Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Vernetzung im Landkreis
Kooperation im klinischen Kontext
Kinder- und Jugendpsychiatrie
Tagespsychiatrische Klinik
Kinder- und Jugendpsychiater
Kinderstation des Kreiskrankenhauses
KinderärztInnen
Sozialpädiatrisches Zentrum
Niedergelassene DiplompsychologInnen und PsychotherapeutInnen
Kooperation mit Behörden und Justiz
Polizei
Justiz
Jugendamt
Schulamt
Kooperation im beraterischem Kontext
Beratungsstellen
Kooperation innerhalb der eigenen Einrichtung
Zusammenfassung der Kooperationsbedingungen im regionalen sozialen Netzwerk
Gemeinsame Reflektion
HelferInnenkonferenz
Kollegiale Fallbesprechung / Teamberatung10
Kollegiale Fallbesprechung / Intervision10
Supervision
Zusammenfassung Gemeinsame Reflektion
Schlussfolgerungen
Anmerkungen
Einleitung
Mein ursprüngliches Thema war es gewesen, den Bedingungen für eine selbstständige, nicht institutionell eingebundene psychotherapeutische Praxis nachzugehen, welches ich dann verwarf, weil ich vermutete, dass einE selbstständig arbeitende TherapeutIn eigentlich keine seriöse Opfer- oder TäterInarbeit anbieten kann – Opferarbeit ist nicht nur in meinem eigenen Erfahrungshorizont[1] ebenso Teamarbeit, wie auch TäterInnenarbeit grundlegend sich darauf gründet. Die Gründe liegen
- in der Spezifik psychotherapeutischen Arbeitens, das die alltäglichen Übertragungs- und Gegenübertragungsdynamiken zwischen Menschen und in deren Interaktionen durch den fokussierten Rahmen zu konzentrieren und dadurch im konstruktiven Fall produktiv zu nutzen vermag.
- in der Motivation therapeutisch arbeitender Menschen, dazu beizutragen, dass ein psychisch zu unterstützender Mensch sich in seinem / ihrem Leben positiver, wohler, verbundener und (erwartungs-)froher fühlen mag. Diese Motivation nährt sich aus der Fähigkeit empathischen Empfindens, das dazu beiträgt, über die zunächst vermuteten eigenen Beschränkungen und Grenzen hinaus, sich in ein Gegenüber einfühlen zu können. Diese ständig fließenden interaktiven miteinander gestalteten Grenzen dürfen nicht zu Verstrickungen und Übernehmen der Geschichte des Anderen führen – bedürfen somit der Bewusstheit und der Reflektion. Desgleichen trägt beides dazu bei, zu erkennen, welche eigenen biographischen und charakterlichen Anteile die professionelle Interaktion beeinflussen[2]. Diese Erkenntnis macht verantwortungsvolle wertschätzende Kommunikation möglich, für die die TherapeutIn beruflich angefragt ist[3].
- in der bearbeiteten Gewaltthematik per se.
Wird die – beruflich bedingte - fortlaufende Auseinandersetzung mit der Thematik naiv und ungeschützt betrieben, wird dies, auch beim optimistischsten Menschen- und Weltbild[4], vermutlich zu einer Erschütterung des Weltbildes führen, die sich durch Verlust des Vertrauens[5] – in die eigene Wahrnehmung und Begrenztheit, in eineN AndereN, in das Leben schlechthin – destruktiv kennzeichnet.
Dem hohen Stellenwert der sich ergänzenden und parallel laufenden Reflektionsmodi und Entschleunigungszeiten kann am leichtesten im instituionellen Rahmen nachgegangen werden; es sind im Folgenden qualitätssichernde Eckpunkte therapeutischer Arbeit aufgelistet, derer sich eine AngestelltE risikofreier bedienen kann, als eine selbstständige PsychotherapeutIn, die behandlungsfreie Zeiten zunächst einmal erwirtschaften muss:
- in derselben Institution individuelle Arbeit, die, wenn nicht in einem Team, so doch kollegial eingebunden und jederzeit kommunizierbar ist.
- Institutionelle Möglichkeit zu Einzel-, Team- oder Fallsupervision
- In die Arbeitszeit zu integrierende Netzwerkarbeit
- Fortbildungen, deren zeitliche / geldliche Verrechnung ausgehandelt werden kann
- Bildungsurlaub
- Auszeiten ohne Gehaltsverlust
- Bezahlte Urlaubszeiten
Aus der Praxis kenne ich das Widerstreben und die Unwilligkeit der niedergelassenen PsychotherapeutInnen, selbst an unseren Supervisionen, zu denen wir freundlich und kostenfrei einladen, mit teilzunehmen. Sind sie so einzuordnen, wie die Widerstände des Jugendamtes gegen längerfristige Maßnahmen auf dem Hintergrund finanzieller Vorsicht? Oder wie die Ängste der Schulen – inzwischen zum Teil mit Schulgeld - angesichts sich verringender SchülerInnenzahlen, die zum Verschweigen von Gewalt vor Ort führt? Geht es bei allem primär um den ökonomischen Faktor – oder ist er einer unter vielen?[6] Das kann gut sein, meine Gedanken werden ihn auch nicht außer Acht lassen, aber hier all den anderen, rein inhaltlichen Möglichkeiten nachgehen, da sie mir veränderungswilliger erscheinen.
Ich stelle daher kurz beschreibend die unterschiedlichen Kooperations- und Austauschmöglichkeiten, die ich kenne, exemplarisch vor. Der Überblick soll veranschaulichen, wie stark sich tatsächlich der interagierende Wechsel zwischen einer Beratungsstelle, die sich der Gewaltthematik stellt, mit den anderen Stellen des sozialen Netzwerks, darstellt, um dann Schlussfolgerungen für die Austauschmöglichkeiten einer selbstständig niedergelassenen TherarpeutIn zu ziehen.
Vernetzung im Landkreis
Kooperation im klinischen Kontext
Kinder- und Jugendpsychiatrie
Der Kontakt war mit unserer stationären Krisenclearingstelle häufig gegeben, hat sich im Laufe der Jahre minimiert. Die Qualität der Beziehungen, Beteiligungen, die nicht nur unsererseits angefragt wurden, war sehr personengebunden.
Jeff Koons „Tulips “
Tagespsychiatrische Klinik
Die vor ca. drei Jahren eröffnete Tagesklinik nimmt ihrerseits Kontakt auf, wenn es um Patientinnen geht, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. So wird meistens seitens der Klinik der Übergang zur ambulanten Betreuung mit einem gemeinsamen Kennenlerngespräch gestaltet.
Kinder- und Jugendpsychiater
Der Kinder- und Jugendpsychiater hat sich vor einigen Jahren hier niedergelassen und ist sofort ansprechbar, ruft umgehend zurück und nimmt sich Zeit für Kriseninterventionen, wenn sie angefragt werden. Er bildet, zusammen mit meinem Kollegen, das Therapeutenteam für eine Jungengruppe.
Kinderstation des Kreiskrankenhauses
Seit jeher, bedingt durch die Chefärztin und fortgeführt durch die neue Leitung, ruft die Station sofort an, wenn ein Verdacht auf Kindesmissbrauch vorliegt. Weiteres, auch unkonventionelles, Vorgehen wird miteinander besprochen. In vergangenen Jahren wurde auch bei diagnostisch unklaren Bauchsachmerzen bei uns angerufen. Der Zeitpunkt des Telefonats ist meistens, siehe Tageklinik, am Tag der Entlassung.
KinderärztInnen
Es gibt, ohne Ausnahme , keinen Kontakt, trotz Anschreiben, Veranstaltungen und Fortbildungen, die von der Landesärztekammer zertifiziert sind und gemeinsam mit BerufskollegInnen durchgeführt werden.
Sozialpädiatrisches Zentrum
Das SPZ wurde direkt nach der „Wende“ installiert. Meine Arbeit in der Erziehungs- beratungsstelle, die 1993 eröffnet wurde, machte es mir möglich, dort den Kontakt aufzunehmen und recht rasch begann eine Kooperation mit der dortigen Psychologin, die gerade eine verhaltenstherapeutische Ausbildung begonnen hatte. Zusammen verantworteten wir eine Gruppentherapie für hyperaktive Kinder, wobei es unser gemeinsam vereinbartes Ziel gewesen war, einige Symbole eines VT-Programmes, die der Entspannung dienen sollten, mit den teilnehmenden Kindern individuell psychodramatisch zu verankern.[7]
Mit viel Freude am gegenseitigen Kennenlernen und den Einblicken in die jeweils andere Methodik wurde diese Gruppe ein angenehmer Erfolg für die Teilnehmenden wie auch für uns beide – und der vertrauensvolle Kontakt war etabliert. In der Folge entwickelte sich die institutionelle Kooperation gut und rasch, das SPZ verwies weiter an uns, und als ich nach 5 Jahren zu meinem damals neuen und immer noch jetzigen Arbeitsplatz wechselte, wechselten die Überweisungen des SPZ ebenso. Der dortige Leiter, ein Kinder- und Jugendpsychiater, schied aus dem Berufsleben aus, seine Stelle nahm die Kinderärztin ein, die sich die Jahre zuvor interessiert und beständig im verhaltenstherapeutischen Bereich mit fortgebildet hatte. Die Kollegin, mit der ich die Gruppentherapie damals durchgeführt hatte, ließ sich als selbstständige Psychotherapeutin nieder, erst im eigenen Haus, nach einigen Jahren zog sie mit einer Kollegin zusammen, um dann wieder bei sich zu Hause zu praktizieren.
[...]
[1] Die „Qualitätsstandards der Thüringer Kinder- und Jugendschutzdienste“ legen großen Wert auf die konzeptionelle Festschreibung dieser Herangehensweise. Die für diese Arbeit interessanten Auszüge finden sich im Anhang in Anmerkung 1.
[2] „Zum einen können Fachkräfte (und deren PartnerInnen) sich und ihre Systeme durch Selbstfürsorge und hohe Reflexionsfähigkeit sowie Reflexionsbereitschaft schützen. Dies setzt ein Einlassen auf die eigenen Themen und Grenzen und eine bewusste Achtsamkeit mit sich selbst voraus. Zum anderen können Einrichtungen durch die Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen als tragendes und unterstützendes Netz der Fachsysteme einen wesentlichen Teil zum Schutz beitragen.“ (Gies, Hedi. S.12)
[3] Bild „LandArt“: http://www.atelier.ulrikeaepfelbach.de/typo3temp/pics/ca8f0411b2.jpg
[4] „Als Therapeuten und als Menschen verfügen wir über die wunderbare Fähigkeit, das Grausame und das Gemeine zu transzendieren. Tatsächlich kommt es in der Therapie durch Akte der Hingabe, Inspiration und Güte zu erstaunlichen Augenblicken. Würden wir uns selbst als Therapeuten und unsere Klienten als Menschen nicht idealisieren, wären wir nie fähig, so über uns selbst hinauszuwachsen, wie es nötig ist.“ (Madanes. S. 13ff)
[5] „Bis zu einem gewissen Grad muss sich der Therapeut von den Gefühlen seines Patienten überschwemmen lassen. Er muss darauf gefasst sein, dass er bei der Behandlung traumatisierter Patienten von Zeit zu Zeit sein Gleichgewicht verliert. Er ist nicht unfehlbar. Unabdingbar dafür, dass der Therapeut seine Arbeit tun kann, ist nicht Allmacht, sondern die Fähigkeit, anderen zu vertrauen (Hervorhebung von mir). Deshalb braucht ein Therapeut, der traumatisierte Patienten behandelt, unbedingt verlässlichen Rückhalt bei Kollegen.“ (Hermann, Judith Lewis. S. 209)
[6] Ich habe zudem überhaupt keine Vorstellungen vom durchschnittlichen Einkommen eines niedergelassenen Psychotherapeuten.
[7] Ich beschreibe hier detailliert, da dies den Kontext darstellt, in dem ich mich initiativ zurückgezogen hatte.