Analyse des Issue Erneuerbare Energien

Im Rahmen des Forschungsvorhabens „Mikroenergie-Systeme zur dezentralen nachhaltigen Energieversorgung in strukturschwachen Regionen”


Diplomarbeit, 2009

182 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

1. T H E M A BI OGAS
1.1. DEFINITION BIOGAS
1.2. TECHNISCHER HINTERGRUND
1.3. POLITISCH-HISTORISCHE VORAUSSETZUNGEN
1.4. ENTWICKLUNG DES BIOGAS-SEKTORS
1.5. ENERGIEPOLITIK IN DER REGION BRANDENBURG
1.6. ZUSAMMENFASSUNG VON KAPITEL I

2. T H E M E N UND I SS U ES
2.1. BEGRIFFSDEFINITION ISSUE
2.2. PUBLIC RELATIONS VS. STRATEGISCHES MANAGEMENT
2.3. AGENDA-SETTING
2.3.1. ISSUE IN DER MEDIA AGENDA
2.3.2. TRIGGER EVENT UND SALIENCE
2.3.3. ISSUE IN DER PUBLIC- UND POLICY AGENDA
2.3.4. FRAMING UND DAS KOGNITIVE SCHEMA
2.3.5. ATTRIBUTE AGENDA-SETTING ODER SECOND LEVEL- AGENDA-SETTING
2.3.6. MESSMETHODEN EINES ISSUE – AGENDA-SETTING-FORSCHUNG
2.4. ISSUE-LEBENS-ZYKLUS
2.5. ISSUE-MANAGEMENT IN DER STRATEGISCHEN PLANUNG
2.5.1. SCHWACHE SIGNALE
2.5.2. STRATEGISCHE FRÜHAUFKLÄRUNG
2.5.3. TIEFEN-ANALYSE VON TRENDS UND ISSUES
2.5.4. STAKEHOLDER-ANSATZ
2.6. ZUSAMMENFASSUNG VON KAPITEL II

3. FORSCHUNGSDESIGN
3.1. UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND UND FRAGESTELLUNG
3.2. FORSCHUNGSMETHODEN
3.2.1. MEDIEN-ANALYSE
3.2.2. ZIELGRUPPENINTERVIEWS
3.2.3. ISSUE- UND STAKEHOLDER-ANALYSE
3.2.4. THEMENKARRIERE-ANALYSE
3.3. AUSWERTUNG
3.4. ZUSAMMENFASSUNG VON KAPITEL III

4. FAZIT

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG A: ZIELGRUPPEN-INTERVIEWS

ANHANG B: MEDIADATEN UND ARTIKEL DER top agrar

SOWIE M Ä RK I SCHE A LLGEMEINE ZEITUNG

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1-1: Schematische Darstellung zur Aufbereitung und Nutzung von Biogas

Abb. 1-2: Entwicklung der Anzahl von Biogasanlagen in Deutschland

Abb. 1-3: Zeitleiste zur Entwicklung des Themas Erneuerbare Energien

Abb. 1-4: Entwicklung der Anzahl von Biogasanlagen in Brandenburg

Abb. 2-1: Das Issue im Zentrum von Ereignis, Thema und Konflikt

Abb. 2-2: Voraussetzung für die Existenz eines Issue

Abb. 2-3: Fokus der strategischen Frühaufklärung

Abb. 2-4: Drei Hauptkomponenten des agenda se tti ng -Konzepts

Abb. 2-5: Aufstieg und Fall eines Issue durch seine Salienz

Abb. 2-6: Strukturelle Trendlinie

Abb. 2-7: Issue-Aufmerksamkeits-Kurve nach DOWNS

Abb. 2-8: Issue-Lebenszyklus nach OBERMEIER

Abb. 2-9: Issue-Spirale nach LIEBL

Abb. 2-10: Phasen des Issue-Managements

Abb. 2-11: Assoziationsnetz am Beispiel des Mountainbike-Trends

Abb. 2-12: Stakeholder-Typologie

Abb. 2-13: Die Organisation als Schnittstelle zwischen Stakeholder

Abb. 2-14: Das Issue als Brennpunkt vielfältiger Interessen

Abb. 3-1: Anzahl der Artikel mit dem Schlagwort Biogas in den Online-Portalen der bundesweiten Medien im Jahr 2008

Abb. 3-2: Anzahl der Artikel mit dem Schlagwort Biogas im Online-Portal Märkische Allgemeine Zeitung von 2004 bis 2008

Abb. 3-3: Anzahl der Artikel mit dem Schlagwort Biogas im Online-Portal Märkische Allgemeine Zeitung in 2008

Abb. 3-4: Anzahl der Artikel mit dem Schlagwort Biogas im Online-Portal top agrar von 2004 – 2008

Abb. 3-5: Anzahl der Artikel mit dem Schlagwort Biogas im Online-Portal von top agrar in 2008

Abb. 3-6: Prozentuale Anzahl der Artikel mit den zugewiesenen Tonalitäten in 2008

Abb. 3-7: Entwicklung des Themas B i ogas aus der Sicht der po li c y agenda

Abb. 3-8: Thema B i ogas aus der Sicht der media agenda

Abb. 3-9: Thema B i ogas aus der Sicht der Landwirte

Abb. 3-10: Involvierte Stakeholder des Issue B i ogas-Großan l agen

Abb. 3-11: Unterschiedliche Auffassungen zur Nutzung von EE

Abb. 3-12: agenda setting -Prozess des Themas Erneuerbare Energien

Abb. 3-13: Schematische Darstellung vom Bild der Medien zum Thema Biogas und seine Reflektion auf die Vorstellungswelten der Landwirte

TABELLENVERZEICHNIS

Tab. 1-1: Vergütungssätze durch das EEG 2009

Tab. 2-1: Stadien der Ungewißheit nach ANSOFF

Tab. 2-2: Ableitung von Trendlandschaften

Tab. 2-3: Auflistung assoziierter Motive am Beispiel der Formel 1

Tab. 2-4: Matrix aus der bewerteten Salienz vom Issue und seinen Stakeholdern

Tab. 2-5: Dimensionen der Frühaufklärung

Tab. 3-1: Zuweisung der medialen Berichte zum Schlagwort Biogas aus der MAZ im Jahr 2008 auf die Tonalitäten positiv, neutral und kritisch

Tab. 3-2: Kategorisierung der Landwirte in Bezug auf das zu führende Interview-Design

Tab. 3-3: Zuweisung der Aussagen der befragten Landwirte zum Thema Biogas auf die Tonalitäten positiv, neutral und kritisch

Tab. 3-4: Anzahl von Verknüpfungen der Komponenten zur Entwicklung des Themas EE aus der Sicht der policy agenda

Tab. 3-5: Anzahl von Verknüpfungen der Komponenten des Themas Biogas in der m ed i a agenda

Tab. 3-6: Anzahl von Verknüpfungen der Komponenten des Themas Biogas aus der Sicht der Landwirte

Tab. 3-7: Unterschiedliche Positionen, Werte und Lösungen zum Issue Biogas-Großanlagen

Tab. 3-8: Gemeinsamkeiten-Abhängigkeiten-Matrix für Komponenten des Themas Biogas

Tab. 3-9: Ableitung von Trendlandschaften zum Themas Biogas

Tab. 3-10: Überschneidung der Ergebnisse aus der Medien-Analyse sowie den Aussagen der befragten Landwirte zum Thema Biogas

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

EINLEITUNG

Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag für das seit 2007 existierende Promoti- onskolleg „Mikroenergie-Systeme zur dezentralen nachhaltigen Energieversorgung in strukturschwachen Regionen“ an der Technischen Universität Berlin unter der Mitwirkung von Dipl.-Ing. Zoë Hagen. Das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte interdisziplinäre Forschungsvorhaben untersucht u.a. die Potenziale von Biogasanlagen als Mikroenergie-Systeme in Entwicklungs- und Industrieländern. Neben den zu untersuchenden technischen Aspekten wie z.B. die Konzeption und Produktion solcher Biogas-Anlagen werden von Dipl.-Ing. Zoë Hagen auch Fragestellungen nachgegangen, die sich mit den damit verbundenen Entscheidungen der involvierten Biogas-Akteure beschäftigen. Eine Frage in diesem Zusammenhang lautet: Inwiefern beeinflusst die aktuelle mediale Präsenz des Themas Biogas Landwirte, die Biogasanlagen betreiben oder betreiben wollen?

Die Aktualität des Themas Erneuerbare Energie - und somit auch Biogas - ist hoch. Da sich das weltweite Kontingent fossiler Energieträger drastisch reduziert, erhält die Nutzung alternativer Energien eine zunehmende Bedeutung. Auf politischer Ebene wurde in Deutschland mit der Verabschiedung des Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2000 reagiert, welches die Produktion Erneuerbarer Energien in Deutschland fördert. Möglichkeiten der alternativen Energiegewinnung rücken somit immer stärker in den Fokus der Medien und Öffentlichkeit. In diesem Bereich siedelt sich der Forschungsansatz dieser Arbeit an und untersucht das Thema Biogas aus dem Blickwinkel des Studiums der Gesellschafts- und Wirtschafts- Kommunikation an der Universität der Künste Berlin.

Hierbei soll das Biogas auf seine gesellschaftliche Akzeptanz und seine Entwicklung als Thema in den Medien untersucht werden. In diesem Kontext stellt sich die Frage nach der Wirkung der Medien auf die Entscheidung der Landwirte, ob sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nutzen oder nicht. Basierend auf dem agenda setting -Ansatz, der von einem Einfluss der Medien auf Individuen und Öffentlichkeit ausgeht, lassen sich für dieses Forschungsvorhaben folgende zentrale Fragestellungen ableiten:

Wie stellt sich die Biogas-Diskussion in den Medien innerhalb Brandenburgs dar? Findet sich dieses Bild in den Vorstellungswelten der Landwirte wieder?

Dabei dienen das Issue-Management im Bereich des strategischen Managements sowie die agenda setting -Theorie aus der Perspektive der Public Relations als nützliche Ansätze, um dieses Forschungsvorhaben einzugrenzen. Der Forschungs- prozess soll explorativ erfolgen.

Die vorliegende Arbeit wird in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil soll das Thema Biogas vorgestellt werden. Neben der Begriffsdefinition und dem technischen Hintergrund wird auch dessen Entstehung und Entwicklung untersucht. Im zweiten Teil wird die Behandlung von Themen aus kommunikationswissenschaftlicher und strategischer Sichtweise mithilfe des agenda setting -Ansatzes und des Issue- Managements erläutert. Dabei werden die Beziehungen deutlich gemacht werden, in der sich Regierung, Medien, Öffentlichkeit, Unternehmen sowie involvierte Interes- sengruppen befinden. Im dritten Teil werden die bisherigen explorativen Ergebnisse in das Forschungsdesign einfließen. In Bezug auf die vorgestellte Forschungsfrage Wie stellt sich die Biogas-Diskussion in den Medien von Brandenburg dar? erfolgt eine Medienanalyse. Zur Beantwortung der Frage Findet sich dieses Bild in den Vorstellungswelten der Landwirte wieder? werden narrative Interviews durchgeführt . Die daraus gewonnenen Resultate werden anschließend verglichen. Zusätzlich wird anhand einer Issue- und Stakeholder-Analyse der Sektor Biogas untersucht. Im vierten und letzten Teil erfolgt das Fazit.

M. Mieß Berlin im April 2009

1. THEMA BIOGAS

Das Einführungskapitel soll klären, was Biogas ist, wie es gewonnen wird, und wie sich Biogas zu einem wichtigen Thema im Bereich der wirtschaftspolitischen Förderung von Erneuerbaren Energien entwickelt hat.

1.1. DEFINITION BIOGAS

Die Gewinnung von Biogas ist ein mehrstufiger Prozess, bei dem Mikroorganismen … unter Ausschluss von Luftsauerstoff, die in Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen gespeicherte chemische Energie für ihren Stoffwechsel nutzen. (LINKE et al. 2007: 13)

Biogas wird meist durch ein biochemisches Verfahren aus organischem Material mit Hilfe von Bakterien gewonnen. Dabei wird die sog. Biomasse unter Ausschluss von Luftsauerstoff in ihre Grundbausteine zerlegt. Das organische Material stellt somit den Rohstoff dar, um Biogas zu gewinnen. Als Ausgangsmaterial kann technisch gesehen jedes organische Material verwendet werden. Vor allem nachwachsende Rohstoffe (NawaRo), speziell angebaute Energiepflanzen, aber auch Gülle und Mist sowie Bioabfälle oder Klärschlämme können dabei eingesetzt werden. Je nach vorhandener Biomasse – die von den landwirtschaftlichen Verhältnissen abhängt - wird auch eine entsprechende Biogasanlage verwendet. Biogas besteht zu etwa zwei Drittel aus Methan und zu einem Drittel aus Kohlendioxid. Weiterhin befinden sich geringe Mengen Wasserstoff, Schwefel, Ammoniak und andere Spurenelemente im Gas, die später bei der Aufbereitung entfernt werden. Da Biomasse in seiner Lebensphase CO2 durch den Vorgang der Photosynthese aufnimmt, wird der CO2-Gehalt im produzierten Biogas nicht als erhöhter CO2-Ausstoß definiert. Somit spricht man auch bei Biogas neben den weiteren erneuerbaren Energien Windkraft, Photovoltaik, Wasserkraft sowie Thermalwärme von „sauberer“ Energiegewinnung.

1.2. TECHNISCHER HINTERGRUND

Biogasanlagen wandeln organisches Material in methanhaltiges Biogas um, mit dem anschließend Strom und Wärme gewonnen werden. Als Rohstoffe zur Energie- gewinnung bieten sich vor allem pflanzliche und tierische Reststoffe an, die in der Landwirtschaft in großen Mengen anfallen. Das sind z.B. Gülle oder Pflanzenreste. Um den Gasertrag zu steigern, werden häufig Energiepflanzen wie Mais oder Getreide beigemischt. Zunächst wird die Biomasse in einer Grube gesammelt. Von dort wird sie in den beheizten Fermenter transportiert. Während des Gärprozesses wird die Biomasse durch Mikroorganismen zu einem methanhaltigen Gas zersetzt. Das so entstandene Biogas wird zunächst von Schwefel und anderen Schadstoffen gereinigt, bevor es einem Verbrennungsmotor zugeführt wird. In dem aus Motor und Generator bestehendem Blockheizkraftwerk (BHKW) wird das gereinigte Gas in Wärme und Strom umgewandelt. Der so produzierte Strom kann direkt in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden. Die im Abgas und Motorkühlwasser enthaltene Wärme wird in Wärmetauschern zurückgewonnen. Ein Teil der Wärme wird benötigt, um den Fermenter zu beheizen. Der Rest kann zum Beheizen angrenzender Wohn- und Wirtschaftsräume genutzt werden. Da bei der Verstromung von Biogas in landwirtschaftlichen Anlagen immer mehr Wärme anfällt als benötigt wird, kann das Biogas auch aufbereitet und ins Erdgasnetz eingespeist werden. Die vergorenen Reste aus der Biomasse bilden als Nebenprodukt einen hochwertigen Dünger für die Landwirtschaft.

Biogasanlagen werden anhand ihrer Leistung in den Kategorien bis 150 kW, bis

500 kW und ab 500 kW eingeteilt. Biogas-Großanlagen besitzen mehrere GW Leistung. Der Preis für eine hochwertige Biogasanlage mit einer Leistung bis 500 kW beginnt bei 1,5 Mio. Euro (vgl. Anhang A).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1-1: Schematische Darstellung zur Aufbereitung und Nutzung von Biogas. (Quelle: In Anlehnung an Agentur für Erneuerbare Energien e.V. 2009)

1.3. POLITISCH-HISTORISCHE VORAUSSETZUNGEN

Dem Staat kommt als Akteur bei der Entwicklung des Biogas-Sektors eine Schlüsselrolle zu, da mit seiner Hilfe das Thema eine zunehmende Relevanz gewonnen hat. Die Gründe der Bundesregierung für ihre Involvierung in das Thema sind vielschichtig und bedürfen eines Rückblicks auf historisch wichtige Ereignisse. Die Energiepolitik unterlag einem ständigen Wandel. Die im Folgenden aufgeführten nationalen Ereignisse vor 1990 sind dabei ausschließlich aus der Sicht der westdeutschen Energiepolitik zu betrachten. Als einschneidendes Ereignis wird die Ölkrise Ende 1973 gesehen, welche zu einer umfassend neustrukturierten Energiepolitik geführt hat (vgl. SARETZKI 2001: 201). Gleichzeitig war die Zeit von neuen sozialen Bewegungen geprägt, die sich kritisch mit den neu in Erscheinung getretenen Themen Umweltschutz und Atomkraft auseinander setzten.

Ende 1973 drosselten die OPEC-Staaten ihre Rohöl-Fördermenge als politisches Druckmittel und verursachten so einen unerwartet starken Anstieg des

Ölpreises auf dem Weltmarkt. Das anschließend verabschiedete deutsche Energiesicherungsgesetz sollte von nun an eine Versorgungssicherheit in der Bundesrepublik gewährleisten (vgl. SARETZKI 2001: 204f). Auch andere Industrienationen änderten ihre Strategien in der Energiepolitik in Bezug auf die Ölkrise, die die Abhängigkeit von fossilen Energien offenbar machte (vgl. KARLSCH 2003: 377). Als wirtschaftliche Folge musste die Bundesregierung im Folgejahr für ihre Ölimporte rund 17 Mrd. DM mehr bezahlen (vgl. HNAT 1992: 1f). Vor der Ölkrise von 1973 existierten in der Energiepolitik Deutschlands nur „reaktive, fragmentierte und widersprüchliche Ad-hoc-Interventionen, denen keine integrierten Konzepte für eine langfristige Energieversorgung zugrunde lagen.“ (SARETZKI 2001: 215). Es wurde daher begonnen, integrierte Konzepte für eine langfristige Energieversorgung zu realisieren. In der deutschen Energiepolitik fokussierte man sich nun auf die Energieträger Kohle und Atomkraft, um die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten zu verringern. Die neuen langfristigen Pläne sahen vor, fast die Hälfte der benötigten Energie bis 1985 aus Atomkraft zu speisen (vgl. SARETZKI 2001: 206). Gleichzeitig kam es zu unerwartet großen Protesten gegen Atomkraftwerke, beginnend im Februar 1975 in Wyhl. Durch Mobilisierung von Atomkraftgegnern und Bürgerinitiativen entstand eine überregionale Anti-Atomkraftbewegung, die mehr und mehr Einfluss auf etablierte Institutionen, Parteien und Verbände nahm. Die Bundesregierung reagierte auf den öffentlichen Druck und korrigierte die geplante Nutzung von atomarer Energie von 50% auf etwa 25% bis 1985 (vgl. KÖPPEL et al. 2007: 3). Später manifestierte sich ein Teil der Neuen Sozialen Bewegungen politisch als Partei der Grünen. Ihr Einzug in den Bundestag 1983 trug maßgeblich dazu bei, dass sich das neue Politikfeld Umwelt konstituierte. Energie- und Umweltpolitik blieben jedoch weiterhin zwei separiert betrachtete Bereiche der Bundesregierung, die sich erst im Laufe der 80er Jahre zunehmend durch politische Debatten kontextualisierte (vgl. SARETZKI 2001: 204). Zwei große Ereignisse trugen zum Paradigmenwechesel bei, der die Bereiche Energie und Umwelt zu einem gemeinsamen politischen Interessenkomplex werden ließ: In den 80er Jahren wurde das Thema Waldsterben intensiv und lange in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert; die steigende Luftverschmutzung wurde als Hauptursache benannt. 1986 kam es zum größten anzunehmenden Unfall in einem Atomkraftwerk, den Kritiker gefürchtet hatten: Eine Reaktorkatastrophe in Tschernobyl führte zum Super-GAU. Das mediale

und öffentliche Interesse an diesem Ereignis richtete sich nicht nur auf die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung, sondern auch auf die ökologischen Folgen der bisherigen Energiewirtschaft. Gleichzeitig stellte sich die Frage, ob es sich dabei nur um eine russische Reaktorkatastrophe oder gleichzeitig auch um eine deutsche Umweltkatastrophe handelte. SCHULZ weist in diesem Zusammenhang auf das Phänomen der Themenstrukturierung hin, welches im agenda setting -Ansatz berücksichtigt wird (vgl. 2000: 128): Ein Ereignis sowie seine kommunikative Vermittlung können somit zwei verschiedene Wahrnehmungen sein. Dieses Beispiel zeigt auf, dass ein Ereignis unterschiedlich interpretiert werden kann und somit unterschiedliche Konsequenzen für die Beteiligten hat. Unmittelbar nach dem russischen Reaktorunglück gründete die Bundesrepublik das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Klimaschutz und CO2-Minderung wurden neben der Erhaltung von Reaktorsicherheit nun Teil der politischen Ziele, um Smog und dem Phänomen des Waldsterbens entgegenzuwirken. Die Proteste gegen Kernenergie verstärkten sich nach der Reaktorkatastrophe deutlich (vgl. SARETZKI 2001: 209). Gleichzeitig nahm – abgesehen vom Reaktorunglück in Tschernobyl – paradoxerweise der Stellenwert der Energiepolitik auf der public agenda ab. Ein wichtiger Grund lag einerseits im anschließenden drastischen Preisverfall von Energie auf dem Weltmarkt, andererseits war die Kontextualisierung auf politischer Ebene zwischen Umwelt/Naturschutz sowie Energie noch nicht erfolgt. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Protestgruppen der Umweltschutzaktivisten und Atomkraftgegner, so wird deutlich, dass sie nicht nur ihre Mobilisierung teilten, sondern gemeinsame politische und ideologische Ziele verfolgten. Eine Verbindung der Themen Umweltschutz und Energie existierte somit durch die Wahrnehmung ihrer Aktionen in den Medien.

Basierend auf die bisherigen Ereignisse veröffentlichte 1987 die von den Vereinten Nationen gegründete Weltkommission für Umwelt und Entwicklung den sog. Brundtlandreport (ein Zukunftsbericht, erarbeitet unter dem Vorsitz von Gro Harlem Brundtland). Er enthielt erstmalig ein Leitbild einer Nachhaltigen Entwicklung, und er beeinflusste die internationale Debatte über Entwicklungs- und Umweltpolitik maßgeblich (vgl. KÖPPEL et al. 2007: 4). Der Aspekt der Nachhaltigkeit gewann nun zunehmend an Bedeutung. Im selben Jahr fand in Montreal die Internationale Konferenz zum Schutz der Ozonschicht statt, bei der sich die

Teilnehmer auf einen 50-prozentigen Abbau von FCKW-Emissionen bis 1999 einigten. Durch die neuen Verpflichtungen der Bundesrepublik profilierte sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl international als Vorreiter im Klimaschutz. In der policy agenda wurden Themen wie Probleme der Anlagensicherheit von Atomkraftwerken und Luftreinhaltung verdrängt von den neuen Themen Klimaschutz und Ressourcenschonung (vgl. SARETZKI 2001: 210). Diese Themenverschiebung auf politischer Ebene macht deutlich, dass die ersten internationalen Konferenzen zum Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit weitere Auslöser einer neuen nationalen Energiepolitik wurden. Außerdem zeigt es, dass konkrete Ereignisse einem bestimmten Thema zu mehr Wichtigkeit verhelfen können – im agenda setting -Ansatz wird dieses kommunikative Phänomen trigger-event genannt (s. Kap. 2.3.).

1990 begann die Europäische Union die Liberalisierung des Energiemarkts einzuleiten, um neue Stromanbieter im Wettbewerb zu integrieren. Gleichzeitig bildete es einen Grundstein zur späteren Förderung von Erneuerbaren Energien (EE). 1991 wurde von der Bundesregierung das sog. Stromeinspeisungsgesetz verabschiedet (StrEG). Es regelte die Abnahme und Vergütung von Strom aus EE-Quellen, die in den folgenden Jahren hauptsächlich Energie aus Wind- und Wasserkraft sowie Photovoltaik (Gewinnung von Energie durch Solarzellen) förderte. Damit wurden bewusst unabhängige Betreiber aufgefordert, Anlagen mit einer Leistung von weniger als 5 MW zu installieren (vgl. REICHE 2004: 145). Es bedeutete jedoch auch für die Energieversorger, dass sie ihr Netz für fremde Anbieter zur Verfügung stellen mussten. Ein heftiger Widerstand seitens der Stromversorger war die Folge. Die Auseinandersetzung zwischen Stromversorgern und Bundesregierung fand seinen Höhepunkt in einer zivilrechtlichen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die jedoch abgelehnt wurde (vgl. KÖPPEL et al. 2007: 3). Nach dem StrEG richtete sich die Vergütung noch nach dem Marktpreis für Strom – erst seit dem EEG im Jahr 2000 wurde diese Vergütung staatlich mit Tarifen festgeschrieben.

1992 betonte man die Bedeutung eines globalen Klimaschutzes und einer Energiewende anlässlich des Umweltgipfels in Rio. Hiermit wurden die Themen Klimaschutz und EE auf politischer Ebene zum ersten Mal in einen Kontext gestellt (vgl. KÖPPEL et al. 2007: 6). 1997 wurde das nationale Klimaschutzziel formuliert, CO2-Emissionen um 25 Prozent im Zeitraum von 1990 bis 2005 zu senken. Dies führte

dazu, dass der Umweltschutz als gleichberechtigter Gesetzeszweck in das neue Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen wurde - Strom aus regenerativen Energien konnte somit in Zukunft gegen einen Festpreis in die vorhandenen Stromnetze eingespeist werden. Auf europäischer Ebene wurde die Liberalisierung des Strommarkts weiterentwickelt, die dem Verbraucher schließlich die freie Wahl des Stromerzeugers ermöglichte. Der Netzbetreiber wurde dabei verpflichtet, seine Netze gegen Entgelt anderen Anbietern zur Verfügung zu stellen. 1997 wurde der deutsche Energiemarkt liberalisiert. Die Liberalisierung glich einer Kampfansage an die Energieversorger mit ihrer festen Infrastruktur und bisherigen festen Stromkunden:

Jeder Anbieter soll das Recht haben, den selbst produzierten oder von anderen Produzenten erworbenen Strom direkt an jeden interessierten Endverbraucher überall in der Bundesrepublik verkaufen zu können. (SARETZKI 2001: 213)

Die Auswirkungen der Liberalisierung des Strommarkts waren schwer zu prognostizieren. Dadurch gab es Bedenken seitens der Länder und Kommunen, da nun die geschlossenen Versorgungsgebiete aufgehoben wurden, indem „die rechtlichen Voraussetzungen für ihre Absicherung durch wettbewerbsausschließende Verträge abgeschafft werden.“ (SARETZKI 2001: 213) Die Kommunen befürchteten einen zukünftigen Ausverkauf des Strommarkts durch Großunternehmen, die die kommunalen Energieversorger mit hohen Strompreisen belegen könnten, was sich aber nicht bestätigte (vgl. SARETZKI 2001: 213f). Das Gegenteil trat ein: Als Folge der Liberalisierung sank der Strompreis entscheidend. Nun stand fest, dass der bisherige Strompreis vom Stromversorgern jahrzehntelang überteuert an den Endkunden weitergegeben wurde. Gleichzeitig konnte 1997 die Bildung des Energiemarkts für Grünen Strom durch EE beginnen.

1.4. ENTWICKLUNG DES BIOGAS-SEKTORS

1997 veröffentlichte die Europäische Kommission ein sog. Weißbuch, in der die Wichtigkeit von Nutzung, Ausbau und technischer Weiterentwicklung von EE in

den Vordergrund gestellt wurde. Ein Jahr darauf wurde das nationale Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) verabschiedet. Begründet wurde es mit der Notwendigkeit, die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern, Umwelt- und Klimaschutz-verpflichtungen zu erfüllen sowie Arbeitsplätze zu schaffen – für die Umsetzung dieser Ziele wurden von der EU Mittel in Höhe von 1 Mrd. zur Verfügung gestellt (vgl. KÖPPEL et al. 2007: 7f). Technische Innovationen standen nun beim neu zu erschließenden Markt der EE im Vordergrund. Somit hat sich die Kontextualisierung des Themas Erneuerbare Energien mit dem Argument der Schaffung von Arbeitsplätzen und der technischen Innovation erweitert.

Im selben Jahr veröffentlichte das Unternehmen Shell eine Studie, in der für das Jahr 2020 eine Wettbewerbsfähigkeit der EE erwartet wurde. Grund dafür war die weltweit starke Zunahme des Öl- und Gasbedarfs und die gleichzeitige Verringerung der zu erschließenden Vorkommen (vgl. KÖPPEL et al. 2007: 7). Man kann davon ausgehen, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt bei den meisten Ölkonzernen die langfristigen Unternehmensstrategien neu diskutiert worden sind.

1998 kam die neu gebildete rot-grüne Koalition an die Macht. Ihr langfristiges Ziel in der Energiepolitik bestand nicht nur im Ausstieg aus der Kernenergie, sondern auch im Einstieg in eine zukunftsfähige Energieversorgung (vgl. SARETZKI 2001: 214). Im Jahr 2000 einigten sich Umwelt- und Wirtschaftsministerium auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf, dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Ziel war es einerseits, die Branche der EE zu fördern (langfristige Vergütungssätze wurden zur Steigerung der Attraktivität für Investoren im Gesetz verankert), andererseits den Anteil von EE bis zum Jahr 2010 in der Elektrizitätserzeugung zu verdoppeln. Die entstehenden Mehrkosten der Energieversorger durch die Abnahmeverpflichtung werden seitdem an den Stromendverbraucher weitergegeben – rund 3,2 Mrd. Euro waren es im Jahr 2006. Nachdem 2001 das Kyoto-Protokoll von der Bundesregierung ratifiziert wurde, verpflichtete sie sich den C02-Ausstoß bis zum Jahr 2010 um 21% zu senken.

2004 wurde das EEG erneuert, um die Produktion von EE zu fördern. Besonders im Bereich der Nutzung von Biomasse wurden die Gesetze angepasst. Biogasanlagenbetreiber wurden finanziell stärker entlastet, in dem u.a. berücksichtigt wurde, dass die verschiedenen Verfahren zur Erzeugung von Biogas unterschiedliche Kosten verursachen. Auch die Landwirte profitierten stärker von der Novelle des

EEG, da u.a. die Einspeisevergütung für Strom aus Biomasse deutlich verbessert wurde. Eine erneute Novellierung des EEG im Jahr 2009 stellt einen größeren Anreiz für Landwirte dar, Biogasanlagen zu installieren. Das Gesetz sieht u.a. nun einen Gülle-Bonus vor, der zusätzlich bezahlt wird, wenn ein Mindestanteil von 30% Gülle im Verhältnis zur gesamten Biomasse in der Biogasanlage verwendet wird. Gleichzeitig sinkt der Bonus, je größer die Leistung der Biogasanlage ist, um stärker mittelständische Landwirte zu fördern anstatt Großinvestoren oder Energiekonzerne. Das resultierende EEG hat seit 2009 folgende Vergütungssätze zur Stromeinspeisung sowie Wärmegewinnung vorgesehen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

* variiert Tab. 1-1: Vergütungssätze durch das EEG 2009. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BMU und BMELV 2009)

Die nationalen sowie internationalen Klimaschutzziele stellen für die Zukunft eine große Herausforderung für Wirtschaft und Politik dar. Themen wie der Abbau des CO2-Ausstoßes, die Reduzierung von Energieimporten und der langfristige Ausstieg aus der Atomenergie sind die Gründe, um die bestehende Förderung von EE auszubauen. Dabei wurde erkannt, dass die existierende Technologie zur Energie- erzeugung ausbaufähig ist. Die Bundesregierung reagierte 2007 mit einem integrierten Energie- und Klimaprogramm, das die Förderung innovativer Technologien als erklärtes Ziel beinhaltete, um die Schwerpunkte Klimaschutz, Energieeffizienz, EE und CO2-Speicherung zu realisieren (vgl. VOGEL 2008: 26). Im folgenden Jahr verabschiedete die Große Koalition den Koalitionsvertrag. Er sieht u.a. vor, den Anteil von EE auf 10% bis 2010 zu erhöhen – 2006 betrug der Anteil am gesamten Endener- gieverbrauch 5,8%, und 2007 betrug er 8,5%. Die Novellierung des EEG von 2008 korrigierte diese Zielsetzung weiter: Bis 2020 soll der Anteil an EE auf 25% - 30%

gesteigert werden (vgl. VOGEL 2008: 25). Durch diese ehrgeizigen Ziele richtet sich der Fokus der bundesdeutschen Energiepolitik auf die Förderung von Energieeffizienz im Bereich der EE. Die Schwerpunkte im Einzelnen bilden dabei die Entwicklung moderner Kraftwerkstechnologien, Photovoltaik und Windenergie im Offshore- Bereich, Brennstoffzellen und Wasserstoff, energieoptimiertes Bauen sowie die energetische Nutzung von Biomasse (vgl. VOGEL 2008: 26). Für die folgenden Jahre wird ein jährliches Wirtschaftswachstum von 20% auf den weltweiten Märkten für Energietechnologie erwartet (vgl. VOGEL 2008: 27).

Das Thema EE ist ein Resultat aus den vorher getrennten politischen Bereichen Energie und Umweltschutz. Mehrere Kriterien führen zu dessen langfristiger wirtschaftspolitischer Förderung: Verbindliche Verträge zur CO2-Reduzierung, die Förderung innovativer Technologien, die immer notwendiger werdende Unabhängigkeit von Energieimporten, die zunehmende Verknappung von fossilen Energieträgern sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen sind nur einige Punkte, die auch dem Biogas-Sektor in Zukunft eine wichtige Rolle zuteilen.

2005 hatte in Deutschland die Biomasse einen Anteil von rund 3,3 Prozent am Primärenergieverbrauch. Drei Viertel der Endenergie wird als Wärme genutzt, 12 Prozent in Form von Strom und 14 Prozent als Kraftstoff (vgl. VOGEL 2008: 118). Folgendes Diagramm visualisiert den zunehmenden Anteil der Biogasanlagen in Deutschland, der die Förderung EE durch den energiepolitischen Kurs der Bundesregierung seit der Einführung des EEG im Jahr 2000 widerspiegelt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1-2: Entwicklung der Anzahl von Biogasanlagen in Deutschland. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Agentur für Erneuerbare Energien e.V. 2009)

Auf politischer Ebene ist die Energiepolitik Aufgabe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, dem die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, kurz Bundesnetzagentur (BNetzA) untergeordnet ist. Seit 2006 besitzt die BNetzA auch die Aufsicht über die deutsche Energiewirtschaft für die Strom- und Gasmärkte. Die wesentliche Aufgabe ist dabei die Kontrolle und Genehmigung der Netznutzungsentgelte und die Schaffung des Zugangs zu Stromversorgungs- und Gasnetzen, die sich wiederum im Eigentum der Energieversorgungsunternehmen befinden. Netznutzungsentgelte werden von den Netzbetreibern für den Transport und die Verteilung der Energie erhoben. Sie betragen etwa ein Viertel der Stromrechnungen für Endkonsumenten. Somit existiert in Deutschland ein Tarifsystem auf dem Strommarkt, das es den Energieversorgern erlaubt, die entstehenden Unkosten durch das Netznutzungsentgelt und das EEG an den Stromkunden weiterzugeben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1-3: Zeitleiste zur Entwicklung des Themas EE. (Quelle: Eigene Darstellung)

Fest steht nun, dass der Biogas-Sektor durch die Förderung Regenerativer Energien auf politischer Ebene entstanden ist. Meine Forschungsfragen beziehen sich auf die Region Brandenburg. Daher ist es zur weiteren Untersuchung des Themas wichtig, die Energiepolitik dieser Region näher zu betrachten.

1.5. ENERGIEPOLITIK IN DER REGION BRANDENBURG

Auch auf der politischen Landesebene in Brandenburg sind klimaschutz- und energiepolitische Themen auf der Agenda. Im Jahr 2002 wurde die „Energiestrategie 2010“ beschlossen. Sie beinhaltet die Entwicklung und Nutzung zukunftsfähiger Energietechnologien. Unter anderem wurde das Vorhaben verabschiedet, bis 2010 die CO2-Emissionen auf 53 Mio. Tonnen pro Jahr zu senken. 62,5 Mio. Tonnen CO2 waren es im Jahr 2000 (vgl. VOGEL 2008: 31). Der gleichzeitig angestrebte Zielwert von fünf Prozent EE am Primärenergieverbrauch wurde bereits 2006 übertroffen. Im Mai 2008 wurde die neue Energiestrategie 2020 des Landes Brandenburg vorgestellt. Die wichtigsten Punkte des neuen Programms sind die Erhaltung der Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit sowie Umwelt- und Klimaverträglichkeit. Die erreichten fünf Prozent Anteil an EE am Primärenergieverbrauch soll bis 2020 auf 20 Prozent steigen, vor allem durch die Förderung von Windenergie- und Biomassenutzung. Das CO2-Reduktionsziel für 2010 wird gleichzeitig auf 2020 verschoben; bis 2030 soll dafür eine weitere Reduktion der Kolendioxidemissionen auf

23 Mio. Tonnen erreicht werden. Die dabei bestehende öffentliche Kritik an der brandenburgischen Energiepolitik bezieht sich auf das Festhalten an der Braunkohleverstromung, der einen wichtigen Faktor im Stromexport darstellt (vgl. VOGEL 2008: 32).

Die Fördermittel für innovative Technologien werden vom Bund und der EU erhöht, was sich durch ein spürbares Wachstum im Markt für innovative Energietechnologien bemerkbar macht (vgl. VOGEL 2008: 33). Auch die zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen in der Region Berlin/Brandenburg, die das Fach Energie in seiner gesamten Breite vertreten, sprechen für ein zunehmendes öffentliches Interesse an dem Thema Erneuerbare Energien.

Mit der Festlegung einer erhöhten Einspeisevergütung für aus Biomasse erzeugten Strom in der Novelle des EEG in 2004 nahm in Brandenburg und ganz Deutschland die Errichtung von Biogasanlagen weiter kontinuierlich zu. Im Oktober 2006 waren in Brandenburg 45 Biogasanlagen mit 23 MW installierter elektrischer Leistung in Betrieb (vgl. HÖHNE 2006: 8). Die steigenden Weltmarktpreise für Agrarrohstoffe brachten den Zuwachs an Biogasanlagen in der zweiten Hälfte des

Jahres 2007 zunächst zum Erliegen. Trotzdem nimmt die Anzahl neu installierter Anlagen weiterhin kontinuierlich zu. Die Zukunft der Biogasanlagen wird in guten Wärmenutzungskonzepten oder Gasaufbereitung und -einspeisung liegen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1-4: Entwicklung der Anzahl von Biogasanlagen in Brandenburg. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Brandenburgische Energie Technologie Initiative 2009)

1.6. ZUSAMMENFASSUNG VON KAPITEL I

Biogas wird aus Biomasse gewonnen, die sämtliches organisch abbaubares Material einschließt. Dieses wird mithilfe von Bakterien und Mikroorganismen in einer bio- chemischen Reaktion zu Methan, CO2 und weiteren Gasen mithilfe von Fermentern umgewandelt. Das so entstandene Biogas wird in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) mithilfe eines Motors und anschließendem Generator in Strom und Wärme umgewandelt. Der Strom wird in das existierende Stromnetz der Energieversorger eingespeist und mit einem festen Preis pro kWh durch die staatliche Regulierung des Erneuerbare-Energien-Gesetz vergütet. Die zusätzlich entstandene Wärme wird in ein Nah- oder Fernwärmenetz eingespeist und weiterverwendet.

Der Biogas-Sektor ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Energiepolitik, die sich durch nationale und internationale Ereignisse nicht nur verändert, sondern auch erweitert hat. Die Ölkrise von 1973 führte den westlichen Industrieländern vor Augen, dass langfristige Konzepte zur Erhaltung der Energieversorgung nötig sind. Zur selben Zeit begann sich ein öffentliches Umweltbewusstsein zu formieren. Man begann

allmählich auf internationalen Konferenzen Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu diskutieren und zu fördern. Es resultierten Verträge, die eine Minderung des CO2-Ausstoßes festlegten. In den 90er Jahren nimmt das öffentliche Interesse an der Energiepolitik wieder zu, was den Themen Klimaschutz, Liberalisierung des Strommarkts sowie Ausstieg aus der Kernenergie zuzuschreiben ist (vgl. SARETZKI 2001: 215). Die Liberalisierung des Strommarkts und die Einführung des EEG führte zur zunehmenden Produktion von Strom aus EE, der staatlich gefördert wird. Eine zunehmende Anzahl von Biogasanlagen ist die Folge.

2. THEMEN UND ISSUES

Agenda setting is a theory about the transfer of the elements in the mass media's picture of the world to the elements in the pictures in our heads. (McCOMBS 2000b: 1)

Ausgehend von den beiden Forschungsfragen Wie stellt sich die Biogas-Diskussion in den Medien von Brandenburg dar? und Findet sich dieses Bild in den Vorstellungs- welten der Biogas-Akteure wieder? wurde der Rahmen im vorherigen Kapitel festgelegt, indem die Entwicklung des nationalen Biogas-Sektors dargestellt wurde. Fest steht somit, dass er das Ergebnis jahrzehntelanger Energiepolitik der Bundesregierung ist. Gleichzeitig wurde aufgezeigt, dass Ereignisse wie das Reaktorunglück von Tschernobyl nicht immer gleich interpretiert werden. Jeder involvierte Akteur eines Themas kann einen individuellen Deutungsrahmen besitzen. Die Atomkraftindustrie sprach dabei sicherlich von einer russischen Reaktorkatastrophe, während die Umwelt- schutzaktivisten es als deutsche Umweltkatastrophe definierten. Auch der Biogas- Sektor unterliegt in den Medien unterschiedlichen Interpretationen: Deutschland als Vorzeigeland im Bereich der EE auf der einen Seite, Vergeudung von nachwachsenden Rohstoffen wie Mais und Getreide auf der anderen Seite. Investitionen und technische Innovationen aus der Sicht der Unternehmen, Geruchsbelästigung und LKW-Lärm aus der Sicht der Anwohner. Man sieht, dass das Thema Biogas Konfliktpotential hat, da es sich aus verschiedenen Interessengruppen zusammensetzt, die das Thema unterschiedlich - je nach eigenen Zielen - beurteilen.

Das folgende Kapitel soll Ansätze und Modelle vorstellen, die sich mit Themen und Issues beschäftigen. Dabei werden Theorien aufgezeigt, mit denen man Themen und seine involvierten Akteure definiert, wie ein Thema entsteht oder wie seine Bedeutung zunimmt. Des Weiteren sollen Methoden aus der strategischen Unternehmensplanung vorgestellt werden, mit denen man Themen analysiert und ihre zukünftigen Entwick- lungen prognostiziert. Dieser theoretische Teil bietet die Basis für die Diagnose und Prognose von Themen und Issues.

2.1. BEGRIFFSDEFINITION ISSUE

Die Analyse von Themen wird aus der Sicht der Kommunikationswissenschaften u.a. mit dem agenda setting -Ansatz betrieben. Nach diesem Ansatz wird ein Thema als Issue (engl.) definiert. Für DEARING ist ein Issue ein soziales Problem mit Konfliktpo- tential, welches die Aufmerksamkeit der Medien erlangt hat (1996: 22). RHOMBERG übersetzt Issue mit öffentlicher Streitfrage und fügt hinzu:

Ein Issue fasst einen Problembereich in einen Rahmen, der ihn von anderen Objekten der sozialen Umwelt abgrenzt. Die Gleichstellung der Begriffe Issue und Thema ist also nicht zulässig [...] Ein Issue fasst den größeren Hintergrund von Ereignissen. Dazu zählen u.a. Interpretationen, zusätzliche Informationen, Handlungsmuster, verschiedene Perspektiven auf ein Problem […] Auf dem Weg eines Themas zum Issue muss ein Thema zuerst definiert und etikettiert werden […] Zum Issue wird ein Thema erst, wenn es in der politischen Öffentlichkeit als Problem erscheint […] Folgende Strategien können dabei angewendet werden: Durch die Konkretisierung eines Themas, durch die Herstellung von Betroffenheit oder durch die Abstraktion eines Themas durch die Einbindung in einen größeren Zusammenhang. (2008: 111)

Dabei stellt ein Issue mehr dar als nur ein Thema als öffentliche Streitfrage. Ein Issue definiert sich als komplexes Themenkonstrukt mit vielen Elementen. Diese Elemente können Ereignisse, Berichte über Ereignisse, eine öffentliche Person, weitere Deutungs- muster zu anderen Themen und Interpretationen in den Medien etc. beinhalten. Als Beispiel aus der Entwicklung des Themas Biogas kann man die Frage nach der Nutzung oder Nichtnutzung von Atomkraftwerken aufführen. Die Planung von weiteren Atomkraftwerken in den 70er Jahren sowie einem „Schnellen Brüter“ war beschlossene Sache seitens der Bundesregierung. Die unerwartet ansteigende Mobilisierung durch

Atomkraftgegner und Umweltschutzaktivisten ließ das Thema in der policy agenda erneut diskussionswürdig erscheinen und führte zu energiepolitischen Kursänderungen. Das Reaktorunglück in Tschernobyl gilt als Höhepunkt dieses Issues, und seitdem wird dieses konfliktreiche Thema durch jährlich stattfindende Ereignisse wie den Castor- Transport nach Gorleben in den Medien aufgegriffen und diskutiert. Es steht in regelmäßigen Abständen auf der Agenda der Medien und Öffentlichkeit. Als weiteres Issue kann man den Streit zwischen den Stromversorgern und der Bundesregierung zur Einführung des Stromeinspeisungsgesetzes von 1991 sehen. Durch das EEG und seine Novellierungen wurden nun auch die Stromversorger finanziell entlastet – doch das Issue könnte – aus welchen Gründen auch immer - wieder aktuell werden, sei es durch ein indirekt beeinflussendes Ereignis oder durch zunehmende Verärgerung der Stromkunden, die für die zusätzlichen Kosten der Stromanbieter wegen der Einspeisung von Strom aus EE aufkommen müssen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2-1: Das Issue im Zentrum von Ereignis, Thema und Konflikt. (Quelle: Eigene Darstellung)

EICHHORN begreift ein Issue als einen bestimmten Typ von Kategorie, in die eine Vielzahl unterschiedlicher Wahrnehmungen eingeordnet werden kann: In der Erforschung des agenda setting ordnet man Beobach- tungen meist in ein hierarchisch gegliedertes Kategorien-

system ein. Das Oberthema Ökologie wird somit in das Unterthema „Umweltver- schmutzung“, dann „CO2-Ausstoß“ und schließlich in einzelne Ereignisse eingeteilt wie

z.B. die Exxon-Valdez-Ölkatastrophe von 1989 (vgl. 1995: 65ff). Dieser Vorgang wird auch als Framing bezeichnet, in der die Etikettierung eines Themas erfolgt (siehe weiter unten). SÜHLING beschreibt Issues als „Konsequenzen aus wahrnehmbaren Mißständen und Phänomenen, die immer dann entstehen, wenn eine Gruppe von Individuen ein Problem erkennt und sich dazu entschließt, etwas zu tun, um es zu lösen.“ (1996: 89) RHOMBERG (2008) weist darauf hin, das das Issue sich von anderen Objekten der sozialen Umwelt abgrenzen muss. So ergänzt KRIESBERG: „In der Regel existieren verschiedene Parteien, die kontroverse Positionen beziehen, und meist gibt es einen Adressaten im Sinne eines wahrgenommenen und für verantwortlich erklärten Konterparts.“ (1982: 41, zit. in LIEBL 1996: 8) Issues zeichnen sich zudem

durch eine bestimmte Tragweite in der Gesellschaft aus, und Issues können „nicht von ihrer kulturellen Natur getrennt werden; sie verkörpern nicht einfach Ereignisse im luftleeren Raum, sondern sind im allgemeinen verknüpft mit speziellen sozialen Umgangsformen und Praktiken, sowie speziellen Lebensstilen.“ (LIEBL 2000: 21) Folgende unterschiedliche charakteristische Eigenschaften können sich mit einem konfliktären Gegenstand in einem Issue wiederfinden (vgl. EYESTONE 1978: 3; KRIESBERG 1982; COBB/ELDER 1983: 82; STIMSON 1991: 7, zit. in LIEBL 1996:

8; LIEBL 2000: 21, SCHULZ 2001b: 218):

- Es herrschen unterschiedliche Vorstellungen über die Lösung eines allgemein akzeptierten Problems.
- Es bestehen in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt grundsätzlich differierende Wertvorstellungen zwischen den Kontrahenten.
- Es gibt zwar Konsens über das, was angestrebt werden sollte, jedoch bricht ein Verteilungskampf aus.
Folgende charakteristischen Merkmale kann ein Issue besitzen:
- Es hat immer Bezug zu einem oder einer Gruppe von Ereignissen (vgl. ROGERS/DEARING 1988, zit. in LIEBL 1996: 8).
- Auch die mit den Ereignissen zusammenhängenden Vorgänge, z.B. Interpreta- tionen, Berichte in den Medien etc., werden Teil des Issue. Konzeptionell besteht daher ein Unterschied zwischen Ereignissen und Issues (vgl. SHAW 1977; EICHHORN 1995: 11, zit. in LIEBL 1996: 8).
- Ein Issue ist nicht bloß auf ein einzelnes Individuum, sondern mindestens auf ein ganzes Subsystem („kommunikatives Milieu“) der Gesellschaft bezogen. Nur wenn das Problem eines Einzelnen über seine Privatsphäre hinaus Folgen hat, kann es zum Issue werden (vgl. EYESTONE 1978, zit. in LIEBL 1996: 8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2-2: Voraussetzung für die Existenz eines Issue. Die Szene stellt mit dem Konflikt das kommunikative Milieu dar. Die Öffentlichkeit stellt jedes äußere System dar, welches den Konflikt erst als Issue etikettiert. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Lücke, die zwischen Ansprüchen und deren Befriedigung existiert, wird Deprivation genannt. Wissenschaft und Praxis versuchen, sie als Gradmesser für die Entstehung von strukturellen Spannungen zu operationalisieren. Selbst wenn eine Organisation eine optimale Beziehung zu seinen Interessengruppen pflegt, können diese einen höheren Anspruch verlangen als erwartet. Diese Situation wird auch Anspruchsin- flation genannt (vgl. LIEBL 2000: 33).

Konflikte werden als „Ergebnisse sowohl einer Interpretationsleistung als auch einer Mobilisierungsleistung in Bezug auf Ressourcen […]“ angesehen. (LIEBL 2000:

34) Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist, das „die Fähigkeit sich zu organisieren als eine treibende Kraft für das Emporkommen eines Issues aufgefaßt wird.“ (LIEBL 2000: 34) Deprivation sollte in diesem Ansatz nicht als Gradmesser eines sich entwickelnden und somit relevanten Issue eines Unternehmens angesehen werden, da Deprivation in Form von Konflikten immer und überall existiert. Vielmehr rückt die Fähigkeit der Mobili- sierung und Organisierung von Interessengruppen in den Vordergrund. Dabei unterscheidet man nach LIEBL zwischen motivationalen Ressourcen (z.B. gemeinsame Geisteshaltungen und Konsens in Bezug auf die moralische Richtigkeit bestimmter Vorwürfe) und materiellen Ressourcen (z.B. Finanzmittel und Arbeitsleistung) (vgl. 2000: 34). Die Mobilisierung von Konsens ist auch eine Deutungsleistung in Bezug auf das zu lösende Problem und damit auch identitätsstiftend für die Beteiligten einer Interessengruppe (vgl. LIEBL 2000: 35). Diese unterschiedlichen Deutungen der verschiedenen Konfliktgruppen zu Beginn eines Issue bilden einen wichtigen Teil in der Issue-Analyse. Konsensmobilisierung oder die emotionale Mobilisierung bei strittigen Themen heißt zudem auch ein Kampf um die Deutungsmacht (vgl. LIEBL 2000: 46f). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Issue a) mehr umfasst als ein Thema,

b) Bezug nimmt auf mindestens ein Ereignis, c) mindestens zwei verschiedene Meinungen voraussetzt, dessen unterschiedliche Interpretationen Folgen für Nichtbe- teiligte hat, und d) sich in einem sozialen System befindet, welches Bezug auf ein Ereignis im Subsystem (kommunikatives Milieu) nimmt. Im Kontext Atomkraft zum Beispiel bedeutet es: Wäre der Konflikt zwischen Atomkraftgegnern und den Atomkraftbetreibern nicht berücksichtigt worden (von den Medien oder weiteren sozialen Gruppen), so hätte es sich nicht zum Issue entwickeln können, und die Atomkraftpolitik der Regierung hätte an ihren ursprünglichen Plänen festgehalten.

Eine deutsche Übersetzung für Issue gibt es streng genommen nicht. Dem Wort Thema fehlt es somit an einigen wichtigen Eigenschaften, um mit dem angelsächsischen Wort Issue zu konkurrieren. Jedoch lässt sich in der wissenschaftlichen Diskussion feststellen, dass der Begriff Thema für Issue im deutschen Sprachgebrauch oft synonym verwendet wird.

2.2. PUBLIC RELATIONS VS. STRATEGISCHES MANAGEMENT

Der Begriff Issue wird in der wissenschaftlichen Diskussion aus unterschiedlichen Disziplinen heraus betrachtet. Die eine Sichtweise wird aus der Öffentlichkeitsarbeit mithilfe der Public Relations geleistet, die andere Sichtweise aus dem Blickwinkel der strategischen Unternehmensplanung. Obwohl sich beide Sichtweisen mit Issues beschäftigen, sind weder die wissenschaftlichen Ansätze noch die als relevant geltenden Issues deckungsgleich. Demnach unterscheidet man zwischen public issues und strategic issues (vgl. LIEBL 1996: 8ff; LIEBL 2000: 15ff, 120ff; SCHULZ 2001a: 123ff). Die folgende Abbildung veranschaulicht die Schnittmenge zwischen public issues - hier Issues genannt - und den strategic issues. Diese Schnittmenge ist aus der Sichtweise der strategischen Unternehmensplanung von Bedeutung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2-3: Fokus der strategischen Frühaufklärung. (Quelle: LIEBL 1996: 10)

In stark vereinfachter Form kann man beide Ansätze wie folgt zusammenfassen: Gesellschaftliche Veränderungen stellen unberechenbare Faktoren dar, die einen unmittelbaren Einfluss auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik haben. Diese Verände-

rungen werden zuerst als Trends oder Ereignisse in Kollektiven oder sozialen Gruppen wahrgenommen und entwickeln sich schließlich zu Themen. Anschließend werden sie mit konfliktreichem Potential in der Öffentlichkeit, in den Medien oder auf politischer Ebene diskutiert; sie zwingen somit Regierungen und Unternehmen zu strategischen Kursänderungen (vgl. LIEBL 2000; LIEBL 2001; RHOMBERG 2008). Als Beispiel kann man wieder das Issue „Atomkraft - ja oder nein?“ nennen. Ein anderes Beispiel für ein Issue bildet das Ereignis, das unter dem Etikett „Brent Spar“ bekannt wurde. Die Ölplattform sollte vom Mineralölanbieter Shell versenkt werden, jedoch kam es durch Aktionen der Umweltschutzaktivisten von Greenpeace zu einem großen medialen Interesse. Das Thema gelangte in die Öffentlichkeit, und die Konsumenten fingen an, Shell zu boykottieren. Shell gab dem öffentlichen Druck nach und ließ die Ölplattform abbauen, um sie auf dem Festland zu entsorgen anstatt sie wie vorgesehen zu versenken. Beide public issues zeigen, dass – aus organisatorischer, unternehmerischer oder politischer Perspektive - unvorhergesehene Ereignisse zu einschneidenden strategischen Kurswechseln führen können. Wie tritt man nun – im Kontext zu unserem Issue Biogas

- solch einem Phänomen in Organisationen, Unternehmen sowie Regierungen entgegen?

Der organisationstheoretische Ansatz von Public Relations greift dieses Problem auf und betont die „Wichtigkeit der durch eine Unternehmung betroffenen Personen- gruppen, Interessengruppen und Organisationen („ stakeholders “).“ (LIEBL 1996: 9) Entstehende Missverhältnisse zwischen Aktionen eines Unternehmens und Erwartungen der Betroffenen (Stakeholder) versucht man mit Hilfe von dialogorientierten Maßnahmen entgegenzuwirken bzw. Themen der öffentlichen Diskussion zu erkennen und darauf zu reagieren. Das Augenmerk fokussiert sich somit auf die Interessen- gruppen, da man davon ausgeht, „dass gesellschaftliche Konflikte und Streitfragen unter anderem über den öffentlichen Meinungsbildungsprozeß gelöst werden können.“ (SÜHLING 1996: 88) Allerdings wird das Prinzip der dialogorientierten Kommuni- kation kritisiert, da konzeptorientierte, strukturierte Ansätze fehlen.

Stakeholder bilden jedoch eine Schlüsselfunktion im Versuch, Konflikte für Unternehmen und Organisationen zu vermeiden. Sie stellen die Zielgruppe dar, für die sich in der Literatur eine Vielfalt von Begriffen wiederfindet: Bezugsgruppen, Teilöf- fentlichkeiten, Dialoggruppen, Publika, Anspruchsgruppen, etc. (vgl. SIGNITZER 2007: 160). Da Stakeholder im Zusammenhang mit einem Issue Interessen vertreten, werden sie auch als Interessengruppen bezeichnet (vgl. LIEBL 1996: 97). In der strate-

gischen Kommunikationsplanung existiert das Stakeholder-Management, welches die Wichtigkeit von Interessengruppen in den Mittelpunkt stellt. Die stark von der Praxis beeinflusste wissenschaftliche Perspektive der Public Relations beschäftigt sich mit Fragen der Unternehmenskommunikation, Lobbyismus und politischer Kommuni- kation. Außerdem „werden Grundsatzfragen der sozialen Rolle bzw. sozialen Verant- wortung von Unternehmen angeschnitten.“ (LIEBL 1996: 10) Ein großes Gebiet in den Public Relations setzt sich in der Theorie mit Fragen der Ethik auseinander. Dabei stellt das praktische Aufgabengebiet der Öffentlichkeitsarbeit oft ein Drahtseilakt zwischen ethischer Verantwortung und unternehmerischer Interessen sowie die Glaubwürdigkeit gegenüber der Öffentlichkeit dar (vgl. SCHÜZ 2001: 83ff; DAUGHERTY 2000: 389ff; CURTIN/BOYNTON 2000: 411ff). Mit der Sichtweise von LIEBL dominiert der organisationstheoretische Ansatz in der Praxis der Public Relations, der den Zielgruppen (Stakeholder) eine besondere Bedeutung beimisst. Man widmet ihnen den Fokus, da sie konfliktreiches Potential besitzen, welches einer Organisation, einem Unternehmen oder den politischen Entscheidern schaden kann. GRUNIG/HUNT verstehen unter Zielgruppen „eine Gruppe von Menschen, die a) einem ähnlichen Problem gegenüberstehen, die b) erkennen, das dieses Problem besteht und die sich c) organisieren, um mit diesem Problem umzugehen.“ (1984: 145, zit. in SIGNITZER 2007: 158) Zentrale Aufgaben in der Public Relations in Bezug auf das Issue- Management bilden der „Dialog mit den Stakeholdern und soziale Verantwortung von Unternehmen einerseits sowie Kommunikationsstrategien und Lobbyismus andererseits.“ (LIEBL 2000: 15) Das von SIGNITZER propagierte Problem besitzt in der Public Relations oft negative und somit eine risikoreiche Bedeutung. In der strate- gischen Frühaufklärung von Unternehmen hingegen wird es wertneutral interpretiert, da durch Probleme nicht nur Risiken, sondern auch Chancen entstehen.

Die andere Blickrichtung erfolgt aus Sichtweise der strategischen Unterneh- mensplanung. Hierbei stehen die für ein Unternehmen strategischen Handlungsweisen im Vordergrund. Issues sind in der Lage, Unternehmen nachhaltig zu beeinflussen. Für diesen Fall sollten unterschiedliche strategische Modelle existieren, um entsprechend zu reagieren. Alle im Umfeld des Unternehmens relevanten Entwicklungen sind dabei von Wichtigkeit – sowohl positive als auch negative. Diese im Entwicklungsumfeld entste- henden Issues stellen somit Risiken als auch Chancen dar (vgl. LIEBL 1996: 10; SCHULZ 2001a: 123f). Wird ein risikoreiches Issue zu spät wahrgenommen, so geht es

nur noch um Schadensbegrenzung für das Unternehmen, was in Form von dialogorien- tierter Kommunikation mit dem Stakeholder und den Medien geschieht (s. OBERMEIER 1999). Diese Risiken werden mit dem Ansatz der Risikokommunikation bzw. des Krisenmanagements behandelt. Für weiterführende Literatur zu diesem Thema wird auf SCHULZ (2001a; 2001b) verwiesen.

LIEBL führt in seinem Buch „Der Schock des Neuen“ auf, dass sich unser sozio-ökonomisches Umfeld in immer stärker werdenden Turbulenzen befindet und es somit für ein Unternehmen immer schwieriger wird, entsprechend und zeitlich darauf zu reagieren. Erhöhte Turbulenzen bedeuten auch, das sich verlässliche Prognosen für wirtschaftliche Entwicklungen „im Zeitablauf drastisch verkürzt haben.“ (2000: 16f). Die bisherigen von ANSOFF entscheidend geprägten strategischen Ansätze der Früher- kennung von sog. weak signals (schwache Signale) zum optimalen Handeln für Unternehmen stellt sich als immer schwieriger bis fast unmöglich dar (vgl. ANSOFF 1976). LIEBL stellt somit fest, dass sich große Chancen für Unternehmen in der Zukunft nur dann ermöglichen, wenn diese Zukunft als „gestaltbar“ angesehen wird – in Form einer engen Vernetzung mit dem Umfeld, um Trends und Issues mitzugestalten (vgl. LIEBL 2000: 17). Ein weiterer Ansatz des Issue-Managements, der sich in den 90er Jahren etabliert hat, ist das Trend-Management. Hierbei wird versucht, sich entwickelnde oder existierende Trends zu erkennen, um sie für Organisationen zu nutzen (vgl. LIEBL 2000: 16).

Nachdem nun die wissenschaftlichen Felder vorgestellt wurden, die sich mit Issues beschäftigen, um Veränderungen im Umfeld einer Organisation wahrzunehmen und darauf entsprechend zu reagieren, wird nun der Prozess untersucht, wie dieses geschieht. Die nun folgende Ausführung zum agenda setting -Ansatz ist hilfreich, um neue Erkenntnisse zu den beiden Forschungsfragen Wie stellt sich die Biogas- Diskussion in den Medien von Brandenburg dar? und Findet sich dieses Bild in den Vorstellungswelten der Biogas-Akteure wieder? zu gewinnen.

2.3. AGENDA-SETTING

Agenda setting is a theory about the transfer of the elements in the mass media's picture of the world to the elements in the pictures in our heads. (McCOMBS 2000b: 1)

agenda setting beschäftigt sich mit der Erforschung der Massenkommunikation und ihr Wirken auf den Einzelnen, auf die Öffentlichkeit und auf die Akteure des politischen Systems durch das Platzieren bestimmter Themen. Die ersten wissenschaftlichen Ansätze von Theorien über das Forschungsfeld Massenkommunikation liefern PARK (1922) und LIPPMANN (1922) und begründen somit die Erforschung des agenda setting (vgl. DEARING 1996: 10f). COHEN (1963) erweiterte den Ansatz (DEARING 1996: 12):

… that the press may not be successful much of the time in telling people what to think, but it is stunningly successful in telling its readers what to think about.

[...]

Ende der Leseprobe aus 182 Seiten

Details

Titel
Analyse des Issue Erneuerbare Energien
Untertitel
Im Rahmen des Forschungsvorhabens „Mikroenergie-Systeme zur dezentralen nachhaltigen Energieversorgung in strukturschwachen Regionen”
Hochschule
Universität der Künste Berlin  (Gestaltung)
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
182
Katalognummer
V170549
ISBN (eBook)
9783640894994
ISBN (Buch)
9783640894727
Dateigröße
54848 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Trend, Issue, Marketing, Medienforschung, agenda setting, Kommunikation, Strategie, Management, Planung
Arbeit zitieren
Michael Mieß (Autor:in), 2009, Analyse des Issue Erneuerbare Energien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170549

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