Spricht man von ‚Individualisierung’ und ‚Persönlichkeit’ oder von ‚Charakter’, wie auch von ‚Integration’, ‚Inklusion’ oder ‚Exklusion’, so wird damit unterschwellig, wenn auch nicht immer klar thematisiert, der Einzelmensch im Vergleich zu den Mitmenschen angesprochen. Die Grundannahme ist, dass Verhaltensweisen, Ansichten oder Merkmale des Einzelmenschen sich von den vorhandenen Ausprägungen der Mitmenschen mehr oder weniger stark unterscheiden. Diese Differenzierung kann sowohl positive als auch negative Formen und Bewertungen beinhalten.
Empirische Sozialforschung, sofern sie sich auf die quantitativen Erhebungen bezieht, setzt in ihren Prämissen dabei das Vorliegen einer gewissen statistisch-mathematisch prüfbaren Norm voraus – oder legt sie mit ihren Ergebnissen zugrunde. Sozialphilosophische Idealnormen resultieren auf allgemeingültigen und grundlegenden Anschauungen, welche die Basis des gesellschaftlichen Lebens deskriptiv, analytisch oder normativ darstellen wollen. Die Sozialnorm an sich stellt die Formen der „gesellschaftlich definierten Verhaltensnormen“ dar, die innerhalb einer Gemeinschaft vorhanden sind. Dem zur Seite - oder auch gegenüber - steht die subjektive Norm, welche persönliche (individuelle) Maßstäbe beinhaltet. Auf der phänomenologischen Ebene beschreibt die funktionale Norm den Grad der Zweckmäßigkeit zur Erreichung eines Zieles.
Normen werden damit sowohl auf der Mikroebene (Subjektive Norm/Individualnorm), wie auch auf der Mesoebene (Sozialnorm) und der Makroebene (Idealnorm, statistische Norm) gebildet. TREIBER beschreibt die Bedeutungsinhalte der Norm wie folgt:
„[1] eine beobachtbare Gleichförmigkeit des Verhaltens;
[2] eine soziale Bewertung von Verhalten;
[3] eine verbindliche Forderung eines bestimmten Verhaltens.“
Die Norm wird damit zum ‚archimedischen Punkt’, von dem aus sowohl Gesellschaft als auch Einzelmensch zu betrachten sind.
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen
- Gesellschaft und Norm
- Norm und Normalität
- Devianz und Dissozialität
- Abweichendes Verhalten als positives Verhalten
- Abweichendes Verhalten als negatives Verhalten
- Epidemiologie und Inzidenz
- Devianz oder Normalität?
- Schlussbetrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema der Abweichung vom gesellschaftlichen Normverhalten, insbesondere in Bezug auf Persönlichkeitsstörungen und Devianz. Dabei wird die Frage nach der Fundierung gesellschaftlicher Normen im Kontext der Individualisierung und der Verteilung von „Nicht-Normgerechtem“ in der Gesellschaft gestellt.
- Die Bedeutung von Norm und Normalität in der Gesellschaft
- Die Rolle von Persönlichkeitsstörungen und Devianz im Rahmen sozialwissenschaftlicher Forschung
- Der Einfluss von Individualisierung auf die Definition von Normen
- Die Relevanz der Epidemiologie und Inzidenz von Persönlichkeitsstörungen und psychischen Erkrankungen
- Die Interaktion zwischen Gesellschaft, Persönlichkeit und Abweichung
Zusammenfassung der Kapitel
- Vorbemerkungen: Die Einleitung stellt das Thema der Individualisierung, Persönlichkeit und Norm in den Kontext der soziologischen Forschung. Es wird betont, dass die empirische Sozialforschung auf einer statistisch messbaren Norm basiert und die Bedeutung von subjektiven, sozialen und idealen Normen herausgestellt.
- Gesellschaft und Norm: Dieses Kapitel beleuchtet die historischen und theoretischen Vorstellungen von Normsetzung in Gesellschaften. Es wird auf die Ideen von Hobbes eingegangen, der das menschliche Zusammenleben als „Krieg eines Jeden gegen Jeden“ beschreibt. Weiterhin wird die Typologie von Fromm vorgestellt, die verschiedene Gesellschaftsformen hinsichtlich ihrer Gewaltbereitschaft und Feindseligkeit unterscheidet.
- Norm und Normalität: Dieses Kapitel behandelt die Frage nach dem Normalitätsverständnis in der Sozialwissenschaft und geht auf die Kritik von Honneth ein, die auf die Problematik des „Normalitätskonzepts“ hinweist. Es wird die Notwendigkeit einer hermeneutischen Perspektive betont, die das Selbstverständnis von Gesellschaften berücksichtigt.
- Devianz und Dissozialität: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Konzept der Abweichung (Devianz) und der Dissozialität im Verhalten. Es werden verschiedene Formen von abweichendem Verhalten, sowohl positive als auch negative, diskutiert. Der Fokus liegt auf der Analyse der Ursachen und Auswirkungen dieser Verhaltensweisen im gesellschaftlichen Kontext.
- Epidemiologie und Inzidenz: Dieses Kapitel untersucht die Häufigkeit und Verbreitung von Persönlichkeitsstörungen und psychischen Krankheiten mithilfe epidemiologischer Daten. Es werden die Implikationen dieser Daten für die Definition und Regulierung von Normverhalten in der Gesellschaft diskutiert.
- Devianz oder Normalität?: In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Analyse zusammengeführt und die Frage nach der Grenzziehung zwischen Devianz und Normalität im Kontext der Individualisierung und gesellschaftlicher Normen diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Themen der Sozialwissenschaften, wie Individualisierung, Persönlichkeit, Norm, Devianz, Dissozialität, Persönlichkeitsstörungen, psychische Erkrankungen, Epidemiologie, Inzidenz, Gesellschaft, Verhalten, Normalität, und soziale Interaktion. Im Fokus stehen die wissenschaftlichen Theorien und Konzepte, die zur Erklärung von Abweichungen vom Normverhalten beitragen. Die Arbeit integriert dabei Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen wie Soziologie, Psychologie, Psychiatrie, Philosophie und Medizin.
- Quote paper
- Marion Röbkes (Author), 2011, Grenzgebiete der Individualisierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/171175