Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Verstehens ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Ob es darum geht, einen Gesprächspartner, einen wissenschaftlichen Aufsatz oder ein Kunstwerk zu verstehen, immer sind wir mit dem Problem konfrontiert, dass hier etwas Fremdes an uns herantritt und Verständnis fordert.
Ein bedeutender Begriff hierbei ist das ‚Vorverständnis‘. Das Herantreten an etwas, das es zu verstehen gilt, kann nie losgelöst von dessen Tradition und der Tradition desjenigen, der verstehen will, geschehen. Der angehende Verstehende bringt seine Vorgeschichte, sein Leben, sein Wissen und die gesamte Geistesgeschichte, von der er geprägt ist, in den Verstehensprozess mit ein. Er hat schon bevor er sich mit dem Gegenstand auseinandersetzt, gewisse Vor-stellungen und Erwartungen, die ganz und gar in seinem Verstehenshorizont verwurzelt sind. Auf der anderen Seite steht das, was es zu verstehen gilt. Dieses ist seinerseits von seinen spezifischen Traditionen geprägt und liegt vielleicht weit ausserhalb des Horizonts des Betrachters.
In der Philologie hat das Problem des Verstehens weitreichende Debatten ausgelöst. Die Kernfrage ist, wie ein Schriftstück von einem Ausleger verstanden werden kann. Jeder Ausleger läuft Gefahr, dass sein Vorverständnis ihm den Blick auf die Schrift verstellt. Wie kann also mit dem Vorverständnis umgegangen werden?
In dieser Arbeit soll dieser Frage nachgegangen werden. Dies geschieht anhand eines theoretischen Überblicks zur Hermeneutik, dem hermeneutischen Zirkel und dem damit verbundenen Problem des Verstehens in Anlehnung an Hans-Georg Gadamers Wahrheit und Methode. Danach werden die theoretischen Überlegungen dreier Autoren des 20. Jahrhunderts – Martin Heidegger, Leo Spitzer und Peter Szondi – zum Thema vorgestellt und die jeweilige Umsetzung ihrer Prämissen an Deutungsbeispielen erläutert. Es wird untersucht, wie die Autoren mit dem Problem des Verstehens umgehen und ob sie ihren eigenen Vorgaben in den Deutungen treu bleiben. Die Auseinandersetzung mit dem Vorgehen der Autoren und die Umsetzung ihrer theoretischen Überlegungen steht im Zentrum.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hermeneutik und der hermeneutische Zirkel
- Die Hermeneutik bei Heidegger und Gadamer
- Der hermeneutische Zirkel
- Martin Heidegger
- Vorbetrachtungen zu Hölderlins Hymne Andenken.
- Auslegung von Hölderlins Hymne Andenken
- Leo Spitzer
- Linguistics and Literary History.
- The Style of Diderot
- Peter Szondi
- Über philologische Erkenntnis und Einführung in die literarische Hermeneutik.
- Celan-Studien. Durch die Enge geführt.
- Schlusswort
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Phänomen des Verstehens in literarischen Texten. Sie analysiert die Ansätze von Martin Heidegger, Leo Spitzer und Peter Szondi im Kontext der Hermeneutik und dem hermeneutischen Zirkel. Der Fokus liegt dabei auf der Umsetzung ihrer theoretischen Überlegungen an konkreten Deutungsbeispielen.
- Das Problem des Verstehens in der Literatur
- Der Einfluss des Vorverständnisses auf die Interpretation
- Die Rolle des hermeneutischen Zirkels im Verstehensprozess
- Die Auseinandersetzung mit der Autorintention
- Die Bedeutung des historischen und kulturellen Kontextes
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des Verstehens ein und beleuchtet die Bedeutung des Vorverständnisses im Interpretationsprozess. Das zweite Kapitel widmet sich der Hermeneutik und dem hermeneutischen Zirkel, wobei die Ansätze von Heidegger und Gadamer im Vordergrund stehen. In Kapitel 3 werden die theoretischen Überlegungen Heideggers zur Auslegung von Hölderlins Hymne Andenken erläutert. Das Kapitel 4 befasst sich mit Leo Spitzers Arbeit zur stilistischen Analyse, insbesondere seinen Untersuchungen zu Diderot. Im letzten Kapitel werden Szondi's Überlegungen zur philologischen Erkenntnis und seine Interpretation von Celans Werken dargestellt.
Schlüsselwörter
Hermeneutik, hermeneutischer Zirkel, Vorverständnis, Verstehen, Interpretation, Martin Heidegger, Leo Spitzer, Peter Szondi, Hölderlin, Diderot, Celan
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- Maria Krummenacher (Author), 2009, Das Phänomen des Verstehens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/171763