Leseprobe
Inhaltsverseichnis
Einleitung
1. Columella und die Arbeitsorganisation
1.1. Die verschiedenen Arbeitskräfte bei Columella
1.2. Anforderungen für das Funktionieren der Pachtwirtschaft
1.3. Von der Sklavenhaltung zum Kolonialsystem
2. Überblick über die Landwirtschaft in Gallien.
2.1. Die gallo-römische Landwirtschaft
2.2. Die Romanisierung der gallischen Agrarwirtschaft.
2.2.1.Die Sntstehung der villa rustica
2.3. Die Arbeitsorganisation
3. Die Landwirtschaft in der römischen Schweis
3.1. Die Romanisierung der heutigen Schweiz und die Folgen für die Landwirtschaft
3.2. Die villa rustica und ihre Sntstehung
3.3. Das Siedlungsbild.
3.4. Die Arbeitsorganisation
Fasit
Bibliographie
Einleitung
Vorliegende Seminararbeit beschäftigt sich mit den landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsformen in der römischen Schweiz. Im Zentrum steht die Frage nach der vorherrschenden Arbeitsorganisation. Da direkte Quellen zur Arbeitsorganisation für das Gebiet der heutigen Schweiz fehlen, soll aufgrund der Siedlungsstruktur, der Grösse der Villa und der Siedlungsdichte, sowie dem Grad der Romanisierung auf die Arbeitsorganisation geschlossen werden. Die Thematik wird von drei Seiten angegangen: Die Lage im Gebiet der heutigen Schweiz soll verglichen werden mit der Theorie Columellas und der landwirtschaftlichen Situation in Gallien.
Als Quelle dient das zwölfbändige Werk „De re rustica“ des römischen Agrarschriftstellers Columella, insbesondere die Passagen, die über die Arbeitsteilung auf einem landwirtschaftlichen Gut sowie die Wirtschaftlichkeit des Pachtwesens berichten. Mit der Arbeitsorganisation, die von den römischen Agrarschriftsteller überliefert wird, haben sich auch Wilhelm Kaltenstadler1 oder René Martin2 beschäftigt, auf die ich mich im Folgenden stützen werde. Silke Diederich hingegen untersuchte in ihrem Werk zu Columella das Spannungsfeld zwischen fachlichem Gegenstand und literarisch-ästhetischer Form.3 Jesper Carlsen4 und Günther Rigobert5 betrachteten die verschiedenen Arbeitskräfte, sowie ihre Aufgaben auf dem landwirtschaftlichen Gut ausführlicher.
Der Seminararbeit liegt die These zu Grunde, dass sich die landwirtschaftliche Situation Galliens unter römischer Herrschaft auf das Gebiet der römischen Schweiz übertragen lässt. Als Vergleichspunkte sollen das Siedlungsbild des ländlichen Galliens, die Sntwicklung von der vorrömischen zur gallo-römischen Landwirtschaft und die Arbeitsorganisation dienen. Für die Analyse der Landwirtschaft in Gallien unter römischer Herrschaft beziehe ich mich auf folgende Werke: „Les campagnes en Gaule Romaine*6 von Alain Ferdière gibt einen Überblick über die Siedlungsdichte in Gallien und thematisiert auch die Grösse der Gutshöfe. Sbenfalls von Alain Ferdière ist das Werk „Histoire de l’agriculture en Gaule“7, in dem ein Überblick über die gallische Landwirtschaft gegeben wird. In „Becoming Roman“8 von Greg Woolf wird vor allem die Romanisierung der Landwirtschaft thematisiert und die Sntwicklung vom vorrömischen zum gallo-römischen Gutshof betrachtet.
Für die Analyse der landwirtschaftlichen Situation in der römischen Schweiz gab der Aufsatz von Christa Sbnöther und Jacques Monnier einen interessanten Gesamtüberblick.9 Bezüglich der Gutshöfe, ihrer Verteilung und Bauform hat Rudolf Fellmanns Kapitel über „Die Gutshöfe und ihre Bewirtschaftung“ weitergeholfen,10 auch Caty Schucany hat sich, die landwirtschaftliche Situation des Schweizer Mittellandes in ihrem Fokus, mit der Verteilung sowie der Grösse der Gutshöfe beschäftigt.11 Daniel Paunier schliesslich widmete sich der Romanisierung und ihren Sinflüssen auf die Landwirtschaft des Gebietes der heutigen Schweiz.12
1. Columella und die Arbeitsorganisation
Über das Leben des Agrarschriftstellers Columella, der aus Cadiz in Hispania stammte, ist nur wenig bekannt. Die zwölf Bücher seines Werkes „De re rustica“ sind zwischen 60 – 65 n. Chr., unter der Herrschaft des Kaisers Nero entstanden.13 Columellas Werk, das sich vor allem an Grossgrundbesitzer in Italien richtete, gilt als das vollständigste und sachkundigste Agrarfachbuch der griechisch-römischen Welt. Columella, der selbst Gutsbesitzer war, stützt sich in seinem Werk, welches an andere Gutsbesitzer gerichtet ist, auf eigene Srkenntnisse und Srfahrungen.14 Die Landwirtschaft ist in Columellas Augen eine Kapitalanlage, aber obwohl es sich um ein gewinnorientiertes Unternehmen handelt, ist nicht zu vergessen, dass er die Landwirtschaft vor allem auch als eine würdige Tätigkeit betrachtet.15
Für vorliegende Seminararbeit soll Columellas Werk als ein Sachbuch zwischen Theorie und Praxis verstanden werden, im Bewusstsein, dass es auch als Literatur gelesen werden könnte. Columellas Aussagen können nur mit Vorsicht auf das Gebiet der römischen Schweiz übertragen werden, da er sich hauptsächlich auf das Gebiet von Italien bezog und weder das Gebiet der heutigen Schweiz noch Gallien direkt erwähnte. Die landwirtschaftlichen Bedingungen in Italien unterschieden sich stark von jenen der Schweiz. In Italien dominierte der Grossgrundbesitz (Latifundium) das landwirtschaftliche Siedlungsbild16, dieser kam im Gebiet der römischen Schweiz nur in Ausnahmefällen vor.17 Trotzdem ist die Quelle auch für das Gebiet der Schweiz interessant, da Columella eine Differenzierung von Betriebsgrössen, geographischer Lage und Infrastruktur vornahm. Die Aussagen, welche er über die Betriebsgrösse und die geographische Lage der Gutshöfe machte, sollen mit den Darstellungen der verschiedenen Arbeitskräfte ergänzt werden und anschliessend auf die römische Schweiz übertragen werden.
1.1. Die verschiedenen Arbeitskräfte bei Columella
Im Folgenden soll betrachtet werden, welche Arbeitskräfte bei Columella erwähnt wurden und was ihre Aufgaben und Rechte waren. Dazu dienen als Quellen Ausschnitte aus seinem Werk.
Über die Arbeitskräfte, die auf seinem Gut tätig waren, schrieb er: „His omnibus ita vel acceptis vel conpositis praecipua cura domini requiritur cum in ceteris rebus tum maxime in hominibus. atque hi vel coloni vel servi sunt soluti aut vincti.“18 Auf einem typisch italischen Gutshof lebten also neben dem Gutsbesitzer mit seiner Familie Sklaven (servi) und/oder Pachtbauern (coloni), die Sklaven konnten freilaufend oder gefesselt sein. Die Arbeit von Tagelöhnern (mercennarii) spielte nur eine nebensächliche Rolle und wurde vor allem in saisonalen Spitzenzeiten und bei plötzlichem Arbeitsanfall in Anspruch genommen.19 Rigobert Günther machte in seinem Aufsatz über „Kolonen und Sklaven in Columella’s De re rustica“ darauf aufmerksam, dass die Bezeichnungen für die Arbeitskräfte bei Columella nicht einheitlich verwendet wurden. In bestimmten Fällen wurde mit coloni auch ein Bauer im allgemeinen Sinn oder ein Bürger einer römischer coloniae bezeichnet, selbst ein Sklave konnte damit gemeint sein.20 Carlsen Jesper verdeutlicht schon Gesagtes nochmals:
„[the expression colonus] is partly used for a citizen in a Roman or Latin colony, partly in its original sense of a peasant, and, at a later date, in a more specific sense as a tenant. The word can even have a different meaning in the same author. And even in the third of the above connotations coloni can embody a wide spectrum of tenants, ranging from large-scale lessees resident in the city to smaller farmers in some kind of client-patron relationship with the owner of the land.”21
Auf den Latifundien, von denen Columella ausging, war der Gutsbesitzer nur in Ausnahmefällen direkt auf dem Gut anwesend, er liess sein Gut von einem Verwalter, dem vilicus, führen. Dieser Verwalter stammte im Idealfall aus der ländlichen Sklavenschicht und verfügte über eine reiche landwirtschaftliche Srfahrung, zusätzlich war er mit dem Besitzer des Gutes bekannt, so dass eine Vertrauensbasis bestand. Da die von Columella beschriebenen Güter in starkem Masse auf Sklavenarbeit basierten, kam der Führungskompetenz des vilicus eine grosse Bedeutung zu.22 Um die Aufsicht auf dem Grossgrundbesitz zu gewährleisten, war die Arbeitsstruktur stark hierarchisiert: die Führungsebene bei Columella war entweder drei- oder vierteilig. Der Gutsherr setzte einen procurator und einen ihm untergebenen vilicus ein. Der procurator übernahm die Geschäftsführung des Gesamtunternehmens und der vilicus diente als Verbindungsglied zwischen dem Gutsherr und den Sklaven. Dem vilicus waren wiederum Führungskräfte unterstellt, so beispielsweise der monitor, der eine decuria zu beaufsichtigen hatte.23 Der Gutsherr konnte direkt mit dem vilicus in Kontakt treten oder dies auch über den procurator tun.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Führungsebenen
Folgende Aussage Columellas bezieht sich auf die Arbeitsteilung auf seinem Gut:
„Classes etiam non maiores quam denum hominum faciundae, quas decurias appellaverunt antiqui et maxime probaverunt, quod is numeri modus in opere commodissime custodiretur nec praeuntis monitoris diligentiam multitudo confunderet. itaque si latior est ager, in regiones diducendae sunt eae classes dividundumque ita opus, ut neque singuli binive sint, quoniam dispersi non facile custodiuntur, nec tamen supra decem, ne rursus, ubi nimia turba sit, id opus ad se pertinere singuli non existiment.“24
Bei den Sklaven handelte es sich um spezialisierte Arbeiter, die in Kleingruppen à 10 Personen (decuria) eingesetzt wurden. Columella war der Ansicht, dass eine Spezialisierung der Arbeiter zu grösserer Verantwortlichkeit führte. Zusätzlich konnten die Arbeiter in Kleingruppen besser überwacht werden.25
1.2. Anforderungen für das Funktionieren der Pachtwirtschaft
Im Folgenden soll betrachtet werden, an welche Bedingungen die Pachtwirtschaft geknüpft war, Columella äusserte sich dazu folgendermassen: „[…{ propter quod operam dandam esse, ut et rusticos et eosdem adsiduos colonos retineamus, cum aut nobismet ipsis non licuerit aut per domesticos colere non expedierit ; quod tamen non evenit nisi si in his regionibus, quae gravitate caeli solique sterilitate vastantur.“26 In einem nächsten Abschnitt fährt er wie folgt fort:
„In longinquis tamen fundis, in quos non est facilis excursus patris familiae, cum omne genus agri tolerabilius sit sub liberis colonis quam sub vilicis servis habere, tum preacipue frumentarium, quem et minime, sicut vineas aut arbustum, colonus evertere potest et maxime vexant servi, qui boves elocant eosdemque et cetera pecora male pascunt nec industrie terram vertunt longeque plus inputant seminis iacti, quam quod severint, sed nec quod terrae mandaverunt sic adiuvant, ut recte proveniat, idque cum in aream contulerunt, per trituram cotidie minuunt vel fraude vel neglegentia.“27
Der Dauerpächter, war einem normalen Pächter vorzuziehen, da eine engere, längerfristige Beziehung zum Gutsherrn bestand. Für diesen bedeutete dies, dass er seinen Pachtbauer besser kannte und allfällige Risiken, die durch Unzuverlässigkeit oder Unvermögen desjenigen entstehen konnten, besser abschätzen konnte. Das Bewirtschaftungssystem von Columella basierte auf einem Kontroll- und Überwachungssystem, das der Gewinnmaximierung diente.28 Der Sklave war dem Pachtbauer somit grundsätzlich vorzuziehen, da er im Idealfall, der direkten Kontrolle des vilicus unterstand. Das Pachtwesen lohnte sich laut Columella nur in unwirtlichen Gebieten, die sich nur mit Mühe bewirtschaften liessen und deren Sntfernung vom Gut so gross waren, dass dem Gutsherr die Kontrolle darüber versagt war und die Sklavenhaltung, welche auf eben jener Kontrolle basierte, nicht mehr rentabel war. 29
[...]
1 Kaltenstadler, Wilhelm: Arbeitsorganisation und Führungssystem bei den römischen Agrarschriftstellern, New York 1978.
2 Martin, René : Recherches sur les agronomes latins et leurs conceptions économiques et sociales, Paris 1971.
3 Diederich, Silke : Römische Agrarhandbücher zwischen Fachwissenschaft, Literatur und Ideologie, Berlin 2007.
4 Carlsen, Jesper : Vilici and roman estate managers until ad 284, Rom 1995.
5 Rigobert, Günther : Kolonen und Sklaven in Columella’s De re rustica, In : Beiträge zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Festschrift für Franz Altheim, Bd. 1, Berlin 1969.
6 Ferdière, Alain: Les campagnes en Gaule romaine. Tome 1. Les techniques et les productions rurales en Gaule, Paris 1988.
7 Ferdière, Alain et al.: Histoire de l’agriculture en Gaule. 500 av. J.-C. — 1000 apr.J.-C., Paris 2006.
8 Greg, Woolf: Becoming Roman. The origins of provincial civilization in Gaul, Cambridge 1998.
9 Ebnöther, Christa/ Monnier, Jacques : Ländliche Besiedlungen und Landwirtschaft, In : Die Schweiz im Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter. Vom Neandertaler bis zum Karl dem Grossen, Basel 2002.
10 Fellmann, Rudolf /Drack, Walter : Die Römer in der Schweiz, Stuttgart 1988.
11 Schucany, Caty : Solothurn und Olten — Zwei Kleinstädte und ihr Hinterland in römischer Zeit, In: Archäologie der Schweiz, Zürich 1999.
12 Paunier, Daniel: La Romanisation des campagnes: un état des recherches en Suisse, In: Bayard, Didier/ Collart, Jean-Luc (Hgg.): De la ferme indigène à la villa romaine, 1996.
13 Diederich, Silke, S. 54.
14 Vgl.: Gummerus, Herman : Der römische Gutsbetrieb als wirtschaftlicher Organismus nach den Werken des Cato, Varro und Columella, Aalen 1963, S. 73f.
15 Vgl.: Kaltenstadler, 1978, S. 8f.
16 Vgl.: Drexhage, Hans-Joachim/ Konen, Heinrich : Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.-3. Jahrhunder). Eine Einführung, Berlin 2002, S. 84.
17 Vgl.: Ebnöther, 2002, S. 148.
18 Colum. res. rust. I, 7, I. „Sind alle diese Einrichtungen übernommen oder geschaffen, dann gilt die Hauptsorge des Besitzers neben anderem den in seinem Betrieb tätigen Menschen. Diese sind entweder Pächter oder freilaufende oder gefesselte Sklaven.“ Übersetzung nach: Richter: Zwölf Bücher über Landwirtschaft, S. 75.
19 Vgl.: Kaltenstadler, I978, S. I5.
20 Vgl.: Rigobert, 1969, S. 508f.
21 Carlsen, 1995, S. 104.
22 Vgl.: Kaltenstadler, 1978, S. 14.
23 Vgl. : Ebd., 1978, S. 27.
24 Colum. res. rust. I, 9, 7. „Die Arbeitsgruppen, die man bildet, sollen die Stärke von zehn Mann nicht überschreiten; die Alten nannten sie Zehnerschaften und hielten sie für die beste Einteilung, weil dies Anzahl sich bei der Arbeit am besten überwachen lässt und keine allzu grosse Menge von Knechten die Aufmerksamkeit des durchgehenden Aufsehers zersplittert. Wenn also das Feld einigermassen gross ist, sind diese Arbeitsgruppen an verschiedene Plätze auseinanderzuziehen und die Arbeit so einzuteilen, dass die Knechte einerseits nicht allein oder zu zweit sind, weil sie sich in solcher Zersplitterung schwer überschauen lassen, andererseits nicht mehr als zehn an einem Platz arbeiten, damit nicht im allzugrossen Haufen die einzelnen meinen, für ihre Arbeit nicht verantwortlich zu sein.“ Übersetzung nach: Richter: Zwölf Bücher über Landwirtschaft, S. 95.
25 Vgl. : Kaltenstadler, I978, S. 22.
26 Colum. res. rust. I, 7, 4. „[...] weshalb man sich bemühen solle, richtige Bauern, und zwar als Dauerpächter, zu halten, wenn man das Gut nicht selber verwalten kann oder wenn es sich nicht lohnt, es durch eigene Sklaven bewirtschaften zu lassen; doch kommt dies nur in Gegenden vor, die entweder durch ein drückendes Klima oder einen dürftigen Boden verödet sind.“ Übersetzung nach: Richter: Zwölf Bücher über Landwirtschaft, S. 77
27 Colum. res. rust. I, 7, 6. „Dagegen ist es in entfernten Gegenden, die dem Besitzer nicht leicht die Möglichkeit zu Besuchen geben, bei jeder Art von Grundbesitz erträglicher, freien Pächtern die Leitung zu übertragen als Verwaltersklaven, am meisten aber bei Ackerland, das der Pächter nicht abholzen kann wie Wein- oder Baumbestände und wo Sklaven den meisten Schaden anrichten können, wenn sie Rinder vermieten und diese und die Schafe schlecht versorgen und den Boden nicht eifrig pflügen und mehr Saatgut verrechnen, als sie gesät haben, so pflegen, dass es ordentlich aufgeht,, und was sie schliesslich auf die Tenne bringen, durch Betrug oder Schlamperei während der Druschzeit täglich mindern.“ Übersetzung nach: Richter: Zwölf Bücher über Landwirtschaft, S. 77f.
28 Vgl.: Kaltenstadler, I978, S. 4I.
29 Vgl.: Gummerus, I963, S. 83.