Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einführung
1 Sizilien
1.1 Insel als Utopie
1.2 Religion und Patriarchat
1.2.1 Christentum
1.2.2 Volksglaube und Magie
1.2.3 Die biblische Eva – Schuld und Sünde aller Frauen
1.2.4 Marienverehrung
1.2.5 Patriarchat vs. Matriarchat
1.3 Dorfgemeinschaft und Tradition
2 Die Ehefrau, 1850-heute
2.1 Die Hochzeitsfalle
2.2 Die sklavische Eva, Luigi Pirandello,
2.3 Hure oder Heilige, Dacia Maraini,
3 La Mafiosa
3.1 La Mamma – die Übermutter
3.2 Generationswechsel – moderne Sizilianerinnen wehren sich
3.2.1 Rita Atria - La Pentita
3.2.2 Letizia Battaglia – Chronistin und Kämpferin
4 Emanzipation, 1960 - heute
4.1 Divorzio all’siciliana von Pietro Germi,
4.1.1 Handlung
4.2.1 Christliche Tradition als Sinn- und Lebensideal
4.2.2 Ansehen und Würde im Patriarchat
4.2 Volevo i pantaloni von Lara Cardella,
4.2.1 Handlung
4.2.2 Dilemma der jungen Frau
4.2.3 Ankunft in der Realität
5 Konklusion
Literaturverzeichnis
Filmverzeichnis/Internetquellen
Einführung
„Ich kenne keinen anderen Ort, dem es mit der gleichen Selbstverständlichkeit gelingt, sich als Mythos auszugeben; keinen, der mit wenigen bedeutungsvollen Sinnbildern die ergreifende Geschichte des Menschen zusammenfasst und sichtbar deren verschiedenste Regungen verkörpert, heilige und profane: das Streben nach Glück, Trunkenheit und Elend der Sinne, Begehren, Reue, Abwendung, Liebe... Wie eine Frau ist Sizilien...“
Gesualdo Bufalino
Sizilien ist ein Landstrich, eine Insel, der Emotionen. Nicht umsonst gebiert das leidenschaftliche Zusammentreffen von üppiger und blühender Landschaft, versengender Hitze und abenteuerlicher Historie einen kulturellen Schmelztiegel und Menschenschlag, der zwischen den Extremen sowohl mit aufbrausender Leidenschaft als auch stoischer Duldung seine Sinne von Geburt an schult, in der ihn umgebenden Intensität leben und überleben zu können.
Die Menschen spielen dabei stets die Hauptrolle im täglichen Drama der Sizilianer; ganz besonders die Frauen. Sie sind zugleich Mutter, Ehefrau, Geliebte, Jungfrau, Heilige und Tochter; sie bringen Opfer und spenden Kraft, halten die Fäden in der Familie zusammen, versorgen und nähren, lassen sich aber auch aushalten, verwöhnen, fordern und dramatisieren. Eine explosive Mischung, deren Umsetzung im realen Leben, in der Anpassung der eigenen Weiblichkeit an das geforderte tradierte Rollenkonstrukt der Gesellschaft nichts selten zum Scheitern verurteilt ist. Die Besonderheit der sizilianischen Frau hat Bufalino in einführendem Zitat in seiner Grundsätzichkeit erfasst. Es ist ihre Ausprägung eine Entsprechung zu ihrem Geburtsort, ihrem Land, zu ihrer stolzen Natur und Geschichte, zum intensiven Erleben einer Insel der erdverbundenen Bauern in einem katholischen Dorfleben geprägt von tiefreligiöser Doppelmoral. Folgende Arbeit will die vielen Besonderheiten der sizilianischen Frau in einer patriarchal und katholisch geprägten Umgebung beleuchten und sowohl ihre jeweilige Darstellung, im Sinne von Rollenmustern und gesellschaftlichen Entwürfen, als auch ihre Lebensweise, im Sinne der Umsetzung des Weiblichen am Beispiel verschiedener Biographien, in unterschiedlichen Epochen analysieren. Der Mythos kann und soll hierbei nicht entschleiert, sondern durch den Versuch einer Annäherung in seiner Bezauberung verstärkt werden, ganz im Sinne Louis Couriers:
"Ich möchte die Heimat der Proserpina sehen und ein bisschen verstehen, warum der Teufel sein Weib in jenem Land genommen hat"[1]
1 Sizilien
1.1 Insel als Utopie
Sizilien ist ein Mythos, der sich auch durch die stets in historische Herrscherphantasien involvierte Geschichte der Insel, die eine einzigartige kulturelle Vielfalt in der Prägung der Insel durch die diversen Besatzungsphasen angefangen von den Griechen und Römern, über die Ostgoten und Araber bis hin zu Normannen und europäischen Königshäusern darstellen, erklärt. Sizilien gehört zwar seit 1946 als autonome Region in Selbstverwaltung offiziell zur Republik Italien, hat sich jedoch stets seine Eigenständigkeit bewahrt, vor allem seine individuelle kulturelle Identität und sich bewusst vom Festland abgegrenzt, nicht zuletzt durch den als eigene Sprache verstandenen Dialekt sizilianisch.[2]
Eine Insel suggeriert eine gewisse Autarkie von allen realen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bezügen. So waren schon in früheren Zeiten Inseln der ideale Ort zur Beschreibung einer Utopie. Per se abgekoppelt führen sie schon rein durch ihre geographische Lage die Abgrenzung zur Wirklichkeit im Subtext mit sich. Sie stellen eine Gesellschaft in der Gesellschaft dar, die ohne die direkte und ungefilterte Repression durch die Weltgemeinschaft eigene Regeln, Traditionen und Gebräuche zur Gestaltung ihrer Gesellschaftsform findet und stärker ausprägt.
Das utopische surplus der Insel hielt auch der sizilianische Schriftsteller Sciascia fest und spricht „vom Mythos des Kontinents und von Italien und der italienischen Sprache als Traum der Gerechtigkeit, als Utopie einer besseren Gesellschaft...“[3]. Dazu zählt für ihn auch die moderne Entwicklung seiner Insel und als ein Kernpunkt die Gleichberechtigung: „Der Sizilianerin (sind) die gleichen Freiheiten selbstverständlich zuzugestehen, wie der Kontinentalin,...“[4]
Die Insel und Utopie ist also eine der Moderne, wenn auch einer retardierten; eine terra incognita, die die gesellschaftlichen Fragen der Moderne in einem Mikrokosmos durchspielt, an der gesellschaftliche Umbrüche oftmals erst vorbeiziehen und sich die Dinge nur langsam, zäh und angelehnt an die über die Zeiten etablierten Formen und Traditionen entwickeln. Für die Bewohner bedeutet das, ein gesellschaftliches Drama mit festgelegten Rollen und zementierten Verhaltensregeln, die es nicht in Frage zu stellen gilt und das Leben auf der Insel von Geburt bis zum Tod vorbestimmen und aus deren ungeschriebenen Gesetzmäßigkeiten es schwer ist, auszubrechen.
1.2 Religion und Patriarchat
1.2.1 Christentum
Sizilien ist zu 97% katholisch[5], und dies nicht nur auf dem Papier. Die Einwohner Messinas beispielsweise betrachten nicht die Erdbebenkatastrophe des Jahres 1908, der 84.000 Menschen zum Opfer fielen, als das einschneidenste Stadtereignis, sondern den vor zwanzig Jahrhunderten geschriebenen Brief der Madonna aus Galiläa, dem ein Haar zum Zeichen ihres Wohlwollen beigefügt war, das noch heute bei feierlichen Prozessionen in einem goldenen Schrein durch die Stadt getragen wird. Die Worte „Vos et ipsam civitatem benedicimus“ prangen in der Hafenanlage um das Mariendenkmal und erinnern die Bewohner täglich an ihre auserwählte Stellung und den besonderen Schutz für sich und ihre Stadt.[6] Die Einführung in die christliche Lebenswelt Siziliens ist damit der Schlüssel zu ihren gesellschaftlichen Konstruktionen, zu ihren Ritualen, Hierarchien, Umgangsformen, Lebenskonzepten, kurzum ihrem Denken. Die Moralvorstellungen der Sizilianer wurzeln tief in der religiös tradierten Form, auf die in Bezug auf das darin vermittelte Bild der Frau in 1.2.3 noch weiter eingegangen wird. Die Gottesdienste, Prozessionen, Andachten und Messen, die gemeinsame kulturelle Praxis geben das Leben und den Lebensablauf vor. Die Kirche ist eine feste Instanz, gleich einem Dorfzentrum, das Herz der Stadt (im geographischen wie metaphorischen Sinne), mit dem Pfarrer als Respektperson und bedeutendem Gemeinde- und Dorfmitglied. Die Kirchenstimme ist wichtigster Ratgeber und Begleiter im Leben. Sie schafft entgegen der profanen Politik durch ihre Menschlichkeit und empathische Kraft ein Vertrauensverhältnis, das vor allem über die emotionale Bindung, durch die im Alltagsleben verwurzelten Rituale, wie Taufe, Kommunion, Firmung, Hochzeit und Beerdigungen alle Belange der menschlichen Existenz betrifft und darüber hinaus seelsorgerische Aufgaben übernimmt, die den Menschen suggeriert ihr Leben bewältigen zu können und sich in guten Händen, aufgehoben, verstanden und bestätigt zu wissen.
1.2.2 Volksglaube und Magie
Besonders hervorzuheben ist die Unterscheidung zwischen Theologie und Volksglauben. Letzterer ist eine religiöse Praxis, die den Menschen ein sinnstiftendes Konzept zur Lebensbewältigung gibt. In der traditionellen Abhängigkeit der Bauern von der Natur, geben ihnen Propheten, Heilige und Märtyrer die Möglichkeit sich aus der ausweglosen Abhängigkeit von der Umwelt mit Hilfe von Gebeten in die Rolle des Anbetenden zu begeben, der auf Fürsprache hofft. Es wird eine Möglichkeit eröffnet, doch nicht alleine mit den Unwägbarkeiten des Lebens auskommen zu müssen, sondern sich mit einem gottgewollten Schicksal zu bescheiden und abzufinden. Eine starke Mystifizierung des Lebens und der Umstände, ein starker Aberglaube und eine symbolträchtige Religionspraxis prägen dieses Phänomen.
Ann Cornelisen beschreibt ihre Beobachtungen in Süditalien wie folgt: „Steckt in Lukanien ein religiöser Kern in der Magie, so auch ein magischer in der Religion und, zur Abrundung des Volksglaubens, ein Schuß des Heidnischen. Schlangen winden sich um Heiligenstatuen; die Madonna wird zur Austreibung böser Geister angerufen; im Dunkeln aufgezogene Getreideschößlinge werden am Karfreitag in den Sarg Christi gelegt. Die Verwandten eines Brautpaares, die das Ehebett herrichten, verstecken Amulette gegen böse Geister in der Matratze und streuen Salz auf den Rost, aber Höhepunkt ihrer Tätigkeit ist der formelle Segen, der zum Schluß ausgesprochen wird.“[7]
Bekannt sind hierbei auch die pompösen Inszenierungen der Sizilianer zu den christlichen Feiertagen, seien es Osterprozessionen, Auferstehungsschauspiele oder aber auch einfach die Katechese des ordinären Kirchenjahres mit den Messen und Gottesdiensten und ihrer Symbolkraft in der Liturgie durch Lobpreis, Predigt, Wandlung, Buße und Fürbitte. Dabei gelten hier nahezu mündlich geschlossene Vertragssitten. So schreibt Norman Douglas über seine Beobachtungen in Kalabrien: „Die Süditaliener, berühmt für ihr philosophisches Abstraktionsvermögen, haben dafür im Religiösen keine Verwendung. Anders als wir, haben sie nicht das Verlangen, von ihren Gottheiten etwas zu lernen oder mit theoretischen Argumenten über sie zu diskutieren. Sie wollen nur lieben und geliebt werden und behalten sich das Recht vor, sie zu bestrafen, wenn sie es verdient haben. Man hat zahllose Fälle aufgezeichnet, in denen Madonnen und Heilige (Bilder und Statuen) in die Gräben geworfen worden sind, weil sie nicht getan haben, was man von ihnen verlangte, oder weil sie ihren Teil des Abkommens nicht eingehalten hatten. Während des Ausbruchs des Vesuv von 1906 wurde eine erhebliche Zahl von ihnen dieser Bestrafung unterwerfen, weil sie es verabsäumt hatten, ihre Verehrer laut Vertrag (soundso viele Kerzen und Feste gleich soundso viel Schutz) vor diesem Unheil zu bewahren.“[8]
1.2.3 Die biblische Eva – Schuld und Sünde aller Frauen
„Die Geburt der Tochter ist ein Verlust“[9]
Die klischeebeladene Anlage des Rollenmusters zwischen Mann und Frau liest sich auch aus der fundamentalistischen Übertragung der Genesis. Die Schlange verführt Eva, welche ihrerseits Adam überzeugt, vom Baum der Erkenntnis zu essen.[10] Das Bild Evas als Verführerin in der Bibel zeichnete die gesamte jüdisch-christliche Tradition hindurch ein negatives Bild der Frau. Es war allgemeiner Glaube, alle Frauen hätten von ihrer Mutter, der biblischen Eva auch ihre Schuld und Sünde geerbt. Eva, der Urmutter, und somit allen Frauen haftet damit die Schuld und Sünde für die menschliche Unzulänglichkeit an, muss Eva durch die Verführung ja nicht nur die Vertreibung aus dem Paradies verantworten, sondern das ganze irdische Elend, das das Menschengeschlecht erleiden muss, sowie den Tod Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der zur Erlösung der Menschen gesendet nur durch seinen qualvollen Tod, der Kreuzigung, die Menschen aus ihrer Hölle erretten kann.
Die Verteufelung der Eva weitet sich auch auf den weibliche Körper aus, der in seiner Form per se Verlockung und Verführung darstellt, als auch in seinen Funktionen, dem Zyklus, der Schwangerschaft und Geburt eine weitere Konsequenz in Form des schmerzlichen menschlichen Leidens des sündhaften Weibes unter einem strafenden Gott erträgt. In der Übersetzung selbst wird Eva ihre untergeordnete Rolle befohlen. So heißt es:
"Ich will Deine Geburtsschmerzen vergrößern; mit Schmerz wirst du Kinder gebären. Dein Begehr wird Dein Mann sein und er wird über dich herrschen."[11]
Ihr Geheimnis jedoch, das eines mutigen, sich von Gottes Gebot unabhängig machenden Geistes, verleiht Eva den Ruf der Unabhängigkeit, die Aura eines begehrenswerten Wesens und damit den starken Reiz, den sie auf das männliche Geschlecht ausübt.
1.2.4 Marienverehrung
Die Stellung der Frau als große Kraft der Familie findet ihr Vorbild auch hier in der Entsprechung der heiligen Familie. So wie eine Mutter ihre Kinder gestillt, gestreichelt, in den Schlaf gewiegt und bei Krankheit am Bett gewacht hat, so ist die Madonna das Sinnbild für den gläubigen Katholiken.
„Die Madonna ist die alles verzeihende und schützende Mutter. (...) Man könnte den Vergleich noch weiter führen, obwohl kaum zu sagen ist, ob die Praktiken der katholischen Kirche in Süditalien das Ergebnis einer einheimische Entwicklung der Theologie sind oder einfach geschickte Anpassung an die Bräuche der Gemeinde. Der Marienkult blüht und ist zum Kern der lokalen Glaubensvorstellungen geworden. (...) Maria, die Verkörperung der Erd-Mutter, kann man lieben, man kann ihr vertrauen und zu ihr beten, aber GOTT und SEIN Sohn Jesus bleiben kühle Symbole. Und der Heilige Geist, sowieso unfaßbar, bleibt ganz konkret die Gipstaube, die so wage über Altären schwebt. Männern fällt es schwer vor anderen Männern demütig zu sein, und noch schwerer ihr Gesicht zu verlieren, so daß ihr Ego durch das Gebet zu einer Frau und die Bitte um ihr Eingreifen weniger angekratzt wird. Frauen können sich unmittelbar mit der alles duldenden Mutter identifizieren und vielleicht sogar Trost aus ihrer Wichtigkeit für alle Menschen beziehen. So sehr es der Vatikan bedauern mag, im Süden Italiens hängt der Christus über dem Altar, doch das Volk verehrt und betet zur Jungfrau Maria.“[12]
1.2.5 Patriarchat vs. Matriarchat
Durch die gesamte Bibel und den Kreis theologischer Autoren ziehen sich die diskriminierenden und unterdrückenden roten Fäden männerdominierter Argumentationspolitik. Dass 3000 Jahre Patriarchat eine eindeutige Linie vorgeben und für Jahrhunderte weiter prägen, soll durch folgende Zitate nochmals verdeutlicht werden. Im Neuen Testament beispielweise fordert Paulus,
[...]
[1] L. Courier (*1772, als Soldat in Italien), in: P. Peter, 1997, S.9.
[2] vgl. G. Francesio/E. Russo, 2003, S.7 ff.
[3] L. Sciascia zitiert in: P.Peter, 1997, S.24.
[4] ebd.
[5] Annuario Pontificio 2008.
[6] vgl. H. Krier, 1966, S.39.
[7] A. Cornelisen, 1982, S.240.
[8] N. Douglasa, Old Caabria, London, 1913 in: A. Cornelisen, 1982, S.247.
[9] Die Bibel, Sir 22,3.
[10] Die Bibel, Gen 2,4-3,24.
[11] Die Bibel, Gen 2,4-3,24.
[12] A. Cornelisen, 1978, S.33.