Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2.Selbst- und fremdwahrnehmung
2.1.Annes Konflikt mit ihrer Körperlichkeit
2.2.Die bewusste Modellierung des Körpers
3.der manipulierbare körper in familiären beziehungen
3.1.Die Beziehung zu den Eltern
3.1.1.Die Mutter-Tochter Beziehung
3.1.2.Die Vater-Tochter Beziehung
3.2.Die Beziehung zur Schwester
4.RESÜMEE
5.literaturverzeichnis
1.Einleitung
Diese Arbeit befasst sich mit dem Thema des Körpers und der Körperlichkeit im Kontext familiärer Beziehungen in dem Adoleszenzroman „Dies ist kein Liebeslied“[1] von Karen Duve. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine textnahe Analyse zu einer These des oben genannten Themas sowie der adäquaten Miteinbeziehung von Fachliteratur. Nach erstmaliger Lektüre des Textes habe ich zu dem Thema und dem Text sowohl online als auch vor Ort in Bibliotheken recherchiert und Materialien gesammelt. Während der zweiten Lektüre des Textes legte ich meinen Blick, um das Ziel der Arbeit zu konkretisieren, auf die Protagonistin und ihre Körpermanipulation und kam zu folgender These:
Annes Körpermanipulation entsteht aus dem ständigen Konflikt mit ihrer Körperlichkeit und aus der Enttäuschung heraus, dass ihr Bedürfnis familiärer Zuneigung ständig zurückgewiesen wird.
In der Arbeit geht es vor allem um die verzerrte Selbstwahrnehmung der Protagonistin, die von ihrem familiären Umfeld ungeachtet bleibt. Es wird aufgezeigt, wie das Leben einer jungen Frau verläuft, wenn sie seit dem Kleinkindalter hinter Liebe und Zuneigung hinterherläuft, sich ihren Kopf aber immer nur an Zurückweisung stößt. Es geht um Wünsche, Krankheit, Schönheitsideale, Flucht vor Identität, Konflikte und Beziehungen und mündet in einem ewigen Leidensweg von Hoffnung, dem endlosen Streben nach dem perfekten Körperideal und der Liebe.
2. Selbst- und Fremdwahrnehmung
Annes Selbstwahrnehmung ihres Körpers erfolgt in dem Roman zumeist in Verbindung mit dem Essen, das kein Genuss, sondern Tätigkeit ist, um psychische Stabilität zu erlangen. In ihren Kinder- und Pubertätstagen kommt dem Essen und den unzähligen Diäten vor allem jene Rolle zu, den Mangel an familiärer Liebe zu kompensieren. Die Jahre vergehen in Kilogramm und nicht die Kilos sind ihr eigentliches Laster, sondern ihr unnahbares Umfeld, das schon in frühen Kindheitstagen den Konflikt mit ihrer Körperlichkeit entzündet und zunehmend zur gezielten Körpermanipulation führt. Anne leidet unter Essstörungen und beschreibt ihren Körper, der von Außenstehenden als äußerst dünn wahrgenommen wird, folgendermaßen:
„Wenn ich abends im Bett lag, betrachtete ich zufrieden meinen flachen Bauch und diese Knochen, die im Liegen noch deutlicher, noch knochiger hervorstanden. Einmal hatte ein Junge meine Hüften gestreichelt und zu mir gesagt: „Mensch, bist du dünn!“ Nur, daß das leider nicht stimmte. Meine Beine waren nicht so dünn, daß sie zu diesen Knochen gepaßt hätten, und mein Arsch war so fett, daß manche Männer ihn unwillkürlich berühren mussten [...].“ (S.98)
Ihren Körper erlebt sie ununterbrochen als negativ, unvollständig und ihm nicht zugehörig. Von ihrem Umfeld wird Anne nur in der Gestalt ihres Körpers wahrgenommen, entweder als zu dick oder zu dünn. Personen, die sich für ihr Innenleben interessieren, gibt es nicht. Alles dreht sich um den Körper, um den Inbegriff des Schönheitsideals, dem sie nicht entspricht, zumal sich ihre Mutter mit ihr identifiziert, ihre Schwester schon perfekt ist und ihr Vater sich eines Tages von ihr abwendet und sich in keiner Weise für sie interessiert.
2.1. Annes Konflikt mit ihrer Körperlichkeit
Die Beziehung zu den Eltern ist für die Entwicklung eines Kindes von besonders großer Bedeutung. Da diese zwischen Anne und ihren Eltern eher negativ behaftet ist und sie auch keine anderen fixen Bezugspersonen in ihrem Leben hat, ist sie ständig auf der Flucht. Auf der Flucht vor sich selbst, auf der Flucht vor Verantwortung, auf der Flucht vor Gewohnheiten und auf der Flucht vor ihrer Familie, um ihre Identität auf dem Weg des Erwachsenwerdens zu finden. „Denn Identität entwickelt sich im Austausch mit der sozialen Umwelt, in Interaktion mit (signifikanten) Anderen und ist so eingebettet in den jeweiligen soziohistorischen Kontext.“[2]
Die Identität eines Menschen ist gebunden an die Körper und Körperlichkeit und wenn der Bezug zu diesen beiden Komponenten ausbleibt, so fällt es schwer die eigene Identität zu begreifen und somit bleibt die Suche nach der Frage: „Wer bin ich?“ eine lebenslange, so auch bei Anne Strelau. Der Konflikt mit ihrer Körperlichkeit ist ständiger Begleiter in all ihren Lebensstationen. Sie lebt eine schmerzhafte Normalität mit einer Identität, die sie ablegen möchte.
„Wenn es mir gelang, einer Klasse zugeteilt zu werden, in der mich niemand kannte – so meine Rechnung -, konnte ich eine völlig neue Identität annehmen. Ich könnte sein, was ich wollte, mich völlig neu erfinden. Diesmal würde ich alles richtig machen.“ (S.51)
2.2. Die bewusste Modellierung des Körpers
Um dem Wunsch nach einer eigenen Identität näher zu kommen und ihrer Mutter nicht mehr ähnlich zu sein, grenzt sie sich im Alter von siebzehn Jahren und ersten Erfahrungen mit Männern durch einen radikal verändernden Haarschnitt und einem anderen Kleidungsstil von ihrem Umfeld ab. Das ihr Körper auch begehrenswert und schön sein kann, erscheint ihr unglaubwürdig und ist mit ihrer Selbstwahrnehmung nicht vereinbar. Der Konflikt zwischen ihrem Körper und ihrer Körperlichkeit ist andauernd und belastet sie in allen Beziehungen. Da sie sich diesem Konflikt nicht stellt, flüchtet sie. Sie flüchtet in Beziehungen zu Männern und in Diäten. „Das einzige Hobby, das ich je hatte, war dünner werden.“ (S.211) Sie lernt ihren Körper zu jonglieren und Erwartungshaltungen anderer zu erfüllen. Im Laufe der Jahre und nach zahlreichen Diäten nimmt er ständig neue Formen an, so dass sie zu der Erkenntnis kommt, dass sie sich selbst, ihr Ich, fehlt. Nach Jahren steht sie dem Mann ihres Begehrens, ihrer Jugendliebe Peter Hemstedt, gegenüber und schläft mit ihm.
„Jetzt erst komme ich in der Gegenwart an, jetzt erst werde ich wirklich, und die schauderhafte Leere, die sich hinter mit dehnt, geht mich nichts mehr an.“ (S.281)
Sie findet sich selbst erst dann, als sie Sexualität und Körperlichkeit nicht mehr an ihrem Körper festmacht und befreit sich aus dem Konflikt mit ihrer Körperlichkeit. Doch bis dahin ist der Weg weit und geprägt von dem Einfluss von Familienmitgliedern auf ihren Körper.
[...]
[1] Im Folgenden wird zitiert aus Karen Duve: Dies ist kein Liebeslied. Frankfurt am Main: Eichborn Verlag AG5 2004.
[2] Stockmeyer, Anne-Christin: Identität und Körper in der (post)modernen Gesellschaft. Zum Stellenwert der Körper/Leib-Thematik in Identitätstheorien. Marburg: Tectum Verlag 2004, S. 15.