"Als Heterotopie wird in der Medizin die Bildung von Gewebe am falschen Ort bezeichnet […].
Entsprechend ließe sich eine Heterotopie im Sinne Foucaults als das Andere im Gesellschaftskörper
charakterisieren: ein Ort, der in einem besonderen Verhältnis zur Gesamtgesellschaft steht.
An einem solchen Ort können ganz andere Regeln herrschen als die gewohnten. Vielleicht werden
dort geheimnisvolle Rituale gepflegt oder die gängigen Vorstellungen vom ‚normalen’ Leben auf
den Kopf gestellt […]. […] Gegenstand der Heterotopologie können Orte sein, die von einer Gesellschaft
errichtet wurden, um das Anormale besser kontrollieren und bestenfalls disziplinieren
zu können. […] Wann immer von Heterotopie die Rede ist, haben wir es mit einem Raum der Möglichkeiten zu tun, d. h. mit einem Ort, in dem besondere Kräfteverhältnisse sowie ungewöhnliche
Konstellationen der (Gegen-)Macht wirksam sind, die eine außergewöhnliche Erfahrung ermöglichen." (Chlada 2005, S. 8.)
Äusserst treffend formuliert Chlada in obigem Zitat die Grundzüge von Foucaults Konzept
der Heterotopien: Nicht nur macht er die schwer fassbare Andersheit der Heterotopien mit
dem Beispiel des Gewebes verständlicher, sondern fasst auch deren Funktion in einem Satz
zusammen – Heterotopien können als Orte der Disziplinierung verstanden werden. Dies ist
zugleich das Bindeglied zu Tundalus Jenseitsweg, das den Anstoss zu dieser Arbeit gegeben
hat: Besonders im Fegefeuer und der Hölle steht die Disziplinierung von Sündern im Mittelpunkt.
Daher soll in dieser Arbeit analysiert werden, inwiefern sich der Aufbau und die Struktur
von Tundalus Weg im Fegefeuer heterotopologisch interpretieren lassen. Der Gewinn daraus
wird sein, dass dadurch nicht bloss die ‚Andersheit’ der Orte, sondern vor allem textuelle
Mechanismen der Macht bzw. Disziplinierung ersichtlich werden.
Bevor eine Analyse vorgenommen werden kann, muss zuerst Inhalt und Kontext von Foucaults
Konzept der Heterotopien diskutiert werden, um die für die Textanalyse relevanten
Punkte herauszuarbeiten. Die Untersuchung wird dann die Struktur und den Aufbau des Weges
durch das Fegefeuer anhand einzelner exemplarischer Stationen zum Gegenstand haben,
um dies danach unter dem Gesichtspunkt der vorgängig herausgearbeiteten Punkte von Foucaults
Heterotopologie anzuschauen. Daraus sollen die spezifischen Mechanismen der Disziplinierung,
die sowohl innerhalb des Textes wie auch über diesen hinaus wirksam sind, aufgezeigt
werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Diskussion von Foucaults Heterotopologie mit Blick auf die Visio Tnugdali
- Zentrale Punkte von Foucaults Heterotopologie und Diskussion
- Kontext des Konzepts
- Die Struktur des Weges durch das Jenseits
- Wegstruktur exemplarisch anhand der ersten Station im Fegefeuer
- Von der Hölle in den Himmel – die Abfolge der Jenseitsbereiche
- Die Struktur und der Aufbau des Wegs als Funktionsweise der Heterotopie „Jenseits“
- Zusammenfassung und Schlusswort
- Abstract
- Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Wegstruktur in der Visio Tnugdali im Kontext der Heterotopologie von Michel Foucault. Ziel ist es, die spezifischen Mechanismen der Disziplinierung aufzuzeigen, die durch den Aufbau und die Struktur des Weges im Fegefeuer zum Ausdruck kommen. Die Untersuchung fokussiert dabei auf die Andersheit der Orte und die textuelle Vermittlung von Macht und Disziplinierung.
- Foucaults Heterotopologie als analytisches Werkzeug für die Interpretation der Wegstruktur in der Visio Tnugdali
- Die Funktion des Fegefeuers als Ort der Disziplinierung und der Machtverhältnisse innerhalb des Textes
- Die Bedeutung von Raum und Ort in der Konstruktion des Jenseits und die Rolle der Heterotopie in der mittelalterlichen Kultur
- Die textuelle Vermittlung von Macht und Disziplinierung durch die Wegstruktur
- Die Beziehung zwischen Heterotopie und Utopie im Kontext der Visio Tnugdali
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Heterotopie und deren Bedeutung im Kontext der Visio Tnugdali ein. Im ersten Kapitel wird Foucaults Konzept der Heterotopien erläutert und diskutiert, um die für die Textanalyse relevanten Punkte herauszuarbeiten. Das zweite Kapitel untersucht die Struktur des Weges durch das Jenseits, wobei exemplarisch die erste Station im Fegefeuer analysiert wird. Das dritte Kapitel widmet sich der Funktionsweise der Heterotopie im Kontext des Jenseits und beleuchtet die Struktur und den Aufbau des Weges als Ausdruck von Macht und Disziplinierung.
Schlüsselwörter
Heterotopie, Visio Tnugdali, Fegefeuer, Jenseits, Disziplinierung, Macht, Raum, Ort, Mittelalter, Textanalyse, Kultur, Gesellschaft.
- Arbeit zitieren
- Allegra Schiesser (Autor:in), 2010, Inwiefern kann die Wegstruktur in der "Visio Tnugdali" heterotopologisch interpretiert werden?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/171884