Anspruch der vorliegenden Arbeit ist es, die Existenz des wilden Denkens in unserer Kultur überhaupt und dazu in einem so publikumswirksamem massentauglichen Medium wie Film nachzuweisen und durch die Verortung in der Kunst seine Gleichwertung mit domestiziertem Denken hervorzuheben. Das führt weiter zu der Frage, ob eine Dialektik des wilden Denkens, ein Umschlagen des domestizierten Denkens in wildes Denken, im Sinne einer Dialektik der Aufklärung nach Horkheimer und Adorno, universal essentiell ist und die Lévi-Strauss bereits andeutete durch die Verortung der Kunst als Zwischenstellung. Die Absicht, welche die vorliegende Untersuchung verfolgt, ist daher nicht, den Nachweis für absolute Kongruenz des wilden Denkens und der Filmlogik zu erbringen. Ziel ist es vielmehr, in einem modernen Medium wie Film Analogien zum Konzept des wilden Denkens aufzuzeigen, wie sie für Musik und Malerei an einigen Stellen bereits vollzogen wurden, und so das Medium unter einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Und dabei gleichzeitig darzulegen, dass das wilde Denken, welches häufig als unwissenschaftlich-primitive Form der Logik assoziiert wird, auch in den Gesellschaften des domestizierten Denkens noch wirksam ist.
Die Frage, der in dieser Arbeit nachgegangen werden soll, ist zweifacher Art. Zum einen, in welchem Maße sich das Konzept des wilden Denkens auf Film als Kunstform beziehen lässt und wo im Film wildes Denken zu verorten ist. Das bedeutet zu fragen, ob die Denkstruktur, die dem Film zu Grunde liegt, dem wilden Denken analog ist. Die Parallelen des wilden Denkens, die bereits von Lévi-Strauss selbst wie auch weiteren Theoretikern, insbesondere Boris Wiseman, zur Theorie der Ästhetik gezogen wurde, werden also auf ihre Übertragbarkeit auf Film überprüft und vollzogen.
Eine weitere Ebene des Filmischen, auf der das wilde Denken verfolgt werden soll, ist die Filmstruktur, oder besser gesagt die ihm zu Grunde liegende Denkart. Diese betrifft den Autor oder Regisseur, der als wilder Denker oder in Lévi-Strauss’ Worten als „bricoleur“ auftritt, seine Erzählweise, die filmischen Ausdrucksmittel als auch die Rezeption, da ein Werk eines wilden Denkers auch als solches, auf dem Wege der sinnlichen Wahrnehmung verstanden werden will.
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG
- 1.1 LÉVI-STRAUSS UND FILM
- 1.2. FRAGESTELLUNG, ZIELSETZUNG UND ANSPRUCH
- 1.3. METHODISCHES VORGEHEN UND THEORETISCHE EINBETTUNG
- 1.4. AUFBAU DER ARBEIT
- 2. WILDES DENKEN: EINFÜHRUNG DES BEGRIFFS UND ABGRENZUNG ZU DOMESTIZIERTEM DENKEN
- 3. ANALOGIEN ZUR ÄSTHETIK UND ÜBERTRAGBARKEIT DES KONZEPTS DES WILDEN DENKENS AUF KUNST UND FILM
- 3.1. WILDES DENKEN UND ÄSTHETIK/KUNST
- 3.2. ÜBER DEN STELLENWERT UND DIE BESONDERHEITEN DES FILMS
- 4. ORTE DES WILDEN DENKENS IM FILM
- 4.1. TOTALISING FUNCTION: TOTEMISMUS UND MAGIE
- 4.1.1. Totalising Function des Films
- 4.1.2. Symbolische Effizienz
- 4.2. DER SCHAMANE UND DER PSYCHOANALYTIKER UND DER FILMEMACHER
- 4.2.1. Nele-Gesang - der schamanistische Komplex
- 4.2.2. Übertragbarkeit auf Film/Theater
- 4.2.3. Von symbolischer Effizienz zu Katharsis
- 4.3. DIE WISSENSCHAFT VOM KONKRETEN
- 4.3.1. Sinnlich Wahrnehmbares und die Äquivalenz zur konkreten Realität
- 4.3.2. Symbolische Äquivalenz von sinnlich Wahrnehmbarem im Film
- 4.4. ZUR HISTORIZITÄT WILDEN DENKENS
- 4.4.1. Mythische Struktur des Films?
- 4.4.2. Tschuringas
- 4.4.3. Rezeption geschichtlicher Themen im Film
- 5. TERRENCE MALICKS THE NEW WORLD: ZWISCHEN WILDEM DENKEN UND DOMESTIZIERTEM DENKEN
- 5.1 TERRENCE MALICKS FILME
- 5.2. THE NEW WORLD
- 5.3. WILDES DENKEN IN THE NEW WORLD
- 5.3.1. Arbeitsweise/Bricoleur
- 5.3.2. Konkrete Wissenschaft
- 5.3.3. Voice-Over
- 5.3.4. Charaktere - Mythen
- 5.3.6. Historizität
- 5.4. ENTZAUBERUNG UND RE-ENTZAUBERUNG: ZU DEN ÄHNLICHKEITEN IM GEIST VON LÉVI-STRAUSS UND MALICK
- 6. DIALEKTIK DES DENKENS?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Magisterarbeit untersucht die Anwendbarkeit des Konzepts des "wilden Denkens" auf die Kunstform des Films. Sie befasst sich mit der Frage, inwieweit die Denkstruktur des Films dem wilden Denken ähnelt, und versucht, Orte des wilden Denkens im Film zu identifizieren.
- Anwendbarkeit des Konzepts des "wilden Denkens" auf den Film
- Analogien zwischen der Denkstruktur des Films und dem wilden Denken
- Identifizierung von Orten des wilden Denkens im Film
- Analyse von Filmen unter dem Aspekt des wilden Denkens
- Rezeption von geschichtlichen Themen im Film
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema ein und beleuchtet Lévi-Strauss' Bezug zur Kunst und seine Ansichten zum Film. Sie stellt die Fragestellung der Arbeit dar und beschreibt die Zielsetzung und den Anspruch des Projekts.
Kapitel 2 erläutert das Konzept des "wilden Denkens" und grenzt es vom domestizierten Denken ab.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit Analogien zwischen dem wilden Denken und der Ästhetik sowie der Übertragbarkeit des Konzepts auf Kunst und Film. Es untersucht, inwiefern Film als Kunstform betrachtet werden kann und welche Besonderheiten diese Form auszeichnen.
Kapitel 4 analysiert die Orte des wilden Denkens im Film. Es untersucht Totalising Function und Totemismus, den Einfluss des Schamanismus auf die Filmgestaltung und die Rolle der "Wissenschaft vom Konkreten" im Film.
Kapitel 5 widmet sich Terrence Malicks Film "The New World" und untersucht dessen Elemente des wilden Denkens im Kontext der Geschichte, der Charaktere und der ästhetischen Gestaltung.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Konzepten des wilden Denkens und des domestizierten Denkens, der Ästhetik des Films, der Analyse von Filmen, Totalising Function, Totemismus, Schamanismus, "Wissenschaft vom Konkreten" und der Historizität im Film. Im Mittelpunkt steht die Analyse von Terrence Malicks Film "The New World" unter dem Aspekt des wilden Denkens.
- Arbeit zitieren
- Teresa Lemme (Autor:in), 2010, Cinéma sauvage. Das Wilde Denken im Film, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172487