Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wahlsysteme
2.1 Definition und Funktion von Wahlsystemen
2.2 Typologien von Wahlsystemen
2.3 Das Wahlsystem der Bundesrepublik Deutschland
3. Parteiensysteme
3.1 Entstehung von Parteiensystemen
3.2 Eigenschaften von Parteiensystemen
4. Einfluss des Wahlsystems auf das Parteiensystem in der BRD
4.1 „Gesetzmäßigkeiten“ des Zusammenhangs von Wahlsystem und Parteiensystem
4.2 Einfluss des Wahlsystems auf das Parteiensystem ab 1949
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
7. Abbildungen
8. Tabelle
1. Einleitung
Durch die Wahl des Bundestages hat der Bürger die Chance das politische Geschehen mitzugestalten. Mit der Abgabe seiner Stimme für die Partei bzw. für den Kandidaten erhofft sich der Bürger, dass seine Meinungen und Interessen im Bundestag bestmöglich vertreten werden. Dabei hat das Wahlsystem der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren Vorbildfunktion für andere westliche Staaten angenommen und besitzt eine beeindruckende Kontinuität in den letzten 50 Jahren (Behnke 2007: 5). Das Wahlsystem organisiert nicht nur den Ordnungsrahmen während der Wahl sowie die Verrechnung der Stimmenanteile auf die verfügbaren Sitze im Parlament. Vielmehr hat das Wahlsystem einer Nation gravierenden Einfluss auf das politische System und besonders auf die Entwicklung der Parteienlandschaft. Dies erkannte bereits der französische Politikwissenschaftler Maurice Duverger 1959 mit der Veröffentlichung der „Duverger‘schen Gesetze“ in denen der Zusammenhang zwischen Wahl- und Parteiensystem beschrieben wird (Duverger 1959: 219, zitiert nach: Baedermann 2006: 42). Die zugrundeliegende Fragestellung der Hausarbeit beschäftigt sich mit genau diesem Thema in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland: Hat das Wahlsystem wirklich einen so großen Einfluss auf die Entwicklung des Parteiensystems?
Zur Beantwortung dieser Frage werden zunächst in Kapitel 2 und 3 die Wahl- bzw. Parteiensysteme separat vorgestellt. Dabei wird in Kapitel 2.1 kurz auf den Begriff des Wahlsystems und dessen Funktionen eingegangen, bevor in Kapitel 2.2 verschiedene Typologien von Wahlsystemen nach Nohlen abgehandelt werden. Das Kapitel 2.3 stellt das Wahlsystem der Bundesrepublik in groben Zügen dar. Nach der Beschreibung des Wahlsystems, setzt sich die Hausarbeit in Kapitel 3 zunächst mit der Entstehung von Parteiensystemen (3.1) sowie mit den Parteiensystemeigenschaften nach Oskar Niedermayer auseinander. Nach der Beschreibung von Wahl- bzw. Parteiensystemen, widmet sich das vierte Kapitel letztendlich der Beantwortung der Frage, ob das Wahlsystem die Parteienlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland beeinflusst. In Kapitel 5 wird eine kurze Zusammenfassung gegeben sowie ein Ausblick möglicher Entwicklungen des Wahlsystems beschrieben.
2. Wahlsysteme
Um sich einen Überblick über das Thema zu verschaffen wird in Kapitel 2 zunächst der Begriff des Wahlsystems definiert sowie die Funktionen eines Wahlsystems vorgestellt (2.1). Daran anschließend werden Grundtypen von Wahlsystemen vorgestellt (2.2), bevor in Teilkapitel 2.3 auf das Wahlsystem in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen wird.
2.1 Definition und Funktion von Wahlsystemen
In der Literatur gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Definitionen des Wahlsystembegriffes. Nach dem Mainzer Politikwissenschaftler Prof. Falter bestimmt ein Wahlsystem, „nach welchem Verfahren die Bürger ihre politischen Präferenzen in Wählerstimmen ausdrücken können und nach welchen Regeln diese über die Vergabe von Parlamentsmandaten und anderen Positionen entscheiden“ (Falter 2005: 573).
Wahlsysteme erfüllen in einem demokratischen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland wichtige Funktionen. Diese unterteilt Nohlen in drei Hauptfunktionen sowie zwei weitere Anforderungen (Nohlen 2009: 169). Zu den drei Hauptfunktionen gehören Repräsentation, Konzentration und Partizipation. Die Repräsentation muss man in zweierlei Hinsicht betrachten. Zum einen soll das Wahlsystem alle gesellschaftlichen Gruppen im Parlament repräsentieren, darunter auch Minderheiten. Zum anderen soll es aber auch eine möglichst exakte Repräsentation der Wählerstimmen und somit der Interessen der Bürger im Parlament darstellen (Nohlen 2009: 169). Eine weitere Hauptfunktion ist nach Nohlen die Konzentration der gesellschaftlichen Interessen. Ein Wahlsystem besitzt die Funktion, die Interessen der Wähler zu aggregieren und somit eine handlungsfähige Regierung zu schaffen. Diese Funktion ist eng mit der Effizienz eines Wahlsystems verknüpft (Nohlen 2009: 169). Als dritte Funktion nennt Nohlen die Partizipation. Der Wähler soll am politischen Leben teilhaben. Ihm wird die Möglichkeit gegeben, sowohl einer Partei als auch einer Person seine Stimme zu geben (Nohlen 2009: 170). Zudem nennt Nohlen zwei Anforderungen welche Wahlsysteme erfüllen sollten: Einfachheit und Legitimität. Die Einfachheit steht nach Nohlen oftmals im Widerspruch zu den drei bereits genannten Funktionen, da eine Erfüllung dieser drei Hauptkriterien oftmals zu einer komplizierten Organisation des Wahlsystems führt. Trotzdem ist es von Vorteil wenn der Wähler versteht, wie das Wahlsystem funktioniert (Nohlen 2009: 170). Legitimität bedeutet, dass der Wähler das Wahlsystem akzeptieren muss (Nohlen 2009: 171). Wichtig zu beachten ist hierbei, dass nicht das Ziel verfolgt wird eine Funktion vollkommen zu erfüllen. Vielmehr ist die Balance zwischen den einzelnen Funktionen und Anforderungen entscheidend (Nohlen 2009: 173).
2.2 Typologien von Wahlsystemen
Weltweit gibt es über 300 unterschiedliche Wahlsysteme, welche alle auf zwei Grundtypen basieren, dem Mehrheitswahlsystem und dem Verhältniswahlsystem. Dabei erhält bei der Mehrheitswahl der Kandidat das Mandat, der in seinem Wahlkreis die höchste Stimmenzahl auf sich vereint. Die restlichen Stimmen werden nicht berücksichtigt. Bei der Verhältniswahl wird eine prozentuale Verteilung der Wählerstimmen auf die Sitzverteilung im Parlament vorgenommen. Wenn eine Partei 18 Prozent aller Wählerstimmen erzielt, erhält sie auch genau 18 Prozent der Sitze (Woyke 2005: 27). Neben der groben Einteilung von Wahlsystemen gibt es noch weitere spezifischere Wahlsystemtypologien, welche in diesem Kapitel kurz vorgestellt werden. Das Institut für Demokratie und „Wahlhilfe“ (IDEA= International Institute for Democracy and Electoral Assistance) unterscheidet zwischen neun unterschiedlichen Wahlsystemtypen (Reynolds 2005: 3). Die relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen sowie Mehrpersonenwahlkreisen, die absolute Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen und die relative Mehrheitswahl in Mehrpersonenwahlkreisen bzw. Mehrparteienwahlkreisen werden dem Mehrheitswahlsystem zugeordnet. Dem Verhältniswahlsystem werden die Verhältniswahl nach Listen sowie das System der übertragbaren Einzelstimmgebung zugeordnet. Das personalisierte Verhältniswahlsystem und das Grabenwahlsystem sind nach dem IDEA 2005 Mischwahlsysteme (Reynolds 2005: 3). Diese Zuordnung kritisiert Nohlen, indem er das personalisierte Verhältniswahlsystem dem Verhältniswahlsystem zuordnet und nicht dem Mischwahlsystem (Nohlen 2009: 181). Diese Einordnung zeigt, dass zum einen die Vielfalt an Wahlsystemtypen und ihren Unterformen und zum anderen die Schwierigkeit, das jeweilige Wahlsystem eindeutig einem Wahlgrundtyp zuzuordnen.
2.3 Das Wahlsystem der Bundesrepublik Deutschland
Der Deutsche Bundestag wird in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von allen „wahlberechtigten Deutschen nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt“ (Bundeswahlgesetz § 1). Der Bundestag besteht in Deutschland aus 598 Abgeordneten. Eine Hälfte der Abgeordneten wird aus den jeweiligen Wahlkreisen per relativer Mehrheitswahl nach Berlin entsandt. Die andere Hälfte der 598 Abgeordneten wird per Verhältniswahl anhand der Landeslisten in den Bundestag gewählt (Katz 2007: 165). Aus Sicht der Wähler gestaltet sich die Wahl zum Bundestag folgendermaßen: Der Wähler besitzt zwei Stimmen. Mit der Erststimme („Personenstimme“) wählt er einen Abgeordneten aus seinem Wahlkreis durch relative Mehrheitswahl. Daraus folgt, dass der Kandidat mit den meisten Stimmen aus seinem Wahlkreis direkt in den Bundestag einzieht (Rudzio 2003: 197). Mit der Zweitstimme („Parteienstimme“) wählt man eine Partei, von der man erwartet, dass sie die eigenen Interessen im Bundestag vertritt. Damit ist sie im Prinzip die entscheidende Stimme, da sie die Sitzverteilung im Bundestag bestimmt. Wichtig hierbei ist, dass zunächst die Direktmandate aus den Wahlkreisen verrechnet werden. Die restlichen Sitze werden aufgrund der Landeslisten verteilt (Behnke 2007: 178). Um diesen wichtigen Sachverhalt deutlich zu machen bedarf es eines Beispiels: Angenommen, Partei A stehen über die Verrechnung der Zweitstimmen insgesamt 178 Sitze im Parlament zu. Mit der Erststimme wählten die Bürgerinnen und Bürger insgesamt 89 Kandidaten der Partei A per Direktmandat in den Bundestag. Da insgesamt 178 Mitglieder der Partei in den Bundestag ziehen dürfen, hat Partei A das Recht, weitere 89 Parteimitglieder von den Landeslisten in den Bundestag zu entsenden. Die Fünfprozent- Klausel schränkt das beschriebene Verhältniswahlsystem der Bundesrepublik Deutschland ein. Eine Partei, die weniger als fünf Prozent über die Zweitstimme erreicht, wird bei der Verrechnung der Sitzverteilung nicht berücksichtigt. Zudem können Parteien über mindestens drei gewählte Direktmandate aus den Wahlkreisen, in den Bundestag ziehen (Woyke 2005: 75). Doch was geschieht, wenn eine Partei mehr Direktmandate erhält als ihr über die Zweitstimmensitzverteilung eigentlich zustehen? In diesem Fall gibt es sogenannte Überhangmandate (Katz 2007: 164). Wenn eine Partei insgesamt 15 Direktmandate aus den Wahlkreisen gewinnt, ihr aber über die Zweitstimmenverteilung nur 13 Sitze zur Verfügung stehen, darf die Partei nun mit 15 Mandaten in den Bundestag ziehen und die Zahl der Abgeordneten verändert sich von 598 auf 600. Seit der Bundestagswahl 2009 wird das Verfahren nach Sainte- Lague/Schepers zur Verrechnung der Zweitstimmen verwendet und löste damit die zuvor verwendeten Verfahren nach D’Hont und Hare/Niemeyer ab (Behnke 2011: 16). Für Aufsehen sorgte in letzter Zeit das aufkommende Phänomen des „negativen Stimmgewichts“. Dabei kann ein Wähler unter Umständen seiner präferierten Partei schaden, indem er ihr seine Stimme gibt. Aus diesem Grund sieht sich das Wahlsystem der Bundesrepublik einer immer stärkeren Kritik ausgesetzt, dass es den demokratischen Ansprüchen nicht mehr entspreche (von Prittwitz 2011: 9).
3. Parteiensysteme
Im folgenden Kapitel widmen wir uns ausschließlich dem Parteiensystem. Dabei wird in Kapitel 3.1 der Begriff des Parteiensystems kurz definiert sowie die Entstehung eines Parteiensystems beschrieben. In Kapitel 3.2 werden Parteiensystemeigenschaften nach Niedermayer vorgestellt.
3.1 Entstehung von Parteiensystemen
Giovanni Sartori definiert in seinem Werk „Parties and Party Systems“ ein Parteiensystem als ein „System von Interaktionen, das aus dem Wettbewerb der Parteien untereinander entsteht“ (Sartori 1976: 44). Die Entstehung von Parteiensystemen ist auf die Zeit der Französischen Revolution zurückzuführen. Eine Forderung nach reformerischen und revolutionären Änderungen des bestehenden Systems war damals der Anfang der Entstehung von Parteiensystemen (Lösche 2006: 15). Eine besondere Bekanntheit in der Forschung der Parteiensystementstehung erlangten die vier Konfliktlinien (Cleavages) der Politikwissenschaftler Stein Rokkan und Seymour Martin Lipset. Der erste Konflikt ist zwischen der „dominanten“ und der „unterworfenen“ Kultur. Ein weiterer Konflikt entsteht zwischen Staat und Kirche sowie zwischen Agrarinteressen und Industrieinteressen. Als letzte Konfliktlinie nennen Lipset und Rokkan den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit (Lösche 2006: 16).
3.2 Eigenschaften von Parteiensystemen
Um in Kapitel 4 erklären zu können, inwieweit das Wahlsystem die Parteienlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland beeinflusst, müssen zunächst die Eigenschaften von Parteiensystemen festgelegt werden. Die erste Eigenschaft lautet „Format“. Diese Eigenschaft beschreibt die Anzahl der Parteien, die das Parteiensystem prägen. Eine weiterhin relevante Eigenschaft nach Niedermayer ist die Fragmentierung. Diese beschreibt die Stärkeverhältnisse innerhalb eines Parteiensystems (Niedermayer 2007: 2). Diese Eigenschaft wird auch der „Grad der Zersplitterung oder Konzentration“ genannt. Zur Berechnung der Fragmentierung eines Parteiensystems wird häufig der Index nach Laakso und Taagepera aus dem Jahre 1979 verwendet. Dieser berechnet den Wert „der effektiven Anzahl der Parteien“. Dabei berechnet man den Wert 1, geteilt durch die Summe der quadrierten Stimmenanteile der jeweiligen Parteien, die im Parlament vertreten sind (Ladner 2005: 70). Falls alle Parteien den gleichen Stimmenanteil besäßen, entspricht die effektive Zahl der Partei der realen Anzahl. Das Machtverhältnis ist in diesem Fall komplett verteilt. Im Falle der Dominanz einer einzigen Partei im Parteiensystem nimmt der Index den Wert 1 an. Je größer dieser Wert ist, desto größer der Grad der Parteienzersplitterung (Niedermayer 2007: 2). Die Eigenschaft der „Asymmetrie“ bezieht sich auf die zwei größten Parteien innerhalb eines Parteiensystems. Dabei ist die Größenrelation, gemessen an der Verteilung der Stimmen zwischen den beiden Parteien, entscheidend. Diese Eigenschaft ist auch ein Maß für die Wettbewerbsfähigkeit der beiden konkurrierenden Großparteien (Niedermayer 2007: 3). Die ideologisch-/ programmatische Distanz der Parteien wird durch die Eigenschaft der „Polarisierung“ dargestellt, d.h. inwieweit sich die Parteien in ihrem Parteiprogramm unterscheiden. Verknüpft mit der Polarisierung ist die Eigenschaft der „Segmentierung“. Diese ist ein Maß dafür, inwieweit sich Parteien bei Koalitionsverhandlungen verschränken bzw. abschotten (Niedermayer 2007: 4ff). Ein weiteres wichtiges Merkmal von Parteiensystemen ist die „Volatilität“ der Wählerstimmen zwischen aufeinander folgenden Wahlen eines Landes (Niedermayer 2006: 24). Diese gibt an, wie die Wähler in ihrer Stimmenabgabe zwischen zwei Wahlen variieren.
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