Spätestens seit den sog. Junggrammatikern, welche sich um die Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter der Leitung Albert Leskins formierten, gilt die Erkenntnis als gesichert, dass es sich bei der Sprache um ein lebendiges Medium handelt, welches sich, gebunden an den variierenden Gebrauch seiner Sprecher, im stetigen Wandel befindet. Die z.T. stark naturwissenschaftlich orientierte Forschung der Junggrammatiker und deren Weiterentwicklung durch Folgeschulen hat eine Reihe konkreter Beschreibungen hinsichtlich der diachronen Sprachentwicklung des Deutschen in Form der heute allgemein bekannten Lautgesetzte hervorgebracht. Lautwandel, Vernersches Gesetz u.ä. gelten heute als Grundlagenwissen eines jeden Studenten der älteren und ältesten sowie auch der neueren Literatur- und Sprachwissenschaft. Wer sich über lautliche und grammatische Gegebenheiten in den verschieden Phasen des Mittelalters kundig machen will, findet heute eine breitgefächerte Quellenlage in Form diverser Grammatiken vor. Das Mittelhochdeutsche erfährt hierbei eine besondere Fokussierung. Literaturwissenschaftlich gilt es als erste große Blüte der deutschen Geistesgeschichte und wird im Zuge dessen entsprechend breit thematisiert. Diesem Umstand geschuldet und suggeriert durch die zahlreichen grammatischen Darstellungen entsteht der Eindruck, dass das Mittelhochdeutsche als sprachgeschichtliche Periode relativ gut erforscht zu sein scheint. Schon länger steht dieser Sachverhalt in der Kritik. Zunehmend verschreibt man sich in der aktuellen sprachhistorischen Forschung dem sokratischen Grundgedanken: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Als sicher gilt nun, dass das Mittelhochdeutsche jene sprachhistorische Periode ist, über die man am wenigsten weiß. Das Althochdeutsche und Frühneuhochdeutsche hingegen sind um einiges besser erfasst.
Ziel dieser Arbeit ist es, jene Form der Forschung zu beleuchten, welche bestrebt ist, dem beschriebenen defizitären Umstand Abhilfe zu schaffen und sie, so weit es möglich ist, nachzuvollziehen – die Korpusanalyse. Konkreter Gegenstand der Untersuchung ist das ‚s‘ in seinen verschiedenen graphischen Realisierungen im Mittelhochdeutschen. Ferner soll versucht werden, Rückschlüsse auf deren phonetische Entsprechungen zu ziehen. Als Grundlage dieser Anstrengung dient das im Kreis um die Herausgeber der Paul’schen Grammatik in den letzten zehn Jahren erarbeitete Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Einleitung
- Vorklärung zum Untersuchungsgegenstand
- Das,s' im Neuhochdeutschen
- Die Korpus-Analyse - Einleitendes zur Phonologie einer stummen Sprache
- ,s'-Qualitäten im Mittelhochdeutschen - Zeichenfeldanalyse
- Initial
- Medial
- Final
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Diese Arbeit befasst sich mit der Erforschung des mittelhochdeutschen,s' und seiner phonetischen Realisierungen anhand einer Korpusanalyse. Sie zielt darauf ab, die Herausforderungen der Analyse lautsprachlicher Entwicklungen in einer Epoche ohne direkte Lautdaten zu beleuchten und die Möglichkeiten der Korpusanalyse aufzuzeigen.
- Untersuchung des mittelhochdeutschen,s' in seinen verschiedenen graphischen Realisierungen
- Ableitung von Rückschlüssen auf die phonetische Entsprechung des,s'
- Vergleich der Ergebnisse mit der bestehenden Grammatik des Mittelhochdeutschen
- Anwendung und Darstellung des Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus (Bomiko) als Analysewerkzeug
- Bedeutung der Korpusanalyse für die Erforschung der Sprachgeschichte
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
- Einleitung: Die Einleitung thematisiert die Bedeutung der Sprachgeschichte und die Herausforderungen der Erforschung des Mittelhochdeutschen. Sie betont die Bedeutung der Korpusanalyse als Instrument zur Erforschung der Sprachentwicklung.
- Vorklärung zum Untersuchungsgegenstand: Dieses Kapitel präzisiert den Untersuchungsgegenstand – das mittelhochdeutsche,s' – und erklärt seine verschiedenen phonetischen und graphischen Ausprägungen. Es legt die Forschungsfrage fest und erläutert den Ansatz der Untersuchung.
- Das,s' im Neuhochdeutschen: Dieser Abschnitt beleuchtet die phonetischen Realisierungen des,s' im Neuhochdeutschen, um einen Vergleichspunkt für die Untersuchung des Mittelhochdeutschen zu schaffen.
- Die Korpus-Analyse - Einleitendes zur Phonologie einer stummen Sprache: Dieses Kapitel führt in die Methodik der Korpusanalyse ein und erläutert die Schwierigkeiten, die sich bei der Analyse lautsprachlicher Entwicklungen in einer Epoche ohne direkte Lautdaten ergeben.
- ,s'-Qualitäten im Mittelhochdeutschen - Zeichenfeldanalyse: Dieser Abschnitt präsentiert die Ergebnisse der Korpusanalyse, wobei die verschiedenen phonetischen und graphischen Realisierungen des,s' in den Positionen Initial, Medial und Final analysiert werden.
Schlüsselwörter (Keywords)
Mittelhochdeutsch, ,s', Frikativ, Korpusanalyse, Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus (Bomiko), Phonetik, Phonologie, Sprachgeschichte, Lautwandel, Zeichenfeldanalyse.
- Quote paper
- Robert Bachmann (Author), 2007, ‚s‘-Qualitäten im Mittelhochdeutschen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172720