Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Der Transzendentalen Elementarlehre Erster Teil
Die Transzendentale Ästhetik
Zweiter Abschnitt: Von der Zeit
§4 Metaphysische Erörterung des Begriffs der Zeit
Erstes Zeitargument: Ideas temporis non oritur, sed supponitur a sensibus.
Zweites Zeitargument: Absolute und relative Notwendigkeit der Zeit.
Viertes Zeitargument: Idea temporis est singularis, non generalis.
Fünftes Zeitargument: Unendlichkeit und Kontinuität der Zeit. *
Literaturverzeichnis
EINLEITUNG
Der Paragraph 4 der „Transzendentalen Ästhetik“ aus Kants Kritik der reinen Vernunft (KrV) ist unterteilt in fünf Abschnitte, die nahezu analog zur „Metaphysischen Erörterung des Raumbegriffs“ (§2) aufgebaut sind.
Ich werde in meiner Hausarbeit versuchen; die Abschnitte eins bis zwei und vier bis fünf (korrespondierend mit den Abschnitten eins bis vier des §2) abzuhandeln unter Bezugnahme von Kommentaren und Beiträgen anderer Philosophen.
Den dritten Abschnitt des §4 werde ich bewußt übergehen, da es sich hierbei um eine
Vorwegnahme Kants handelt; dieser Abschnitt gehört thematisch zur „Transzendentalen
Erörterung des Begriffs der Zeit“ (§5), die der Darlegung des Begriffs unter dem Gesichtspunkt wie er zur Quelle (Prinzip) anderer synthetischer Erkenntnisse a priori werden kann,[1] dient.
Während nun also das Beweisthema des ersten Argumentenpaars der metaphysischen Untersuchung die Apriorität der Zeitvorstellung ist, so stellen die letzten beiden Argumente ihren Anschauungscharakter dar.
Kants Abhandlung verfolgt das Ziel, unsere Sinnlichkeit als eine durch Raum und Zeit bestimmte zu enttarnen; er will beweisen, dass dies die einzige Form ist, durch die wir Dinge wahrnehmen, das heißt anschauen können.
Nur auf diesem Weg kann der Mensch zu Erkenntnis gelangen.
Der Transzendentalen Elementarlehre Erster Teil
Der erste Teil der Allgemeinen Transzendentalphilosophie Kants, die Transzendentale Ästhetik, behandelt die Prinzipien apriorischer Erkenntnisform durch sinnliche Wahrnehmung.
In dem vorangehenden Paragraphen 1 legt Kant zunächst einige Definitionen und Prämissen fest:
Alles Denken und daher jede Erkenntnis bezieht sich auf Anschauung, die wiederum vermittels der Sinnlichkeit geliefert wird.
Die Sinnlichkeit (Fähigkeit der Rezeptivität) ist unsere „Erkenntnisquelle“, sie wird von schon vorhandenen (gegebenen) Gegenstände gereizt (affiziert), nur auf diese Weise bekommen wir Vorstellungen, da wir Menschen keinen „anschauenden“ Verstand besitzen.
Streng davon getrennt bezeichnet Verstand bei Kant das „Vermögen der Begriffe“, d.h. der
Verstand denkt aktiv die durch die eher passive Sinnlichkeit gelieferten Anschauungen und kann sie dadurch in Begriffe fassen.[2]
Aus dieser Festlegung rührt der bekannte Ausspruch Kants: „Anschauung ohne Begriffe sind blind und Begriffe ohne Anschauung leer.“
Nur das Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Verstand verhilft zu einer Erkenntnis.
Beide Vermögen, Sinne und Verstand, sind beim Erkennen immer beteiligt[3], nur in Verbindung können sie Gegenstände bestimmen.[4]
Wenn Gegenstände unsere Sinnlichkeit affizieren, so bewirkt dies eine Empfindung, sie liefert
empirische Anschauung, bleibt der Gegenstand einer empirischen Anschauung allerdings
unbestimmt, d.h. ist er allgemein gedacht und bleibt ohne bestimmte Prädikate in der Sinnlichkeit, nennt Kant dies Erscheinung.
Weiterhin unterscheidet Kant zwischen Materie und Form einer Erscheinung.[5]
Während die Materie, korrespondierend mit der Empfindung, die Inhalte der Erscheinung
bezeichnet, also empirisch und damit aposteriorisch ist, benennt die Form der Erscheinung die
geordneten Verhältnisse der Erscheinung in Raum und Zeit.
An diesem Dualismus setzt nun die These Kants an: Aus der Behauptung, dass dieses ordnende Prinzip wiederum nicht selbst auf Empfindung beruhen kann folgert Kant, dass es schon a priori in der Vorstellungskraft vorhanden sein muß.
Da für Kant alle Vorstellungen rein sind, sofern nichts Empirisches an ihnen haftet, und er der
Überzeugung ist, dass diese „reine Form sinnlicher Anschauung“[6] frei von aller Empfindung a priori im Gemüte anzutreffen und anzuschauen ist, nennt er diese „apriorische Erkenntnis der apriorischen Form der Anschauung“[7] selbst auch eine reine Anschauung.
Aus einer empirischen Anschauung wird somit alles abgezogen was vom Verstande (logisch)
gedacht (Substanz, Kraft, Teilbarkeit) und von der Sinnlichkeit (empirisch) empfunden wird
(Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe); dabei bleibt nur Ausdehnung und Gestalt der Vorstellung eines Körpers übrig und nur diese bezeichnet die reine Anschauung.
Nur diese als „bloße Form der Sinnlichkeit“ findet „ohne wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung“[8] a priori im Gemüte statt.
Die Transzendentale Ästhetik
Abgeleitet vom lateinischen Wort „transcendere“ = wörtlich: „über eine Grenze hinausgehen“, „ etwas übersteigen“[9] meint Kant hier mit „Transzendentaler Ästhetik“ zwar auch eine Übersteigung der Erfahrung, allerdings nicht in Richtung
transzendent/Transzendenz einer übersinnlichen Welt, denn Kant lehnt die Vorstellung ab, dass man über die Welt jenseits unserer Erfahrungswelt etwas aussagen könne.
Diese Übersteigung ist vielmehr rückwärts gewendet; Kant will „die vor aller Erfahrung liegende Bedingung der Erfahrung“ aufdecken.[10]
Transzendentale Ästhetik bezeichnet die „Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit
a priori“.[11]
Von Vaihinger kurz „eine Theorie des Apriori“[12] genannt, bemüht sich Kant die
apriorischen Bedingungen einer möglichen sinnlichen Erkenntnis zu untersuchen indem er
zunächst aus dem Gesamtkomplex der Erkenntnis die Sinnlichkeit von den durch den Verstand gedachten Begriffe trennt und danach von der übriggebliebenen empirischen Anschauung alles, was zur Empfindung gehört, entfernt, so dass nur „reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinung“ übrig bleibt.[13]
[...]
* Untertitel nach Hans Vaihinger, Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Zweiter Band, Stuttgart, Berlin, Leipzig: Union Deutsche Verlagsgesellschaft, 1892.
[1] KrV B 40.
[2] Vgl. KrV B 33/A 19.
[3] Ingeborg Strohmeyer, Transzendentalphilosophische und physikalische Raum- Zeit- Lehre, Zürich 1980, S.27.
[4] Vgl. KrV A 256.
[5] Vgl. KrV A 20, B 34.
[6] Vgl. KrV B 35/ A 20.
[7] Vgl. Adickes 68N.
[8] Vgl. KrV B 35/ A 21.
[9] Rita Hau, „transcendere“ in: PONS Standardwörterbuch Lateinisch- deutsch, deutsch- lateinisch, Stuttgart; Düsseldorf; Leipzig: Klett, 1. Aufl., Nachdr. 1998.
[10] Otfried Höffe, Immanuel Kant, München 2000, S. 64.
[11] Vgl. KrV B 35/A 21.
[12] Hans Vaihinger, Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Bd. 1, S. 467.
[13] Vgl. KrV B 36/A 22.