Untersuchung zur kognitiven Repräsentation beim Delphinschwimmen


Examensarbeit, 1997

115 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Interne Bewegungsrepräsentation und kognitive Repräsentation
2.1 Das Wissen-Können-Problem
2.1.1 Können ohne Wissen
2.1.2 Können mit Wissen
2.1.3 Wissen - Können, ein fließender Übergang?
2.1.4 Zusammenfassung
2.2 Die Unterteilung der internen Repräsentation nach Wiemeyer

3 Theorien der Bewegungssteuerung
3.1 Motorische Programme
3.2 Generalisierte Motorische Programme (GMP)
3.2.1 Theoretischer Hintergrund
3.2.2 Kritik am GMP-Konzept
3.2.3 GMP und kognitive Repräsentation
3.3 Die Hierarchische Schematheorie
3.3.1 Die kognitive Repräsentation im Modell der Hierarchischen Schematheorie
3.3.2 Kritik an der Hierarchischen Schematheorie
3.4 Handlungstheorie
3.4.1 Grundannahmen der Handlungstheorie
3.4.2 Handlungsdeterminanten und Handlungsraum
3.4.3 Das Regulationssystem
3.4.4 Handlungsplanung und Handlungsdurchführung
3.4.5 Die kognitive Repräsentation in der Handlungstheorie
3.4.6 Kritik an der Handlungstheorie
3.5 Der Ökologische Realismus und die Synergetik
3.5.1 Transfer der Synergetik auf die Bewegungsorganisation
3.5.2 Kritik am Ökologischen Realismus und an der Synergetik
3.6 Der Konnektionismus
3.6.1 Begriff und Entwicklung
3.6.2 Wie lernen neuronale Netze?
3.6.3 Die interne Repräsentation im Konnektionismus
3.6.4 Kritik am Konnektionismus
3.7 Zusammenfassung

4 Empirische Untersuchung zur kognitiven Repräsentation im Delphinschwimmen
4.1 Die Auswahl der zu untersuchenden Bewegung
4.2 Das Delphinschwimmen
4.2.1 Entwicklung
4.2.2 Der Armzug
4.2.2.1 Eintauchen
4.2.2.2 Zugphase
4.2.2.3 Druck- und Rückführphase
4.2.3 Der Beinschlag
4.2.4 Koordination
4.3 Vorüberlegungen
4.3.1 Der Zusammenhang von Wissen und Problemlöseverhalten
4.3.2 Die Problematik von Innen- und Außensicht
4.3.2.1 Konstruktion und Rekonstruktion
4.3.2.2 Die Innensicht der Außensicht
4.3.2.3 Emotionale und motivationale Einflüsse
4.3.3 Der Einfluß der aktuellen Bewegung auf die Repräsentation
4.4 Methode
4.4.1 Die Itemkarten
4.4.1.1 Die Auswahl der Items
4.4.1.2 Die Karten
4.4.2 Plausibilitätsfragen und Kartenreihenfolge
4.4.3 Die Videoaufzeichung
4.4.4 Die Probanden
4.4.4.1 Auswahlkriterien
4.4.4.2 Demographische Daten
4.4.4.3 Lerngeschichte
4.4.5 Der Versuchsablauf
4.4.6 Die Auswertung
4.4.7 Kritische Methodenbetrachtung
4.5 Darstellung und Diskussion der Ergebnisse
4.5.1 Die Bewegungskategorien
4.5.2 Einzelergebnisse
4.5.2.1 Proband Nr. 1
4.5.2.2 Proband Nr. 2
4.5.2.3 Proband Nr. 3
4.5.2.4 Proband Nr. 4
4.5.2.5 Proband Nr. 5
4.5.2.6 Proband Nr. 6
4.5.2.7 Proband Nr. 8
4.5.2.8 Proband Nr. 9
4.5.2.9 Proband Nr. 10
4.5.2.10 Proband Nr. 11
4.5.2.11 Proband Nr. 12
4.5.2.12 Proband Nr. 13
4.5.2.13 Proband Nr. 14
4.5.2.14 Proband Nr. 15
4.5.3 Überblick
4.5.4 Die Verteilung der richtigen Antworten auf die einzelnen Bewegungskategorien
4.5.5 Die Konstanz der Antworten vor und nach der Bewegungsausführung
4.5.6 Weitere Ergebnisse
4.5.7 Zusammenfassung und methodischer Ausblick
4.5.8 Vergleich der Ergebnisse mit ähnlichen Untersuchungen
4.6 Übertragung der Ergebnisse auf Theorien der Bewegungssteuerung

5 SchluSS

6 Literatur

7 Anhang

1 Einleitung

Welche Kenntnis hat ein Schwimmer von seiner eigenen Bewegungsausführung? Auf diese Frage stieß ich das erste Mal im Verlauf meines Grundkurses Schwimmen, in welchem ich bei meinen theoretischen Studien auf folgenden Text von Counsilman stieß:

Ich habe viele Schwimmer beobachtet, die sich eine gute Schwimmtechnik erarbeitet haben ohne die Hilfe eines Trainers oder einer anderen Person. Mark SPITZ bietet für diese Art von Schwimmer ein gutes Beispiel. Als er als Studienanfänger ins College zu mir kam, hielt er zwei Weltrekorde und besaß eine faßt [sic!] vollkommene Schwimmtechnik. Als ich ihn fragte, wie er beim Kraulschwimmen seine Hand zieht, gab er mir in allen Einzelheiten eine Beschreibung eines im Ellbogen fast gestreckten Armzuges entlang der Mittellinie des Körpers. Unterwasseraufnahmen seines Zuges zeigten mir, daß er einen Zick-Zack-Zug verwendete mit einem bis zu fast 90 Grad gebeugten Ellbogen“ (Counsilman 1980, 133).

Wie ist es möglich, daß ein Weltklasseschwimmer nicht weiß wie er schwimmt? Wie kann man überhaupt mit der „falschen“ Vorstellung einer Bewegung diese trotzdem richtig ausführen? Diese Frage hatte mich seit damals beschäftigt und lieferte die Motivation für die vorliegende Arbeit.

Es gibt Theorien menschlicher Bewegungssteuerung die auf diese Frage antworten, daß die Anforderungen der jeweiligen Situation bei ausreichendem Üben den Lernenden von alleine zur richtigen Bewegung führen (z. B. die Tendenz zur Prägnanz in der Gestalttheorie oder die Attraktoren in der Synergetik). Es ist also nicht erforderlich, die richtige Form der Bewegungsausführung zu kennen oder auch nur die eigene Bewegungsform bewußt repräsentieren zu können. Das Wissen um eine Optimierung der eigenen Bewegungsfähigkeit wird dann durch die Verbesserung des Bewegungsergebnisses und durch ein „gutes Bewegungsgefühl“ begründet. Oder, wie Dreyfus und Dreyfus es ausdrücken: „Wenn keine außergewöhnlichen Schwierigkeiten auftauchen, lösen Experten weder Probleme, noch treffen sie Entscheidungen; sie machen einfach das, was normalerweise funktioniert“ (1988, 55; zitiert nach Bromme 1993, 131).

Es gibt andererseits Theorien der Bewegungssteuerung, die beim sich bewegenden Menschen ein Wissen um die äußere Form seiner Bewegung postulieren, welches einen Einfluß auf seine Bewegungssteuerung hat. Dies sind insbesondere die Handlungstheorie und die Subjektiven Theorien. Eine Beeinflussung des Lernprozesses durch Informationen zum Bewegungsablauf und zur eigenen Bewegungsausführung wurde in verschiedenen Untersuchungen nachgewiesen (vgl. Narciss 1993, 22). Auf dieser Annahme beruhen letztendlich auch die weit verbreiteten Lehrmethoden, die mit Darstellungen der Bewegungsformen von der Schautafel bis zur Videoaufnahme arbeiten.

Zur Klärung der Frage, inwieweit kognitive Repräsentationen einer Bewegung an ihrer Steuerung beteiligt sind, will diese Arbeit beitragen.

Dazu wird zunächst eine Differenzierung von interner Bewegungsrepräsentation und kognitiver Repräsentation vorgenommen sowie die Problematik von Wissen und Können erörtert (Kap. 2). Anschließend werden verschiedene Theorien zur Steuerung des menschlichen Bewegungshandelns beschrieben und auf ihre Aussagen zur kognitiven Repräsentation untersucht (Kap. 3).

Im Empirischen Teil der Arbeit wird zunächst die untersuchte Bewegung dargestellt (Kap. 4.2) und nach einigen Vorüberlegungen (Kap. 4.3) wird die Methode erläutert (Kap. 4.4). In Kapitel 4.5 werden die Ergebnisse vorgestellt und diskutiert. Zum Schluß (Kap. 4.6) wird versucht, die Ergebnisse auf die Theorien menschlichen Bewegungshandelns zu beziehen.

2 Interne Bewegungsrepräsentation und kognitive Repräsentation

Interne Bewegungsrepräsentationen als Bezeichnung für alle Gedächtnisinhalte, die bei der Planung, Steuerung und Kontrolle von Bewegungshandlungen beteiligt sind, sind ein hypothetisches Konstrukt, da sie nicht direkt beobachtbar sind, sondern indirekt aus motorischem und/oder sprachlichem Verhalten erschlossen werden müssen (vgl. Wiemeyer 1994, 5; Narciss 1993, 1).

Der Begriff der Repräsentation wird im Hinblick auf kognitive Phänomene immer als Abbildung zwischen zwei Bereichen benutzt, „wobei die Elemente des einen Bereichs (z. B. Konzepte, Begriffe, zentralnervöse Aktivierungsmuster) Platzhalterfunktion für die Elemente des anderen Bereichs (z.B. reale Objekte) haben oder systematische Beziehungen zwischen den Elementen der beiden Bereiche bestehen“ (Wiemeyer 1994, 3).

Zimmer (1991) hält „eine interne Repräsentation sowohl der Umwelt wie auch des eigenen Verhaltens“ (192) für unumgänglich, da der Ausführende für „ein zielgerichtetes und kontrolliertes Verhalten wie bei der technisch einwandfreien Durchführung einer komplexen Aufgabe im Sport“ (191f.) vorher einen Plan haben muß. Er versteht unter der Repräsentation eines Bewegungsablaufes „alle Gedächtnisinhalte , ... die es dem Lernenden ermöglichen, die Bewegung entsprechend seinem Trainingsstand auszuführen“ (191). Das Gedächtnis wird dabei als eine Funktionseinheit betrachtet, „die dafür sorgt, daß in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen für die Steuerung aktuellen Verhaltens genutzt werden“ (Hoffmann 1992, 3; zitiert nach Wiemeyer 1994, 5).

Nach Narciss (1993, 82; zitiert nach Wiemeyer 1994, 3) müssen Repräsentationen folgende fünf Aspekte enthalten:

1. Eine Menge von Elementen eines Gegenstandsbereiches,
2. die Struktur des Gegenstandsbereiches,
3. eine Menge von Elementen des Bildbereichs,
4. die Struktur des Bildbereichs und
5. die Strukturähnlichkeit bzw. Strukturverträglichkeit zwischen Gegenstands- und Bildbereich.

Dieser „streng-formale Repräsentationsbegriff“, den Wiemeyer (1994, 3f.) aufgrund seiner formalen Anforderungen für nicht erfüllbar hält, kommt in den meisten Theorien der Bewegungssteuerung, die eine interne Repräsentation postulieren, nicht zur Geltung. Vielmehr wird eine, der jeweiligen Theorie entsprechend geartete, Abbildung personen- und umweltrelevanter Bewegungsdaten im Gedächtnis angenommen. Ein einheitlicher Repräsentationsbegriff läßt sich nicht feststellen.

Unter die Kategorie der Gedächtnisinhalte, welche die interne Repräsentation bilden, fallen neben den bewußten auch die unbewußten Anteile der Bewegungssteuerung, welche sich nicht durch Befragungen erheben lassen (vgl. Lippens 1992, 20f., Wiemeyer 1994, 163ff.) Der empirische Teil dieser Arbeit beschränkt sich auf die Ermittlung bewußtseinsfähiger Gedächtnisinhalte, die im weiteren Verlauf auch als „kognitive Repräsentation(en)“ bezeichnet werden. Daß dabei der Begriff „bewußtseinsfähig“ nicht unproblematisch ist, soll im folgenden dargestellt werden.

2.1 Das Wissen-Können-Problem

Die Darstellungen in diesem Kapitel lehnen sich im wesentlichen an die Argumentation von Wiemeyer (1994) an. Er bezeichnet Wissen als „Gesamtheit der potentiell verhaltenswirksamen Gedächtnisinhalte“ (18, im Original hervorgeh.), worin er auch die unbewußten Anteile einbezieht und Können als „den Zustand der Bewegungskompetenz“ (ebd., im Original hervorgeh.). Seine Verwendung des Begriffes deutet jedoch darauf hin, daß er lediglich das bewußtseinsfähige Wissen meint, wenn er das Wissen-Können-Problem erörtert. Im weiteren soll dieser eingeschränkte Wissensbegriff Verwendung finden, da im Rahmen dieser Arbeit nur das bewußtseinsfähige Wissen betrachtet wird. In Abhängigkeit vom jeweiligen theoretischen Hintergrund sind die Grenzen zwischen bewußten und unbewußten Gedächtnisinhalten fließend oder nicht definiert (vgl. Kapitel 3).

Inwieweit hängen das Wissen um eine Bewegung und die Bewegungsausführung miteinander zusammen? Auf diese Frage scheint nach dem derzeitigen Stand der Motorikforschung keine eindeutige Antwort möglich zu sein.

Es scheint jedoch festzustehen, daß bei der Aneignung von Bewegungskönnen stets kognitive Komponenten eine Rolle spielen (vgl. Wiemeyer 1994, 17).

2.1.1 Können ohne Wissen

Verschiedene Untersuchungsergebnisse zeigen eine Diskrepanz zwischen subjektiver Sicht und objektiv feststellbarer Bewegungsrealisation (vgl. Wiemeyer 1994, 18ff.).

Im Schwimmen hat die Untersuchung von Eberspächer, Narciss und Reischle (1990) zur Erhebung der kognitiven Repräsentation bewegungsstruktureller Merkmale des Brustschwimmens zu folgenden Ergebnissen geführt: Bei Bild-Zuordnungsaufgaben (Arm- und Beinposition) ergeben sich sowohl bei Sportstudenten als auch bei Leistungsswimmern insgesamt schlechte Zuordnungsleistungen. Auch bei verbalen Bewegungsbeschreibungen ist kein Zusammenhang zwischen dem Könnensniveau und dem Wissen festzustellen.

Wolf / Zschorlich (1993) berichten, daß sie bei einem Vergleich objektiver Daten und subjektiver Empfindungen beim Brustschwimmen keinen Zusammenhang feststellen konnten und sogar „in vielen Fällen konträre Ergebnisse“ (102) erhielten. Die subjektiven Empfindungen wurden dabei mit dem von Lippens (1994) entwickelten Kartenlegeverfahren ermittelt.

In diesem Zusammenhang stellt Wiemeyer (1994, 19) die Frage, „ob die Erforschung der Repräsentation bewegungsstrukturellen Wissens, d. h. von Merkmalen der Außensicht, ausführungsrelevante Inhalte von Bewegungsrepräsentationen überhaupt erfassen kann“. Es scheint jedoch ausreichend Hinweise zu geben, daß bewegungsstrukturelles Wissen, auch wenn es möglicherweise nicht ausführungsrelevant ist, aus dem ausführungsrelevanten Wissen konstruiert werden kann (vgl. Kap. 4.3.2.1).

Nach Wiemeyer sind Wissen und Können unabhängig, da „erfolgreiches Lernen ohne Instruktion oder Bewegungs(fremd)korrektur“ (1994, 20, im Original hervorgeh.) möglich ist. Hierzu wäre kritisch zu fragen, ob sich beim Lernen ohne Instruktion kein Wissen ausbildet (z. B. auf Grund sensorischer Rückmeldungen im Versuch-und-Irtum-Verfahren). Diese Frage ist nach Wiemeiers eigener Definition von Wissen (s. o.) zu verneinen. Das Argument ist daher nicht stichhaltig.

Ausgehend von der Position, „daß Wissen über Können nicht existiert, gäbe es keine Verbindung zwischen motorischen und kognitiven Organisations- und Kontrollprozessen (...), und Interview-Daten wären als Artefakte zu bezeichnen, die in einem künstlichen Kontext ... entstehen“ (ebd.).

Eine andere Schlußfolgerung zieht Bromme (1993), der es nicht für notwendig erachtet, „daß es hinter dem Handeln auch Regeln gibt, die man unabhängig von der Ausführung des Handelns kennen muß“ (134). Als Beispiel nennt er die Vorführung eines Musikstückes oder das Halten eines Plädoyers, für deren Ausführung es nicht notwendig ist, die hinter diesen Tätigkeiten stehenden Ordnungen erklären zu können oder auch nur zu kennen. „Insoweit ist der Versuch, das Wissen hinter dem Können hervorzuholen vergeblich, sofern nur das Auffinden von vormals Gewußtem beabsichtigt wird. Möglich und sinnvoll ist aber die Konstruktion einer begrifflichen Repräsentation der Ordnung, die sich im Können manifestiert“ (ebd., Hervorh. im Original). Mit dem Begriff „Konstruktion“ ist dabei „keine willkürliche Erfindung gemeint“ (ebd.), sondern die Anwendung der von den Könnern mitgebrachten Begriffe auf ihre Erlebnisse. Wenn diese nicht vorhanden sind „kann es nötig sein, gemeinsam mit den Probanden neue Begriffe zu entwickeln“ (ebd.).

Nach diesem Verständnis von Bewegungswissen stellt sich die Frage, ob nicht sämtliche zum Bewegungswissen erhobenen sprachlich-symbolische Repräsentationen Konstruktionen darstellen. Zur Problematik der Konstruktion vgl. auch Kap. 4.3.2.1.

2.1.2 Können mit Wissen

Nach Wiemeyer (1994; 21f.) „gibt es zahlreiche Untersuchungen, in denen ein Zusammenhang zwischen den Ergebnissen der verbalen Befragung oder der Abfrage visueller Vorstellungsinhalte und der Bewegungsrealisation nachweisbar ist.“ (Hervorh. im Original)

In einer Untersuchung zum Transfer vom Ober- zum Unterschnitt beim Tischtennis stellt Zimmer (1983) bei der Gruppe, die mit dem physikalischen Prinzip dieser Schläge vertraut gemacht wurde einen signifikant höheren Anteil an Personen fest, welche die Transferbewegung sofort beherrschten als bei der Gruppe, welcher die Bewegung demonstriert wurde.

Narciss (1993) findet bei einer vergleichenden Untersuchung von Bewegungsrepräsentation und Bewegungsausführung des Brustschwimmens (Experiment 1) eine Übereinstimmung in den festgestellten Fehlern der Probanden.

2.1.3 Wissen - Können, ein fließender Übergang?

Die Ausführungen in diesem Kapitel orientieren sich im wesentlichen an Groeben / Scheele (1993).

Im Rahmen des Forschungsprogramms Subjektive Theorien (FST) wurde die aus der Handlungstheorie stammende Einteilung von Bewegung in Handeln, Verhalten und Tun übernommen und weiter ausdifferenziert. Das FST geht nicht von einer strikten Trennung von bewußten und unbewußten Handlungen aus, sondern postuliert einen „weichen“ Übergang und die Beteiligung sowohl bewußter als auch unbewußter Prozesse an der Bewegungssteuerung. „Man kann also innerhalb des FST-Rahmens durchaus auch solche Phänomene rekonstruieren und modellieren, bei denen ‘bloße’ Verhaltensaspekte (im Sinn von Automatismen und Routinen) in komplexe Handlungsrahmen (im Sinne von bewußten, planvollen Handlungsentscheidungen) eingebettet sind (...)“ (Groeben/Scheele 1993, 140).

Diese Verschachtelung bewußter und unbewußter Prozesse wird dementsprechend auch als Endzustand des Lernprozesses angesehen. Dabei wird das Lernen je nach Situation als Verringerung oder Erhöhung der Bewußtseinsfähigkeit betrachtet, wie im folgenden dargestellt wird:

1. Lernen als Verringerung der Bewußtseinsfähigkeit

Unter diesem Begriff ist die Routinebildung oder auch Automatisierung eines Bewegungsablaufes zu verstehen, wie sie durch häufiges Üben zustande kommt. „Die Funktion dieses ,Absinkens’ auf der Hierarchie der Bewußtseinsstufen beim Erlernen von Kompetenz in Sporttätigkeiten dürfte eine zweifache sein: zum einen um das Ziel der sicheren Replizierbarkeit optimaler Bewegungsabläufe zu erreichen, zum anderen aber auch die Notwendigkeit, Verarbeitungskapazitäten für weitere, übergeordnete Informationen, Aufgaben etc. freizubekommen“ (Groeben/Scheele 1993, 146).

Bromme (1993, 131f.) spricht von „begifflich-symbolisch repräsentiertem Wissen“, das bei Könnern eine ‘Verdichtung’ erfährt. Er versteht darunter „die Subsumtion von komplexen Informationen zur Situation, zu Intentionen und zu möglichen Handlungen unter einen Begriff“. Diese ist besonders im Zusammenhang mit routiniertem Handeln von Könnern zu beobachten. Dabei ist vor allem bei Könnern „das Ausmaß der unter wenige Begriffe subsumierten Information“ (137) auffällig.

2. Lernen als Erhöhung der Bewußtseinsfähigkeit

Hierunter ist der Aufbau einer bewußten, realitätsadäquaten Repräsentation zu verstehen, die man gemeinhin als Bewegungsvorstellung bezeichnet. Auch Feedback (KR = knowledge of result) wirkt im Lernprozeß als Komplettierung bzw. Differenzierung der kognitiven Repräsentation.

2.1.4 Zusammenfassung

Ob Können ohne Wissen möglich ist oder nicht, geht aus den bisherigen Untersuchungen nicht eindeutig hervor. So kommt auch Wiemeyer (1994, 28, Hervorh. im Original) zu dem Resümee, daß „wahrscheinlich aufgaben-, situations- und personabhängige Zusammenhänge erwartet werden“ müssen.

Er legt dar, daß ein Kategoriefehler begangen wird, wenn man Wissen aus der Innensicht und Können aus der Außensicht betrachtet (29). „In diesem Fall werden Wissen und Können in der Tat unvereinbar, da a priori verschiedene Perspektiven gewählt werden. Eine derartige Unvereinbarkeit ist nicht gegeben, wenn man Können und Wissen auf der gleichen Ebene (Repräsentationsebene) betrachtet“ (ebd.).

Dies würde bedeuten, daß man neben der Erhebung vorhandener Wissensbestände auch das Können aus der Innensicht des Versuchsteilnehmers erfassen müßte, um es mit dem Wissen zu vergleichen. Es bleibt dann jedoch die Frage offen, inwieweit das daraus resultierende Ergebnis noch Relevanz für die beobachtbare Bewegungsausführung besitzt, wenn Innen- und Außensicht nicht verglichen werden können.

Im empirischen Teil der Arbeit wird daher die Bewegungsausführung mit der kognitiven Repräsentation und den Wissensbeständen zur idealtypischen Bewegungsausführung verglichen.

2.2 Die Unterteilung der internen Repräsentation nach Wiemeyer

Abschließend wird in diesem Kapitel noch die differenzierte Betrachtung der internen Repräsentation nach Wiemeyer (1994) vorgestellt.

Wiemeyer geht davon aus, daß die als dissipativ angenommenen Gedächtnisstrukturen sich entsprechend ihrer Funktion selbst strukturieren. Dabei wird von der Funktion auf die Strukturen des Wissens geschlossen (49). „Lernen wird in diesem Sinne als eine prozeßhafte Veränderung von verschiedenen individuellen Wissens- oder Repräsentationsstrukturen im Gedächtnis interpretiert, die die Möglichkeit eröffnen, Bewegungsaufgaben situations- und anforderungsgerecht zu lösen“ (ebd.). Zudem nimmt er an, „daß bewußt-kognitive Strukturierungsprozesse eine entscheidende Rolle beim sportmotorischen Lernen und bei der sportmotorischen Kontrolle spielen“ (50, Hervorh. im Original).

Wiemeyer unterscheidet innerhalb der internen Repräsentation die folgenden vier Kategorien (51):

1. Theoretisches Wissen: Hierunter wird die Gesamtheit jener Gedächtnisinhalte verstanden, „die keinen unmittelbaren Bezug zur konkreten Vorbereitung, Ausführung und Bewertung der Eigenbewegung haben“ (ebd., Hervorh. im Original). Darunter fällt vor allem das Wissen um die Außensicht der Bewegung wie z. B. biomechanische Prinzipien, aber auch das Wissen um interne Aspekte wie z. B. psychologische Bedingungen.
2. Exekutiv-prozedurales Bewegungswissen: Diese Kategorie bezeichnet jene Repräsentation, welche die „Bewegungen durch entsprechende Muskelkontrolle realisiert“ (52). Dieser Anteil der Repräsentation ist laut Wiemeyer nicht bewußtseinsfähig (ebd.). Diese Form des Bewegungswissens wird in Theorien des Informationsverarbeitungsansatzes behandelt, wie z. B. im Motorischen Programm, im Generalisierten Motorischen Programm (GMP), oder im Motorikschema.
3. Präskriptives Bewegungswissen: Das präskriptive Bewegungswissen „beinhaltet konkretes und eigenbewegungsrelevantes Wissen über den indikationalen und spezifikationalen Aspekt von Bewegung (...). Es bezieht sich also auf das ‘Was?’ und ‘Wie?’ der Eigenbewegung“ (78). Dabei geht es nicht um die direkte Steuerung der Bewegung, sondern um die Erzeugung sensorisch registrierbarer Effekte, „die unauflösbar mit Bewegungen verbunden sind“ (ebd.). Man könnte auch sagen, daß es sich dabei um die erwarteten sensorischen Konsequenzen handelt. Das präskriptive Bewegungswissen gibt dem Lernenden (wenn auch zu Beginn des Lernprozesses nur ungenau) Rückmeldungen über die Qualität seines Bewegungsablaufes. Daher ist ohne hinreichend differenziertes präskriptives Bewegungswissen „kein zielgerichtetes sensomotorisches Lernen möglich“ (79).
4. Interpretatives Bewegungswissen: Hierunter versteht Wiemeyer jenes Wissen, das durch die Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung generiert wird (vgl. 83). Dabei wird Wahrnehmung als „subjektiver, aktiver Prozeß der konstruktiven phänomenalen Repräsentation von Person, Umwelt und Person-Umwelt-Beziehung“ (Wiemeyer 1992, 191; zitiert nach Wiemeyer 1994, 83) definiert. Das interpretative Bewegungswissen entsteht somit vornehmlich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt während der Bewegungsausführung.

Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Wissenstrukturen sollen anhand der Abbildung 1 verdeutlicht werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Heuristisches Model unterschiedlicher sensomotorischer Wissens- bzw. Repräsentationsstrukturen und ihrer wechselseitigen Verbindungen nach Wiemeyer (1994, 90)

Folgt man der von Wiemeyer vorgeschlagenen Unterteilung, wird in dieser Arbeit vor allem das theoretische und das interpretative Bewegungswissen untersucht. Letzteres ist vom präskriptiven Bewegungswissen sicherlich nicht eindeutig zu trennen.

3 Theorien der Bewegungssteuerung

Jede Theorie menschlichen Bewegungshandelns muß die offensichtlichen Phänomene von Bewegungen erklären können. Ist ihr dies nicht möglich, so muß sie verworfen oder zumindest verändert bzw. erweitert werden. Diese Phänomene sind im einzelnen (vgl. Narciss 1993, 5f.):

1. Motorische Komplexität: Der komplex aufgebaute menschliche Bewegungsapparat besitzt eine Vielzahl von motorischen Freiheitsgraden (bis zu 792, vgl. Stellmach / Diggeles 1982). Bereits die von Zimmer und Körndle auf der Grundlage von 127 Freiheitsgeraden berechneten 1,7 x 1038 Kombinationsmöglichkeiten (vgl. 1988, 87) sind offenbar zu vielfältig, um vom zentralen Nervensystem einzeln kontrolliert werden zu können. Daher muß die Ansteuerung der Freiheitsgrade koordiniert bzw. in ihrem Umfang reduziert werden, um Bewegungen produzieren zu können.
2. Motorische Äquivalenz: Durch den komplexen Aufbau des menschlichen Bewegungsapparates ist es möglich, mit unterschiedlichen Muskelgruppen gleiche Bewegungsresultate zu erzielen.
3. Motorische Variabilität: Selbst Spitzensportlern gelingt es nicht bei (scheinbar) gleichen Situationsbedingungen identische Bewegungen zu produzieren. So findet man bei identisch erscheinenden Bewegungen Variationen in kinematographischen Aufzeichnungen wie auch in Elektromyogramen (vgl. Glencross, 1980).
4. Motorische Flexibilität: Der menschliche Organismus ist in der Lage, sich an ständig verändernde Umweltbedingungen anzupassen. Selbst unvorhergesehene Störungen können, falls sie nicht zu gravierend sind, nahezu unmittelbar ausgeglichen werden.
5. Motorisches Lernen: Im Laufe ihrer Entwicklung lernen Menschen eine Vielzahl von Bewegungsabläufen, die nicht zu ihrem natürlichen Bewegungsrepertoire gezählt werden können. Zum einen sind sie in der Lage, völlig neue Bewegungen zu entwickeln (z. B. Fosbury-Flop), zum anderen können motorische Lernprozesse durch Informationsangebote, Trainingsverfahren und Lernumwelten beeinflußt werden.

Die im folgenden dargestellten Theorien sollen immer auch im Hinblick auf diese Eigenschaften überprüft werden, sofern sie dazu Aussagen machen. Aber auch eine fehlende Aussage zu einem der Punkte wäre ein Hinweis darauf, daß die Theorie an dieser Stelle noch zu vertiefen oder zu vervollständigen wäre.

3.1 Motorische Programme

Die Theorie motorischer Programme geht von einem Satz fertiger Programme für jede Bewegung aus, der vor Bewegungsbeginn vollständig ausgeprägt ist. Mit diesem Programm kann eine Bewegungssequenz komplett ausgeführt werden, ohne daß diese von Rückmeldungen beeinflußt wird (vgl. Keele 1968, 387). Mit dieser Feststellung „sind weder die Inhalte genau bestimmt, noch wird der Tatsache Rechnung getragen, daß peripheres Feedback immer vorhanden ist und - über spinale Reflexbögen - immer auch Einfluß auf die Bewegung nimmt.“ (Wiemeyer 1994, 52) Unter Einbeziehung des Feedback definiert Schmidt (1976, 59) motorische Programme als Satz vorstrukturierter motorischer Befehle, welche bei ihrer Aktivierung Bewegungen auslösen, die sich an gegebenen Zielen orientieren. Bleiben diese Bewegungen von Feedback unbeeinflußt, so indiziert dies, daß die Ziele geändert werden sollten.

Im Rahmen dieser Arbeit soll nicht weiter auf die Theorie motorischer Programme eingegangen werden, da es inzwischen zu viele empirische Befunde und theoretische Überlegungen gibt, die gegen diese Theorie sprechen. Beispielhaft seien hier nur die Probleme der Freiheitsgrade, der zeitlichen Dynamik, der motorischen Variabilität und der Computer-Metapher genannt (vgl. Wiemeyer 1994, 10, 53f.).

3.2 Generalisierte Motorische Programme (GMP)

3.2.1 Theoretischer Hintergrund

Das von Schmidt eingeführte Konzept des generalisierten motorischen Programms, das die Mängel des Konzepts der motorischen Programme beheben soll, orientiert sich an Computerprogrammen, die zwar eine starre Ablaufstruktur besitzen, durch Eingabe unterschiedlicher Parameter jedoch variable Ergebnisse liefern können (vgl. Wiemeyer 1994, 54f) .

„Ein GMP ist eine zentral gespeicherte, abstrakte Repräsentationsstruktur für eine Klasse von Bewegungen (z.B. Schlagwurf), die erst kurz vor dem Beginn der Bewegungsausführung durch die Eingabe aktueller Parameter genau definiert wird und auf diese Weise flexibel ist ...“ (55). In dem „Computer-Code“ des GMP sind der relative Zeitverlauf und der relative Verlauf der Kraftamplitude repräsentiert (vgl. Schmidt 1985, 195). „Ein GMP produziert also für die ausgewählten Muskeln eine Kraft-Zeit-Kurve, deren Charakteristika (Muskeleinsatz, Kraftmaximum, Einsatzdauer) verändert werden können und bestimmt damit die entsprechenden Muskelimpulse. Das Gesamtmuster der Muskelimpulse macht dementsprechend die Bewegungsfertigkeit aus. Das GMP wird also nicht näher definiert, sondern über sein Produkt, ein Impuls-Timing-Muster, spezifiziert.“ (Wiemeyer 1994, 55)

Dieses Impuls-Timing-Muster besteht aus den Invarianten

- Reihenfolge der Muskelaktivierung und deren zeitliche Abstände (Sequencing),
- Aktivierungsdauer der einzelnen Muskeln bezogen auf die Gesamtbewegungszeit (relatives Timing),
- Kraft-Maxima der einzelnen Muskeln bezogen auf den Gesamtkrafteinsatz (relative Kräfte)

sowie aus den Variablen Bewegungsdauer, Gesamtkrafteinsatz und evtl. Muskelauswahl.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Schematische Veranschaulichung der Gestaltkonstanz eines Impuls-Timing-Musters von drei Muskeln (A, B und C) bei vertikaler und horizontaler Dehnung; aus Wiemeyer (1994, 56) in Anlehnung an Roth (1990, 12).

Die Variablen des Impuls-Timing-Musters können nach der Gestaltkonstanz-Hypothese das Impuls-Timing-Muster in zeitlicher (horizontaler) und / oder dynamischer (vertikaler) Hinsicht dehnen oder stauchen, ohne das relative Timing und die relativen Krafteinsätze zu verändern (vgl. Roth 1990, 12).

Um zu erklären, wie die einzelnen Variablen in ein GMP eingefügt werden, entwickelt Schmidt die Schema-Theorie, die motorisches Lernen als Erwerb einer Schema-Regel für ein bestehendes GMP interpretiert. Nach dieser Theorie werden bei jeder Bewegungsausführung folgende Parameter gespeichert (vgl. Schmidt 1976):

- die Anfangsbedingungen,
- die Parameter-Spezifikationen,
- die sensorischen Konsequenzen und
- das Ergebnis der Bewegung.

Durch wiederholte Bewegungsausführung werden auf der Grundlage dieser Informationen die Beziehungen zwischen den Parametern in Regeln gebunden. Dabei entstehen drei Feedback gesteuerte Schemata:

1. Als Recall-Schema wird die Regelbildung zwischen den Anfangsbedingungen, den Parameter-Spezifikationen und dem Bewegungsergebnis bezeichnet. Das Recall-Schema festigt sich mit zunehmender Übung. Es legt somit fest, welche Parameter in das Programm eingegeben werden müssen, um aus einem bestimmten Anfangszustand den gewünschten Endzustand zu erreichen.
2. Als Recognition-Schema wird die Regelbildung zwischen den Anfangsbedingungen, den sensorischen Konsequenzen und dem Bewegungsergebnis bezeichnet. Das Recognition-Schema vergleicht die Rückmeldungen der ausgeführten Bewegung mit den Rückmeldungen, die bei korrekter Ausführung zu erwarten wären. Der Ausführende erhält eine Fehlermeldung wenn diese voneinander abweichen. „Die Stärke des Recognition-Schema ist abhängig von der Ergebnis-Rückmeldung (KR) in der Anfangsphase und der Qualität bzw. Quantität der sensorischen Rückkoppelung.“ (Wiemeyer 1994, 63)
3. Das dritte Schema entsteht aus den Fehlermeldungen und ist gekennzeichnet durch die Regelbildung zwischen der Rückmeldung des Bewegungsergebnisses (KR) und der sensorischen Rückmeldung. Die Fehlermeldung kann dabei zwei Formen annehmen: „Einerseits kann das Fehlersignal unverarbeitet (‘raw sensory signal’) bleiben. Andererseits kann es über eine Fehlermarkierung (‘error labeling’) zu einer subjektiven Verstärkung (potentieller KR-Ersatz) verarbeitet werden, die zwar ungenauer ist als KR, aber doch zu einer Änderung des Recall-Schemas führen kann.“ (ebd.)

3.2.2 Kritik am GMP-Konzept

Durch die Theorie eines Programmes für viele Bewegungsvariationen kann das GMP-Konzept das Problem der motorischen Komplexität entschärfen. Die motorische Flexibilität wird durch die Aufnahme von Varianten in den Programmablauf (Parametrisierung) erklärt.

Für die motorische Äquivalenz, also für die Möglichkeit gleiche Bewegungen durch verschiedene Kombinationen von Agonisten und Antagonisten auszuführen, müßte sich das jeweilige Impuls-Timing-Muster ändern, da die Muskeln unterschiedliche funktionell-anatomische Voraussetzungen haben. Der gleiche Einwand gilt für die motorische Variabilität.

Wie motorisches Lernen zustande kommt kann die Theorie nicht erklären, da sie von bereits bestehenden Programmen ausgeht. Wie ein Programm entsteht wird nicht erläutert. Schließlich gibt es im Kopf keinen Programmierer („Homunkulus-Problem“, vgl. Wiemeyer 1994, 10).

Der Zusammenhang der drei Schemata, welche die Variablen in die Programme einfügen und ihre Entwicklung im Verlauf des Lernprozesses ist aus der Theorie nicht ersichtlich (vgl. Wiemeyer 1994, 64).

„Die experimentellen Befunde zur Stützung der Hypothese werden aufgrund der starken externen Beschränkungen als Artefakte bewertet (...). Vor allem die von Schmidt (...) angeführten Befunde lassen sich zum großen Teil durch die Rahmenbedingungen erklären, die durch Aufgabe oder Umweltbedingungen die Bewegungsmöglichkeiten einschränken“ (Wiemeyer 1994, 59).

3.2.3 GMP und kognitive Repräsentation

Das Konzept der GMP fordert nicht die Bewußtseinsfähigkeit von Programmen oder Schemata. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, daß dem sich bewegenden Menschen ein Programmaufruf, die Suche nach Variablen und ein Programmablauf nicht bewußt sind. Die Programmierung des GMP scheint zwar aufgrund bewußter Kognitionen zu erfolgen (z. B. „Ich will jetzt stärker abspringen.“), der Vorgang an sich, ebenso wie die Ausführung eines GMP bleibt aber unbewußt.

Einzig Wiemeyer (1994, 63) findet in einer Untersuchung zum Bewegungslernen im alpinen Skilauf, „daß Schemata durchaus bewußt sein können und - in Form von Wenn-dann- und Je-desto-Aussagen - sprachlich mitteilbar sind“. Ob diese geäußerten Schemata tatsächlich GMP-Programmierungen bezeichnen ist zu bezweifeln. Sie könnten ebensogut Aussagen aufgrund erkannter Kausalitäten darstellen.

3.3 Die Hierarchische Schematheorie

Zimmer und Körndle (1988) gehen von einem „gestalttheoretischen Bezugsrahmen der Motorik“ (99) aus und erarbeiten eine hierarchische Schemaintegration. Ihrer Ansicht nach bleibt im GMP-Modell von Schmidt (vgl. Kap. 3.2) unberücksichtigt, daß sich der Charakter einer motorischen Handlung ändert, wenn sie in eine Handlung höherer Komplexität integriert wird (88). Dabei definieren sie die Komplexität motorischer Handlungen nicht anhand der Freiheitsgrade des Bewegungsapparates, sondern als Anzahl der unabhängig voneinander kontrollierbaren Prozesse (87f.).

Ein Schema besteht aus den folgenden drei Elementen (89):

1. Einem Satz basaler Einheiten, „that are not further analyzable in the given context“ (ebd.).
2. Einer Menge von Regeln, denen die basalen Einheiten unterworfen sind.
3. Einem Satz zulässiger Transformationen, welche die Invarianten der Bewegungen und Teilbewegungen erzeugen.

Im Verlauf des Lernprozesses werden die basalen Einheiten der Bewegung zu Schemata zusammengefaßt. Diese werden wiederum in Schemata höherer Ordnung integriert. Dieser Prozeß setzt sich fort, bis ein Schema höchster Ordnung gebildet wird, in dem alle untergeordneten Schemata zusammengefaßt sind und dessen Aktivierung einen automatisierten Bewegungsablauf auslöst. Dadurch wird eine Verringerung der Systemkomplexität erreicht (91).

Die Invarianten legen die Struktur einer Bewegung fest. Wenn die Invarianten unberücksichtigt bleiben, ist die Struktur der Bewegungsfertigkeit nicht mehr erkennbar. So bleibt z. B. der übergeordnete Rhythmus einer Bewegung gleich, auch wenn ihre Geschwindigkeit erhöht oder verlangsamt wird (89). Daher ist es nicht möglich, das Schema einer bestimmten Bewegungsfertigkeit auf seine einfachsten Komponenten und deren Beziehungen zueinander zu reduzieren. Denn dabei würde der Satz zulässiger Transformationen nicht berücksichtigt werden, durch welche die Invarianten der Bewegung festgelegt werden.

Indem die übergeordneten Schemata die Anzahl der zulässigen Transformationen beschränken, üben sie constraints (Zwänge) auf die untergeordneten Schemata aus (siehe Abbildung 3). Daher ist es nicht einfach möglich, für ein anderes Bewegungsziel einige der untergeordneten Schemata einer Schemahierarchie von dieser zu trennen und in die neue Hierarchie zu übertragen (91). Ein vollständiger Transfer von einer Bewegung auf eine andere ist nur möglich, wenn beide Bewegungen eine zulässige Transformation des gleichen Schemas darstellen. Ein partieller Transfer von einer Bewegung auf eine zweite ist nur solange möglich, wie die untergeordneten Schemata noch nicht in ein automatisiertes „Überschema“ integriert wurden (92). Ist dies bereits geschehen, muß daß vorhandene Schema wieder „aufgebrochen“ werden, um an die tiefer liegende Hierarchien zu gelangen. Dies kann mit Leistungseinbußen verbunden sein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Das Modell der Schemaintegration ( ) und der abwärts gerichteten Zwänge ( ) nach Zimmer / Körndle (1988, 91).

Das Lernen von Bewegungen läßt sich Zimmer (1983) zufolge anhand eines Markoff-Modells mit einer endlichen Anzahl von Könnensstufen erläutern: eine Fertigkeit (Kompetenz) läßt sich je nach Komplexität in mehrere Teilkompetenzen zerlegen, die in einer Anzahl von Lerndurchgängen erreicht werden. Dabei ist es möglich Kompetenzstufen zu überspringen oder auch gleich vom Zustand der Nichtkompetenz in den Zustand der Kompetenz überzugehen. Die Möglichkeit innerhalb eines Lerndurchganges von einem Zustand in einen anderen zu gelangen bzw. im selben Zustand zu verbleiben wird als Wahrscheinlichkeitswert angegeben. Die einzelnen Kompetenzstufen können dabei wohl mit den Integrationsstufen des hierarchischen Modells identifiziert werden.

3.3.1 Die kognitive Repräsentation im Modell der Hierarchischen Schematheorie

Bewegungen können aufgrund von Wahrnehmungen gelernt werden, da man nach dem Betrachten einer Bewegung bei jemand anderen oder nach einer Bewegungsbeschreibung (und evtl. einigem Üben) in der Lage ist, diese selber auszuführen. Als Kriterium für den Lernfortschritt dient dabei die Ähnlichkeit zwischen der eigenen Ausführung und der vorgeführten oder beschriebenen Bewegung (Zimmer / Körndle 1988, 86). Für diesen Vergleich muß beim Lernenden eine Vorstellung von der eigenen Bewegungsausführung vorhanden sein, auch wenn er bei einer erfolgreichen Bewegungsausführung nur das Gefühl hat, daß „it simply feels right“ (ebd.).

Im Verlauf des Lernprozesses werden die qualitativen Veränderungen des Bewegungsablaufes durch eine entsprechende Änderung der „consciously accessible mental representations“ (97) begleitet. Die Entwicklung der sprachlichen Kompetenz, ein Indikator für die Bewußtheit eines Betrachtungsgegenstandes, verläuft dementsprechend simultan zur Verbesserung der motorischen Fertigkeit (vgl. auch Meinel 1960, 344, 362). „For this reason humans develop specific verbal labels for ‘primitives’ of motor actions (...) only after the higher order schemata (...) have been automatized“ (Zimmer / Körndle 1988, 98, Hervorh. im Original).

Entgegen der GMP-Theorie gehen Zimmer und Körndle nicht von einer Verschlüsselung einzelner Muskelaktivitäten im motorischen Cortex aus, sondern stützen sich auf eine Veröffentlichung von Pribram, der feststellt, daß „... behavioral acts, not muscles or movements, were encoded in the motor cortex“ (1971, 14, zitiert nach Zimmer / Körndle 1988, 89).

Übergeordnete Schemata lassen in der Regel keinen bewußten Zugriff auf die in ihnen enthaltenen untergeordnete Schemata bzw. basalen Einheiten zu. Sollen an den untergeordneten Schemata Korrekturen erfolgen oder über sie berichtet werden, so muß die Struktur wieder „aufgebrochen“ werden, um die einzelnen Teilaspekte der Bewegung zu rekonstruieren und dem Bewußtsein zugänglich zu machen.

3.3.2 Kritik an der Hierarchischen Schematheorie

Die Phänomene der motorischen Äquivalenz, Variabilität und Flexibilität erklärt die Hierarchische Schematheorie durch ihren gestalttheoretischen Ansatz, der Bewegungen als autonome Prozesse interpretiert. Damit, wie auch durch die Annahme der Automatisierung, wird ebenfalls das Problem der motorischen Komplexität entschärft.

Mit dem Markow-Modell werden unterschiedliche Könnensstadien beim Erwerb von Bewegungen postuliert und ein Verfahren zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit für den Übergang von einer Könnensstufe zu einer anderen vorgestellt. Wie der Übergang an sich erfolgt und welche Prozesse dem zugrunde liegen wird jedoch nicht erläutert.

Für die Aussage, daß basale Einheiten eines automatisierten Bewegungsablaufes nur schwer auf andere Bewegungen übertragen werden können, fehlt ein empirischer Beleg.

3.4 Handlungstheorie

Die Ausführungen zur Handlungstheorie lehnen sich im wesentlichen an Nitsch (1986) und Seiler (1995) an, wobei hauptsächlich jene Teile der Theorie dargestellt werden, die für die Aussagen zur internen Repräsentation relevant sind.

3.4.1 Grundannahmen der Handlungstheorie

Die erste Grundüberlegung der Handlungstheorie besagt, daß die innere Organisation von Bewegungen auf die Bewegungshandlung zurückgeht und nur daraus erklärbar ist. Dabei wird Handlung als ein komplexes dynamisches System angesehen (Systempostulat).

Die zweite Annahme geht davon aus, daß Handeln eine absichtsvolle Verhaltensorganisation ist, die nicht von objektiven Ursachen, sondern von „vorweggenommenen subjektiven Folgen“ (Nitsch 1986, 200) bestimmt wird (Intentionalitätspostulat).

Die dritte Grundannahme erklärt Handlung als psychisch reguliertes Verhalten, das sich nicht ausschließlich mit biologischen Regulationsmechanismen erklären läßt. Dabei erhält das Psychische „seinen Funktionssinn erst aus dem Bezug zur Handlung“ (ebd.) (Regulationspostulat).

Viertens nimmt die Handlungstheorie an, daß die psychische Entwicklung vom Handeln abhängig ist und psychische Prozesse grundsätzlich einen Handlungsbezug aufweisen. Dabei wird Handeln als ein durch stammesgeschichtliche, historische und individuelle Entwicklungen bedingtes Phänomen angesehen (Entwicklungspostulat).

3.4.2 Handlungsdeterminanten und Handlungsraum

Bewegungshandlungen finden immer in bestimmten Situationen statt, die als „aktuelle Konstellation von Person-, Umwelt- und Aufgabenfaktoren verstanden“ (Seiler 1995, 35) werden. Diese Faktoren werden „sowohl als objektive, tatsächlich vorhandene als auch als subjektiv wahrgenommene Handlungsdeterminanten“ (ebd.) betrachtet. Sie bestimmen die Handlung und werden ihrerseits durch die Handlung verändert.

Als objektive Handlungsdeterminanten gelten dabei

- biologische Beschränkungen, wie die Beschaffenheit der Gelenke, die Elastizität der Muskeln, Sehnen und Bänder, die Hebellängen des Muskelansatzes, des weiteren Triebe und Bedürfnisse;
- materiale und soziale Einschränkungen, wie physische Kräfte und Widerstände;
- soziale Einschränkungen durch Normen und Rollenvorgaben;
- gesellschaftlich-historische Kulturtraditionen und schließlich
- Bewegungsaufgaben mit den jeweils zu erreichenden Zielen und den dazugehörigen sportlichen Regeln und Vorschriften.

Die Handlungsdeterminanten spannen einen Handlungsraum auf, der die Einschränkungen und die Freiheitsgrade der Bewegung angibt, wobei diese Definition der Freiheitsgerade erheblich über die rein funktionelle Auffassung des Komplexitätsproblems hinausgeht.

Der objektive Handlungsraum dürfte nur selten in allen Punkten mit den subjektiv wahrgenommenen Handlungsdeterminanten der sich bewegenden Person übereinstimmen; diese kann sowohl Freiheitsgrade übersehen und damit den Handlungsraum verkleinern als auch Handlungsmöglichkeiten sehen, die es nicht gibt. Die zu bewältigende Aufgabe wird dabei nach ihrer subjektiven Lösbarkeit (Kompetenz) und nach ihrer Attraktivität (Interesse) bewertet. „Die von einem Individuum wahrgenommene, akzeptierte oder selbstgesetzte Aufgabe, ebenso wie eine nicht übernommene, von außen herangetragene Aufgabe oder nicht erkannte Bedingungen der Aufgabenermöglichung bestimmen entscheidend das Bewegungsverhalten“ (Seiler 1995, 37). Abbildung 4 zeigt schematisch den Einfluß der objektiven und subjektiven Handlungsräume auf die Handlung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4:Determiniertheit der Handlung durch den objektiven (¾) und den subjektiven (- - -) Handlungsraum nach Nitsch (1986, 202)

3.4.3 Das Regulationssystem

Nach dem Regulationspostulat ist Bewegung eine psychisch regulierte Äußerungsform, d. h. Bewegung wird von psychischen und physischen Voraussetzungen gleichermaßen bedingt. „Psychische und körperliche Prozesse werden deshalb als funktional unterschiedliche Vorgänge innerhalb eines Regulationssystems angesehen, das in sich hierarchisch gegliedert ist (...)“ (Seiler 1995, 39).

Die hierarchische Gliederung wird aus einem automatischen, einem emotionalen und einem kognitiven Regulationssystem gebildet, welche jeweils nach dem Prinzip des Regelkreismodells organisiert sind und die sich entsprechend der Evolution des Nervensystems entwickelt haben.

In diesem Regulationsmodell ist das kognitive System das entwicklungsgeschichtlich am höchsten stehende; es ist für das menschliche Handeln charakteristisch. Ohne die (Mit-) Beteiligung des kognitiven Systems ist kein Handeln möglich. Jedes Handeln erfordert aber auch die Mitwirkung der anderen Systeme. Andere Verhaltensweisen sind jedoch ohne Beteiligung des kognitiven Systems und sogar ohne Beteiligung des emotionalen System möglich (z. B. Reflexe) (vgl. Nitsch 1986, 228).

[...]

Ende der Leseprobe aus 115 Seiten

Details

Titel
Untersuchung zur kognitiven Repräsentation beim Delphinschwimmen
Autor
Jahr
1997
Seiten
115
Katalognummer
V172388
ISBN (eBook)
9783640922673
ISBN (Buch)
9783640922437
Dateigröße
3179 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kognitive Repräsentation, Bewegungslernen, Bewegungswissen, Delphinschwimmen, Wissen-Können-Problem, Bewegungssteuerung, Generaliesierte Motorische Programme, hierarchische Schematheorie, Handlungsthheorie, ökologischer Realismus, Synergetik, Konnektionismus, empirische Untersuchung
Arbeit zitieren
Stefan Liehr (Autor:in), 1997, Untersuchung zur kognitiven Repräsentation beim Delphinschwimmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172388

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