Viscontis Filmwerke werden in der Reihe der italienischen Klassiker meist als Elemente der Neorealismusbewegung betrachtet. Dies gilt keineswegs für sein Gesamtwerk . Ein paar wenige Filme funktionieren über dieselben Mittel, stehen in ähnlicher filmhistorischer Tradition und müssen dennoch voneinander unterschieden werden. So könnten Il Gattopardo und Senso je als Historiendrama verstanden werden , obwohl sie primär Literaturverfilmungen sind, die sich eines historischen Kontextes bedienen. Im Kern sind sie Tragödien des menschlichen Lebens, in denen die Protagonisten in politischem Zwiespalt stehen und an gesellschaftlichen Konventionen oder vorgeschriebenen Lebenskonzepten scheitern. Die Diskussion um die Genrefrage ist keine neue, und in gewisser Weise ist die genaue Genredefinition hier beinahe irrelevant. Die zwei Filmwerke bedienen sich sämtlicher Klischees der Historien- und Kostümfilme, scheinen gleichzeitig aber, wie oben erläutert, gleichermaßen melodramatisch und besitzen nur bedingt historische Relevanz.
In dieser Arbeit wird die Frage nach der Ästhetik in Viscontis Historiendramen gestellt. Beide Filme stehen in politischem Kontext und sind seit ihrem Erscheinen der Kritik ausgesetzt, sie seien manieriert und wiesen einen pessimistischen Ästhetizismus auf. Doch hier kommt die grundsätzlich undifferenzierte Definition des „Manierierten“ und des „Manierismus“ zum Tragen. Der Begriff, der aus der Kunstgeschichte geprägt, seit Mitte des 20. Jahrhunderts flächendeckend und spartenübergreifend verwendet wird, hat mittlerweile einen negativen Nachklang. Doch aus kunsthistorischer Sicht ist die Manieriertheit eines Objektes gerade nicht negativ besetzt. Woher kommen diese Vorwürfe an Visconti, er praktiziere den Manierismus, seine Ästhetik sei pessimistisch und dem Dekor verfallen? Nachfolgende Untersuchung kann sich nicht auf die Ansichten des Regisseurs richten, der von einem Realismuskonzept ausgeht: stattdessen soll im Folgenden eine objektive Betrachtung dessen unternommen werden, wie die poetische Logik in Viscontis Filmwerken mit den oben genannten Stilmitteln verzahnt ist. Entscheidend hier wird die Annahme, Manierismus sei kein rein ikonographisch praktiziertes Stilmittel, sondern sehr wohl auch ein narratives.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Einleitung
- Der Vorwurf des Manierismus
- Begriffsklärung und historischer Abriss: Manierismus
- Kunsthistorischer Ansatz und philosophischer Begriff der Entfremdung
- Detailtreue und Genauigkeit vs. Manierismus
- Senso und Il Gattopardo
- Pathosformel und kulturhistorische Motivik
- Pessimismus, Verfall und Entfremdung
- Poetische Logik Viscontis oder visuelle Suche nach verlorener Zeit
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage nach der Ästhetik in Luchino Viscontis Historiendramen Senso und Il Gattopardo. Beide Filme werden seit ihrem Erscheinen der Kritik ausgesetzt, sie seien manieriert und wiesen einen pessimistischen Ästhetizismus auf. Die Arbeit untersucht, ob dieser Vorwurf gerechtfertigt ist und analysiert die poetische Logik Viscontis in Verbindung mit den Stilmitteln des Manierismus.
- Definition und Geschichte des Manierismus als kunsthistorischer Stilbegriff
- Die Rolle der Entfremdung und der Doppelbödigkeit in Viscontis Filmen
- Analyse der Bildsprache und Motivik in Senso und Il Gattopardo unter Einbezug kulturhistorischer Referenzen
- Die Bedeutung des Pessimismus als ästhetisches und inszenatorisches Prinzip bei Visconti
- Die poetische Logik Viscontis im Kontext der „visuellen Suche nach der verlorenen Zeit“
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die Frage nach der Ästhetik in Viscontis Historiendramen. Der Fokus liegt auf den Vorwürfen des Manierismus und des pessimistischen Ästhetizismus, die gegen die Filme erhoben wurden.
Das zweite Kapitel widmet sich dem Begriff des Manierismus. Es werden Begriffsklärung und historische Entwicklung des Manierismus als kunsthistorischer Stilbegriff erläutert. Darüber hinaus wird der philosophische Begriff der Entfremdung im Kontext des Manierismus betrachtet. Abschließend wird die Frage nach der Bedeutung der Detailtreue und Genauigkeit in Verbindung mit dem Vorwurf des Manierismus diskutiert.
Das dritte Kapitel beleuchtet die beiden Filme Senso und Il Gattopardo. Es werden die kulturhistorischen Bezüge und die Verwendung von Pathosformeln in den Filmen analysiert. Weiterhin wird der Pessimismus als ästhetisches und inszenatorisches Prinzip in Verbindung mit den Themen Verfall und Entfremdung untersucht. Abschließend wird die poetische Logik Viscontis im Kontext der „visuellen Suche nach der verlorenen Zeit“ betrachtet, die auf Marcel Prousts Werk verweist.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die Arbeit behandelt die Themen Manierismus, Ästhetik, Film, Geschichte, Kultur, Entfremdung, Pessimismus, Poetische Logik, Visconti, Senso, Il Gattopardo.
- Quote paper
- Aurelia Vowinckel (Author), 2010, Der Vorwurf des Manierismus in Viscontis Historiendramen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172929