Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsklärung: Bildungs- und Chancenungleichheiten
3. Geschichte des Bildungssystems in Deutschland
4. Bildung in Deutschland im 21. Jahrhundert
4.1. Vorschulische Erziehung und Bildung im Kindergarten
4.2. Bildungsentscheidung – Von der Grundschule zur Sekundarstufe: Förderung oder Selektion?
5. Zusammenfassende Bewertung des deutschen Schulsystem mit Blick auf die Bildungs- und Chancenungleichheiten
I. Literaturverzeichnis
II. Internetquellen
Bildungs- und Chancenungleichheiten Kinder und Jugendlicher in Deutschland
1. Einleitung
Diese Hausarbeit wird sich mit den Bildungs- und Chancengleichheiten bzw. –Ungleichheiten Kinder und Jugendlicher in Deutschland befassen, welches seit Jahrzehnten ein Thema hitziger Diskussionen ist. Das deutsche Bildungssystem, welches ein entscheidender Faktor sozialer Ungleichheiten und Selektion darstellt, beginnt bereits mit dem Kindergarten, da auch dieser einen Bildungsauftrag hat und schon die ersten Lebensjahre des Kindes nicht ausschlaggebend, aber nachhaltig beeinflussend auf die Zukunft wirken können, welches ich in meiner Hausarbeit darstellen möchte. Desweiteren wird auf die deutsche Grundschule sowie Sekundarstufe intensiver eingegangen, da von hier aus bzw. nach dieser bereits die Weichen für das spätere Leben und den damit verbundenen Lebenschancen gestellt werden.
Meine Hausarbeit wird sich daher zunächst einmal mit den beiden Begriffen – Bildungs- und Chancenungleichheit – beschäftigen und diese im Zusammenhang mit dem deutschen Bildungssystems definieren, um einen Einstieg ins Thema zu bieten.
Im Hauptteil wird die Entwicklung der Bildungs- und Chancenungleichheiten in Deutschland dargelegt, indem die Veränderungen, die das deutsche Schulwesen, sowohl in Hinsicht auf eine gewandelte Bedeutung der Schulen der Sekundarstufe sowie der politischen Bemühungen, Bildung allen Schichten im gleichen Maße zugänglich zu machen, welche die Bundesrepublik von den Anfängen bis heute durchlaufen hat, analysiert werden. Danach werde ich auf die aktuelle Problematik des dreigliedrigen Schulsystems und der in Deutschland herrschenden, zum Teil extrem stark wirkenden Schichtunterschiede, die ebenfalls ihren Beitrag zu den Bildungs- und Chancenungleichheiten leisten, eingehen, um die Frage zu klären, wie sich diese Ungleichheiten heutzutage äußern und ob bzw. wie diese vom deutschen bzw. dreigliedrigen Schulsystem systematisch produziert werden.
Diese aus dem Hauptteil gewonnenen Erkenntnisse werden im letzten Teil dieser Hausarbeit nochmals zusammenfassend dargestellt werden, um diese zu einem Abschluss zu bringen.
2. Begriffsklärung: Bildungs- und Chancenungleichheiten
Bildungs- und Chancenungleichheiten, welche sich in Form sozialer Ungleichheit äußern, sind heutzutage Begriffe, die in unserer Gesellschaft eine große Rolle spielen, obwohl diese keine neuen Phänomene sind und schon seit Jahrhunderten ein Thema darstellen, jedoch im Zuge der Demokratisierung und der damit verbundenen, und zumindest versuchten, Gleichstellung aller immer mehr an Bedeutung zunehmen.
Ungleichheit bedeutet, in Verbindung mit Bildung, und damit gleichzeitig auch in Verbindung mit Chancen – genauer: Lebenschancen –, die ungleichmäßige Verteilung der Ressource Bildung innerhalb einer Gesellschaft. Mit Blick auf Deutschland bedeutet dies zum einen, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen einen geringeren und schwierigeren Zugriff auf diese Ressource haben, zum anderen werden manchen Gesellschaftsklassen der Zugang zur Bildung, die sich nicht nur auf „die allgemeine Schulbildung und formelle Berufsausbildung [beschränkt], sondern ebenso die berufliche Weiterbildung und kontinuierliches selbstgesteuertes Lernen“ reduziert, wobei diese Hausarbeit sich hauptsächlich auf die allgemeine Schulbildung beziehen wird, erheblich erleichtert. Dies wird als Bildungsungleichheit bezeichnet, da diese Ressource nicht gleichverteilt ist, sondern einige davon profitieren, wobei andere keinen Profit daraus ziehen. Jedoch ist „Bildung nicht nur eine formale, auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Ressource im Sinne des Humankapitals, sondern eine entscheidende Voraussetzung für viele unterschiedliche Lebenschancen“. Durch eine unterschiedliche, ungleiche Verteilung von Bildung kommt es also fast automatisch zur Produktion ungleicher Lebenschancen.1
Doch welche gesellschaftlichen und individuellen Faktoren tragen entscheidend zu den genannten Ungleichheiten und damit zur Ungleichverteilung der Ressource Bildung, welche Auswirkungen auf die Lebenschancen hat, bei? Dieser Frage wird nun im anschließenden Hauptteil nachgegangen.
3. Geschichte des Bildungssystems in Deutschland
„Unterschiede in der ‚Bildung‘ sind heute (...) zweifellos der wichtigste eigentlich ständebildende Unterschied. (...) Unterschiede der ‚Bildung‘ sind – man mag das noch so sehr bedauern – eine der allerstärksten rein innerlich wirkenden sozialen Schranken.“ 2
Dieses Zitat klingt neu, doch es war Max Weber, der dieses bereits 1922 äußerte, zu Zeiten als an eine Stärkung der Bildungs- und Chancengleichheiten noch nicht zu denken war. Noch heute, fast 90 Jahre später, besitzen diese Sätze noch immer Gültigkeit.
Erst rund 30 Jahre nachdem Weber diese Worte von sich gab, nach dem zweiten Weltkrieg und der Einführung des Grundgesetzes, in welchem die Bildung „zur ausschließlichen Ländersache geworden“ 3 war, kam es zu einem „strukturellen und quantitativen Ausbau des Bildungswesens, ... [das] mit einer sozialen Öffnung von allgemeiner Bildung einher[ging]“ 4 und eine Bildungsexpansion, die noch heute anhält, zur Folge hatte, wobei das von den Alliierten wenig bis gar nicht geschätzte dreigliedrige Schulsystem mit vorangehender 4-jähriger Grundschule wiederhergestellt wurde; diese sprachen sich für Einheitsschulen aus5.
Die Öffnung des Bildungssystems für alle ging einher mit der Einführung der Schulpflicht sowie der Mindestdauer des Schulbesuchs bis zur 9. Klasse bzw. bis zum 15. Lebensjahr (mit anschließender Berufsschule), was als erster wichtiger Ansatz zur Verringerung von Bildungsungleichheiten beitrug. Somit kam es in den 50ern und 60ern des letzten Jahrhunderts zu einer „zunehmenden Bildungsbeteiligung in allen Sozialschichten“ 6. Schon damals gab es jedoch entscheidende Unterschiede in der Qualität der Bildung: während 1965 circa 70% aller 13-Jährigen die sogenannte Volksschule besuchten, gehörten lediglich 16% der 13-jährigen Schüler der Oberschule bzw. dem Gymnasium an, von denen 36% aus Beamtenfamilien, jedoch lediglich 4% aus Arbeiterfamilien stammten. Aus diesen Zahlen wird ersichtlich, dass damals starke Diskrepanzen herrschten, wenn man von Bildungsungleichheiten spricht. Beamtenkinder hatten damals 19-mal bessere Chancen ein Gymnasium zu besuchen als Arbeiterkinder; die Chancen lagen 2000 bei 7%.7
Schaut man sich die Zahlen von heute an, welches im nächsten Teil der Arbeit geschehen wird, sieht man deutlich, dass die damalige Volksschule sowie die Oberschule bzw. das Gymnasium eine völlig andere Stellung in der Gesellschaft hatten, als dies heute der Fall ist. Die Volksschule wurde, wie den Zahlen zu entnehmen ist, von einem Großteil der schulpflichtigen Bevölkerung besucht, während der Zugang zur Mittelschule und zum Gymnasium hauptsächlich Kindern aus bessersituierten Familien zustand. Auch hatten Mädchen im Vergleich zu den Jungen sowie „Landkinder und Kinder unterer Schichten eine geringere Bildungsbeteiligung“ 8, obwohl das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bereits 1949 in Artikel 3 der Grundrechte besagte, dass „ niemand ... wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden [darf]“ 9.
Durch den Wirtschaftsaufschwung, der nach dem zweiten Weltkrieg einsetzte, entstand eine höhere Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften.
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1 Becker und Lauterbach, S. 11
2 Max Weber, 1922; zitiert nach Becker und Lauterbach, S. 11
3 Gagel, S. 50
4 Becker und Lauterbach, S. 28
5 Gagel, S. 50
6 Becker und Lauterbach, S. 11
7 Becker und Lauterbach, S. 11
8 Harazd, S. 31
9 Grundgesetz, Art. 3