Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Nation und Sprache - Allgemeine Problematik
2.1 Grundlegendes
2.2 Sprache als Politikum
3. Nation und Sprachwissenschaft im Kontext der deutschen Teilung
3.1 Phase 1
3.2 Phase 2
3.3 Phase 3
3.4 Phase 4
4. Resümee zu den Defiziten der Forschungslage
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Verliert [...] ein Volk mit seiner Sprache seine Volksart, so begreifen wir, dass es um seine Sprache als um sein Heiligstes, sein selbst ringt, in ihr ist es in seinem innersten Wesen bedroht.1
Diese Aussage Max Baeges aus dem Jahr 1900 beinhaltet eine Auffassung von Sprache, die ebenso allgemein verbreitet wie problematisch ist. Sie impliziert, dass die jeweilige Sprache eines Volkes ein, wenn nicht sogar das zentrale Kriterium seiner Gegebenheit ist. Auch wenn Baeges Zitat durchaus Raum für verschiedene Auslegungen offen lässt, so muss man dennoch einwerfen, dass es mit der Glorifizierung der Sprache als innerstes Wesensmerkmal eines Volkes wenig Platz für andere Faktoren der Herausbildung und Etablierung von Gesellschaften lässt. Solcherlei Anschauungen bezüglich des Zusammenhangs zwischen Sprache und gesellschaftlicher Identität sind im allgemeinen Bewusstsein der Menschen nahezu selbstverständlich. Aus wissenschaftlicher Sicht muss dieser Sachverhalt jedoch äußerst kritisch betrachtet werden. Für die Wissenschaft wird dieser Sachverhalt spätestens da ein Problem, wo wissenschaftliche Erkenntnisse mit politischen, ideologischen oder patriotischen Überzeugungen korrelieren.
Die vorliegende Arbeit soll am Beispiel der sprachwissenschaftlichen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) während der deutsch-deutschen Teilung zwischen 1949 und 1989 zeigen, worin die Probleme des Zusammenhangs zwischen Sprache und Politik bzw. der Gleichsetzung von Sprache und gesellschaftlicher Identität eines politischen Gebildes wie einer Nation liegen. Für ein allgemeines Vorverständnis soll zunächst auf einige theoretische und sprachgeschichtliche Aspekte hingewiesen werden, welche Aufschluss über die besondere Rolle der Sprache in Deutschland geben sollen.
2. Nation und Sprache - Allgemeine Problematik
Die zentrale Frage im ersten Teil dieser Arbeit ist die nach der historischen und ferner der gesellschaftlichen Bedingtheit der Vereinnahmung einer Einzelsprache durch politische, soziale o.ä. Gebilde, wie der deutschen Nation. Anders formuliert: Wie kommt es dazu, dass die Mitglieder einer Gesellschaft ihre Sprache als grundlegendes Bestimmungsmerkmal ihrer Verfasstheit erachten bzw. andere Gesellschaften über eine bestimmte Sprache definieren und identifizieren. Hierzu soll auf einige theoretische Aspekte sowie auf einige sprachgeschichtliche Faktoren dieses Zusammenhangs hingewiesen werden. Da sich allein damit ganze Bücher füllen lassen würden, kann dies hier nur sehr fragmentarisch geschehen und kann lediglich einem einleitenden Vorverständnis dienen.
2.1 Grundlegendes
Zu Beginn muss klar sein, dass die folgenden Betrachtungen nicht zum Ziel haben, Pro und Contra in der Frage abzuwägen, ob die Sprache als Bestimmungsmerkmal einer Gesellschaft gelten kann oder nicht. Die Unmittelbarkeit eines solchen Zusammenhangs gilt hier von vornherein als nicht gegeben. Damit soll nicht die Bedeutung der Sprache für seine Sprechergruppe negiert werden. Vielmehr geht es darum, dass die Gleichsetzung von Sprachen und sozialen, politischen o.ä. Gebilden aus objektiver und v.a. wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar sind. Andreas Gerdt hält diesbezüglich im Vorwort seines 2000 erschienen Sammelbandes Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart fest:
Daß solche Korrelierungen zwischen Sprache und Größen wie Nation oder Volk alles andere als unproblematisch, nicht selten sachlich falsch sind, zeigen die zuletzt zitierten Beispiele. Die Heterogenität der sprachlichen, kulturellen und politischen Wirklichkeit - mangelnde Deckung von politischen Grenzen und Sprachgrenzen, grundsätzliche Problematik der Abgrenzung von Ethnien bzw. Kulturen, Interferenzen durch Sprachkontakte, Varietätenvielfalt anstelle strukturell homogener Landessprachen, Prozesse des Sprachwandels etc. - stellt im Grunde jede Zuordnung sogleich wieder in Frage. Dennoch ist die Bestimmung der Identität von Sprechergemeinschaften anhand ihrer Sprache seit Jahrhunderten fester Bestandteil der gelehrten und laienhaften Diskussion.2
Ginge man bspw. davon aus, dass die deutsche Sprache das zentrale Kriterium der Gemeinschaftsbildung der deutschen Nation ist, so stünde das im unmittelbaren Wiederspruch mit der sprachlichen Realität, wo Deutsch auch in anderen Staaten, wie der Schweiz oder Österreich offiziell gesprochen wird. Auch Georg Kremnitz bestätigt diese Beobachtung und weist den Gedanken eines Nationalstaats, der in fester Verbindung mit einer Nationalsprache steht, als ideologisches Gespinst aus.
Wir wissen jedoch alle, daß das Prinzip des Nationalstaats ein Mythos ist, denn weder stimmen die Siedlungsgrenzen von Sprachgruppen genau mit den Staatsgrenzen überein, noch gibt es in Europa so viele Sprachen wie Staaten. Einige wenige Staaten sind bzw. waren daher von vornherein mehrsprachig organisiert, die Schweiz etwa, die UdSSR oder Jugoslawien.3
Tatsache ist, dass die Entwicklung einer Gemeinschaft auf einer komplizierten Vernetzung unterschiedlichster Kriterien beruht. Neben geschichtlicher Entwicklung, Religion, Kultur u.v.m. ist eine gemeinsame Sprache nur ein Aspekt im Prozess der Gemeinschaftsbildung. Trotzdem, so stellt man immer wieder fest, wird der Sprache - v.a. in Europa - im Bewusstsein der Menschen dabei eine besondere Rolle beigemessen. So führt Kremnitz bspw. weiter aus:
Dennoch funktioniert das Prinzip der Zuordnung von Sprache und Staat bei vielen so mechanisch, daß mir z.B. schon verschiedentlich gesagt wurde, in Belgien werde belgisch gesprochen.4
Auch Oskar Reichmann merkt an, dass unter den vielen unterschiedlichen Kriterien der Gemeinschaftsbildung die Sprache meist als das bestimmende angesehen wird, wobei alle anderen oft nur in Bezug zu eben jener Sprache geprüft werden.5 Eine solche Überlegung könnte lauten, dass eine gemeinsame Kultur als wichtiges Merkmal einer Gemeinschaft auch einer gemeinsamen Kommunikationsbasis in Form einer einheitlichen Sprache bedarf. Der Gedanke wird gleichsam hinfällig, wenn man bedenkt, dass sich auch aus der Vermengung verschiedenster Sprachgruppen, wie es bspw. in den USA der Fall ist, wiederum eine ganz neue Kultur entwickeln kann.
Trotz alledem existiert ein Bewusstsein im Kopfe vieler Menschen, dass Sprache nicht als bloßes Werkzeug der Kommunikation betrachtet. Wie kommt das?
Reichmann versucht dies über die bühlerschen Grundfunktionen von Sprache - die Symptomund die Erkenntnisfunktion - zu erklären.
Die Symptomfunktion besteht darin, daß sich jeder Sprecher einer historischen Einzelsprache (wie z.B. des Deutschen) durch deren bloße Verwendung als Sprecher dieser Sprache zu erkennen gibt und jedem Hörer damit die Möglichkeit eröffnet, ihn entsprechend den ihm geläufigen Klassifizierungsregeln einer bestimmten Sprache zuzuordnen.6
Laut Reichmann geht diese sprachliche Zuordnung durch den Hörer mit einem „[...] ganzen Bündel zusätzlicher Annahmen [...]“ einher.7 So ließe die Sprache eines Menschen auch evtl. Rückschlüsse auf dessen Konfession, Mentalität oder Staatsangehörigkeit zu. In der Regel gehen wir bspw. stereotypisch davon aus, dass ein italienisch sprechender Mensch aus Italien kommt, mit hoher Wahrscheinlichkeit katholisch getauft ist und besonders temperamentvoll ist. Dass es hier leicht zu Missverständnissen kommen kann, muss wohl nicht weiter ausgeführt werden.
Da für diese Arbeit eher der Sprecherstandpunkt bzw. dessen Wahrnehmung seiner Sprache von Interesse ist, ist v.a. der Verweis auf die Erkenntnisfunktion der Sprache von hoher Bedeutung.
Jede Sprache enthält ein nur ihr eigenes Inhaltssystem; wie auch immer sich dieses historisch entwickelt haben und wie es soziologisch bedingt sein mag, es stellt, nachdem es einmal vorhanden ist, eine kulturelle Gegebenheit dar, die mit all ihren Generalisierungen, Differenzierungen, Wertungen die üblichen Inhalte des Denkens und Fühlens derjenigen Menschen bestimmt, die die betreffende Sprache sprechen; und sie ist in ihrer Eigenschaft als kognitives oder kognitiv relevantes System die Vorraussetzung für Kommunikation, mit ihr für die Weitergabe von Kenntnissen in der Form, die das System vorgibt, und damit für dessen Stabilisierung.8
Etwas einfacher formuliert geht es hier um die Annahme, dass über die Konventionalität von Sprache in Gebrauch und Bedeutung eine einheitliche Wahrnehmung bei ihren Sprechern hergestellt wird. Darüber hinaus etabliert sich innerhalb einer solchen Sprechergemeinschaft ein gemeinsames Weltbild, wobei hier von einem sehr weiten Begriff von Weltbild gesprochen werden muss, da man nicht davon ausgehen kann, dass alle Sprecher einer Sprache die gleichen Ansichten zu Politik, Religion o.a. teilen.
Alles in allem etabliert sich der Theorie zu Folge innerhalb einer Sprechergemeinschaft über die Sprache ein relativ festes System von Denk- und Handlungsmustern, wodurch sie maßgeblich die Verantwortung für die Entstehung und den Erhalt der Gemeinschaft trägt. Dies könnte nach Reichmann einen Erklärungsansatz für die Affinität zur Ansicht, eine Einzelsprache wäre von hoher konstitutiver Bedeutung für eine nationale Gemeinschaft, bieten. Unter Einbezug der bereits angesprochenen sprachlichen Wirklichkeit müssen solche Standpunkte jedoch als zu idealistisch bewertet werden.9
Aus sprachsoziologischer Sicht könnten Überlegungen dieser Art noch um einiges vertieft werden. Für die hiesigen Zwecke dürfte der Kern der Sache jedoch deutlich geworden sein. Sprache als Basis der Kommunikation ermöglicht es dem Sprecher, mit anderen Mitgliedern seiner Sprachgemeinschaft zu interagieren. Hinzu kommt, dass sie in gewisser Weise seine Weltanschauung determiniert, was ebenfalls ein verbindendes Moment darstellt. Gleichsam stellt sie ein Indiz für die nationale Einordnung eines Sprechers dar und ist Kriterium der Abgrenzung gegen Angehörige einer anderen Sprachgemeinschaft. U.a. sind es diese Faktoren, die im Bewusstsein des Menschen für die o.g. Korrelierungen von Sprache und gesellschaftlicher bzw. nationaler Identität verantwortlich sind.
2.2 Sprache als Politikum
Sprachen spielen immer und insgesamt eine politische Rolle. Dies hängt damit zusammen, daß Sprachen ihre Sprecher stark aneinander binden. [...] Sprache ist ein soziales Faktum, und als solches Faktum hat sie eine soziale - gesellschafts- und gemeinschaftsbildende - Wirkung. Etwas anderes und Weitergehendes ist es dann allerdings, wenn Sprachen zum Mittel der Politik gemacht werden.10
Der folgende Abschnitt soll das zu Beginn eröffnete Problemfeld in Hinsicht auf den Gegenstand dieser Arbeit genauer Eingrenzen. Bisher ist deutlich geworden, dass eine gemeinsame Sprache im öffentlichen Bewusstsein als unmittelbare Bedingung für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft gilt. Als solche, so gibt Herbert Christ zu verstehen, spielt Sprache auch eine politische Rolle. Daraus ergibt sich dann ein Problem, wenn Sprache selbst zum Politikum wird bzw. für politische Zwecke instrumentalisiert wird.
Wie ist das zu verstehen? Wie Christ weiterhin anmerkt, ist Sprache logischer Weise Mittel der Politik, in dem Sinne, dass sie es ihren Sprechern ermöglicht, in einen Diskurs miteinander zu treten. V.a. für demokratisch organisierte Gesellschaften ist das - idealtypisch betrachtet - die Voraussetzung für das Funktionieren des politischen Systems. Wo sich jedoch über die Vorstellung, dass die Sprache in besonderer Weise mit der Gesellschaft als politischer Einheit verbunden ist, ein gewisser Sprachpatriotismus entwickelt, entsteht die Gefahr, dass die Sprache für einen politischen Diskurs funktionalisiert wird, der meist subjektiv und ideologisch überzeichnet ist.
Beispiele für einen solchen Sprachpatriotismus finden sich viele in der Geschichte des Deutschen. Zu nennen wären u.a. die Versuche einer Normierung bzw. Verbesserung der Sprache im deutschsprachigen Raum seit dem 17. Jahrhundert; etwa durch die 1617 gegründete Furchtbringende Gesellschaft, deren sprachpflegerische Bemühungen auch mit der Absicht verbunden waren, die deutsche Sprache von ausländischen Einflüssen rein zu halten.
So soll auch den Gesellschaftern [...] obliegen, unsere hochgeehrte Muttersprache, in ihrem gründliche Wesen und rechtem Verstande, ohne Einmischung fremder ausländischer Flikkwörter, sowohl in Reden, Schreiben als Gedichten aufs aller Zier- und Deutlichsten zu erhalten und auszuüben.11
Noch heute gibt es ähnliche Bemühungen bspw. in Frankreich. Die bisher radikalsten Ausuferungen solcher Tendenzen zeigten sich im sog. Sprachnationalismus, wie er zwischen 1850 und 1945, insbesondere im dritten Reich ausgeübt wurde.
Dererlei Beispiele wären noch viele mehr zu nennen. Eine ausführliche Betrachtung der historischen Dimension des Zusammenspiels von Sprache und Politik im deutschsprachigen Raum kann hier aus Gründen des Umfangs nicht vorgenommen werden. Dass solche sprachpatriotischen bzw. sprachideologischen Neigungen durchaus problematisch sind, zeigt sich bereits im Widerspruch mit der sprachlichen Realität, wie es schon in den vorangegangenen Erläuterungen herausgestellt wurde. Für die Wissenschaften ergibt sich spätestens dann daraus ein Problem, wo dieser Sachverhalt ein Ausblenden ihrer notwendigen Objektivität bewirkt. Dies soll nun am Beispiel der deutsch-deutschen Teilung verdeutlicht werden.
[...]
1 Baege, M.: Deutsche Sprache ein Spiegel deutscher Volksart. (S. unbekannt).
2 Gardt, A.: Nation und Sprache. S. 1.
3 Kremnitz, G.: Die Durchsetzung der Nationalsprachen in Europa. S. 12.
4 Ebd.
5 Vgl.: Reichmann, O.: Nationalsprache als Konzept der Sprachwissenschaft. S. 423.
6 Ebd. S. 429.
7 Vgl.: ebd.
8 Ebd. 431.
9 Vgl.: ebd.
10 Christ, H.: Die kulturelle und politische Funktion des Deutschen als „Nationalsprache“. S. 26.
11 Weinrich, H.: Wege der Sprachkultur. S. 90.