 28,20b)

4. Bedeutung
4.1 Hinweise im Matthäusevangelium auf die Weltvölkermission
4.2 Auslegungsmöglichkeiten
4.2.1 Die inklusive Deutung
4.2.2 Die exklusive Deutung
4.3 Wirkungsgeschichte

5. Überblick Judenmission
5.1 Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg
5.2 Das Zweite Vatikanische Konzil
5.3 Aktuelle Diskussionsfelder

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] (Mt 28,19; BGT). Dieser Satz ist der Missionsbefehl des auferweckten Jesus an seine Jünger am Ende des Matthäusevangeliums. Die Einheitsübersetzung übersetzt dies mit „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19). Ohne Hintergrundkenntnisse und ohne andere Übersetzungen wäre der Satz eindeutig: Uneingeschränkt alle Völker sollen durch die Jünger Jesu missioniert werden. Allerdings gibt es diverse andere Übersetzungen und ta.eqnh wird mehrfach, selbst in der Einheitsübersetzung, mit Heiden1 übersetzt. Dementsprechend würde Israel aus diesem Missionsbefehl herausfallen. Allerdings stellt sich dann wiederum die Frage, ob damit Israel vom Heil gänzlich ausgeschlossen ist oder ob es andere Lösungsmöglichkeiten dieser abschließenden Stelle im Evangelium nach Matthäus gibt?

Die römisch-katholische Kirche hat ihre Missionspolitik in Bezug auf die Juden ab dem 19. Jahrhundert mit dieser Bibelstelle begründet2 und dann später im vergangenen Jahrhundert ihre Haltung überarbeitet und in der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils Nostra Aetate3 unter Punkt 4 festgehalten. In dieser Arbeit werde ich versuchen, die Auslegungsmöglichkeiten der Bibelstelle Mt 28,16-20 aufzuzeigen und diese bewerten. Dabei ist in der Hauptseminarsitzung zur Thematik am 14.01.2010 klar geworden, dass es schwierig ist, eine eindeutige Lösung zu finden, die gegen jedes Argument gewappnet ist. Dennoch sollte ein Theologiestudent sich eine eigene Meinung in dieser Missionsfrage herausarbeiten, um nicht leichtfertig der Übersetzung in der Einheitsübersetzung zu verfallen. Zu Beginn beschreibe ich die Rahmendaten des Matthäusevangeliums, um einen Überblick darzustellen, in dem die Bibelstelle zu verstehen ist. Danach analysiere ich die Bibelstelle Mt 28,16-20, um sie im Folgenden zu bewerten und verschiedene Lösungsansätze zu skizzieren. Abschließend gehe ich auf einige historische Entscheidungen der römisch-katholischen Kirche ein, um die Brisanz dieses Evangeliumsabschlusses in der Geschichte auch als mahnendes Wort zu verdeutlichen.

2. Einleitende Hintergrundinformationen

Die Auslegung einer Bibelstelle erfordert die Kenntnis vieler Hintergrundinformationen. Daher werde ich im folgenden Kapitel wichtige und grundlegende Erkenntnisse über das Matthäusevangelium darstellen.

2.1 Das Matthäusevangelium

In der Wissenschaft wird davon ausgegangen, dass das Matthäusevangelium zwischen 80-90 n. Chr4 im syrischen Raum, wahrscheinlich in Antiochien, geschrieben wurde.5

Der Autor erhielt seine Informationen aus dem Markusevangelium, der Logienquelle sowie eigenem Sondergut.6 Die Kenntnis des Evangeliums nach Markus scheint einer der wichtigsten Abfassungsgründe gewesen zu sein, da der Verfasser des Matthäusevangeliums Material und Inhalte im Markusevangelium vermisste, welche ihm aber aus anderen Quellen vorlagen.7 Neben dieser formalen Perspektive wollte der Autor andere und für seine Situation wichtige Schwerpunkte verdeutlichen: Was bedeutet Jesus Christus für die Anhänger der matthäischen Gemeinde? Wie ist das Verhältnis der Gemeinde zum Judentum? Wie soll die Kirche nach Jesu aussehen?8 Für die zu untersuchende Bibelstelle ist die Herkunft des Verfassers von großer Bedeutung. In der Forschung ist man mehrheitlich der Meinung, dass Matthäus Judenchrist war.9 Dem gegenüber steht die Möglichkeit, dass er Heidenchrist gewesen sein könnte. Für letzteres spricht beispielsweise seine mangelnde Kenntnis über das Judentum10 und seine eigene Distanzierung zu Synagogen11.

In Mt 5,17-20 allerdings bezeugt der Verfasser, dass das geltende Gesetz nicht abgelöst wird; es bleibt also bestehen und damit ist klar, dass nichts vollends Neues geschaffen werden soll. Die Grundlage des Judentums und das Gesetz bleiben also bestehen. Im Matthäusevangelium vermisst der heutige Leser an einigen Stellen die Erklärung jüdischer Bräuche wie der Händewaschung in Mt 15,2. Nach BROER muss dies aber nicht auf die eigene Unkenntnis des Autors deuten, sondern vielmehr auf die allgemeine Kenntnis dieses Brauches in der matthäischen Gemeinde.12 Dies wiederum würde die These erhärten, dass der Autor und seine Umwelt jüdisch geprägt waren.

2.2 Umwelt des Matthäus

Neben den oben dargestellten Eckdaten der Verfasserfrage, dem Abfassungsort und der Abfassungszeit gilt es nun das Umfeld des Autors bzw. seiner Gemeinde und mit Hinblick auf Mt 28,16-20 das Verhältnis dieser zum Judentum zu ermitteln und darzustellen.

Nach FENEBERG gab es keinen Bruch zwischen der matthäischen und der Synagogengemeinde.13 Vielmehr lebten beide Seiten nach der Tora und trotz einiger Meinungsverschiedenheiten war das Gesetz Grundlage ihres Glaubens. Die matthäische Gemeinde war dem evangelischen Theologen HUMMEL zufolge gegenüber dem Judentum sogar eher in einer Verteidigungsrolle. Im Matthäusevangelium finden wir in Mt 5,17-19 eine ausdrückliche Erklärung, dass das Gesetz nicht verändert werden darf und eine eindeutige Gesetzestreue gefordert wurde:

17 Meint nicht, daß ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.18 Denn wahrlich, ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist.19 Wer nun eins dieser geringsten Gebote auflöst und so die Menschen lehrt, wird der Geringste heißen im Reich der Himmel; wer sie aber tut und lehrt, dieser wird groß heißen im Reich der Himmel. (Mt 5,17-19; ELB)

Allerdings sind die Differenzen und Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Autor des Matthäusevangeliums und dem Judentum unübersehbar, denn er versucht das Verhältnis zwischen der Jesusbewegung und dem Judentum klarzustellen. BROER sieht die Trennung der Gemeinden, im Gegensatz zu FENEBERG als gegeben an und sieht das „Evangelium auch als Teil […] innergemeindliche[r][…] Auseinandersetzung und Stabilisierungsarbeit“15. Dadurch wird klar, dass es in der matthäischen Gemeinde eine Diskussion über die Art und Weise der Gefolgschaft Jesu und der gleichzeitigen Zugehörigkeit zum Judentum gab. Hinzu kommt, dass die Heidenmission innerhalb der Gemeinde eine wichtige Thematik war, sodass verschiedene Gruppierungen gemeinsam zusammen lebten. Ihre grundlegende Struktur basiert auf einer judenchristlichen Gemeinde.16

Wie die Meinungen von FENEBERG und BROER andeuten, steht die matthäische Gemeinde an einem Wendepunkt: „Nach dem Jüdischen Krieg, der als Gericht Gottes für Israel gedeutet wird […], muss sich die Gemeinde in der heidnischen Umgebung in Syrien neu orientieren und mit ihrem Ursprung, der im Judentum liegt, auseinandersetzen.“17 Es mussten viele Entscheidungen in der Gemeinde getroffen werden und die Abgrenzung zum Judentum und die Option der Heidenmission bestimmten die Diskussion. Der Autor des Matthäusevangeliums war bemüht, durch sein Schriftwerk die Auseinandersetzung zu führen und seine verunsicherte Gemeinde zu stabilisieren.

2.3 Einordnung von Mt 28,16-20 in den Kontext des Evangeliums

Die Gliederung des Matthäusevangeliums ist nur schwer zu vollziehen. Es gibt keine innertextlichen Merkmale einer Strukturierung, sodass viele Wissenschaftler je eigene Absätze vorgenommen haben. BROER versucht die Gliederung anhand von formalen und inhaltlichen Merkmalen darzustellen:18

Er unterteilt das Evangelium nach Matthäus in sieben Abschnitte, beginnend mit einem Prolog (Mt 1,1-4,22), in dem die Kindheitsgeschichte sowie der Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu berichtet werden. Der zweite Teil (Mt 4,23-9,38) ist gekennzeichnet durch die Bergpredigt und die Wundertaten Jesu. Die Auseinandersetzung Jesu mit einzelnen jüdischen Gruppen folgt im dritten Teil (Mt 10,1-13,53). Daran anschließend folgen in Mt 13,54-16,12 weitere Streitgespräche sowie weitere Wunderberichte. Unter der Überschrift „Der Messias und die Bedingungen der Nachfolge“19 fasst BROER Mt 16,13-23,39 zusammen. Den Abschluss des Evangeliums bilden die eschatologische Rede (Mt 24,1-25,46) sowie die Berichte über Passion, Kreuz und Auferstehung Jesu (Mt 26,1-28,20).

Die in dieser Arbeit zu untersuchende Bibelstelle Mt 28,16-20 ist demnach der Abschluss des Matthäusevangeliums und die dort beschriebenen Ereignisse finden nach dem Tod des Judas und der Auferweckung Jesu statt. Für LUZ bildet das Jesuswort in den letzten Versen des Evangeliums den „Höhepunkt der mt Ostergeschichte.“ Darüber hinaus finden sich hier alle theologischen Grundanliegen des Matthäusevangeliums noch einmal gebündelt wieder, sodass beim zeitgenössischen Leser diverse Assoziationen hervorgerufen wurden.21 Hierauf werde ich im folgenden Kapitel näher eingehen.

3. Analyse der Bibelstelle

Das Ende des Matthäusevangeliums bietet dem Leser im Vergleich zu den Erscheinungsgeschichten der anderen Evangelien eine „Zusammenfassung der Osterbotschaft und eine Art Summarium“22. Im eigentlichen Sinne handelt es sich hierbei allerdings wohl eher nicht um eine Erscheinungsgeschichte, da die Umstände des Erscheinens des Auferweckten nicht näher beschrieben werden.23 Zudem fehlen die sonst typischen Elemente des Erschreckens, Freuens und Wiedererkennens. LUZ kommt bei seinen Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass die Gattung dieser Schlussperikope als ein Unikat zu bezeichnen ist, die zwar ihren Ursprung in der biblischen Tradition hat, aber offensichtlich von Matthäus selbst geschaffen worden ist und seine Kompositionstechnik hervorhebt.24 Dementsprechend ergibt sich auch, dass sich die Bedeutung der Bibelstelle einzig und alleine aus der Gesamtlektüre des Matthäusevangeliums und den sich daraus ergebenden Assoziationen mit bestimmten Bibelstellen ergibt. Dies ist auch der Grund dafür, warum ich die einleitenden Hintergrundinformationen und die Analyse der Bibelstelle relativ ausführlich thematisiere.

[...]


1 Vgl. Mt 6,32 in der Einheitsübersetzung. Im Gemoll wird „ta.eqnh“ explizit im Neuen Testament mit „Heiden“ übersetzt, W. GEMOLL/K. VRETSKA, Gemoll. Griechisch-deutsches Schul-und Handwörterbuch, München/Düsseldorf/Stuttgart 102006, 254.

2 Vgl. U. LUZ, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 26-28), Düsseldorf/Zürich/Neukirchen-Vluyn 2002 (EKK; 1,4), 445f.

3 Nostra Aetate, 355-359, in: K. RAHNER/H. VORGRIMLER, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg im Breisgau 342007.

5 Vgl. ebd., 114.

6 Vgl. ebd., 100.

7 Vgl. ebd., 102.

8 Vgl. ebd., 116.

9 Vgl. R. FENEBERG, Die Erwählung Israels und die Gemeinde Jesu Christi. Biographie und Theologie Jesu im Matthäusevangelium, Freiburg im Breisgau 2009 (Herders Biblische Studien; 58), 42.

10 BROER führt hier Mt 22,23 an, wo „nicht alle Sadduzäer, wie es richtig wäre, sondern nur einige von ihnen die Auferstehung der Toten leugnen“, I. BROER, Einleitung, 105.

11 In Mt 4,23 spricht der Verfasses des Matthäusevangeliums beispielsweise von ihren Synagogen und stellt klar, dass es nicht die Synagogen seiner Gemeinde sind.

12 Vgl. I. BROER, Einleitung, 106.

13 Vgl. hierzu und zum Folgenden: R. FENEBERG, Die Erwählung Israels, 55; anders: I. BOER, Einleitung, 102.

14 Vgl. R. HUMMEL, Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium, München 1963 (Beiträge zur evangelischen Theologie; 33), 55.

15 I. BROER, Einleitung, 103. Allerdings wird die Trennung nicht im Evangelium selbst genannt.

16 Vgl. D. PAUL, „Untypische“ Texte im Matthäusevangelium? Studien zu Charakter, Funktion und Bedeutung einer Textgruppe des matthäischen Sonderguts, Münster 2005 (NTA; 50), 310.

17 Ebd., 311.

18 Vgl. hierzu und zum Folgenden: I. BROER, Einleitung, 101.

19 Ebd.

20 U. LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, 429f.

21 Ebd., 436.

22 A. VÖGTLE, Das Ostergeheimnis. Schlüssel zur Botschaft des Matthäus, Neuausgabe, Freiburg im Breisgau 1992, 13.

23 Vgl. hierzu und zum Folgenden: G. BORNKAMM, Studien zum Matthäus-Evangelium, NeukirchenVluyn 2009 (WMANT; 125), 96.

24 Vgl. U. LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, 431; 436.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Der Auftrag der Judenmission im Matthäusevangelium?
Untertitel
Mt 28,16-20 und der Missionsbefehl
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Katholische Theologie)
Veranstaltung
Das Judentum aus biblischer Perspektive
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
26
Katalognummer
V170394
ISBN (eBook)
9783640891993
ISBN (Buch)
9783640892105
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kirche, Judentum, Mission, Judenmission, Matthäusevangelium, Mt, Loewenich, Missionsbefehl, 28, 16-20
Arbeit zitieren
Arne Loewenich (Autor:in), 2011, Der Auftrag der Judenmission im Matthäusevangelium?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170394

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