Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Moral bei Stirner und Nietzsche


Seminararbeit, 2009

29 Seiten


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Nietzsche und Stirner

3. Moral und Egoismus nach Max Stirner

4. Nietzsche

5. Zusammenfassung und Vergleiche

6. Landauer

7. Schluss

8. Literatur und Siglen

1. Einleitung

Friedrich Nietzsche beschäftigte sich mit wohl kaum etwas stärker als mit der Moral, und nur mit wenigem genauso sehr. Er kritisierte alles, was seiner Meinung nach Krankheiten seiner Zeit waren, und dazu gehörte vor allem die Moral. Zeitlebens war er eher einsam und zurückgezogen und von eigenen Krankheiten geplagt. Viele seiner Kritiker lasen davon einen Grund für seinen geistigen Zusammenbruch ab. Erst in seiner geistigen Umnachtung begann sein Ruhm, den er nicht mehr mitbekam, doch kurz vorher größenwahnsinnig erahnte. Ab da begann man seine Werke auch zu untersuchen, Quellen nachzuprüfen. Schnell wurden Ähnlichkeiten zu Max Stirner gesehen, der in dieser Zeit aber als Teufel unter den Philosophen galt. Eine große Diskussion unter Anhängern und Gegnern Nietzsches brach aus.

Tatsächlich aber bestehen wirklich viele Ähnlichkeiten zwischen Stirner und Nietzsche im Bereich der Moral[1]. Beide waren intelligente und fulminante Kritiker, beide verherrlichten das Starke über dem Schwachen und vernichteten die Moral. Diese Arbeit will untersuchen, wie die Ähnlichkeiten zwischen beiden Autoren im Bereich der Moral genau aussehen.

Zunächst wird hierbei auf einen Artikel von Bernd Laska zurückgegriffen und dieser vorgestellt. Laska meinte in intensiven Untersuchungen Beweise gefunden zu haben, dass Nietzsche selber Stirner gelesen hätte. Dies ist Ausgangspunkt der Überlegung, beide Autoren zu vergleichen. Als nächstes werden dann die Positionen und Ansichten beider Autoren vorgestellt und untersucht. Da beide teils sehr unterschiedlich in der Rezeption wiedergegeben wurden, sollen dementsprechend auch positive und negative Interpretationen vorgestellt werden. Jedoch gibt es derer mehr zu Nietzsche. Anschließend folgt ein Vergleich, der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Stirner und Nietzsche zeigen soll. Danach kommt noch ein kurzer Ausflug zu den Moralvorstellungen von Gustav Landauer, der in seinen ersten Jahren Anhänger beider Philosophen und eine Art lebender Beweis für die Verträglichkeit Nietzsches und Stirners war und dementsprechend in seiner Vorstellung beide wiedergab – und sie später überwand.

2. Nietzsche und Stirner

Bernd Laska meinte 2002 eine 'initiale Krise'[2] bei Nietzsche gefunden zu haben, ausgelöst durch Max Stirner und bewältigt durch Arthur Schopenhauer. Nach Mazzino Montinari stieß Nietzsche durch Zufall in einem Antiquitätenladen auf Schopenhauer in einer Zeit, „da [er] sich in der Abgeschiedenheit seines Zimmers zu konzentrieren suchte und sich nach der enttäuschenden Erfahrung des Bonner Jahres auf sich selbst besann.“[3] Erst durch die Lektüre fand er zu „einem neuen inneren Gleichgewicht“[4]. Montinari führt diese Depression allein auf Bonn zurück.

Laska jedoch fand in Nietzsches Biographie eine kurze Bekanntschaft mit einem ehemaligen Freund Stirners und baut auf diesem dünnen Fundament seinen Artikel über Nietzsches Stirner-Lektüre auf. Ihm zufolge hätte man schon 1897 das Thema Nietzsche und Stirner abgehakt, da Nietzsche geistig mit Stirner 'nichts zu tun haben könnte', und ähnlich wird es auch heute noch oft getan.[5] Und auch Montinari, einer der besten Nietzschekenner, übergeht diese Frage kurz in einem Nebensatz; wundert sich nur, dass Nietzsches Schwester unbedingt verhindern wollte, dass ihr Bruder mit Stirner in einem Atemzug genannt würde.[6]

Doch immerhin bleibt Laska nicht bei seinem kurzen 'Beweis'; natürlich zeigt er weitere Argumente in seinem Artikel auf. Z.B. würde Nietzsches Biograph Carl Janz Briefe zeigen, in denen von unbekannten Namen gesprochen wird: einem gewissen und unidentifizierbaren 'Markay', der nur Stirners Übersetzer J. H. Mackay sein kann und ein ebenso unbekannter Lauterbach, der jedoch immerhin einmal Stirners 'Einzigen' herausgab.[7] Weiter gäbe es in der Philosophiegeschichte auch andere prominente Beispiele von Autoren, die Stirner kannten aber sich über ihn ausschwiegen. Warum also nicht auch Nietzsche, der ja offenbar immerhin einen Freund Stirners kannte und eine 'Krise' hatte, aus der ihm nur Schopenhauer half? Immerhin fällt doch die kritische Haltung beider u.a. zur Moral und zum Christentum deutlich auf. Nietzsches Anhänger sahen in Stirner jedoch nur dessen Gegenstück[8], sowohl stilistisch als auch inhaltlich gibt es jedoch viele Gemeinsamkeiten.

Eduard Hartmann, späterer Gegner von Nietzsche, und F.A. Lange schrieben beide Bücher, in denen Stirner kurz erwähnt wird, die Nietzsche gut studierte und die er in seinen Werken teilweise auch benannte.[9] Hier beantwortet sich immerhin schon Montinaris verwunderte Frage, warum die Schwester Nietzsches eine Verbindung von ihm mit Stirner zu verhindern versuchte: Stirner war zu verpönt. Dies nutzte dann laut Laska auch Hartmann, um gegen Nietzsche zu polemisieren und ihn als Plagiator Stirners hinzustellen. Zuvor griff übrigens schon Nietzsche Hartmann an und zitierte die Seiten seines Werkes, in denen es um Stirner geht, ohne diesen jedoch selbst zu nennen.[10]

Laut Ida Overbeck, Frau eines engen Freundes von Nietzsche, hätte dieser einmal zu ihr persönlich gesagt, er fühle sich mit Stirner geistig verwandt. Die Richtigkeit dieser Aussage lässt sich natürlich nicht mehr überprüfen. Dieser Freund, Franz Overbeck, war jedoch auch der Meinung, dass Nietzsche den 'Einzigen' gelesen hätte.[11]

Im Folgenden geht Laska nur der Frage nach, wann Nietzsche Stirner kennengelernt und welche Folgen dies gehabt hätte. Nach Aussagen von I. Overbeck und Adolf Baumgärtner, einem Schüler Nietzsches, müsste es vor 1878 bzw. 1874 geschehen sein, bevor Nietzsche Hartmann oder Lange las. Für die damalige Zeit schrieb Nietzsche selber eine kurze Biographie, welche seine Biographen später stets nutzten, um seine damalige 'Krise' zu beschreiben.[12] Laska schildert, dass Nietzsche sich für die Zeit vor 1848 interessierte und in den zwei Wochen, die er bei Freunden der Familie in Berlin verbrachte, einen 'Veteran' dieser Zeit kennenlernte: Eduard Mushacke, den Freund Stirners. Was genau ihm dort gesagt bzw. mitgegeben wurde, stand aber vermutlich nur in dem Tagebuch, welches Nietzsche verbrannte.[13] Kurz nach seiner Rückkehr verfiel er in Depressionen. Später schildert er die Zeit ab dem Besuch in Berlin als düster, nicht wie zuvor als freudig, und ergänzt, dass er dann 'zufällig' Schopenhauer fand, der ihm darüber hinweg half.[14] Übrigens brach er damals auch plötzlich den Kontakt zu Mushacke ab.

Damit endet Laskas Darstellung, wie Nietzsche wahrscheinlich mit Stirner verbunden sein könnte.

Übrigens schilderte Rudolf Eisler in seinem Artikel über Nietzsche unkritisch und ohne Angabe von Gründen schon 1912, dass Nietzsche Stirner gekannt und gelesen hätte; das bei beiden vieles aber nicht alles ähnlich sei.[15]

3. Moral und Egoismus nach Max Stirner

Max Stirner (1806 – 1856) war ein harter Kritiker vor allem der Moral, der (ähnlich wie Nietzsche nach ihm) durch einen direkten und leicht verständlichen Schreibstil überzeugen konnte, der jedoch weniger in die Richtung der Dichter, sondern vielmehr in die des Volkes ging. Stirner sah die Moral als verlogenen Grund des Christentums dafür, die Gesamtheit über den Einzelnen zu stellen und wollte Gründe zeigen, warum es umgekehrt sein sollte.

Laut Stirner versuche jeder Mensch sich im Wirrwarr der Gesellschaft selbst zu finden. Dazu müsse er sich gegen fremde Eingriffe wehren, was zum Kampf um Selbstbehauptung führt. Der Sieger daraus wird Herr, der Unterlegene Untertan.[16] Bis hierhin schon, allein auf der ersten Seite, erinnert es durchaus an Hobbes und vor allem auch an den späteren Nietzsche. Weiter erklärt Stirner, dass man nach der Kindheit sich 'befreit', indem man dem Sinn der Dinge auf den Grund kommt.[17] Kurz darauf stößt man in seiner Entwicklung aber auf das schlechte Gewissen. Sobald man sich selbst, sich leibhaftig liebgewonnen hätte, würde man ein egoistisches Interesse um sich selbst entwickeln. Gedanken – Begriffe, die Form angenommen haben – kann man nun zerstören, sie als die bloßen Ideen die sie sind entlarven. Als Ergebnis ist man endlich sich selbst und hat alleinig Macht über sich.[18]

Stirner war auch, wie es für seine Zeit nicht ungewöhnlich war, ein großer Kritiker des Christentums. Gott – der hohe idealisierte Geist – sei eine Lüge.[19] Als Egoisten sähe das Christentum diejenigen an, die nicht sich selbst höheren Ideen opfern, sondern die dem eigenen Vorteil dienen. Wer Herrschaft ausübt, sei ein Egoist gegen die Idee der Freiheit. Die Christen verachten ihn, weil er nicht einem höheren Ideal, nicht der Allgemeinheit, sondern sich selber dient.[20]

Etwas, das man heilig nennen kann, das über einem stehe, gebe es nur für sogenannte unfreiwillige Egoisten. Diese sind zwar auf ihren Vorteil aus, doch glauben nicht sich als den höchsten Geist, sondern sehen über sich noch jemanden stehen. Ein solcher ist ein Egoist, will aber keiner sein und erniedrigt sich damit selbst, womit er wiederum aber auch seinen Egoismus befriedigt. Er sucht zwanghaft nach Idealen, um sich ihnen zu opfern, doch in Wirklichkeit will er nur frei sein; nicht bloß Geschöpf, sondern auch Schöpfer. Zurück zum Heiligen kommend sagt Stirner, dass etwas nur heilig ist, wenn es einem nicht eigen ist[21]. Und selbst Atheisten, die meinen Gott losgeworden zu sein, ersetzen innerlich ihren alten Glauben durch einen neuen, und weiterhin hängen sie den alten Idealen an.[22]

Stirner zufolge fände man, geht man einer Sache erstmal auf den Grund, meist ein Lügengespinst.[23] Doch der Mensch malt sich Ideen aus, hängt Idealen nach, hat fixe Ideen; Ideen, denen sich der Mensch unterwarf.[24] Dazu gehören z.B. das Christentum, aber auch die Sittlichkeit. Auch die Idee, dass der Mensch ein Gemeinschaftstier sei, ist solch eine fixe Idee laut Stirner. Dies nennt er die Besessenheit der Menschen.[25]

Speziell die Moral, die Sittlichkeit behandelnd, kommt er wieder auf das Christentum zurück. Selbst wenn der Mensch kein frommer Christ mehr sei, so verhalte er sich doch wie einer, sei ein sittlicher Christ. Die Gesellschaft mit ihrer Sitte und ihren Gesetzen formte sich unter Einfluss des Christentums, und auch wenn man behauptet dieses abgeworfen zu haben, so verhält man sich doch wie einst. Stirner klagt nun, dass, geht man selbst gegen die Sittlichkeit an, plötzlich die Gegner des Christentums sich mit den Christen gegen den, der dort rüttelt, vereinen.[26] Alle Gegner, die das Christentum je hatte, seien sittliche gewesen. So lehnte Proudhon die Religion zwar ab, doch kämpfte für die Sittlichkeit.[27] Religion sei übersetzt das 'Gebundene', und das bleibt man auch ohne Religion. Die Sittlichkeit habe sich von der Religion emanzipiert und würde nicht mehr in Geboten, sondern durch die Vernunft begründet werden.[28] Seine Kritik an der Moral liegt in bekannten Argumenten, z.B. sei einiges für die Menschen ein Fall von ruchlosen Mordes, Menschen, die für ihre Freiheit gegen Tyrannen kämpfen seien ebenso Mörder, Mord für den Staat sei der legalste von allen usw. Denn die Richtlinie, so stellt er fest, ist die korrekte gesetzliche Gesinnung. Nur wenn diese stimmt, sei man nach Gesetz sittlich und tut das Richtige.[29] Ein anderer klassischer Fall ist die Zensur, welche die meisten verachten und es doch unsittlich sei, sich ihr nicht zu beugen.

Oppositionen der Regierungen können nicht gedeihen, weil sie nach Sitte und Gesetz handeln müssen. Dieser Heuchelei zu dienen, obwohl man etwas anderes möchte, zerreißt den Menschen.[30] Der Feind des Sittlichen ist der Unsittliche; die Sitte kennt nur Schwarz und Weiß. Würde sie anderes kennen, würde sie gegen ihre eigenen Gesetze handeln; würde nicht mehr sittlich sein.[31] Stirner schlussfolgert, dass, wenn die Sittlichkeit gewinnt, ein sogenannter vollständiger Herrenwechsel eingetreten ist.[32] Es gäbe dann also einen neuen Herren: die Sitte; nicht mehr Gott oder einen Herrscher. Stirner erkannte, dass die Moral aber den Herrschenden diente, indem sie ihnen Ansichten wie die Opferbereitschaft auferlegte.

Auch schien er verschiedene Formen von Moral zu erkennen. Die Moral des Bürgertums z.B. beschreibt er als mit ihrem Wesen verknüpft: Gute Menschen haben dort Arbeit, ein ehrliches Gewerbe und handeln 'moralisch'. Unmoralische dagegen haben kein festes Einkommen, ihr Leben ist nicht sicher und daher gefährlich.[33] Deshalb verachtet die bürgerliche Gesellschaft auch die Armut und die Proletarier, doch erzieht aus ihnen seine Diener, seine Sklaven.[34] Ähnlich wie Nietzsche ist Stirner jedoch gegen den Sozialismus, da dort alle Menschen einfach nur gleich arm gemacht werden würden.[35]

[...]


[1] Wobei Stirner sie fast durchgängig Sitte nennt, Nietzsche dagegen fast durchgängig Moral. Beide scheinen aber die Begriffe für synonym zu halten und verstehen dasselbe hierunter.

[2] Vgl. Laska, Bernd: Nietzsches initiale Krise. Die Stirner-Nietzsche-Frage in neuem Licht. In: Germanic Notes and Reviews, vol. 33, n. 2, fall/Herbst 2002, S. 109-133.

[3] Montinari, Mazzino: Friedrich Nietzsche. Eine Einführung. Berlin: de Grutyer 1991, S. 35.

[4] Vgl. ebd., S. 36.

[5] Vgl. Laska, a.a.O., S. 111.

[6] Vgl. Montinari, a.a.O., S. 135.

[7] Vgl. ebd., S. 113.

[8] Vgl. ebd., S. 114f.

[9] Vgl. ebd., S. 117.

[10] Vgl. ebd., S. 118ff.

[11] Vgl. ebd., S. 120f.

[12] Vgl. ebd., S. 123.

[13] Vgl. ebd., S. 124.

[14] Vgl. ebd., S. 125.

[15] Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Leben, Werke und Lehren der Denker, 1912.

Online: http://www.textlog.de/nietzsche.html (abgerufen 22.06.2009).

[16] Vgl. EE 1

[17] Vgl. EE 2

[18] Vgl. EE 10ff.

[19] Vgl. EE 25

[20] Vgl. EE 30

[21] Vgl. EE 36f.

[22] Vgl. EE 38.

[23] Vgl. EE 40.

[24] Vgl. EE 43.

[25] Vgl. EE 44f.

[26] Vgl. EE 46f.

[27] Vgl. EE 48.

[28] Vgl. EE 51.

[29] Vgl. EE 52.

[30] Vgl. EE 54.

[31] Vgl. EE 56f.

[32] Vgl. EE 59.

[33] Vgl. EE 119.

[34] Vgl. EE 121.

[35] Vgl. EE 124.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Moral bei Stirner und Nietzsche
Hochschule
Universität Leipzig
Autor
Jahr
2009
Seiten
29
Katalognummer
V174279
ISBN (eBook)
9783640947188
ISBN (Buch)
9783640946921
Dateigröße
466 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gemeinsamkeiten, unterschiede, moral, stirner, nietzsche
Arbeit zitieren
Andre Schuchardt (Autor:in), 2009, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Moral bei Stirner und Nietzsche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174279

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