Der „Blaue Engel“ gehört bekanntermaßen zu den ersten Tonfilmen, die die Anforderungen an einen unterhaltsamen Spielfilm erfüllten und damit den Durchbruch für den Tonfilm brachten. Darüber hinaus gelingt dem Komponisten der Filmmusik des „Blauen Engels“, Friedrich Hollaender, erstmalig die Etablierung der Musik als sinngebendes, also dramaturgisch wichtiges Element des Tonfilmes. Durch seine Liedkompositionen wird die Figur der Künstlerin Lola (Marlene Dietrich) genau charakterisiert und die Beziehung zur zweiten Hauptfigur Professor Rat (Emil Jannings) beschrieben und kommentiert.
Friedrich Hollaender vermochte durch seine Arbeit nicht nur zur Qualität des Filmes und seines anhaltenden Erfolges beizutragen, er schaffte es auch erstmalig, dass seine Filmsongs unabhängig vom Film als Schlager bekannt wurden. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Film – Filmsongs – Hauptdarsteller(in) sind auch heute ein Schlüssel zum Erfolg eines Filmes. So konnte Friedrich Hollaender wesentlich zur Etablierung Marlene Dietrichs als gefeierter Filmstar und Sängerin beitragen. Durch die Inszenierung ihrer Person, die auch mit Hilfe der Musik erfolgt, legt der Regisseur Josef von Sternberg, mit Hilfe Friedrich Hollaenders, den Grundstein für die Karriere der bis dahin unbekannten Schauspielerin Marlene Dietrich.
In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, diese Behauptungen zu belegen und damit die Bedeutung des Filmes „Der Blaue Engel“ - insbesondere der Filmmusik - für den Durchbruch des Tonfilmes darzustellen. Die Filmmusik in den Mittelpunkt zu stellen bedeutet aber auch auf andere Aspekte der Verfilmung nicht eingehen zu können:
Der „Blaue Engel“ war zum Zeitpunkt seines Erscheinens ein Politikum. Er löste kontroverse Diskussionen besonders in Bezug auf die Frage der Adaption einer Romanvorlage aus. Die spezielle und selektierte Verwendung eines Romans unter filmischen Gesichtspunkten erschien vielen Kritikern sowohl rechter als auch linker Parteigesinnung fragwürdig. Dementsprechend groß ist auch die Literatur, die sich bis heute mit der historischen Rezeptionsforschung beschäftigt: Siegfried Krakauer: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films; Helmut Korte: Der Spielfilm und das Ende der Weimarer Republik. [..]
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1. AUFBRUCH IN EINEN NEUE ZEIT: DIE ERSTEN TONFILME
1.1. DER TONFILM
1.2. ENTWICKLUNG DER FILMMUSIK
2. MUSIK ALS TEIL DES GANZEN: EINORDNUNG DER FILMMUSIK IN DIE GESAMTDRAMATURGIE DES „BLAUEN ENGELS“
2.1. PRODUKTIONSGESCHICHTE
2.2. FUNKTIONSZUWEISUNG DURCH DEN REGISSEUR
2.3. ZUM KOMPONISTEN FRIEDRICH HOLLAENDER
3. DIE BEDEUTUNG DER MUSIK FÜR DEN ERFOLG DES TONFILMS „DER BLAUE ENGEL“
3.1. EINE GESCHICHTE WIRD ÜBER MUSIK ERZÄHLT
3.2. UNTERSUCHUNG DER FILMMUSIK AM BEISPIEL DES LIEDES „ICH BIN VON KOPF BIS FUß
AUF LIEBE EINGESTELLT“
RESUMÉE
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
EINLEITUNG
Der „Blaue Engel“ gehört bekanntermaßen zu den ersten Tonfilmen, die die Anforderungen an einen unterhaltsamen Spielfilm erfüllten und damit den Durchbruch für den Tonfilm brachten. Darüber hinaus gelingt dem Komponisten der Filmmusik des „Blauen Engels“, Friedrich Hollaender, erstmalig die Etablierung der Musik als sinngebendes, also dramaturgisch wichtiges Element des Tonfilmes. Durch seine Liedkompositionen wird die Figur der Künstlerin Lola (Marlene Dietrich) genau charakterisiert und die Beziehung zur zweiten Hauptfigur Professor Rat (Emil Jannings) beschrieben und kommentiert.
Friedrich Hollaender vermochte durch seine Arbeit nicht nur zur Qualität des Filmes und seines anhaltenden Erfolges beizutragen, er schaffte es auch erstmalig, dass seine Filmsongs unabhängig vom Film als Schlager bekannt wurden. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Film - Filmsongs - Hauptdarsteller(in) sind auch heute ein Schlüssel zum Erfolg eines Filmes. So konnte Friedrich Hollaender wesentlich zur Etablierung Marlene Dietrichs als gefeierter Filmstar und Sängerin beitragen. Durch die Inszenierung ihrer Person, die auch mit Hilfe der Musik erfolgt, legt der Regisseur Josef von Sternberg, mit Hilfe Friedrich Hollaenders, den Grundstein für die Karriere der bis dahin unbekannten Schauspielerin Marlene Dietrich.
In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, diese Behauptungen zu belegen und damit die Bedeutung des Filmes „Der Blaue Engel“ - insbesondere der Filmmusik - für den Durchbruch des Tonfilmes darzustellen.
Die Filmmusik in den Mittelpunkt zu stellen bedeutet aber auch auf andere Aspekte der Verfilmung nicht eingehen zu können:
Der „Blaue Engel“ war zum Zeitpunkt seines Erscheinens ein Politikum. Er löste kontroverse Diskussionen besonders in Bezug auf die Frage der Adaption einer Romanvorlage aus. Die spezielle und selektierte Verwendung eines Romans unter filmischen Gesichtspunkten erschien vielen Kritikern sowohl rechter als auch linker Parteigesinnung fragwürdig. Dementsprechend groß ist auch die Literatur, die sich bis heute mit der historischen Rezeptionsforschung beschäftigt: Siegfried Krakauer: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films; Helmut Korte: Der Spielfilm und das Ende der Weimarer Republik. Ein rezeptionshistorischer Versuch; Werner Sudendorf: Marlene
Dietrich. Dokumente, Essays, Filme. Teil 1; Luise Dirscherl/ Gunther Nickel (Hrg.): Der Blaue Engel. Die Drehbuch-Entwürfe; Thomas Epple: Heinrich Mann, Professor Unrat: Interpretation.1
Zwar wird auch die Musik in fast jeder Veröffentlichung erwähnt, es gibt allerdings wenige, die sich diesem Thema eingehender widmen. Dementsprechend möchte ich versuchen auch die unzähligen verstreuten Informationen zur Filmmusik des „Blauen Engels“, so weit als möglich, in einen zusammenhängenden Kontext zu stellen.
1. AUFBRUCH IN EINEN NEUE ZEIT: DIE ERSTEN TONFILME
Will man die Musik des Films „Der Blaue Engel“ zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung machen, so gehört, im Hinblick auf die Thematik dieser Arbeit, neben der filmimmanenten Analyse auch eine kurze Abhandlung zur Geschichte des Tonfilms und der Filmmusik dazu.
Mit seiner Welt-Premiere am 1. April 1930 im Berliner Ufa-Palast (die Dreharbeiten waren bereits Ende Januar beendet) gehört der „Blaue Engel“ zu den ersten Tonfilmen überhaupt, die komplett vertont wurden (durch Sprache, Geräusche und Musik). Er war damit ein „all-talkie“2 in Spielfilmlänge und konnte so seinen Beitrag zum Durchbruch des Tonfilms als „Publikums-Magnet“ leisten. Die Musik Friedrich Hollaenders, seine Lieder für die Künstlerin Lola, wurde ein Welterfolg und zeigen, wie wichtig die Filmmusik schon damals für den Erfolg eines Films war (siehe dazu Kapitel 1.2.).
Die nun folgenden Abschnitte zur Geschichte des Tonfilms und der Filmmusik erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie dienen als Einstimmung und bieten das nötige Hintergrundwissen für die spätere Analyse der Filmmusik des „Blauen Engels“.
1.1. Der Tonfilm
„Das Medium Tonfilm setzt die Erfindung und synchrone Verbindung zweier technischer Systeme voraus: einer Konstruktion zur Aufnahme, Konservierung und Wiedergabe von Tönen und Sprache sowie einer Apparatur zur photographischen Aufnahme, Speicherung und Wiedergabe von Bewegung.“3
Mit dieser Voraussetzung lässt sich der Beginn des Tonfilms auf das Ende des 19. Jahrhunderts datieren. Allerdings blieben diese ersten Tonbilder technische Experimente. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts versuchte man deshalb intensiv in Europa und den USA technisch befriedigende Lösungen für den Tonfilm zu finden. Mit Beginn des ersten Weltkrieges ruhte das Interesse am Tonfilm bis in die Mitte der zwanziger Jahre. Dann allerdings schaffte der Tonfilm den endgültigen Durchbruch innerhalb weniger Jahre.
Nach seiner „Wiederentdeckung“ in den zwanziger Jahren musste sich der Tonfilm zuerst gegen Vorbehalte von allen Seiten verteidigen. Der Erfolg des Stummfilms war zu dieser Zeit auf seinem Höhepunkt und so waren zuerst die wenigsten Produktionsgesellschaften gewillt, sich auf ein neues, kostspieliges Abenteuer einzulassen. Auch Regisseure, Schauspieler und Kritiker standen dem Tonfilm teilweise ablehnend gegenüber: sie befürchteten einen negativen Einfluss auf die Ästhetik der Filme, die unter den noch wenig erprobten Tonfilmtechniken leiden müssten. Allgemein sah man die Internationalität des Filmes gefährdet, da die Sprachbarriere den Wirkungskreis und die Einnahmemöglichkeiten für die Produktionsgesellschaften und insbesondere für die Schauspieler beschränken könnte.
Dessen ungeachtet boten sich in der Mitte der zwanziger Jahre mehrere Tonfilmtechniken an, die nur darauf warteten von finanzkräftigen Produktionsfirmen unterstützt zu werden. Neben der Finanzierung war die Orientierung auf die Zielgruppe - das zahlungskräftige Bürgertum - das zweite Problem. Solange der Tonfilm nur als Demonstration der Machbarkeit aus einem Sammelsurium an Geräuschen bestand blieb das Interesse des Publikums auf gelegentliche Besuche der Probevorführungen beschränkt. Es galt nun, über Sprache, Musik und Bilder eine Geschichte als Filmhandlung zu transportieren, die den Ansprüchen des Bürgertums genügen konnte.
Die Situation in der Filmbranche um 1925 war von der Vormachtstellung amerikanischer Produktionsfirmen geprägt.4 Auch in Deutschland schien sich die Situation ähnlich zu entwickeln, als die in die Finanznöte geratene Ufa5 1925 einen Vertrag mit der Paramount und der Metro-Goldwyn-Mayer abschloss.6 Gegen einen Sofortkredit verpflichtete sich die Ufa 20 Filme jährlich in den Verleih zu nehmen und 50 Prozent der Spielzeit mit Filmen der beiden Firmen zu belegen. Doch erst die Übernahme der Ufa durch den Hugenberg-Konzern 1927 ermöglichte eine dauerhafte finanzielle Besserung - ohne aber zur ernsthaften Konkurrenz amerikanischer Filmfirmen werden zu können.
Allerdings machten auch in den USA finanzielle Probleme den Firmen mehr und mehr zu schaffen. Die rezessive gesamtwirtschaftliche Situation führte zu einem immensen Rückgang der Besucherzahlen7, der unter anderem durch die Standardisierung der Filme und die eingeschränkte künstlerische Freiheit der Regisseure aufgrund von Sparmaßnahmen verursacht wurde.
Trotz dieser genannten Schwierigkeiten schlossen sich in den USA und in Deutschland zwischen 1925 und 1927 drei Produktionsgesellschaften mit TonfilmInitiativen zusammen:
1. Warner Brothers und das Western Electric- System (Nadeltonverfahren, auch „Tonbilder“ bis zum 1. Weltkrieg genannt)
Die Entwicklung des Tonfilms bei der amerikanischen Filmfirma lässt sich grob in drei Etappen einteilen: Bis 1926 wurden in Versuchen Stummfilme mit Musik unterlegt. 1927 folgte die Premiere des Films „The Jazz Singer“, der neben Vokalnummern an einigen Stellen Dialoge enthielt („part-talkie“).
Den ersten vollständigen Tonfilm drehten die Warner Brothers 1928 mit dem Film „Lights of New York“.
Durch die kontinuierliche Entwicklung, die etappenweise zum Tonfilm führte, und umfassenden Werbemaßnahmen gelang der Firma der Durchbruch im Tonfilmgeschäft.
2. Fox und das Case/Sponable-Verfahren (Lichttonverfahren)
Nach anfänglichen Fehlschlägen entdeckte Fox eine Marktlücke mit den „tönenden Wochenschauen“. Den Durchbruch erzielten sie dabei mit der Wochenschau vom 20. Mai 1927, in der sie Charles Lindbergh auf seinem ersten Transatlantikflug zeigten - Lindbergh war am Morgen desselben Tages gestartet.
3. Die Ufa und das Triergon-System (Lichttonverfahren)
Erste Experimente scheiterten aufgrund von internen Unstimmigkeiten und finanziellen Problemen. 1927 intensivierte man erneut die Bemühungen in das Tonfilmgeschäft einzusteigen. Erste Erfolge mit der Tonfilm-Firma Tobis wurden allerdings jäh durch Hugenberg gestoppt, der zu diesem Zeitpunkt die Ufa übernahm. Jossé schreibt dazu: „Durch die negative Innovationsentscheidung der Ufa [d.h. Kündigung aller Verträge für Tonfilmprojekte, C.W.] war die deutsche Tonfilmarbeit ihres stärksten Antriebes beraubt. Entscheidende Entwicklungen fanden […] nicht statt. Die Jahre 1927 und 1928 gehörten noch völlig dem Stummfilm.“8
Nachdem die Einführung des Tonfilms bei der Ufa 1927 gescheitert war, beruhte die weitere Entwicklung in Deutschland nun auf der Initiative der Tobis- Produktionsgesellschaft. Gegründet 1928, übernahm sie die Rechte am Triergon- Verfahren. Durch Verträge erwarben die drei wichtigsten deutschen Filmgesellschaften Ufa, Terra und Emelka das Recht Tonfilme herzustellen.
Trotz vieler künstlerischer Vorbehalte und wirtschaftlicher sowie technischer Schwierigkeiten kann man deshalb das Jahr 1929 als den Durchbruch für den Tonfilm im Deutschland bezeichnen. Im März 1929 hatte der „erste abendfüllende deutsche Tonfilm“9 „Melodie der Welt“ von Walter Ruttmann Premiere. Im Dezember 1929 erschien dann mit „Melodie des Herzens“ der erste Ufa-Tonfilm, also ein halbes Jahr vor der Premiere des „Blauen Engels“.
Nachdem sich die Entwicklung des Tonfilms in Amerika und in Europa über Jahre hinweg zog und viele Tonfilme ästhetischen und künstlerischen Ansprüchen kaum genügen konnten, professionalisierte sich der Tonfilm, und damit auch die Filmmusik, ab 1929 in kürzester Zeit. Die filmische und musikalische Qualität des „Blauen Engels“ zeugen meiner Meinung nach von dieser Professionalisierung. Als einer der ersten Tonfilme werden hier dramatische, filmische, musikalische und ästhetische Mittel zu einem Gesamtwerk verdichtet.
1.2. Entwicklung der Filmmusik
Auch im Bereich der Filmmusik schien man sich, ähnlich wie die gesamte Filmbranche in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre, mit dem Stummfilm arrangiert zu haben.
Nachdem in den Anfängen der Filmmusik (bis ca. 1908) der „einsame Pianist“ im durchschnittlichen Vorstadtkino sich mit einem Repertoire aus „klassisch- romantische Klaviermusik und Salonmusik“10 über Wasser halten musste, versuchten vornehmlich amerikanische Produktionsfirmen, mit Blick auf die neue Zielgruppe des Bürgertums, die Qualität der begleitenden Musik zu steigern. Als Lösung bot sich die Sammlung musikalischer Stücke an, die für immer wiederkehrende Szenen bestimmte Stücke vorschlugen.11 Damit konnte man die musikalische Willkür der Kino-Musiker etwas eindämmen und man umging das Problem die Kinos ständig mit neuem Notenmaterial versorgen zu müssen.
Zwischen urheberrechtlichen Problemen und kommerziellen Erwägungen vieler Produzenten und Kinobetreiber sowie dem Qualitätsanspruch einiger Filmmusik- Komponisten, die auf eine eigens für einen Film komponierte Musik Wert legten, wurde der Weg geebnet für eine Zwischenform der Filmmusik, der „KompilatKomposition“: eine Filmmusik, die aus bekannten Stücken und neuen Kompositionen bestand.
Auch Friedrich Hollaender, der Komponist des „Blauen Engels“, schrieb seine erste Filmmusik als Kompilat-Komposition.12
Von der Blüte der Stummfilmära Mitte der zwanziger Jahre bis hin zur Einführung der Synchronisation 1931 (ermöglichte das getrennte Aufnehmen von Ton und Bild, sowie die sprachliche Synchronisation, die den internationalen Erfolg der Tonfilme sicherte) professionalisierte sich die Filmmusik wie die Technik des Films überhaupt. Vom „einsamen Pianisten“ ging der Weg bis hin zu der großen Orchesterbegleitung des Stummfilms. Gleichzeitig verweist die Einführung von Kinotheken und frühen komponierten Filmmusiken13, welche Bedeutung die Musik schon damals für den Erfolg eines Stückes hatte. Immer weniger stand die Überwindung der „Stille“ im Mittelpunkt, statt dessen beschäftigten sich immer mehr Musiker damit, die Musik so gut wie möglich der Filmhandlung anzupassen. So entstanden bereits zu diesem Zeitpunkt die heute noch gültigen Kompositionstechniken: deskriptive Technik, Leitmotiv-Technik, Mood-Technik und die Baukasten-Technik14. Je nach Technik verfolgte der Komponist dabei bestimmte Ziele in Bezug auf Funktion der Musik im Film und die spätere Wirkung auf den Zuschauer.
Solange allerdings auch eine eigens für einen Film komponierte Musik nur am Abend der Uraufführung oder in den Kinos der Metropolen so gespielt wurde, wie es der Komponist verlangte, konnte die Filmmusik keinen entscheidenden Beitrag zum Filmerlebnis leisten. Das Problem der Synchronität von Bild und Ton und die Abhängigkeit der begleitenden Musik von der Willkür der Kinobesitzer/-musiker konnten erst mit der Einführung des Tonfilms überwunden werden.
Mit den ersten Tonfilmen ergaben sich allerdings, abgesehen von einem enorm gestiegenen technischen Aufwand, neue Probleme für die Filmmusik. Neben dem Reiz, die Filmhandlung durch Musik interessanter und eindringlicher machen zu können, lag das Hauptproblem auf einer technisch- filmästhetischen Ebene: Noch war es nicht möglich Ton und Bild getrennt aufzunehmen, dementsprechend musste bei der Produktion eines Filmes das Orchester anwesend sein und war in den meisten Fällen auch im Film zu sehen. Der maßgebliche Einwand, die Quelle der Filmmusik müsse für den Zuschauer erkennbar und begründbar sein, öffnete so den Weg für eine Reihe von Film-Operetten, Tanz-Filmen, Film-Revuen, usw. 1931 löste man dann dieses Problem mit der oben genannten Synchronisation.
Ein weiterer Aspekt, der die Filmmusik dieser frühen Tonfilmzeit kennzeichnet, war mit der Erfindung und Verbreitung des Radios verbunden. Zuerst als Konkurrent zum Kino misstrauisch beäugt, da man eine Abwanderung des Publikums befürchtete, stellte sich das Radio als wichtiges Werbemedium heraus. So wurde der Titelsong geboren, der im Idealfall schon vor der Premiere im Radio und auf Schallplatte zu hören war: „Es etablierte sich ein bis heute in ähnlicher Weise funktionierender Medienverbund aus Filmindustrie, Rundfunk und Tonträgerindustrie: Der Song warb für den Film und umgekehrt.“15
„Der Blaue Engel“ ist in diesem Sinne ein „Kind seiner Zeit“, da die Handlung in einer Bar mit musikalischem Programm spielt und damit die Quelle der Musik für den Zuschauer sichtbar und legitimiert ist. Diese Musikalisierung der Filmhandlung eröffnete der Filmmusik Das Hochzeitspaar Lola - Rath im Film „Der Blaue Engel“. Im Hintergrund F. Hollaender, der den Hochzeitsmarsch von Mendelssohn spielt. Ein Beispiel für die Legitimierung von Musik im Bild. Kühn, Spötterdämmerung, S. 58. Werbemaßnahmen im Radio, auf Schallplatte16 oder im Film selbst. So weist Kreuzer daraufhin, dass „um einen Song auch während des Films mehrmals in voller Länge spielen zu können […] häufig Szenen geschaffen [wurden], in denen die Hauptfigur singt“17. Als Beispiel nennt er die Künstlerin Lola aus dem „Blauen Engel“. Allerdings wird sich im 3. Kapitel zeigen, dass der Film nicht gedreht wurde um möglichst viele und schöne Lieder zu spielen. Die Musik erhält eine dramaturgische Funktion, der zwar viel Bedeutung beigemessen werden kann, die aber nicht selbst zur treibenden Kraft des Filmes wird.
2. MUSIK ALS TEIL DES GANZEN: EINORDNUNG DER FILMMUSIK IN DIE GESAMTDRAMATURGIE DES „BLAUEN ENGELS“
2. 1. Produktionsgeschichte
Nachdem nun die technischen und filmhistorischen Rahmenbedingungen für den „Blauen Engel“ dargestellt wurden, kann nun die eigentliche Analyse der Filmmusik beginnen. Dazu gehört eine kurze Zusammenfassung der Produktionsabläufe, da ein Film in den wenigsten Fällen das geniale Produkt eines Einzelnen ist. Auch beim „Blauen Engel“ waren verschiedene Personen, sowie finanzielle und politische Aspekte bestimmend für das Ergebnis als solches. Mit einer Zusammenfassung der Produktionsabläufe - immer in Hinblick auf die Filmmusik gesehen - werden ebenso die Probleme deutlich, die eine eindeutige Aussage in Bezug auf verantwortliche Personen und deren Bedeutung für den Film erschweren.
August 1929: Der Ufa-Produzent Erich Pommer und der bekannte Schauspieler Emil Jannings laden den Regisseur Josef von Sternberg nach Deutschland ein. Geplant ist ein „Ufa-Tonfilm mit Emil Jannings“; eine genaue Stoffauswahl hat zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden. Für die Wahl Sternbergs als Regisseur für dieses groß angekündigte Projekt sprechen wohl zwei Faktoren: Zum einen hat er bereits mit Jannings gearbeitet („The Last Command“, 1927) und er feierte mit seinem ersten Tonfilm „Thunderbolt“ (1929) in Amerika große Erfolge. Emil Jannings schlägt eine Verfilmung des Buches „Professor Unrath“ aus dem Jahre 1905 von Heinrich Mann18 vor. Nun werden als Drehbuchautoren Karl Vollmoeller, Carl Zuckmayer und Robert Liebmann (der teilweise die Texte zu den Liedern Friedrich Hollaenders schrieb) verpflichtet. Zusammen mit Heinrich Mann kommt man überein „von den beiden Grundthemen des Romans, erstens dem Schul- und Generationskampf, zweitens der Gestaltung des Einzelschicksals des Professor Rath, das zweite Thema, die Entwurzelung eines Menschen, das menschlich und psychologisch fesselnder schien, zur Filmgestaltung [zu wählen].“ Darüber hinaus wird die Filmhandlung aus der Kaiserzeit in die Weimarer Republik verlegt, also aktualisiert.19
Bis Oktober entstehen nun verschiedene Drehbuchfassungen20, die allerdings von der Filmfassung abweichen. Ein verbindliches Drehbuch ist also nicht vorhanden und hat es, laut Sternberg, auch nicht gegeben21. Für eine Analyse der Filmmusik ist diese Aussage nun insofern bedeutsam, als aus den genannten Umständen kaum zu erkennen ist, aus welchen Gründen und wie Musik im Film eingesetzt wurde. Es bleibt ebenso unklar, wer die Lieder in der Filmhandlung positioniert hat. Dass in diesem Zusammenhang exakte Informationen aufschlussreich sein könnten, beweist ein Blick in die ersten zwei Drehbuchfassungen: Dort ist noch ein Kunstlied von Schubert als Vortrag Lolas für den Professor vorgesehen.22 Obwohl Lola dieses Lied ironisierend singen sollte, ist doch deutlich ein Bruch in der Charakterisierung Lolas als frivol-leichte Tingeltangel-Sängerin erkennbar, der später unter ausschließlicher Verwendung der Lieder von Friedrich Hollaender überwunden wurde.
[...]
1 Vollständige Literaturangaben ebenfalls im Literaturverzeichnis.
2 Bezeichnung für einen Film mit durchgängig aufgenommenem Dialog. Dementsprechend vollständiger Tonfilm. Sein Vorläufer war der „part-talkie“, ein Film, der teilweise hörbare Dialoge enthielt aber eben streckenweise noch Stummfilm war.
3 Jossé, Harald: Die Entstehung des Tonfilms. Beitrag zu einer faktenorientierten Mediengeschichtsschreibung. Freiburg, München 1984 (Alber-Broschur Kommunikation, Band 13). S. 16.
4 „In England betrug der Anteil der USA an der Jahresproduktion 1926 fast 93 Prozent“. Jossé, S. 203.
5 Gründung der Ufa 1917. Sie entwickelte sich rasch zum wichtigsten deutschen Filmunternehmen. vgl. Korte, Helmut: Der Spielfilm und das Ende der Weimarer Republik. Ein rezeptionshistorischer Versuch. Göttingen 1998. S. 84
6 vgl. Jossé, S. 206 f.
7 vgl. ebd. S. 204.
8 Jossé, S. 238.
9 Rügner, Ulrich: Filmmusik in Deutschland zwischen 1924 und 1934. Hildesheim, Zürich, New York 1988 (Studien zur Filmgeschichte, Band 3). S. 38.
10 Zitiert nach Pauli in: Kreuzer, Anselm C.: Filmmusik. Geschichte und Analyse. Frankfurt a.M. 2001 (Studien zum Theater, Film und Fernsehen, Band 33). S. 26.
11 Z. B. die Cue-Sheets des Amerikaners Max Winkler aus schon existierendem Notenmaterial
oder die Filmmusik-Anthologie des Verlegers Sam Fox, der den Komponisten John Zamencnik mit der Komposition von Musikstücken zu allen nur erdenklichen Filmszenen beauftragte. vgl. dazu: Kreuzer, S. 32. 1919 erschien dann die „Kinothek“ von Guiseppe Becce. Sie enthielt eigene Kompositionen und Werke berühmter Komponisten. Durch ihre praktische Anwendbarkeit und große Auswahl wurde sie zum Vorbild für viele weitere Musik-Sammlungen. Rügner, S.74.
12 „Kreuzzug des Weibes“, Regie: Martin Berger, Deutschland 1926, vgl. Kreuzer, S. 40.
13 vgl. Rügner, S. 84
14 In der Musikwissenschaft werden teilweise auch weniger Techniken unterschieden. Darüber hinaus war die Verwendung der Techniken auch zeitlichen Schwankungen und musikalischen Präferenzen unterworfen. vgl. Bullerjahn, Claudia: Grundlagen der Wirkung von Filmmusik. Augsburg 2001, S. 75 ff.
15 Kreuzer. S. 46. weitere Möglichkeiten als eigenständige Musikform anerkannt und bekannt zu werden, z. B. durch
16 Auch die Chansons des „Blauen Engels“ wurden mit Erfolg auf Schallplatte aufgenommen: „Innerhalb von zwei Tagen ist die Platte [200 Stück, von Electrola-Musik aufgenommen] noch vor dem Start des Filmes ausverkauft.“ Viktor Rotthaler. Die Musikalisierung des Kinos. Die Komponisten der Pommer-Produktion. Artikel gefunden im Deutschen Kabarettarchiv Mainz im Nachlass von Friedrich Hollaender, 3.12.02.
17 Kreuzer, S. 62. Einschränkend ist dazu zu sagen, dass zwar Lieder im „Blauen Engel“ mehrmals gesungen werden, allerdings nicht in voller Länge und durch wechselnde Szenen unterbrochen.
18 Zusammenfassung der Filmhandlung im Anhang.
19 Zitat von Carl Zuckmayer. vgl. Dirscherl Luise/ Nickel, Gunther (Hrg.): Der Blaue Engel. Die Drehbuch-Entwürfe. St. Ingbert 2000 (Zuckmayer-Schriften, Band 4), S. 28.
20 Dirscherl und Nickel nennen in ihrem Buch vier Fassungen, die als Vorstufe zum Drehbuch gedient haben. Drei davon sind noch erhalten und werden in der meisten Literatur auch genannt. ebd. S. 14.
21 ebd. S. 15.
22 ebd. S. 7; „Loise flöhen meine Lieda …“
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