Die Grundrechtscharta der EU


Seminararbeit, 2001

17 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Grundrechtssicherheit vor der Proklamierung der Grundrechtscharta
II. 1. Interdependenz zwischen der Rechtsprechung des EuGH und den Verfassungen der Mitgliedstaaten
II. 2. Einfluss der EMRK auf die Grundrechtssituation in Europa Vor der Charta

III. Notwendigkeit einer Grundrechtscharta für die Europäische Union

IV. Die neue „Konvents-Methode“ und ihre Vor- und Nachteile
IV. 1. Die Zusammensetzung des Konvents
IV. 2. Schwächen der klassischen Verhandlungsmethode
IV. 3. Vor- und Nachteile der „Konvents-Methode“ S. 11 IV. 4. Der Verlauf der Ausarbeitung de Charta

V. Schluss und Ausblick

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Der „Status quo“ der europäischen Integration nach Amsterdam warf einige Fragen hinsichtlich der Verfasstheit der Europäischen Union (EU) auf. Die Debatte, ob die EU eine Verfassung braucht, ist allerdings eine weitgehend deutsche Diskussion. In Frankreich oder Großbritannien gründet die nationale Identität größtenteils auf ihre Geschichte und auf Traditionen. Die junge Bundesrepublik hingegen stand nach dem zweiten Weltkrieg vor der Frage, woran sich die nationale Identität festmachen könnte. Das Grundgesetz entwickelte sich rasch zu einem Pfeiler des bundesrepublikanischen Selbstverständnisses. Dolf Sternberger führte den Begriff des „Verfassungspatriotismus“[1] an, wenn es um die Basis für die nationale Identität der Deutschen ging. Es ist deshalb auch nicht weiter verwunderlich, dass gerade der deutsche Außenminister Joschka Fischer mit seiner Rede vor dem Europäischen Parlament im Januar 1999 und im Mai an der Berliner Humboldt-Universität die Verfassungsdiskussion wieder in den Mittelpunkt hob.

In der Geschichte der europäischen Einigung gab es des öfteren Versuche, das zusammenwachsende Europa mit einer Verfassung auszustatten. Dass es allerdings immer noch keine EU-Verfassung gibt, hängt wohl damit zusammen, dass erheblich an der „Verfassungswürdigkeit“ der EU gezweifelt wird. Die EU ist in ihrer völker- und staatsrechtlichen Struktur ein einmaliges Gebilde, bei dem es sich laut Bundesverfassungsgericht um einen „Staatenverbund“ handelt. Es ist allerdings auch fraglich, ob es Sinn macht, wenn man eine Verfassung für eine Gemeinschaft ausarbeitet, in der die einzelnen Mitgliedstaaten und deren Bürger noch ein rein nationalstaatliches Denken an den Tag legen. Des Weiteren sind auch weite Teile der politischen und gesellschaftlichen Infrastruktur (Parteien, Verbände und Medien) noch rein nationalstaatlich geprägt. Trotz dieser gesellschaftlichen Situation zielten die Forderungen der unterschiedlichen politischen Vertreter in Deutschland alle in Richtung einer Verfassung. Der CDU/CSU ging es dabei um einen „Verfassungsvertrag“, der die Grundwerte der EU beinhalten, zum anderen aber auch die Zuständigkeiten zwischen der EU, den Nationalstaaten und den Regionen festschreiben sollte. In dieser Forderung ging es der CDU/CSU v.a. darum, die „Allzuständigkeit“ der EU, die befürchtete Zentralisierung nach Brüssel, zu verhindern. Die FDP plädierte für eine „staatlich verfasste föderale EU“. Der Verfassungsvertrag sollte nach ihrer Meinung zu einer europäischen Verfassung weiterentwickelt und dann per Volksabstimmung bestätigt werden. Die Grünen forderten eine europäische Grundrechtscharta, die gewährleisten sollte, dass die EU-Bürgerrechte und die rechtsstaatlichen Grundrechte respektiert werden.

Obwohl die Menschen- und Bürgerrechte in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) und im Unionsvertrag berücksichtigt werden, existiert noch keine, auf Gemeinschaftsebene formulierte, verbindliche europäische Grundrechtscharta. Auf Initiative der Bundesregierung hat der Europäische Rat daher im Juni 1999 in Köln die Erarbeitung einer solchen Charta initiiert, die er ausdrücklich auch als integrationspolitisch wünschenswert bezeichnet hat. Unter der Leitung von Altbundespräsident Roman Herzog hat ein 62-köpfiger Konvent einen ersten Entwurf der Charta der Grundrechte der EU ausgearbeitet und Ende Juli 2000 vorgelegt. Nach Präsentation des endgültigen Entwurfs im Oktober 2000 in Biarritz hat der Europäische Rat im Dezember 2000 auf dem Gipfel in Nizza die Charta proklamiert. Die Einarbeitung in die EU-Verträge wurde allerdings noch nicht erreicht.

In dieser Arbeit soll nun die Grundrechtssituation vor der Grundrechtscharta beschrieben und die Notwendigkeit einer Grundrechtscharta erörtert werden. Im besonderen Maße wird die Arbeit auf den Entstehungsprozess eingehen, der mit der Konvents-Methode eine bisher einmalige Verhandlungs- bzw. Erarbeitungsmethode auf europäischer Ebene darstellte. Des Weiteren möchte die Arbeit die Perspektiven für einen bereits begonnenen und zukünftigen Verfassungsprozess der EU skizzieren.

Es soll dabei von folgenden Fragestellungen ausgegangen werden, in denen die demokratische Legitimation im Mittelpunkt meiner Interessen steht: Ist die Grundrechtscharta der EU eine notwendige Voraussetzung für die demokratische Legitimation der EU? War die Erarbeitungsmethode des vom Rat beauftragten „Gremiums“ förderlich oder eher schädlich für den Legitimationsanspruch der Grundrechtscharta?

II. Grundrechtssicherheit vor der Proklamierung der Grundrechtscharta

Vor der Ausarbeitung einer Charta war der Grundrechtsschutz in der EU natürlich kein unbeschriebenes Blatt. Das die Gemeinschaft grundsätzlich an die Grundrechte gebunden ist, daran gab es auch schon vor der Proklamierung der Grundrechtscharta keinen Zweifel.

II. 1. Interdependenz zwischen der Rechtsprechung des EuGH und den VFdM

Der EuGH hatte spätestens in den 60er Jahren damit begonnen, sich über die Neutralität der römischen Verträge, hinsichtlich der Grundrechtsfragen, hinwegzusetzen und die Geltung der Grundrechte durch seine Rechtsprechung im Rahmen seiner Jurisdiktion, als allgemeine Grundsätze im Gemeinschaftsrecht, zu verankern. Diese Rechtsprechungspraxis, die sich, bezogen auf die Herleitung der Grundrechte, an den Verfassungen der Mitgliedstaaten (VFdM) orientierte und v. a. an der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), sowie an der Europäischen Sozialcharta (ESC), wurde zwischenzeitlich in dem Maastrichter-Vertragswerk im Artikel F (EUV) und später im Amsterdamer-Vertrag unter dem Artikel 6 (EUV) verpflichtend festgeschrieben. Im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des EuGH und der Verankerung der Grundrechtsbindung in dem EUV sprach man damals schon von einer „Grundrechtscharta“.[2] Art. 6 Abs.1 des EUV setzt für die Union vier Grundsätze, sowohl die Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, als auch die Rechtsstaatlichkeit fest. Dies verdeutlicht die normativ verbindliche Interdependenz von grundlegenden gemeinsamen Wertungen im Primärrecht und in den VFdM und schafft einen „interdependenten europäischen Verfassungsraum“[3]. Die im Art. 6 Abs.1 festgesetzten Grundsätze sind der kleinste gemeinsame Nenner, den die VFdM untereinander aufweisen und die sich mit der EMRK decken. Diese genannten Grundsätze werden im Art. 6 Abs.2 den Mitgliedstaaten als gemeinsam aufgegeben. Damit wird die Grundlage für die Verklamme-rung des europäischen Primärrechts mit den VFdM gelegt. Die einzelnen VFdM wurden spätestens nach dem Maastrichter-Vertrag auf ihre Konformität mit dem europäischen Primärrecht geprüft und gegebenenfalls abgeändert. In Deutschland ist das Ergebnis dieser Anpassung der Art. 23 GG. Durch diesen Artikel wird die wertinhaltliche Interdependenz der deutschen Verfassung zum europäischen Primärrecht verankert. Dadurch hat nun die staatsrechtliche Normenpyramide spätestens, nach der vertraglichen Erwähnung der Grundsätze, eine Erweiterung erfahren. Endete sie sonst mit dem BVG, steht nun der EuGH an der Spitze ihrer Rangordnung als „Hüter des Gemeinschaftsrechts“. Damit bricht Gemeinschaftsrecht das nationale Verfassungsrecht.[4] Auch dieser enorme und in der Wissenschaft kritisch betrachtete Aspekt war in der Geschichte der Europäischen Integration einem Prozess unterzogen. Als Wegweiser seien die beiden „Solange I und II“ Entscheidungen des BVG erwähnen. Mit der „Solange I-Entscheidung“ behielt sich das BVG vor, das europäische Gemeinschaftsrecht an dem Grundrechtskatalog des GG zu prüfen. Wäre es dabei geblieben, hätte das ohne Zweifel Auswirkungen auf ein sich entwickelndes europaweit geltendes Recht gehabt. Seit den 70er Jahren beachtete der EuGH immer mehr die Grundrechte durch die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten in seiner Rechtsprechung. Diese Entwicklung der Rechtsprechung führte zu der „Solange II-Entscheidung“ des BVG, in der es 1986 die „Solange I-Entscheidung revidierte und den effektiven Grundrechtsschutz durch den EuGH anerkannte. Als Beispiel für einen immanenten Eingriff in die deutsche Verfassung seit des in Kraft Tretens der Solange II-Entscheidung ist das „Tanja Kreil-Urteil“[5]. Mit diesem Urteil wurde in Deutschland der Art. 12a Abs.4 des GG ergänzt und den Frauen damit der freie Zugang zu allen Bereichen der Bundeswehr gewährt. Damit wird deutlich, dass der EuGH in der Lage ist, eine Wertung des Gemeinschaftsrechts vorzunehmen und dadurch Einfluss auf die interpretierbaren Normen in den einzelnen VFdM zu nehmen, um die Ziele des EG-Vertrages zu sichern.

II. 2. Einfluss der EMRK auf die Grundrechtssituation in Europa vor der Charta

Der zweite Weltkrieg war einer der Auslöser, warum man es für nötig hielt Menschenrechte auszuformulieren und zu überwachen. Man erarbeitete eine Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Diese Erklärung fand ihre rechtliche Ausgestaltung in den beiden zentralen UN-Menschenrechtspakten, zum einen in dem internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und zum anderen in dem internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Seit 1950 existiert auf regionaler Ebene die Europäische Menschen-rechtskonvention (EMRK), die durch den Europarat ausgearbeitet wurde. Dieses Gremium wurde 1949 gegründet und zählt zwischenzeitlich 41 Mitgliedstaaten. Die EMRK beinhaltet die „klassischen Menschenrechte“. Die Überwachung der EMRK und der Europäischen Sozialcharta, die es seit 1961 gibt, erfolgt durch den Europäischen Menschenrechtsgerichts-hof (EGMR) in Straßburg. Die EMRK ist ein völkerrechtliches Instrument und eine Ergänzung der natürlichen Menschenrechte. Durch die kontinuierliche Rechtsprechung des EGMR wurde sichergestellt, dass die Konvention zeitgemäß ausgelegt wird. Alle Mitgliedsländer der EU sind bereits einzeln Mitglied im Europarat. Die EU als Ganzes verfügt, nach Meinung des EuGH, nicht über die notwendige Rechtspersönlichkeit, um der EMRK beizutreten. Jedoch in seiner Rechtsprechung hat sich der EuGH immer sehr stark an der Rechtsprechung des EGMR orientiert. Die grundrechtliche Orientierung an der EMRK wurde also durch die Anpassung des EuGH an die Urteile des EGMR gewährleistet.

[...]


[1] Schmuck, Otto u.a.: Die Zukunft der Europäischen Union. Bundeszentrale f. pol. Bildung, 2000. S. 130

[2] Engels, Markus: Die europäische Grundrechtecharta: Auf dem Weg zu einer Verfassung? (Eurokolleg/45). Friedrich Ebert Stiftung, 2001. S.3

[3] Müller-Graff, Peter-Christian: Europäische Föderation als Revolutionskonzept im europäischen Verfassungsraum? In: Integration 23. Jg., 3/2000. S. 162

[4] Ebenda

[5] Engels, Markus: Die europäische Grundrechtecharta: Auf dem Weg zu einer Verfassung? (Eurokolleg/45).

Friedrich Ebert Stiftung, 2001. S. 4

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Grundrechtscharta der EU
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Politikwissenschaft Abteilung I: Innenpolitik und Außenpolitik)
Veranstaltung
Proseminar: Das politische System der EU
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
17
Katalognummer
V17133
ISBN (eBook)
9783638217774
ISBN (Buch)
9783640202836
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grundrechtscharta, Proseminar, System
Arbeit zitieren
Matthias Mißler (Autor:in), 2001, Die Grundrechtscharta der EU, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17133

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