Die Raute - Ein Textbeispiel aus der mittelhochdeutschen medizinischen Fachliteratur


Hausarbeit, 2004

20 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Textbeispiel
2.1 Original
2.2 Übersetzung

3. Der Codex 8° Ms 875 und seine Autoren

4. Thema des Textbeispiels: Die Raute und ihre Verwendung

5. Struktur und Sprache des Textes

6. Medizin im Mittelalter - Hintergründe
6.1 Stellung der Medizin und heilkundliche Literatur
6.2 Ursachen von Krankheit und Wege zur Bekämpfung
6.2.1 Diätetik
6.2.2 Humoralpathologie und Temperamentenlehre
6.2.3 Chirurgie: Zweiteilung der Ärzteschaft

7. Fazit und Ausblick

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der mittelalterlichen Literatur lassen sich zwei Textgattungen voneinander unterscheiden, die Versdichtung und die Fachprosa. Erstere, unter die Minne- und Artusdichtung fallen, fand in der Forschung große Beachtung und wurde als ästhetisch und kulturell wertvoll ange- sehen. Die Fachliteratur dagegen wurde lange Zeit vernachlässigt. Die Verfasser dieser Schriften legten wenig Wert auf sprachliche Schmuckelemente, da die Texte nicht der Unterhaltung, sondern der Vermittlung von Wissen dienten. Gerade in der medizinischen Fachliteratur ist das Verständnis von Wirkung und Gebrauch der Heilpflanzen und Rezeptu- ren nötig, damit der Rezipient Erfolge bei der Anwendung erzielen kann. Diese sprachliche Schlichtheit, die durchaus deutsche und lateinische Fachausdrücke einschließt, sollte keinesfalls zur Minderbewertung der Fachliteratur an sich führen, da sich auch in diesen Texten der Alltag und die Ansichten der damaligen Zeit wiederspiegeln. Der Aufbau der Welt, der Glaube an Gott aber auch an Magie, all dies und mehr lässt sich aus Fachtexten erschließen, die nicht nur inhaltlich ebenso wertvoll sind, sondern auch zahlenmäßig der Versdichtung weit überlegen1. Außerdem kann die Untersuchung der Fachprosa zum Ver- ständnis z.B. von Minne- oder Artusdichtung beitragen, wenn dort Fachbegriffe verwendet wurden (z.B. die Zeichen des Todes im Nibelungenlied; vgl. Eis 1967: 67ff.).

Die vorliegende Arbeit behandelt die medizinische Fachliteratur des deutschen Mittelalters, also wissensvermittelnde Prosa, die teils durch die universitäre Lehre geprägt wurde, teils durch die alltägliche Praxis der Ärzte, stets aber auch durch ausländische (z.B. salernitanische) Einflüsse oder antike Quellen. Je nach Anspruch und Ziel entstand ein eige- nes Schrifttum der praktischen bzw. der an den Universitäten ausgebildeten Ärzte. Erstere nutzten die deutsche, letztere hingegen die lateinische Sprache zur Weitergabe ihres Wissens. Unabhängig von Sprache und Verfassern sind die meisten mittelalterlichen Fachtexte heilkundlicher Natur (vgl. Assion 1973: 133). Zur Verbreitung medizinischer Texte trugen Kleriker bei, wenn auch der Wirkungskreis der lateinischen Abschriften auf die Welt innerhalb der Klostermauern beschränkt blieb. Eher selten entstanden neue Werke wie die der Hildegard von Bingen oder die Etymologiae von Isidor von Sevilla (vgl. Haferlach 1991: S. 15f.). Das mittels der Bücher erworbene Wissen wurde praktisch angewendet, da vielen Klöstern Hospitäler angegliedert waren, in denen in der Heilkunde bewanderte Mönche ihren Dienst am Nächsten taten. Neben dem Krankenhaus für die Mönche gab es Häuser für reiche sowie andere Pilger und Arme (vgl. Schipperges 1990: 178). Wenn auch zwischen den Patienten unterschieden wurde, grundsätzlich wurden Kranke bevorzugt behandelt; dies galt nicht nur für die Krankenversorgung im Kloster. Darin spiegelt sich die mittelalterliche Haltung gegenüber Krankheiten wieder. Sie wurden als natürlicher Bestandteil des Lebens angesehen, begründet durch den Sündenfall Adams, nicht generell als Strafe Gottes für persönliche Verschuldungen (ebd.: 20).

In dieser Arbeit sollen, ausgehend von einem Textbeispiel über die Raute aus dem Codex 8° Ms 875 der Universitätsbibliothek Greifswald, die Welt der Ärzte im Mittelalter, deren Auf- gaben und Möglichkeiten näher beleuchtet werden. Anhand dieser Betrachtungen soll bestätigt werden, dass der Beispieltext von einem, wie bereits von der Editorin Christa Baufeld vermutet, praktisch-tätigen Arzt geschrieben wurde. Dazu folgen auf den mhd. Quellentext und die von mir vorgenommene Übersetzung Informationen zu dem Codex, aus dem der Text stammt, und den daran beteiligten Schreibern. Anschließend werden Inhalt, Struktur und Sprache des Abschnittes betrachtet. Diesem eng am Text bleibendem Teil folgen die Ausführungen über die kulturellen Hintergründe, die der Behandlung zugrunde liegenden Annahmen und Theorien der Mediziner, darunter die der Humoralpathologie und der Diätetik. Neben einer auf diesen Ansichten beruhenden Behandlung stand als weitere Möglichkeit der chirurgische Eingriff zur Auswahl; da der Schreiber des Beispieltextes vermutlich aus dem Umfeld der in dieser Tradition stehenden praktisch tätigen Ärzte stammte, wird auf diesen Berufsstand im Unterschied zu dem sich abgrenzenden Stand der universitär ausgebildeten Ärzte eingegangen. Da Klerikern auf dem IV. Laterankonzil 1215 jedwede chirurgische Tätigkeit untersagt wurde (Keil 1983: Sp. 1849), wird die Kloster- medizin im Folgenden außer Acht gelassen; die Verfasser des Codex dürften kaum aus diesem Kreis stammen.

2. Textbeispiel

2.1 Original

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2.2 Übersetzung

Von der Raute

Raute ist heiß und trocken im dritten Grad. Die Raute, häufig getrunken, hilft dem Magen. Der Raute Saft, oft genutzt und getrunken, hilft gut gegen Husten und vertreibt auch, so genutzt, den Männern ihre Lust und mehrt sie den Frauen. Und wer sie in Wasser siedet und das mit starkem Wein mischt, das vertreibt die Schwäche im Leib. Das selbe vertreibt die Geschwulst unter den Rippen. Wer Fieber hat, der siede die Raute frisch in Olivenöl und bestreiche den Leib damit, ehe dass es in an geht [= bevor er sich ansteckt]. Die Raute, gesotten mit Wein, ist zu allen ungenannten Dingen gut. Die Raute, roh gegessen, vertreibt den Schleier vor den Augen. Noch besser hilft Fenchelsaft und Hahnengalle und Honig und Möhrensaft, und von einem soviel wie vom anderen, und das zusammen getan und an die Augen gestrichen. Und Rautensaft in die Nasen getan, wenn sie sehr bluten, dies lässt es sogleich ganz erstarren. Und roh gegessen, vertreibt sie alle Gifte.

3. Der Codex 8° Ms 875 und seine Autoren

Der von Christa Baufeld 2002 editierte Codex 8° Ms 875 der Universitätsbibliothek Greifswald ist eine von fünf unterschiedlichen Schreibern hergestellte Sammelhandschrift aus dem 15. Jahrhundert (um 1430), entstanden vermutlich im Nürnberger Raum2, die die Vorstellungen von Krankheitsursachen und den Kenntnisstand der Ärzte widerspiegelt, aber auch Hinweise auf die damalige Weltanschauung gibt.

Die inhaltliche Spannweite des Codex ist groß, neben überlieferungsgeschichlich bereits identifizierten Elementen, wie einem Text aus dem Bartholomäus und dem Secretum secretorum, sind gleich zwei Kräuterbücher enthalten. Außerdem finden sich verschiedene Rezepte für den Haushalt, eine Jahreszeitenlehre, ein Weinbüchlein, ein Traktat über die wichtigste Diagnoseform, die Harnschau, und den Aderlass, eine häufig vorkommende Behandlungsmethode sowie weitere Texte. Das Spektrum reicht von den wissenschaftlich anmutenden Beschreibungen der Kräuterbücher bis hin zu einem Pfeilsegen und einem Steingedicht. Die Texte scheinen keiner nachvollziehbaren höheren Ordnung zu unterliegen, sondern wirken willkürlich zusammengestellt. Zur Veranschaulichung soll ein kurzer Blick auf die Themenabfolge ausreichen; erklärt werden kann die Abfolge nicht durch die ver- schiedenen Schreiber, da diese Abschnitte alle von einer Hand stammen (Schreiber 2, nach der Reihenfolge der Texte so benannt). Es befindet sich ein erstes Kräuterbuch, als pharmakologische Komponente, vor dem die Diagnose betreffenden Harntraktat, an den sich wiederum eine Abhandlung verschiedener Krankheiten anschließt - die in sich nach dem Prinzip a capite ad calcem („vom Scheitel bis zur Sohle“) aufgebaut ist, aber auch Texte enthält, die sich darin nur schwer eingliedern lassen, wie eine „Jungfrauenprobe“ - darauf folgt ein zweites, ausführlicheres Kräuterbuch.

[...]


1 Ca. 90 % des mittelalterlichen Schrifttums entfallen schätzungsweise auf dieses Gebiet (vgl. Spiewok 1994: 334 bzw. Eis 1967: 55).

2 Zumindest der größte Teil der Handschrift. Die Annahme beruht auf der Analyse der Dialekte (vgl. Baufeld 2002: XVII).

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Raute - Ein Textbeispiel aus der mittelhochdeutschen medizinischen Fachliteratur
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Germanistische und Allgemeine Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Deutschsprachige Fachliteratur des Mittelalters
Note
1,0
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V172309
ISBN (eBook)
9783640921911
Dateigröße
1050 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
raute, textbeispiel, fachliteratur
Arbeit zitieren
Anonym, 2004, Die Raute - Ein Textbeispiel aus der mittelhochdeutschen medizinischen Fachliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172309

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