Sozialkapital und Rechtsextremismus

Ist die ungarische Bevölkerung empfänglicher für rechtsextremistische Parteien als die Bevölkerung anderer EU-Staaten?


Seminararbeit, 2011

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sozialkapital und Rechtsextremismus
2.1. Was ist Sozialkapital?
2.2. Netzwerke
2.3. Bonding und Bridging Sozialkapital
2.4. Sozialkapital und Rechtsextremismus

3. Überprüfung der Thesen
3.1. Operationalisierung
3.2. Analytischer Ländervergleich

4. Zusammenfassung und Beantwortung der Forschungsfrage

5. Abbildungsverzeichnis

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Nach den sechsten Parlamentswahlen in Ungarn am 11. und 25. April 20101 erreichte die rechtsextreme Partei „Jobbik“2 12.2% der Sitze und zog somit als drittstärkste Fraktion in das ungarische Parlament ein. Das besondere an diesem Ereignis ist, dass die „Jobbik“ eine faschistisch-nationalsozialistische Ideologie vertritt und somit dem „harten“ Rechtsextremismus zuzuordnen ist. Im Gegensatz dazu steht die völkisch-nationalistische Ideologie „weicher“ Rechtsextremistischer Parteien, die bereits in vielen EU-Staaten erfolgreich sind (Jesse/Thieme 2010, 459).

Diese Konzentration von „harter“ rechtsextremer politischer Macht im Parlament eines der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist einmalig. Besonders auffällig ist hierbei, dass Ungarn den Entwicklungen in westeuropäischen Staaten folgt, in denen schon länger „weiche“ rechtsextremistische Parteien in den Parlamenten vertreten3 und auch teilweise an der nationalen Regierung beteiligt sind4. Angestoßen durch die Bedrohung, die diese Entwicklung für Freiheit, Demokratie und den Prozess der Europäischen Integration darstellt, wird in dieser Seminararbeit folgende Frage gestellt:

Ist die ungarische Bevölkerung empfänglicher für rechtsextremistische Parteien als die Bevölkerung anderer EU-Staaten?

Die Unterstützung rechtsextremistischer Parteien ist vielschichtig erklärbar und sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene lassen sich viele verschiedene Erklärungsansätze finden. Die Hauptansätze zur Erklärung von Rechtsextremismus lassen sich jedoch formal in drei Kategorien einteilen: psychologische, soziologische und politische Ansätze (Pfahl- Traughber 2006, 97).

Diese Seminararbeit konzentriert sich bei der Beantwortung der Fragestellung auf einen soziologischen Erklärungsansatz, der besagt, dass Art und Verteilung des sogenannten „Sozialkapitals“ in einer Gesellschaft erhebliche Auswirkungen auf diese hat (Putnam 1993, 163-185). Im vorliegenden Falle wird also der Versuch unternommen, Rechtsextremismus innerhalb einer Gesellschaft ausschließlich durch das Konzept des „Sozialkapitals“ zu erklären. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen: Als erstes wird das Konzept „Sozialkapital“ und dessen Komponenten „Vertrauen“, „Netzwerke“ und „Normen“ erklärt. Hierbei wird sich zeigen, dass in jeder Gesellschaft „Netzwerke" vorhanden sind, die das sogenannte "Bonding" und „Bridging“ fördern. „Bonding“ ist ein Effekt, der innerhalb von bestimmten „Netzwerken“ entsteht und die Errichtung und Verteidigung sozialer „Grenzen“ fördert. „Bridging“ Effekte hingegen überbrücken soziale und gesellschaftliche Grenzen (Pollak 2004, 31).

Aus dieser Erklärung wird die These abgeleitet, dass je mehr „Bonding“ in einer Gesellschaft vorhanden ist und je weniger „Bridging“, desto größer ihre Empfänglichkeit für rechtsextremistische Parteien ist. Anschließend wird diese These in einem analytischen Ländervergleich überprüft, bei dem die Daten des „Eurobarometer 223 - social capital“ benutzt werden. Sollten wirklich die Verteilungen von „Bonding“ und „Bridging“ innerhalb einer Gesellschaft für eine höhere Unterstützung von rechtsextremistische Parteien (mit-)verantwortlich sein, so sollten Staaten in denen rechtsextremistische Parteien besonders erfolgreich sind auch besonders hohe Verteilungswerte des „Bonding“ aufweisen, beziehungsweise niedrigere beim „Bridging“. Um die Fragestellung also zu bejahen, müsste allen voran die ungarische Gesellschaft zu allen anderen Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union erhebliche Unterschiede aufweisen.

2. Sozialkapital und Rechtsextremismus

Im folgenden Kapitel wird den Fragen nachgegangen, was genau Sozialkapital ist und wie es sich theoretisch zur Erklärung von Rechtsextremismus eignet. Ein besonderer Schwerpunkt wird hierbei auf einzelne Gruppierungen, den sogenannten Netzwerken gelegt. Die eventuelle Möglichkeit zur Erklärung von Rechtsextremismus durch eine Unterscheidung von verschiedenen Netzwerken und deren Effekten wird in folgendem Zitat hervorgehoben:

"Ob zentrische Gruppierungen nicht zur Zivilgesellschaft gehören, möchte ich aus dem […] Grund der fließenden Übergänge zwischen den beiden Gruppentypen hier offen lassen. Wenn aber diese Unterscheidung aufgenommen wird, wäre dies eine Möglichkeit, festzuhalten, dass zur Zivilgesellschaft die Fähigkeit zu Selbstrelativierung, zur Toleranz, zur Anerkennung des anderen als gleichwertig und damit ein inklusives Demokratieverständnis gehört.“ (Pollak 2004, 31)

2.1. Was ist Sozialkapital?

1993 veröffentlichte der amerikanische Politikwissenschaftler Robert David Putnam eine Studie mit dem vielversprechenden Titel: „Making Democracy Work“5. In dieser Studie hat er durch einen Vergleich verschiedener Regionen Italiens versucht, die unterschiedliche Effektivität6 der Regionalregierungen zu erklären. Putnams Hauptargument war, dass die unterschiedliche Effektivität der Regionalregierungen auf unterschiedlich hohes Sozialkapital in den Regionen zurückzuführen sei (Halpern 2005, 7-8). Was aber genau ist Sozialkapital? Nach Putnam handelt es sich bei dem Begriff Sozialkapital um einen Wert den eine Gesellschaft aufweist. Dieser Wert wird von Individuen innerhalb von Netzwerken durch gegenseitiges Vertrauen und der Norm der Reziprozität7 erzeugt. Der Gedankengang hierbei ist der, dass Menschen innerhalb von Netzwerken Vertrauen zueinander aufbauen. Ein Netzwerk ist eine interpersonelle Vereinigung. Es kann sich hierbei um ein formelles Netzwerk handeln, wie zum Beispiel einen Sportverein oder ein informelles Netzwerk, wie die Familie. Innerhalb dieser Netzwerke entsteht Vertrauen unter Individuen, was vor allem durch erfolgreiche Kooperation, aber auch durch die sogenannte „Vertrauens-Verleihung“ gefördert wird (Putnam|1993|163-185). Diese „Vertrauens-Verleihung“ funktioniert nach dem Prinzip:

„I trust you, because I trust her and she assures me that she trusts you.“ (Putnam 1993, 169)

Werte und Normen, vor allem die Norm der Reziprozität, tragen dazu bei, dass dieses Vertrauen gestärkt und Vertrauensmissbrauch sanktioniert werden kann (Putnam 1993, 171- 177). Im Endeffekt entsteht ein Kreislauf in dem Kooperation durch Vertrauen entsteht und weiteres Vertrauen aus Kooperation resultiert. Laut Putnam lässt sich Sozialkapital also folgender maßen zusammenfassen:

"By "social capital," I mean features of social life - networks, norms, and trust - that enable participants to act together more effectively to pursue shared objectives." (Putnam 1996, 34)

Aus dieser Definition wird erstens deutlich, dass die Eigenschaft der Individuen (Mikroebene) zu Eigenschaften der Gesellschaft (Makroebene) führen (Göhler-Robus 2005, 28) und zweitens, dass Sozialkapital als Eigenschaft einer Gesellschaft hilft das Dilemma des kollektiven Handelns8 kostengünstig zu überwinden (Schäfer 2006, 17). Das Dilemma des kollektiven Handelns besagt, dass Individuen sich bei der Herstellung von Kollektivgütern zurückhalten, sogar wenn sie hiervon einen Nutzen hätten (Putnam 1993, 163-176).

Sozialkapital fördert also die Kooperation innerhalb einer Gesellschaft und führt somit zur Entstehung einer sogenannten Zivilgesellschaft, in der öffentliche Güter produziert werden können (Fukuyama 2000, 7). Eine Zivilgesellschaft9 ist der öffentliche Raum innerhalb einer Gesellschaft, der zwischen der Privatsphäre von Individuen und dem Staat angesiedelt ist und sich aus selbst organisierten Vereinen, Netzwerken und Organisationen zusammensetzt (Geißel et al. 2004, 10-11). Als Ort des politischen Lernprozesses und Voraussetzung für die Demokratisierung der politischen Willensbildung (Klein 2000, 12) ist eine funktionierende Zivilgesellschaft eine der wichtigsten Gründe für eine hohe Sozialkapitalausstattung einer Gesellschaft. Putnams Zusammenfassung:

„[...] social capital makes us smarter, healthier, safer, richer and better able to govern a just and stable democracy.” (Putnam 2000, 290),

zeigt jedoch wie vielschichtig die Auswirkungen von Sozialkapital sein können. Die zahlreichen Einflüsse aus denen Sozialkapital resultiert, die Vielschichtigkeit der Auswirkungen von Sozialkapital auf die Gesellschaft und die Tatsache, dass sich schon viele Philosophen und Wissenschaftler10 vor Putnam mit dem Verhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Individuum befasst haben (Halpern 2005, 3), haben dazu geführt, dass es heute viele verschiedene Definitionen des Konzeptes Sozialkapital gibt. Vor allem aber haben die Definitionen von Pierre Bourdieu, der Sozialkapital als eine Form symbolischen Kapitals betrachtet (Göhler-Robus 2005, 26) und James Samuel Coleman, dessen Definition von Sozialkapital sehr allgemein ist (Halpern 2005, 7), zu der Konzeptualisierung des Begriffes durch Putnam beigetragen (Göhler-Robus 2005, 24-28).

Allerdings stellen sich bei einer solchen Vielzahl von Definitionen folgende Fragen: Wie lässt sich Sozialkapital am besten definieren? Und wie lässt sich Sozialkapital am reliabelsten operationalisieren? Auf beide Fragen fällt die Antwort sehr nüchtern aus. Laut Jan W. Van Deth ist eine Zusammenfassung11 des Begriffes Sozialkapital unangebracht und sowohl bei der Definition, als auch bei der Operationalisierung immer der Untersuchungskontext zu berücksichtigen (Van Deth 2008, 169). Van Deth unterteilt die Messung von Sozialkapital lediglich in strukturelle (z.B. Mitgliederzahlen in formellen Netzwerken) und kulturelle Aspekte (z.B. Vertrauen in andere Menschen), sowie in Individual- und Aggregatdaten (Van Deth 2008, 160).

Abschließend lässt sich sagen, dass Putnams Sozialkapitalkonzept die Sozial- und Politikwissenschaft dauerhaft geprägt hat und zu einer wahren „Explosion“ an empirischen Untersuchungen mit dem Schwerpunkt Sozialkapital geführt hat (Halpern 2005, 8-9). Allerdings hat Putnam nicht nur Lob für seine Arbeit bekommen: Viele Wissenschaftler kritisierten seine Fixierung auf die rein positiven Auswirkungen von Sozialkapital und betonen, dass bestimmte Arten „Exklusiven-Sozialkapitals“ auch gegebenenfalls negative Auswirkungen haben könnten. 2001 reagierte Putnam auf die Kritik und veröffentlichte sein zweites Buch über Sozialkapital: „Bowling Alone“12. In „Bowling Alone“ nimmt Putnam eine wichtige Unterscheidung zwischen „Social Bridging“, das die Herstellung von öffentlichen Gütern fördert und „Social Bonding“, das durch Exklusivität nur die Interessen der eigenen Gruppe fördert, vor (Rauer 2004, 212).

2.2. Netzwerke

Laut Putnam besteht jede Gesellschaft aus verschiedenen interpersonellen Netzwerken, die entweder vertikal oder horizontal organisiert sind. In „Making Democracy Work“ schreibt Putnam konkret:

„Any society - modern or traditional, authoritarian or democratic, feudal or capitalistic - is characterized by networks of interpersonal communication and exchange, both formal and informal. Some of these networks are primarily “horizontal,” bringing together agents of equivalent status and power. Others are primarily “vertical,” linking unequal agents in asymmetric relations of hierarchy and dependence.” (Putnam 1993, 173)

Putnams Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Netzwerken bezieht sich auf die innere Organisation der Netzwerke. Vertikale Netzwerke zeichnen sich durch eine hierarchische Organisationsstruktur aus, wie zum Beispiel innerhalb einer politischen Partei. Horizontale Netzwerke hingegen bestehen aus einer Vielzahl von Individuen, die in keinem beziehungsweise einem geringen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Horizontale Netzwerke sind somit heterogener und spannen Menschen unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergrundes ein, wie beispielsweise in einem Sportverein. Allerdings muss beachtet werden, dass in der Realität eine starke Vermischung horizontaler und vertikaler Netzwerken vorhanden ist. So hat, wie Putnam schreibt, sogar eine Bowling- Mannschaft einen Kapitän. Nach Putnam sind horizontale Netzwerke wichtiger für eine Zivilgesellschaft als vertikale, da sie Transaktionen13 fördern, die Norm der Reziprozität festigen, die Kommunikation erhöhen und dadurch schließlich Vertrauen schaffen (Putnam 1993, 173-174). Vertikale Netzwerke hemmen hingegen durch ihre hierarchische Organisationsstruktur und dem Abhängigkeitsverhältnis ihrer Mitglieder eine „ehrliche“ Kommunikation, erfolgreiche Kooperation und das Entstehen von Vertrauen (Putnam 1993, 163-176).

[...]


1 In 57 Wahlkreisen war ein zweiter Wahlgang notwendig.

2 Deutsch: Bewegung für ein besseres Ungarn.

3 Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien und Österreich (Jesse/Thieme 2010, 442).

4 Italien und Österreich (Jesse/Thieme 2010, 443).

5 Vollständiger Titel: "Making Democracy Work. Civic Traditions in Modern Italy".

6 Effektivität: Schnelligkeit des Handelns, Effizienz der Arbeit und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

7 Reziprozität bedeutet in diesem Falle eine gegenseitige Unterstützung in Tauschbeziehungen (Zmerli 2008, 45).

8 Vgl. "Logik des kollektiven Handelns" von Mancur Olson.

9 Auch „Bürgergesellschaft“, „Netzwerkgesellschaft“ und „Dritter Sektor“ genannt .

10 Aristoteles, Durkheim, Smith, Tocquevill, Bourdieu, Coleman.

11 "Bottom-up approach".

12 Vollständiger Titel: "Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community“.

13 Transaktion ist hier mit Kooperation gleichzusetzen

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Sozialkapital und Rechtsextremismus
Untertitel
Ist die ungarische Bevölkerung empfänglicher für rechtsextremistische Parteien als die Bevölkerung anderer EU-Staaten?
Hochschule
Universität Mannheim  (Lehrstuhl für Politische Wissenschaft und International Vergleichende Sozialforschung)
Veranstaltung
Einführung in die Politische Soziologie: Sozialkapital in Osteuropa
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
24
Katalognummer
V174049
ISBN (eBook)
9783640944507
ISBN (Buch)
9783656191551
Dateigröße
858 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sozialkapital, rechtsextremismus, bevölkerung, parteien, bevölkerung, eu-staaten
Arbeit zitieren
Adam Balogh (Autor:in), 2011, Sozialkapital und Rechtsextremismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174049

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