20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und der deutsch‐deutschen Wiedervereinigung,
oder besser: 20 Jahre nach der Eingliederung der DDR in die
Staatsstruktur der Bundesrepublik Deutschland, herrscht gemäß Studien der FU
Berlin in breiten Bevölkerungsteilen der alten und bei den nach 1985 geborenen
Personen der neuen Bundesländern noch immer Unwissenheit über die
wirkliche politische und gesellschaftliche Konstitution des ehemaligen deutschen
Staates, der fast fünfzig Jahre lang auf der kommunistischen Seite des Eisernen
Vorhangs lag. In den letzten Jahren haben sich in der Erinnerung an die
DDR, und damit auch ihrer Interpretation, mehrere Hauptströmungen herauskristallisiert.
Zum Einen ist das Aufkeimen einer „Ostalgie“ zu erkennen. Hier
werden die Worte „Osten“ und „Nostalgie“ vermischt um das Phänomen eines
verklärten Blicks auf die Vergangenheit des SED‐Staates zu beschreiben, der die
repressive Staatsstruktur, die Mangelwirtschaft und den Terror der Staatssicherheit
fast gänzlich ausblendet. Auf der anderen Seite mahnen Teile der Bevölkerung,
wie zum Beispiel der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang
Thierse, dass es bei der historischen Einordnung der DDR wichtig sei, die Menschen,
die in dem „Unrechts‐Staat“ lebten, nicht zu vergessen, also den Fokus
nicht nur auf den Staatsapparat zu legen. Eine weitere, vor allem in konservativen
Kreisen gegenwärtige Interpretationsweise geht davon aus, dass sich die
DDR‐Vergangenheit zu keiner positiven Bewertung eignet, die Wiedervereinigung
hingegen als ausnahmslose Erfolgsgeschichte zu bewerten sei.
Die Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einer eigentlich gesamtdeutschen
Problematik, der Verfolgung von NS‐Straftätern nach dem Zweiten Weltkrieg.
Zu Beginn lagen die Motivation und die Verantwortung der Entnazifizierung in
den Händen der Besatzungsmächte. Waren anfangs noch gemeinsam Richtlinien
und Grundlagen erarbeitet worden um eine Neuordnung Deutschlands voranzutreiben,
die das wieder Erstarken nationalsozialistischen Gedankenguts verhindern
und Frieden sichern sollte, rückten schnell die Systemunterschiede innerhalb
der Anti‐Hitler‐Koalition in den Vordergrund. Sie bewirkten eine Diversion
der Methoden in der Strafverfolgung von mutmaßlichen NS‐Verbrechern zwischen
den einzelnen Besatzungszonen und der Topos der Entnazifizierung wur4
de als Waffe im Kalten Krieg instrumentalisiert, mithin als Legitimitätskriterium
zur Staatengründung umfunktioniert.
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Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Grundlagen alliierter Entnazifizierungspolitik
- Erste Phase, bis August 1947
- Internierungspraxis in der SBZ
- Zweite Phase, ab August 1947 (Der Befehl 201)
- Die Waldheimer Prozesse
- Umgang mit der NS-Vergangenheit nach Waldheim
- Resümee
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechern in der SBZ/DDR und analysiert, wie die angewandten Methoden im Kontext der Entnazifizierung rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprachen. Der Fokus liegt auf der Entstehung und Entwicklung der Strafverfolgung in der SBZ/DDR, wobei ein Vergleich mit der Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland nur marginal betrachtet werden kann.
- Die Entwicklung der Entnazifizierungspolitik in der SBZ/DDR
- Die Unterschiede in den Methoden der Strafverfolgung zwischen den Besatzungszonen
- Die Instrumentalisierung der Entnazifizierung im Kalten Krieg
- Die Bewertung der Strafverfolgung von NS-Verbrechern in Bezug auf ihre intendierten Ziele und die tatsächliche Vorgehensweise
- Die Herausforderungen und Grenzen der Forschung aufgrund des begrenzten Zugriffs auf sowjetische Archive
Zusammenfassung der Kapitel
- Vorwort: Die Arbeit beleuchtet das Desinteresse und die Unkenntnis in der deutschen Bevölkerung bezüglich der DDR-Vergangenheit, insbesondere der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechern. Sie identifiziert verschiedene Interpretationsströmungen der DDR-Geschichte, darunter „Ostalgie“ und die Bewertung der Wiedervereinigung als Erfolgsgeschichte.
- Grundlagen alliierter Entnazifizierungspolitik: Das Kapitel beschreibt die gemeinsamen Ziele der alliierten Mächte im Umgang mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere die Bestrafung von Kriegs- und NS-Verbrechern. Es zeichnet die ersten Schritte der Täterklassifizierung und die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie nach.
Schlüsselwörter
Entnazifizierung, Strafverfolgung, NS-Verbrecher, SBZ/DDR, Bundesrepublik Deutschland, Kalter Krieg, Rechtsstaatlichkeit, Staatsapparat, Stasi, sowjetische Archive, historische Interpretationen, Ostalgie, Wiedervereinigung.
- Arbeit zitieren
- Michael Brunnert (Autor:in), 2009, Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechern in der SBZ/DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172875