Luthers reformatorische Theologie des Wortes Gottes wird in ihren zentralen Themenbereichen einer kritischen Gesamtanalyse unterzogen. Leitend hierbei sind die Perspektiven, die sich für skeptisch-problematische Bildung und problemerschlossene Vernünftigkeit für die Folgezeit ergeben, in der diese Theologie wirkmächtig geworden ist. Denn bei Luther und der lutherischen Reformation handelt es sich um einen zentralen Knotenpunkt für die Frage nach den Möglichkeiten für ein Weiterwirken des im `sokratischen Erbe´ Platons sich fokussierenden skeptisch-kritischen Bildungsmomentes.
Unter vier Hauptaspekten wird die Theologie Luthers in ihrer Bedeutung für die sokratische Bildung dabei behandelt: Erstens werden einleitend die Bedeutung des Wortes Gottes bei Luther und sein Streben nach der persönlichen Heilsgewissheit zum Gegenstand der Untersuchung gemacht. Zum Zweiten wird das Verhältnis von Vernunft und Gotteswort konturiert. Drittens wird das Thema Bildung und Schule beleuchtet.
Im Zusammenhang dieses Themas wird herausgestellt, welche Auswirkungen Luthers Theologie für die Institutionalisierung des reformatorischen Schulwesens hatte und welche Interessen, die bis heute als Exklusionswirkung für das sokratisch-kritische Bildungspotential einflussreich geblieben sind, beim Aufbau des Schulwesens sowohl von kirchlicher wie auch von staatlicher Seite vorlagen, die einem bildungsinstitutionellen Wirksamwerden des `sokratischen Erbes´ Platons, nämlich sokratisch-problemerschlossener Bildung, im Schulwesen entgegenstanden.
Zum Vierten wird schließlich Luthers Verteidigung der Heilsgewissheit gegen die `Schwärmer´ dargestellt und dessen Folgen für die Chancen sokratisch-problematischer Bildung erwogen.
Besondere Aufmerksamkeit findet die Frage, welche Stellung die reformatorische Gottesworttheologie Luthers im Blick auf das unterrichtliche Verständnis von Lehren und Lernen sowie auf das gesamtkulturelle Wissensverständnis innehat, das die Wirksamkeit sokratischen Problemwissens als sokratisch-problematische Bildung hindert, weil es die Tendenz hat, zu einem rein gegenständlichen Wissensverständnis zu depravieren.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
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Luthers Theologie des Wortes Gottes zur Sicherung der Heilsgewissheit und die Chancen sokratisch-problematischer Bildung
- Einführung
- Die Bedeutung des Wortes Gottes bei Luther und sein Streben nach der persönlichen Heilsgewissheit
- Luthers Ringen mit dem Heilszweifel
- Luthers reformatorischer Durchbruch
- Heilsgewissheit und Heilszweifel im Kontext von Luthers Rechtfertigungsverständnis
- Vernunft und Gotteswort bei Luther aus sokratisch-kritischer Perspektive
- Einblick in die Forschungslage zum Verhältnis von Vernunft und Gotteswort bei Luther
- Überblick über das Verhältnis von Vernunft und Gotteswort in Luthers Schriften
- Luthers Ablehnung der spekulativ-mystischen Vernunft im Namen des Gotteswortes
- Metaphysisch-praktisches Einsehen im Glauben und `göttliche´ Weisheit durch das Gotteswort
- Die göttliche Weisheit´ als sapientia dei (Luther) im Unterschied zur `menschlichen Weisheit´ als sapientia hominis (Sokrates)
- Metaphysisch-praktisches Einsehen im Glauben im Verhältnis zur Autorität der heiligen Schrift´
- Relationen zwischen Gotteswort als Gesetz und Evangelium, `Wort-gehörsamkeit und gläubiger Vernunft
- Gotteswort und irdischer Auftrag der Vernunft
- Ausblick auf die Reform der Bildung als Konsequenz aus Luthers Verständnis von Gotteswort und Vernunft
- Bildung und Schule bei Luther und die Chancen sokratisch-problematischer Bildung
- Luthers Zwei-Reiche-Lehre´
- Einsichten der Forschung zur Zwei-Reiche-Lehre´
- Wesentliche Aspekte der Zwei-Reiche-Lehre´
- Luthers Unterscheidung der zwei Reiche´ bzw. `zwei Regimente´
- Das weltliche Regiment (`regnum rationis') als Gottes Welterhaltung
- Wirkungsgeschichtliche Aspekte zur Eigenständigkeit des `weltlichen Regimentes´ bei Luther
- Bildung und Schule bei Luther
- Luthers Engagement für Bildung und Schule um des Gotteswortes willen
- Reformatorische Kirchen- und Schulordnungen zur Disziplinierung und Formierung von `Untertanen´
- Ausblick auf die protestantische Kultur des Wortes´
- Luthers Verteidigung der Heilsgewissheit gegen die `Schwärmer´ aus sokratisch-kritischer Perspektive
- Luthers Betonung des `verbum externum´ und seine Kritik am `Schwärmertum´
- Die Gewissheit vermittelnde Gebundenheit des Geistes an das `verbum externum´ und das worthafte Sakrament
- Luthers gewissheitsorientierte `antischwärmerische´ Tauftheologie
- Heilsgewissheit und `Objektivität von sakramentalem Wort und worthaftem Sakrament in Abgrenzung gegen die `Schwärmer´ und mystische Traditionen
- `Verbum externum´ und inneres Geisteswirken als `extra nos´ des Heils zur Vergewisserung
- Sakramentales Wort und Bildung bei Luther
- Das sakramentale Wort als `certa species´
- Gottes Präsenz im Wort der `heiligen Schrift´ und die Notwendigkeit sprachlicher Bildung
- Die Unverfügbarkeit des Wortverstehens als Grenze menschlicher `Bildungsarbeit´
- Das Geschenk der Heilsgewissheit
- Die Hochschätzung menschlicher `Bildungsarbeit´
- Gottes Souveränität als Begrenzung
- Die Transformation von Luthers Wortverständnis in Richtung `Objektivität und gegenständliches Wissensverständnis durch die lutherische Orthodoxie
- Kritische Bemerkungen zu Luthers Wort- bzw. Bildungsverständnis und dessen Wirkungen im Blick auf Chancen sokratisch-problematischer Bildung
- Luthers Zwei-Reiche-Lehre´
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Die Arbeit befasst sich mit Luthers Theologie des Wortes Gottes im Kontext der sokratisch-problematischen Bildung und erörtert die Chancen und Grenzen des reformatorischen Denkens für ein kritisches Bildungsideal. Die Arbeit geht von der Annahme aus, dass Luthers Theologie ein bedeutsames Moment der europäischen Geistesgeschichte darstellt, das sowohl Chancen als auch Risiken für die Entwicklung des Denkens und der Bildung birgt.
- Luthers Theologie des Wortes Gottes und die Sicherung der Heilsgewissheit
- Das Verhältnis von Vernunft und Gotteswort bei Luther
- Die Bedeutung von Bildung und Schule in Luthers Theologie
- Die Chancen und Grenzen sokratisch-problematischer Bildung im Lichte von Luthers Theologie
- Die Rezeption von Luthers Theologie in der Geschichte der Pädagogik
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Das erste Kapitel beleuchtet Luthers Verständnis des Wortes Gottes und die Rolle, die es in seinem Ringen um die Heilsgewissheit spielt. Es analysiert Luthers reformatorischen Durchbruch und sein Rechtfertigungsverständnis. Weiterhin untersucht es das Verhältnis von Vernunft und Gotteswort bei Luther, seine Ablehnung der spekulativen Vernunft und seine Betonung des metaphysisch-praktischen Einsehens im Glauben. Der Exkurs behandelt Luthers Abgrenzung gegenüber der `philosophischen Vernunft´ bei Zwingli im `Abendmahlsstreit´. Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf die Reform der Bildung als Konsequenz aus Luthers Verständnis von Gotteswort und Vernunft.
Das zweite Kapitel behandelt Luthers Zwei-Reiche-Lehre´ und ihre Implikationen für die Bildung. Es beleuchtet die Einsichten der Forschung zu Luthers Unterscheidung der zwei Reiche´ bzw. `zwei Regimente´ sowie die Rolle des `weltlichen Regimentes´ in der Gottes Welterhaltung. Weiterhin werden Luthers Engagement für Bildung und Schule um des Gotteswortes willen, die reformatorischen Kirchen- und Schulordnungen zur Disziplinierung und Formierung von `Untertanen´ sowie die Auswirkungen auf die protestantische Kultur des Wortes´ beleuchtet.
Das dritte Kapitel analysiert Luthers Verteidigung der Heilsgewissheit gegen die `Schwärmer´ aus sokratisch-kritischer Perspektive. Es befasst sich mit Luthers Betonung des `verbum externum´ und seiner Kritik am `Schwärmertum´. Das Kapitel untersucht die Gewissheit vermittelnde Gebundenheit des Geistes an das `verbum externum´ und das worthafte Sakrament sowie Luthers gewissheitsorientierte `antischwärmerische´ Tauftheologie. Weiterhin wird die Objektivität von sakramentalem Wort und worthaftem Sakrament in Abgrenzung gegen die `Schwärmer´ und mystische Traditionen beleuchtet.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die Arbeit beschäftigt sich mit zentralen Themen der Reformation, wie z.B. Wort Gottes, Heilsgewissheit, Rechtfertigung, Vernunft, Bildung, Schule, Zwei-Reiche-Lehre, Schwärmertum, Sakrament, `verbum externum´, sokratisch-problematische Bildung und die Grenzen von Erkenntnis. Es werden zentrale Figuren der Reformation, insbesondere Luther, Zwingli und Eckhart, analysiert und in Beziehung zueinander gesetzt. Die Arbeit greift auf klassische und moderne Forschungsliteratur zu Luther, Bildungstheorie und Reformationsgeschichte zurück und bietet einen kritischen Beitrag zu den aktuellen Debatten um die Bedeutung der Reformation für die Entwicklung des Denkens und der Bildung.
- Arbeit zitieren
- PD Dr. phil. habil. Roland Mugerauer (Autor:in), 2011, Luthers Theologie und ihre bedenklichen Folgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172955