Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2.1 Italienischer Faschismus
2.2 Thomas Manns Verhältnis zu Italien
2.3 Thomas Mann und die Politik
3. Inhaltsangabe
4. Die faschistischen Bezüge in „Marion und der Zauberer“
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Eines der bekanntesten Werke Thomas Manns ist die Novelle „Mario und der Zauberer. Ein tragisches Reiseerlebnis“, welches er 1929 während eines Aufenthaltes an der Ostsee schrieb und das im Jahr 1930 erschien. Es ist gleichzeitig eines der meistanalysierten Werke Manns. In der Forschung sind sehr viele und sehr verschiedene Interpretationen und Interpretations-ansätze vertreten. Dies liegt wohl hauptsächlich an den unterschiedlichen Aussagen, die der Autor im Laufe der Zeit zu der Novelle getätigt hat, beruhend auf seinen wechselnden politischen Ansichten.
Die Novelle beruht auf einem zweiwöchigen Badeurlaub, den Thomas Mann mit seiner Familie im September 1926 nach Forte dei Marmi unternahm. Einige der erzählten Vorfälle hat die Familie tatsächlich so erlebt. So wird denn auch über einen wachsenden Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit berichtet. Aber war der einzige Zweck, zu dem Thomas Mann die Novelle schrieb, der, einen Reisebericht abzuliefern? Oder wollte er noch mehr? Er sah, wie sich die faschistische Diktatur in Italien immer mehr etablierte. Sah er auch Gleiches in Deutschland herannahen und wollte davor warnen?
Dies zu klären ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. Daraus resultierend wird als erstes der italienische Faschismus behandelt um einen Überblick über den geschichtlichen Kontext zu gewinnen. Anschließend wird auf Thomas Manns Verhältnis zu Italien und später auch zur Politik eingegangen. Danach wird der Inhalt der Novelle kurz geklärt, um schließlich die Warnungen in „Mario und der Zauberer“ herauszuarbeiten.
Für den Überblick über den italienischen Faschismus stütze ich mich vor allem auf den 34. Band der „Fischer Weltgeschichte“: „Das Zwanzigste Jahrhundert I. 1918-1945“ von Dr. R.A.C. Parker, für Thomas Manns Verhältnis zu Italien auf Fabio Ognibenes „Die Sehnsucht nach Italien. Thomas Mann und sein ambivalentes Verhältnis zur Welt Italiens“. Für die Darstellung von Thomas Manns Verhältnis zur Politik beziehe ich mich in erster Linie auf Manfred Görtemakers „Thomas Mann und die Politik“. Für die Rezeptionen von 1930 im letzten Kapitel berufe ich mich auf Dieter Schreys „Thomas Mann. Mario und der Zauberer. Materialien und Arbeitsanregungen“.
2.1 Italienischer Faschismus
Der Italienische Faschismus beruhte vor allem auf der Figur seines Diktators Benito Mussolini. Dieser begann sein politisches Leben paradoxerweise als Sozialist und entging dem Kriegsdienst, indem er für zwei Jahre in die Schweiz ging. Er wurde sogar zu einem Führer des revolutionären Flügels der sozialistischen Partei Italiens (PSI) und Herausgeber der offiziellen Parteizeitschrift „Avanti!“. 1914 unterzeichnete er auch das Antikriegsmanifest der PSI, wurde jedoch einige Monate später zum Kriegsbefürworter und forderte den Eintritt Italiens in den ersten Weltkrieg, woraufhin er aus der Partei ausgeschlossen wurde. Noch im selben Jahr gründete er die nationalistische Zeitschrift „Popolo d'Italia“. Nach seiner Zeit als Soldat war er außerdem im Jahr 1919 an der Gründung der „fasci di combattimento“ beteiligt. Diese nationale Organisation bestand vorerst noch aus politisch Linksstehenden und ihr Programm war sehr revolutionär. Bei den Wahlen desselben Jahres versuchte Mussolini zusammen mit anderen Linksparteien eine Kandidatenliste aufzustellen, erfolglos. 1920 erkannte er, dass seine Chance nicht in bei den Linken zu finden war, sondern dass es erfolgversprechender wäre, die Antisozialisten zu vertreten. Mussolini hatte also selbst keine festen Überzeugungen, er wollte nur politische Macht erlangen. Er selbst sagte im Herbst 1920: „Ich bin reaktionär und revolutionär je nach den Umständen“[1]. Er hatte keine Ideen oder Programme zu bieten und trotzdem erlangte er die Herrschaft über Italien. Dies konnte nur geschehen, weil er den Kräften, die Angst vor sozialen Veränderungen hatten, Ausdruck verlieh, denn eine geschickte konservative Partei gab es in Italien nicht. Diese Kräfte bestanden vorrangig aus der sogenannten „privilegierten Schicht“[2]. Eine weitere Gruppe die Mussolini und der Faschismus ansprachen waren diejenigen, die sich als etwas Besseres als die Arbeiter fühlten. „Die Ehrgeizigeren und Anmaßenderen darunter konnten im Faschismus eine bisher unbekannte Befriedigung finden. Ein schwarzes Hemd brachte Ansehen und Macht sowie die Chance, die Schranken des grauen Alltags zu überschreiten.“[3]
Weiteren Rückhalt in der Bevölkerung fanden die Faschisten, weil Großbritannien und Frankreich einige der Übereinkünfte, die bei der Londoner Geheimkonferenz 1915 getroffen wurden, und die der Hauptgrund waren, weshalb Italien in den Ersten Weltkrieg eingetreten war, nicht mehr einhalten wollten. Zu diesen Vereinbarungen zählten vor allem Landgewinne für Italien, wie zum Beispiel ein beträchtliches Stück Dalmatiens, Istrien und Fiume. Hier wurde von den italienischen Faschisten die „Verstümmelung des Sieges“ propagiert.
Als Nationalisten Fiume unter Duldung der dortigen italienischen Besatzungstruppen besetzten, wurde die Macht des Staates ein weiteres Mal in Frage gestellt.
Im Juni 1920 wurde Giovanni Giolitti Ministerpräsident in Italien. Während seiner Regierungszeit, die bis zum Juni 1921 dauerte, entwickelte sich der Faschismus zu einer ernstzunehmenden Bedrohung für Italien. Er versuchte, den Frieden innerhalb des Staates wieder herzustellen und den Staat damit wieder zu stärken. Mit diesen Bestrebungen erreichte er eine Einigung zwischen Arbeitern und Fabrikbesitzern: Die Arbeiter hatten im September 1920 über 100 verschiedene Fabriken besetzt, Giolitti weigerte sich aber, Truppen gegen sie einzusetzen. Er beruhigte sie, indem er gesetzgeberische Maßnahmen versprach, die eine gewisse Beteiligung der Arbeiter an der Führung der Industrie bewirken sollten. Sie räumten im Gegenzug die Fabriken und schon im Oktober begann die normale Arbeit. Giolitti zeigte so, dass, wenn man die Arbeiter mit Respekt behandelte, sie nicht den Versuch unternehmen würden, die Macht an sich zu reißen. Die Industriellen aber nahmen ihm seine Weigerung Truppen einzusetzen übel, denn so wurden sie gezwungen, Zugeständnisse zu machen. Aus diesem Grund sahen sich die Industriellen und der betroffene Mittelstand erst recht dazu bemüßigt, die Faschisten zu unterstützen, denn diese konnten die Ängste der Besitzenden und die Beunruhigung des Mittelstandes, dessen sozialer Status, gemessen an dem der Arbeiterschaft, im Sinken begriffen war, ausnutzen. Diese neu gewonnenen Kräfte und der Wunsch nach einer gewissen Erneuerung machten den Faschismus erst zu einem ernstzunehmenden politischen Faktor.[4]
So breitete sich der Faschismus denn auch immer mehr aus: „Ende 1920 gab es 88 Fasci mit 20.615 Mitgliedern, Ende 1921 deren 834 mit 249.036 Mitgliedern. Vom 1. Januar bis zum 14. Mai 1921 wurden bei faschistischen Überfällen allein 207 Menschen getötet und 819 verletzt.“[5]
Gegen sozialistische Übergriffe gingen die staatlichen Truppen rigoros vor, solche von Seiten der Faschisten wurden „übersehen“. Besagte Streitkräfte nahmen sogar bei einigen Gelegenheiten selbst an faschistischen Überfällen teil, die Faschisten konnten ihre Lastwagen benutzen und ihre Waffen bezogen sie weitgehend von Militär und Polizei. Der Präfekt von Mailand informierte im August 1922 das Innenministerium darüber, dass im Krisenfall nicht mit dem Einsatz der Militärs gegen den Faschismus zu rechnen sei. Ivanoe Bonomi, der vom Juli 1921 bis zum Februar 1922 Ministerpräsident war, war denn auch der letzte, der versuchte dem Faschismus Widerstand zu leisten. Als nach ihm Luigi Facta dieses Amt innehatte, wurden alle unter Anklage stehenden Faschisten freigelassen.
Schon Ende 1921 hatte Mussolini die Fasci di Combattimento in eine Partei umgewandelt, die Partito Nazionale Fascista (PNF).
Allerdings waren die Faschisten in Italien bei weitem nicht so erfolgreich und schlagkräftig wie in Deutschland. Sie verdankten ihren Erfolg der Tatsache, dass sie genügend Wählerstimmen auf sich vereinen und genügend Menschen hinter sich versammeln konnten um die Regierungen unter Druck zu setzen und einzuschüchtern.
Im Oktober 1922 drohte Mussolini mit dem „Marsch auf Rom“, um seine Forderung in die Regierung aufgenommen zu werden, durchzusetzen. Er verkündete am 24. Oktober: „Entweder wird uns die Regierung übertragen, oder wir nehmen sie uns durch einen Angriff auf Rom: es ist jetzt eine Sache von Tagen und vielleicht von Stunden.“[6] Allerdings war dies keine bewaffnete Machtergreifung, sondern beschleunigte nur den Eintritt der Faschisten in die Regierung, denn dass dieser früher oder später kommen würde war inzwischen unvermeidlich.
Am 27. Oktober vereinbarte Facta mit König Victor Emanuel III. die Notstandserklärung und die Minister unterzeichneten eine Proklamation in der sie erklärten, alles tun zu wollen um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Der König, traditionell politisch sehr weit rechts stehend, aber weigerte sich, das Dekret mit der Notstandserklärung zu unterzeichnen. Damit fehlte der Regierung auch die Loyalität der Streitkräfte und der König überließ Italien so praktisch schutzlos der faschistischen Bewegung. Nun blieb nur noch die Hoffnung, dass man Mussolini überreden könne, in ein Kabinett welches ein „Nichtfaschist“ führt, einzutreten. Dieser lehnte aber ab und gab zu verstehen, dass er nur nach Rom kommen würde, um selbst die Regierung zu bilden. Durch die Kapitulation des Königs war ihm klar, dass seiner Forderung kein Widerstand entgegengebracht würde. So sollte es dann auch kommen: Am 29. Oktober 1982 wurde Mussolini gebeten, die Regierung zu bilden. Viele glaubten, dass die Errichtung einer Regierung mit Mussolini als Ministerpräsidenten zu einer Normalisierung der Zustände und zur Niederlegung der Gewalt von Seiten der Faschisten führen würde, weshalb sie es versäumten, sich zu einem Widerstand gegen ihn zusammenzuschließen.
In den darauf folgenden Jahren konnte Mussolini ganz allmählich eine Diktatur errichten, unter anderem indem er liberale und demokratische Mitläufer und Mitarbeiter auf seine Seite zog.
Im ersten Kabinett des „Duce“ saßen außer Faschisten und Nationalisten auch Liberale und Angehörige der Volkspartei. In einem Manifest der „Confindustria“ verkündete die kapitalistische Gesellschaft ihre Unterstützung der neuen Regierung. Im November 1922 trat das Parlament das erste mal zusammen. Bei dieser Gelegenheit verkündete Mussolini, dass der Faschismus ohne Rücksicht auf das Parlament regieren werde[7]. Indes hörte die Gewalttätigkeit im Staat nicht auf, sondern wurde durch die Regierung gedeckt und die faschistischen Schwarzhemden wurden in eine freiwillige Miliz eingegliedert. Des weiteren setzte Mussolini das Acerbo-Wahlgesetz durch, welches besagt, dass die Wahlliste mit der höchsten Stimmenzahl zwei Drittel der Sitze des Parlaments erhalten sollte. Natürlich ging er dabei davon aus, dass dies die faschistische Liste sein würde. Als am 6. April 1924 die Wahlen abgehalten wurden, gewannen die Faschisten 65% der Stimmen, das Acerbo-Gesetz griff also und sie erhielten 354 der 535 Sitze[8]. Giacomo Matteotti, ein führender Politiker, war einer derjenigen, die die Gültigkeit der Wahlen bestritten und die Gewalttätigkeit der Faschisten bei diesen anklagten. Er wurde zehn Tage später ermordet. Dieser Zwischenfall warf ein extrem negatives Bild auf die Regierung und es schien, als könne sie abgesetzt werden. Die Hoffnung wuchs, dass der König Mussolini entlassen würde. Doch trotz Vorlage von Beweisen weigerte sich dieser und Mussolini schöpfte neue Kraft. So konnte sich denn auch ab 1925 Italien zu einer uneingeschränkten Diktatur wandeln. So wurde die Pressefreiheit abgeschafft und antinationalistische Parteien wurden unterdrückt, womit jegliche parlamentarische Einflussmöglichkeit eliminiert wurde. Anfang 1927 wurde ein „Sondergericht zum Schutze des Staates“ gebildet, gegen dessen Entscheidungen es keine Berufung gab und dessen Mitglieder von Mussolini persönlich ernannt wurden. Wenn jemand bei diesem Gericht angezeigt wurde, wurde er sofort festgenommen und eingesperrt. Die Vollmachten der Polizei wurden vergrößert: Sie konnte von allen, die im Verdacht standen antifaschistisch tätig zu sein, die Bewegungsfreiheit, die freie Wahl des Wohnsitzes und die freie Berufswahl einschränken und bis zu fünf Jahre Confino über ihn verhängen, was bedeutete, dass man zu abgelegenen Inseln oder Dörfern deportiert wurde.
1928 wurde dann letztendlich ein Wahlsystem eingeführt, wonach nur eine Liste vom faschistischen „Großen Rat“ aufgestellt wurde. Die Namen dafür sollten faschistische Organisationen vorlegen. Dieser „Große Rat“ war ein Gebilde ohne tatsächliche Macht.
Den größten Erfolg erzielte das Regime 1929 mit den Lateranverträgen, die die Beziehungen zwischen Kirche und Staat regelten. Die Verträge bedeuteten zwar starke Zugeständnisse an die Kirche, aber dafür trugen sie entscheidend zu einer passiven Gefügigkeit bei, die Italiener der dreißiger Jahre auszeichnete. Nun sollte das Volk „gleichgeschaltet“ werden, zu fleißigen und disziplinierten Menschen, die die faschistische Ideologie praktisch mit der Muttermilch aufsogen und verteidigten. Dies wurde vor allem durch Jugendorganisationen und den Unterricht erreicht. Ein bekanntes Schlagwort und Wahlspruch einer Jugendorganisation war: „Glaube, gehorche, kämpfe!“[9]
2.2 Thomas Manns Verhältnis zu Italien
In vielen der Werke Thomas Manns spielt der Süden und vor allem Italien eine besondere Rolle, wie zum Beispiel in dem hier behandelten Werk „Mario und der Zauberer“, in „Tod in Venedig“, „Tonio Kröger“, „Doktor Faustus“ und den „Buddenbrooks“. Auch die Namensgebung vieler seiner Figuren haben südländische Vor- und deutsche Nachnamen: Tonio Kröger, Paolo Hoffmann oder Adrian Leverkühn.
Thomas Mann bereiste Italien im Laufe seines Lebens 18 Mal, davon 12 Mal bevor er „Mario und der Zauberer“ schrieb. Seinen ersten Italienaufenthalt verdankte er seinem Bruder Heinrich, dem er nach Palestrina folgt, ohne selbst ein besonderes Interesse am Land zu haben. Diese Reise sollte lediglich der Inspiration dienen. Er knüpfte jedoch, wie auch im Verlauf seines weiteren Lebens, kaum Kontakte zu Italienern. Seine Haltung gegenüber Italien war sehr widersprüchlich. So ist denn auch in seinen Romanen alles, was auf Tod oder Krankheit bezogen ist, irgendwie mit dem Süden verbunden. Durchweg positiv kann Manns Haltung gegenüber Italien also kaum gewesen sein. Er weigerte sich auch, die italienische Sprache zu lernen. Prof. Dr. Domenica Borgese, eine Enkelin von Thomas Mann, beschreibt sein Verhältnis zu Italien denn auch als durchweg negativ. Sie behauptet, dass ihr Großvater zwar zur italienischen Kultur und Geschichte ein positives Verhältnis gehabt habe, das Land an sich und seine Bevölkerung aber nie geliebt habe. Dies zeigte sich auch daran, dass man bei ihm so gut wie nie italienische Gäste gesehen habe, da er zu Italienern und ihrem Land immer einen gewissen Abstand gewahrt habe. Seine häufigen Besuche seien nach ihr eher darin begründet, dass er schon immer daran interessiert gewesen sei, das Andersartige, in diesem Fall die italienische Lebensart, zu durchschauen, später darin, dass er seinem Schwiegersohn Giuseppe Antonio Borgese einen Gefallen erweisen wollte. Thomas Mann habe, im Gegensatz zu seinem Bruder Heinrich, nie etwas mit dem südlichen Ambiente und dem temperamentvollen Leben der Menschen anfangen können und das Chaos und den Schmutz auf den Straßen gehasst.
[...]
[1] Zitiert nach: Parker, Robert Alexander Clarke: Fischer Weltgeschichte, Band 34: Das Zwanzigste Jahrhundert I. 1918 – 1945. Frankfurt/Main 1964
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Vgl. ebd.
[5] Ebd.
[6] Zitiert nach: ebd.
[7] Vgl. Ebd.
[8] Vgl. Ebd.
[9] Vgl. Ebd.