Leseprobe
Faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete ist ein Stück von Ewald Palmetshofer, einem Nachwuchsdramatiker aus Österreich. Im Folgenden möchte ich das Stück selbst sowie dessen Inszenierung betrachten. Die Frage, die ich hier in den Mittelpunkt stelle ist, wie nahe die Inszenierung unter der Regie von Dieter Boyer vom 29. Januar, die ich am Nationaltheater Mannheim gesehen habe, am dramatischen Text von Ewald Palmetshofer ist.
Bevor ich das Stück und dessen Inszenierung auf Adäquatheit zu überprüfen versuche, soll zunächst der Begriff Werktreue kurz geklärt werden. Der Begriff Werktreue bezieht sich auf die Treue einer Inszenierung gegenüber dem Text des Dramas, er zielt auf bestimmte Bedingungen und Kriterien ab, die erfüllt sein müssen, damit eine Aufführung als adäquat bezeichnet werden kann.1
Der Begriff scheint aber höchst problematisch zu sein. Erika Fischer-Lichte stellt in ihrem Aufsatz ÄWas ist eine ‚werkgetreue‘ Inszenierung?“ Überlegungen dazu an. Sie formuliert drei Kriterien für eine adäquate Inszenierung, kommt aber zu dem Schluss, dass keine von diesen erfüllt werden kann. Das bedeutet, dass eine Äwerkgetreue“ Inszenierung prinzipiell unmöglich ist und vielmehr ein subjektiv-normativer Wertungsbegriff als objektiv2
Ungeachtet der Komplexität des Begriffs werde ich versuchen, die Mannheimer Inszenierung von Dieter Boyer anhand des Textgestaltes von Palmetshofers Stück faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete zu beurteilen.
Wenn wir den formalen Aufbau des Stückes betrachten, so besteht es aus 23 Passagen. Dazu zählen auch die Passagen (-1) und (0), wobei (0) als Einleitung bezeichnet werden kann und (- 1) ein Vorspiel im TV ist - durch die entsprechende Nummerierung werden sie außerhalb des Stückes platziert.
Palmetshofer verfasst sein Werk in Form von Dialogen, was für ihn typisch ist (in ähnlicher Form ist auch sein Stück hamlet ist tot. keine schwerkraft geschrieben). Die dialogische Form wird an manchen Stellen durch epische Passagen unterbrochen. In diesen Monologen werden die Sinnfragen des Stückes aufgegriffen.
Die Sprache, in der Palmetshofer seine Figuren sprechen lässt, ist die Umgangssprache. Die Dialoge sind trivial, unvollkommen, fragmentarisch. Sie sprechen so, als ob sie nach etwas suchten, was sie nicht fassen können. In ihrer elipsartigen Sprache kann man ihre Orientierungslosigkeit sehen. In dem Sinne kann man die Inszenierung von Dieter Boyer als werkgetreu bezeichnen, weil, was den Text des Stückes angeht, von der Regie nichts hinzugefügt oder ausgelassen wurde. Es gibt also keine Abweichungen vom Text. Der Text des Stückes ist aber an sich selbst nur ein Skelett, der erst während einer Inszenierung seine Form gewinnt. Die Rezeption des Stückes durch Lesen wird durch die zerbrochene Sprache, den ständigen Wechsel von direkter und indirekter Rede sowie durch sein komplexes Handeln erschwert. Meiner Meinung nach gewinnt dieses Stück seinen Sinn nur durch die Inszenierung, was auf seinen performativen Charakter hinweist.
Das Stück faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete erzählt die Geschichte von drei Paaren und von Heinrich (Faust) und Grete. In seinem Stück versucht Ewald Palmetshofer die modernen faustischen Menschen zu zeigen. Das zentrale Thema des Stückes ist die Suche nach Glück, und zwar nach dem universellen Glück. Die Suchenden sind Heinrich und Grete, die aber an dieser Suche scheitern: Weder findet Heinrich sein Glück in seiner Reise nach Afrika, noch sieht Grete die Geburt des Kindes als universelles Glück. Das führt dazu, dass Grete ihr ungeborenes Kind und sich selbst tötet. ÄWo das Begehren nach Universalem und das Erleben von Individuellem zusammenkommen, stehen Heinrich und Grete vor einem unlösbaren Problem. Das Universale ist unerreichbar und das Individuelle reicht nicht aus“3, so Stefanie Gottfried.
Die beiden, Heinrich und Grete, nehmen eine zentrale Rolle im Stück ein, kommen aber überhaupt nicht vor, sondern werden von den anderen Schauspielern abwechselnd inszeniert, es ist eine Inszenierung der Inszenierung. Dabei schwanken sie ständig zwischen Gegenwart und Vergangenheit, aber die Grenze ist manchmal sehr schmal und kaum merklich. Dadurch erschafft Palmetshofer eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Jetzt und der Vergangenheit. So auch wenn er Goethes Faust aufgreift und in die Gegenwart bringt.
Die Geschichte findet also auf zwei Ebenen statt. Beim Lesen ist es schwer, sichvon einer Ebene zur anderen zu bewegen, was der Vorteil der Inszenierung ist. Aber wie kann man etwas darstellen, was nicht existiert? Es gelingt dem Regisseur Dieter Boyer, diesen Übergang durch das Umkleiden zu markieren. Bemerkenswert ist, dass die Schauspieler ihre Kleidung auf der Bühne wechseln, so dass dem Zuschauer klar wird, dass eine Geschichte erzählt wird. Die Kostüme und Farben spielen überhaupt eine wichtige Rolle in der Inszenierung. Die Paare haben ähnliche Elemente in ihrer Kleidung, was dem Zuschauer deutlich macht, dass die beiden zusammen gehören. Die Kostüme haben bunte Farben, was mit den im Hintergrund sichtbaren grauen, toten Bäume kontrastiert.
So wie Heinrich und Grete auf der Bühne nicht präsent sind, so befindet sich mitten auf der Bühne ein schwarzes Loch, eine Kernlosigkeit, eine Leerstelle. Im Laufe des Stückes kreisen die Figuren darum herum, als ob es nicht da wäre. Aber gegen Ende des Stückes entsteht auf diesem Platz ein Zelt, das symbolisch für eine globale Katastrophe steht.
Im Allgemeinen kann man die Inszenierung von Dieter Boyer als wergetreu bezeichnen, weil, was den Text des Stückes angeht, von der Regie nichts hinzugefügt oder ausgelassen wurde. Es gibt also keine Abweichungen vom Text. Der Text des Stückes ist aber an sich selbst nur ein Skelett, der erst während einer Inszenierung seine Form gewinnt. Die Rezeption des Stückes durch Lesen wird durch die zerbrochene Sprache, den ständigen Wechsel von direkter und indirekter Rede sowie durch sein komplexes Handeln erschwert. Meiner Meinung nach gewinnt dieses Stück seinen Sinn nur durch die Inszenierung, was auf seinen performativen Charakter hinweist.
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1 Vgl. Erika Fischer-Lichte: ÄWas ist eine ‚werkgetreue‘ Inszenierung? Überlegungen zum Prozess der Transformation eines Dramas in eine Aufführung“. In: Das Drama und seine InszenierungS. 40.
2 Vgl. Ebd. S. 46.
3 Stefanie Gottfried: ÄZu faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete am Nationaltheater Mannheim“. Programmheft vom 29. Januar 2010, Nationaltheater Mannheim.