„Der Mensch ist kein Fortschritt gegen das Tier.“
Friedrich Nietzsche, aus dem Nachlass
Als Nietzsche Ende des 19. Jahrhunderts diese Worte schrieb, war die Ansicht, der Mensch sei der Mittelpunkt der Schöpfung und der Welt, weit verbreitet. Auch heutzutage ist die anthropozentrische Sichtweise, die die angebliche Vormachtstellung und moralische Überlegenheit des Menschen über das Tier proklamiert, noch allgegenwärtig. Bei Missständen in der Tierhaltung, Tierversuchen o.ä. zeigen sich die direkten Konsequenzen dieser geistigen Haltung. Viel subtiler manifestiert sich die anthropozentrische Weltsicht in literarischen Texten: Fast immer steht ein menschlicher Protagonist im Zentrum einer Handlung, die in einer auf den Menschen ausgerichteten Welt stattfindet.
In der vorliegenden Seminararbeit soll es um Texte gehen, die diesem Schema nicht entsprechen und stattdessen tierische Protagonisten in einem auf sie ausgerichteten Lebensumfeld zeigen: Der erste Text ist Samuel Johnsons Fabel “The Vultures‘ View of Man” aus dem Jahre 1758, in dem Johnson Geier in den Mittelpunkt des Geschehens rückt (vultozentrische Perspektive), bei dem anderen Text handelt es sich um Ted Hughes‘ 1960 erschienenes Gedicht “Hawk Roosting” mit einem Falken als Protagonisten (falkozentrische Perspektive). Anhand dieser Texte soll bewiesen werden, dass sowohl Johnsons als auch Hughes' Werk eine nicht-anthropologische Weltsicht mit der Absicht vermittelt, den menschlichen Gattungsnarzissmus zu entlarven und das Bestialische im Menschen zum Vorschein zu bringen. Beide Autoren tun dies auf ganz unterschiedliche Weise, wie die Textanalyse zeigen wird.
Um beide Texte unter dem Gesichtspunkt des Vulto- bzw. Falkozentrismus untersuchen zu können, bedarf es zunächst einer Definition dieses sog. Zoozentrismus, die mithilfe von Leena Vilkkas Dissertation The Varieties of Intrinsic Value in Nature erarbeitet werden soll. Im Anschluss soll zunächst “The Vultures‘ View of Man” als vultozentrische Fabel untersucht werden, bevor die Analyse von “Hawk Roosting” als falkozentrischem Gedicht folgt. Der direkte Vergleich beider Texte soll die gemeinsame Intention von Johnson und Hughes zeigen, aber auch ihre unterschiedliche Herangehensweise verdeutlichen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Definition von Zoozentrismus und Anthropozentrismus
- 3. "The Vultures' View of Man" als vultozentrische Fabel
- 3.1 Definition der Fabel
- 3.2 „The Vultures' View of Man" im Vergleich zur klassischen Fabel
- 3.3 Die Vulto- bzw. Falkozentrische Perspektive im Vergleich zum Anthropozentrismus
- 4. "Hawk Roosting" als falkozentrisches Gedicht
- 4.1 Definition des Gedichts
- 4.2 "Hawk Roosting" als Naturlyrik
- 4.3 „Hawk Roosting" im Vergleich zu „The Vultures' View of Man"
- 5. Zusammenfassung und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Seminararbeit untersucht die Werke "The Vultures' View of Man" von Samuel Johnson und "Hawk Roosting" von Ted Hughes, um zu zeigen, dass diese Texte eine nicht-anthropozentrische Weltsicht vermitteln. Die Arbeit argumentiert, dass Johnsons und Hughes' Werke den menschlichen Gattungsnarzissmus entlarven und das Bestialische im Menschen zum Vorschein bringen. Die Arbeit beleuchtet die spezifische vulto- bzw. falkozentrische Perspektive der Texte und setzt diese in Bezug zu Vilkkas Definition des Zoozentrismus.
- Zoozentrismus als nicht-anthropozentrische Weltanschauung
- Vulto- und Falkozentrismus als spezifische Formen des Zoozentrismus
- Die literarische Gattung der Fabel und des Gedichts
- Die Darstellung der Bestialität des Menschen in den Texten
- Die Kritik am menschlichen Gattungsnarzissmus
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Thematik der Seminararbeit ein und stellt die beiden zu analysierenden Texte vor. Es wird die These aufgestellt, dass sowohl "The Vultures' View of Man" als auch "Hawk Roosting" eine nicht-anthropozentrische Weltsicht vermitteln.
Das zweite Kapitel definiert den Zoozentrismus und den Anthropozentrismus anhand von Vilkkas Dissertation. Es werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Weltanschauungen erläutert.
Das dritte Kapitel analysiert "The Vultures' View of Man" als vultozentrische Fabel. Es wird die spezifische Perspektive der Geier, die im Zentrum der Handlung stehen, untersucht und in Bezug zu den klassischen Merkmalen der Fabel gesetzt.
Das vierte Kapitel analysiert "Hawk Roosting" als falkozentrisches Gedicht. Es wird die spezifische Perspektive des Falken, der im Zentrum der Handlung steht, untersucht und in Bezug zu den klassischen Merkmalen des Gedichts gesetzt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Zoozentrismus, Anthropozentrismus, Vulto- und Falkozentrismus, Fabel, Gedicht, Bestialität, Gattungsnarzissmus, "The Vultures' View of Man", "Hawk Roosting", Samuel Johnson, Ted Hughes.
- Quote paper
- Stephanie Lange (Author), 2011, Von Geiern und Falken, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/171419