„Ohne Vorwarnung wird anderen Kindern mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Damit nicht genug: Man zieht anschließend seinen Gürtel aus dem Hosenbund und schlägt damit wahllos auf das Opfer ein. Es folgen bald weitere Bedrohungen und Raubtaten. Der erzieherische Handlungsbedar ist offensichtlich" (Heisig (2010): Das Ende der Geduld, S. 73).
In ihrem kürzlich erschienenen Buch schildert die ehemalige Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig Szenen jugendlicher Gewalttätigkeiten. Sie nimmt dies zum Anlass, erzieherische Maßnahmen zu fordern, um gegen jugendliche Straftäter anzukommen. Das
Thema Jugendkriminalität ist imzuge dieser Buchveröffentlichung kontrovers diskutiert worden in der Öffentichkeit.
Diese Diskussion sei hier insofern aufgegriffen, als dass die aufkommenden Fragen auch die Problematik dieser Arbeit umreißen: Woher kommt (Jugend-)Kriminalität? Was tun mit jugendlichen Straftätern? Gibt es „aussichtslose Fälle“? Wenn es so etwas gibt, wie geht man mit diesen um?
Dass das Phänomen Kriminalität wahrscheinlich genauso alt ist wie die Menschheit, behaupten die einen und lassen wenig Hoffnung, dass sich daran in Zukunft etwas ändert (Entziehen sie damit der Sozialpädagogik zum Teil ihre – wie sich zeigen wird - historische
Legitimationsgrundlage?). Dass es unter ganz bestimmten lebensweltlichen Bedingungen entstehen kann, behaupten die anderen. Eben auf diese Denkweise gründet sich zum Teil auch die moderne
Sozialpädagogik. Ihre Anfänge sollen im Rahmen dieser Arbeit mit dem besonderen Fokus auf den Umgang mit Jugendkriminalität nachgezeichnet werden.
Kirsten Heisig plädiert für einen konsequenteren Umgang mit jugendlichen Straftätern. Obwohl sie eine Problematik aufgreift, die in der hier untersuchten Epoche 1870 – 1930 in Deutschland noch gar keine Rolle spielt (das Problem jugendlicher Krimineller mit
Migrationshintergrund), können einige ihrer Gedankenstränge bereits in den damaligen fürsorgerischen Debatten wiedergefunden werden. So spricht sie sich als Jugendrichterin in erster Linie für einen erst unterstützenden und später regulierenden Eingriff in das Leben
von Kindern/ Jugendlichen aus (Vgl. Heisig (2010): Das Ende der Geduld, S. 127) und lässt Parallelen zur sozialpädagogischen Debatte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erkennen, wie sich im Folgenden zeigen soll.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Von den Anfängen der institutionalisierten Jugendhilfe
- Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
- Entwicklungen im frühen 19. Jahrhundert
- Die organisierte private Kinder- und Jugendfürsorge
- Sozialpädagogische Reformbemühungen im Kaiserreich
- Vorläufer staatlicher Interventionsmechanismen bis 1871
- Auswirkungen der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung
- Fürsorgeerziehung und Jugendkriminalität
- Das Problem Unerziehbarer
- Die Jugendgerichtsbewegung
- Vorbedingungen
- Die Internationale Criminalistische Vereinigung als Wegbereiterin
- Entstehung von Jugendgerichten zu Beginn des 20. Jhs.
- Jugendfürsorge und -wohlfahrt bis 1930
- Jugend als Lebensphase in der Weimarer Republik
- Jugendfürsorge und -pflege: Entstehung des Jugendamtes
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit verfolgt das Ziel, die Entwicklung der Jugendgerichtsbarkeit und Jugendfürsorge in Deutschland zwischen 1870 und 1930 nachzuzeichnen. Der Fokus liegt dabei auf dem Wandel vom Konzept der "Zwangserziehung" zur "Jugendwohlfahrt".
- Die Anfänge der institutionalisierten Jugendhilfe und deren Entwicklung im 19. Jahrhundert
- Der Einfluss der Sozialgesetzgebung des Kaiserreichs auf die Jugendfürsorge
- Die Entstehung der Jugendgerichtsbewegung und die Etablierung von Jugendgerichten
- Die Entwicklung der Jugendfürsorge und -wohlfahrt in der Weimarer Republik
- Der Wandel von pädagogischen Ansätzen im Umgang mit Jugendkriminalität
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Einleitung
Das Kapitel beleuchtet die aktuelle Debatte über Jugendkriminalität und deren Bezug zur historischen Entwicklung des Umgangs mit jugendlichen Straftätern.
- Kapitel 2: Von den Anfängen der institutionalisierten Jugendhilfe
Dieses Kapitel zeichnet die Anfänge der Jugendhilfe vom Mittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert nach. Es beleuchtet die Entwicklung von Almosenwesen, Zuchthäusern und der Rolle von Waisenhäusern in der Gesellschaft.
- Kapitel 3: Sozialpädagogische Reformbemühungen im Kaiserreich
Das Kapitel untersucht den Einfluss der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung auf die Jugendfürsorge und beleuchtet die Herausforderungen der Fürsorgeerziehung und der Problematik von "Unerziehbarer".
- Kapitel 4: Die Jugendgerichtsbewegung
Dieses Kapitel befasst sich mit der Entstehung der Jugendgerichtsbewegung im frühen 20. Jahrhundert und den Vorbedingungen, die zu ihrer Entwicklung führten.
- Kapitel 5: Jugendfürsorge und -wohlfahrt bis 1930
Das Kapitel schildert die Entwicklung der Jugendfürsorge und -pflege in der Weimarer Republik und die Entstehung des Jugendamtes als zentraler Institution der Jugendhilfe.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Begriffen und Themen wie Jugendkriminalität, Jugendfürsorge, Jugendgerichtsbarkeit, "Zwangserziehung", "Jugendwohlfahrt", Sozialpädagogik, staatliche Interventionen, "Unerziehbarer", Fürsorgeerziehung, Waisenhäuser, Zuchthäuser, Rettungshäuser, Jugendgerichte, Jugendämter, Weimarer Republik, und der historischen Entwicklung des Umgangs mit Jugendkriminalität.
- Quote paper
- Janka Vogel (Author), 2011, Von der „Zwangserziehung“ zur „Jugendwohlfahrt“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170705