Als im Dezember 2007 zwei Jugendliche mit Migrationswurzeln einen Rentner in der Münchner U-Bahn überfallen und brutal zusammenschlagen, entbrennt in Deutschland eine Diskussion, wie man mit Jugendlichen Gewalttätern umgehen sollte. In Folge dessen berichteten die Medien fast jeden Tag über neue Vorfälle, speziell von denen, wo Jugendliche mit Migrationshintergrund beteiligt waren. Die Penetration von Berichten über neue Gewaltvorfälle musste den Eindruck erwecken, man stünde kurz vor einem Krieg. Ungünstiger weise fiel dieses Phänomen in die Zeit eines Wahlkampfes, Politiker nutzten die aufgeheizte Stimmung um sich mit Maßnahmenkatalogen zur Bewältigung des Problems zu überbieten. Auffällig an der ganzen Situation war, dass sämtliche Experten aus Wissenschaft und Präventionsarbeit zwar zu Wort kamen, sie aber im Prinzip ungehört blieben. Auch der von ihnen vorgetragene Hinweis, dass die Lage bei weitem nicht so dramatisch ist wie bisweilen berichtet wurden ist, wurde geflissentlich ignoriert. Natürlich sind Dramatisierungen in Hinblick auf Auflage, Einschaltquoten oder Verkaufszahlen interessant, aber darf man deshalb den Sinn für Realismus ausblenden? Die Tendenz, jugendliche Migranten als schlagende Horden darzustellen, spielt nicht nur Rechtsextremen in die Hände, sondern tut denen Unrecht, die für gelungene Integration und friedliches Zusammenleben stehen. Gewalt und gewalttätige Verhaltensmuster sind fast ausschließlich durch sozialisatorische Faktoren bedingt, den geborenen Gewalttäter gibt es so gut wie gar nicht. Deshalb sollte jede Gesellschaft darum bemüht sein, die wahren Gründe für gewalttätiges und aggressives Verhalten aufzudecken und zu eliminieren. Denn Gewalttaten sind immer ein sicheres Indiz dafür, dass in einer Gesellschaft etwas nicht stimmt. Aufgeregte Debatten und verzerrte Darstellungen sind da nur kontraproduktiv und lösen keine Probleme.
Aus dieser Sichtweise entstand der Entschluss, eine Arbeit zu verfassen, die aufzeigen soll, welchen Mehrfachbelastungen jugendliche Migranten ausgesetzt sind, die letztendlich dazu führen, dass sie in Relation zu deutschen Jugendlichen häufiger gewalttätig in Erscheinung treten. Auf Basis dieser Überlegungen, soll die Arbeit speziell die erschwerten Sozialisationsbedingungen von männlichen türkischen Jungen darstellen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zum Gewalt- und Aggressionsbegriff
- Theorien zur Erklärung von Gewalt und Aggression
- Psychologische Erklärungstheorien
- Psychoanalytischer Ansatz
- Frustration-Aggression-Theorie
- Theorie der Neutralisationstechniken
- Lerntheoretische Ansätze
- Das operante Konditionieren
- Lernen am Modell
- Theorie der differenziellen Assoziation bzw. Kontakte
- Soziologische Erklärungstheorien
- Subkulturtheorien
- Anomietheoretische Überlegungen
- Kulturkonflikttheorie
- Der Etikettierungsansatz (Labeling Approach)
- Psychologische Erklärungstheorien
- Ursachen und Erklärungsansätze
- Erziehung und Familienstruktur
- Erziehungsstile
- Innerfamiliäre Gewalterfahrungen
- Habitualisierung von Männlichkeitsnormen
- Schule und Bildungssystem
- Bildungssituation
- Bildungsaspiration
- Bildungssituation bzw. -beteiligung
- Gründe
- Gewaltfördernde Faktoren im Schulbereich
- Schulleistungen
- Schulabstinenz bzw. -schwänzen
- Hauptschule
- Bildungssituation
- Lebenslage und andere Sozialisationsfaktoren
- Sozioökonomische Bedingungen
- Freizeit
- Medienkonsum
- Einflüsse der Peergroup
- Religiöse Einflüsse
- Erziehung und Familienstruktur
- Zusammenfassung
- Präventions- und Lösungsstrategien
- Familienbezogene Prävention
- Außerfamiliäre Institutionen
- Kindertagesstätten
- Schulen
- Freizeit
- Resümee und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Erklärung von gewalttätigem Verhalten türkischstämmiger männlicher Jugendlicher in Deutschland. Ziel ist es, verschiedene Theorien zur Erklärung von Gewalt und Aggression in Hinblick auf die Situation dieser Jugendlichen zu untersuchen und zu bewerten. Darüber hinaus werden empirische Befunde aus der Dunkelfeldforschung aufgezeigt, die Risikofaktoren für Gewalt bei türkischen Jungen beleuchten. Schließlich sollen auf Basis dieser Erkenntnisse mögliche Präventionsmaßnahmen dargestellt werden.
- Theorien zur Erklärung von Gewalt und Aggression
- Empirische Befunde zur Gewalt von türkischen Jungen
- Risikofaktoren für Gewalt
- Präventionsmaßnahmen
- Sozialisationsbedingungen türkischstämmiger Jugendlicher in Deutschland
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Relevanz des Themas in Bezug auf die gesellschaftliche Debatte über Gewalt und Jugendkriminalität dar. Sie skizziert den Ausgangspunkt der Arbeit und die Forschungsfrage. Das zweite Kapitel widmet sich der Definition des Gewalt- und Aggressionsbegriffs. Es werden verschiedene Perspektiven auf den Begriff und seine verschiedenen Facetten beleuchtet. Im dritten Kapitel werden verschiedene Theorien zur Erklärung von Gewalt und Aggression vorgestellt und analysiert. Dies beinhaltet psychologische, lerntheoretische und soziologische Ansätze.
Das vierte Kapitel befasst sich mit den Ursachen und Erklärungsansätzen für gewalttätiges Verhalten türkischstämmiger Jugendlicher in Deutschland. Es werden Aspekte wie Erziehung, Familienstruktur, Schule und Bildungssystem sowie Lebenslage und andere Sozialisationsfaktoren analysiert.
Die Kapitel 5 und 6 beleuchten die Rolle von Schule, Bildungssystem, sozioökonomischen Bedingungen, Freizeit und religiösen Einflüssen auf das Verhalten türkischstämmiger Jugendlicher. Die Zusammenfassung der Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln bildet den Schwerpunkt des siebten Kapitels. Das achte Kapitel konzentriert sich auf Präventions- und Lösungsstrategien mit einem Fokus auf familienbezogene Prävention und außerfamiliäre Institutionen wie Kindertagesstätten, Schulen und Freizeitangebote.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt die Themen Gewalt, Aggression, Jugendkriminalität, türkischstämmige Jugendliche, Sozialisation, Familienstruktur, Erziehung, Schule, Bildung, Lebenslage, Freizeit, Medienkonsum, Peergroup, Religion, Prävention, Dunkelfeldforschung und Risikofaktoren.
- Arbeit zitieren
- Stefan Schmidt (Autor:in), 2008, Zur Erklärung des gewalttätigen Verhaltens türkischstämmiger männlicher Jugendlicher in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173905