Ein besonderes Merkmal Hoffmanscher Texte ist deren auffällige Konstruktion. Die Ambivalenz gilt als dominierendes textstrukturierendes Verfahren bei E. T. A. Hoffmann und eröffnet dem Leser verschiedene Möglichkeiten der Rezeption und der Textdeutung. Sehr augenfällig ist das Prinzip der Ambivalenz als textstrukturierendes Verfahren auch in Hoffmanns Märchen „Der goldene Topf“ aus dem Sammelband „Fantasiestücke in Callot’s Manier“. Das Märchen konstituiert zwei Welten, die nicht getrennt nebeneinander existieren, sondern ineinander übergehen. Damit einher geht die mehrfache Interpretationsmöglichkeit sowohl für die Figuren der erzählten Welt in Bezug auf ihre Erlebnisse innerhalb dieser Welt, als auch für den Leser, für den mehrere Deutungsmöglichkeiten bestehen.
Zusätzlich zur Ambivalenz des Märcheninhaltes schafft der Erzählvorgang selbst Mehrdeutigkeit. Das geschieht einerseits durch den Wechsel der verschiedenen Erzählsituationen und andererseits durch die Reflexivität des Erzählens. Die folgende Analyse beschreibt die Rolle des Erzählers in Hoffmanns Märchen „Der goldene Topf“ im Hinblick auf die Ambivalenz und die Reflexivität des Textes. Eine besondere Stellung nimmt das reflexive Erzählen ein, dass im Abschluss im Kontext der Romantischen Ironie erläutert werden soll.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Funktion des Erzählers
2.1 Die Perspektive
2.2. Der auktoriale Erzähler
2.3. Der personale Erzähler
2.4. Reflexivität des Erzählens und romantische Ironie
3. Schluss
1. Einleitung
Ein besonderes Merkmal Hoffmanscher Texte ist deren auffällige Konstruktion. Die Ambivalenz gilt als dominierendes textstrukturierendes Verfahren bei E. T. A. Hoffmann: „Seine Texte sind eigenartig gespalten und dadurch mehrdeutig,...“1 Diese Mehrdeutigkeit eröffnet dem Leser verschieden Möglichkeiten der Rezeption und der Textdeutung.
Sehr augenfällig ist das Prinzip der Ambivalenz als textstrukturierendes Verfahren auch in Hoffmanns Märchen „Der goldene Topf“ aus dem Sammelband „Fantasiestücke in Callot’s Manier“. Die Ambivalenz wird in dem Märchen „Der goldene Topf“ grundsätzlich auf zwei Ebenen angewandt. Die Ebene des Erzählten verbindet die wunderbare mit der alltäglichen Welt. Das Märchen konstituiert zwei Welten, die nicht getrennt nebeneinander existieren, sondern ineinander übergehen. Damit einher geht die mehrfache Interpretationsmöglichkeit sowohl für die Figuren der erzählten Welt in Bezug auf ihre Erlebnisse innerhalb dieser Welt, als auch für den Leser, für den mehrere Deutungsmöglichkeiten bestehen.
Zusätzlich zur Ambivalenz des Märcheninhaltes schafft der Erzählvorgang selbst Mehrdeutigkeit. Das geschieht einerseits durch den Wechsel der verschiedenen Erzählsituationen und andererseits durch die Reflexivität des Erzählens. Der Wechsel zwischen den Erzählsituationen trägt zur unterschiedlichen Perspektivierung bei, die ihrerseits die mehrfachen Interpretationsmöglichkeiten forciert. In literarisch narrativen Texten können auch Elemente vorkommen, die den Text als Text/ Textwelt bzw. als Erzähltes auf sich selbst beziehen und seinen erzählten/ literarischen Charakter explizit machen.2 Diese Elemente charakterisieren die Reflexivität des Erzählens, welche sich sowohl auf die Produktion als auch auf die Rezeption eines Textes beziehen kann.3
Die folgende Analyse beschreibt die Rolle des Erzählers in Hoffmanns Märchen „Der goldene Topf“ im Hinblick auf die Ambivalenz und die Reflexivität des Textes. Die Analyse soll exemplarisch die verschiedenen Erzählsituationen und die dadurch etablierte Ambivalenz aufzeigen. Hierfür dient Stanzels Werk „Theorie des Erzählens“ als Grundlage für die Definition der im Märchen verwendeten Erzählsituationen und deren Funktionsbestimmung bezüglich der charakteristischen Mehrdeutigkeit. Eine besondere Stellung nimmt das reflexive Erzählen ein, dass im Abschluss im Kontext der Romantischen Ironie erläutert werden soll.
2. Die Funktion des Erzählers in E.T.A. Hoffmanns Märchen „Der goldene Topf“
2.1. Die Perspektive
Ein Charakteristikum der Geschichte, ob kurz oder lang, ist die Art und Weise, wie sie erzählt wird. Dieses Charakteristikum wird von Robert Kellogg und Robert Scholes wie folgt beschrieben:
by definition narrative art requires a story and a story teller. in the
relationship between the teller and the tale, and that other relationship
between the teller and the audience, lies the essence of narrative art.4
Mit anderen Worten, eine Geschichte konstruiert zwei Ebenen: die Ebene des Erzählten und die Ebene des Erzählens. Neben der Geschichte an sich existiert ein Erzähler, der die Geschichte erzählt bzw. dem Leser vermittelt. Der Erzähler fungiert somit als vermittelnde Instanz zwischen dem Erzählten und dem Zuhörer bzw. Leser. Dadurch wird eine Beziehung zwischen Erzähler und Leser aber auch zwischen Erzähler und Erzählung geschaffen.
E.T.A. Hoffmanns Märchen vom goldenen Topf ist ein Märchen, genauer gesagt ein ‚Wirklichkeitsmärchen‘.5 Denn das Märchen „Der goldene Topf“ repräsentiert eine zweideutige Märchenwelt, dessen Ambivalenz schon im Titel angedeutet wird: „Der goldene Topf – ein Märchen aus der neuen Zeit“. „Hoffmann legt es darauf an, den Leser durch eine bis zum letzten Satz durchgehaltene Ambivalenz so zu vexieren, dass er nicht sagen kann, wo in der erzählten Welt im „Goldenen Topf“ die ihm vertraute Wirklichkeit aufhört und das Wunderbare beginnt.“6
Diese bis zum letzten Satz durchgehaltene Ambivalenz wird sowohl auf das Erzählte als auch auf den Erzählvorgang selbst angewandt. Ziel der folgenden Untersuchung ist es, den Erzählvorgang im Märchen E.T.A. Hoffmanns hinsichtlich der Etablierung von Ambivalenz zu analysieren. Die Beziehungen zwischen Erzähler, Erzählung und Leser sollen bestimmt werden, um somit im Anschluss charakteristische Funktionen für die Etablierung der Mehrdeutigkeit aufzuzeigen. Die jeweiligen Relationen werden durch die so genannten Erzählsituationen definiert. Die Literaturwissenschaft unterscheidet mehrere Erzählsituationen. Grundsätzlich differenziert man zwischen der personalen, der auktorialen und der Ich-Erzählsituation.7 Diese Erzählsituationen beschreiben die drei grundsätzlichen Möglichkeiten, die Mittelbarkeit des Erzählens zu gestalten und zu verstehen. „Wo eine Nachricht übermittelt, wo berichtet oder erzählt wird, begegnen wir einem Mittler, wird die Stimme eines Erzählers hörbar.“8
Durch das Maß an Subjektivität kann die Mittelbarkeit des Erzählens unterschiedlich graduiert sein. Der Grad der Subjektivität bestimmt die epische Distanz zwischen dem Erzähler und den Geschehnissen und den Figuren der Erzählung. Die epische Distanz wiederum hat Einfluss auf die Relation zwischen Erzähler und Leser. In der Ich-Erzählsituation ist der Mittler, der Erzähler identisch mit einem Charakter der erzählten Welt. Das heißt der Erzähler ist zugleich Subjekt der Handlung. Für die auktoriale Erzählsituation ist charakteristisch, dass der Erzähler außerhalb der Figurenwelt steht. Der Vermittlungsvorgang erfolgt aus der Position der Außenperspektive. Der auktoriale Erzähler berichtet von einem überlegenen, höhergestellten Standpunkt aus. Die berichtende, bewertende und kommentierende Erzählweise, die die epische Distanz zwischen Erzähler und Figuren evoziert, ist in dieser Erzählsituation dominierend. In der personalen Erzählsituation wird aus der Figurenperspektive berichtet. Der personale Erzähler schildert die Gedanken, Aussagen und Gefühle von Figuren aus deren Blickwinkel. Dadurch gewinnt der Leser den Eindruck der Unmittelbarkeit von Erzähltem oder anders ausgedrückt, „vielmehr entsteht beim Leser der Eindruck, ein vor seinen Augen ablaufendes Geschehen zu betrachten, sich auf dem Schauplatz des Geschehens selbst zu befinden.“9
Meistens ist die Erzählsituation im Verlauf einer Geschichte nicht konstant, sondern alterniert zwischen den verschiedenen Formen der Vermittlung. Das trifft auch auf das Märchen „Der goldene Topf“ zu. Der Märchentext alterniert zwischen mehreren Erzählsituationen. Welche Folgerungen sich daraus für die Interpretation und Wahrnehmung des Lesers im Hinblick auf die Etablierung der Mehrdeutigkeit des Märchens ergeben, soll in den folgenden Kapiteln erläutert werden. Jeweils beginnend mit der Definition der erzähltechnischen Merkmale, die auf die entsprechende Erzählsituation schließen lassen, soll im Anschluss die globale und die lokale Funktion der unterschiedlichen Erzählsituationen für das Leseverhalten analysiert werden.
2.2 Der auktoriale Erzähler
Die Kunst des vielfach die Perspektiven wechselnden Erzählens ist ein Charakteristikum in E.T.A. Hoffmans Märchen „Der golden Topf“. Dieser Multiperspektivismus sorgt für ein „virtuoses Spiel mit Ambivalenzen und Illusionsdurchbrechungen“.10 Auf diese Art und Weise wird die Geschichte des tollpatschigen Studenten Anselmus erzählt, der schön gewachsen ist, aber in armseligen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Zudem besitzt Anselmus zwei Gaben. Die eine Gabe ist, im entscheidenden Moment immer das Falsche zu tun. Die andere ist, Wunderbares zu erleben:
Am Himmelfahrtstage nachmittags um drei Uhr rannte ein junger Mensch in
Dresden durchs schwarze Tor und gerade zu in einen Korb mit Äpfeln und
Kuchen hinein, die ein altes hässliches Weib feil bot, so, dass alles, was der
Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde, und die Straßen-
jungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen.
Auf das Zetergeschrei, was die Alte erhob, verließen die Gevatterinnen ihre
Kuchen- und Branntweintische, […]. Ja renne – renne nur zu, Satanskind –
ins Krystall bald dein Fall – ins Krystall! – Die gellende, krächzende Stimme
des Weibes hatte etwas Entsetzliches, so dass die Spaziergänger verwundert
stillstanden und das Lachen, das sich erst verbreitet, mit einem Mal ver-
stummte. – Der Student Anselmus ( niemand anders war der junge Mensch)
fühlte sich, unerachtet er des Weibes sonderbare Worte durchaus nicht ver-
stand, von einem unwillkürlichen Grausen ergriffen, und er beflügelte noch
mehr seine Schritte, um sich den auf ihn gerichteten Blicken der neugierigen
Menge zu entziehen.11
Hier wird die erste Gabe des Studenten Anselmus beschrieben, und die zweite wird zumindest angedeutet. Der Leser wird in die Geschichte des Studenten Anselmus mittels eines auktorialen Erzählers eingeführt, der zu Beginn die Tollpatschigkeit des Helden der Geschichte beschreibt. Die Eingangspassage gestaltet sich zunächst mehr als ein Erzählerbericht als eine Szene, was ein typisches Merkmal der auktorialen Erzählsituation ist.12 Die Eingangspassage konstituiert die straffe Rekapitulation des Geschehnisablaufes um das Missgeschick des Studenten Anselmus. Die berichtende Erzählweise lässt deutlich die Mittelbarkeit des erzählten Geschehens und die Vermittlungsfunktion des Erzählers hervortreten. Hier gewinnt der Leser den Eindruck, dass eine außenstehende Person über die Geschehnisse berichtet. Laut Stanzel kann man „die Anwesenheit eines persönlichen, sich in Einmengungen und Kommentaren zu Figuren und Handlungen kundgebenden Erzählers“13 spüren. Die Einmengungen bzw. der Kommentar des Erzählers wird deutlich in der Textstelle, wo explizit der Name des Studenten nachträglich vom Erzähler genannt wird.
[...]
1 Orosz, Magdolna: Identität, Differenz, Ambivalenz. Erzählstrukturen und Erzählstrategien bei
E.T.A. Hoffmann. Frankfurt am Main: Lang, 2001. S. 55.
2 Orosz, a. a. O., S. 145.
3 Scheffel, Michael: Formen selbstreflexiven Erzählens. Eine Typologie und sechs exemplarische
Analysen. Tübingen: Niemeyer, 1997. S. 86
4 Scholes, Robert, Kellogg, Robert: The Nature of Narrative. London: Oxford University Press, 1966. S. 240.
5 Wührl, Paul-Wolfgang: Das deutsche Kunstmärchen. Heidelberg: Quelle und Niemeyer, 1984. S. 140.
6 Wührl, a. a. O., S. 141.
7 Stanzel, Karl-Franz: Theorie des Erzählens. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1979. S. 15 ff.
8 Stanzel, a. a. O., S. 15.
9 Vogt, Joche. Aspekte erzählender Prosa. Eine Einführung in Erzähltechnik und Romantheorie. 7. Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990. S. 50.
10 Wührl, a. a. O., S. 169.
11 E.T.A. Hoffmann: Der goldene Topf. In: Hartmut Steinecke (Hrsg.): E.T.A. Hoffmann. Fantasiestücke in Callot`s Manier. Werke 1814. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1985. S. 229, 230.
12 Vogt, a. a. O., S. 143 ff.
13 Stanzel, a. a. O., S. 84.
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