Der Begriff `Neue Sinnlichkeit´ kursiert derzeit sowohl im Feuilleton als auch in germanistischer
Fachliteratur als Schlagwort für die neueste literarische und philosophische
Entwicklung. Die grobe Verallgemeinerung, die derartige Begriffe stets beinhalten,
darf nicht den Blick verstellen für die intendierte fundamentale Erschütterung vorherrschender
westlicher Erkenntniskonzepte und Blickwinkel der Selbstgewahrwerdung.
Die Anbindung jeglicher Erkenntnisfähigkeit an sinnliche Wahrnehmung und
(körperliche) Erfahrung bedeutet eine eminente Aufwertung der Leiblichkeit und damit
der Materie.
Es gilt aufzudecken, welche Positionen im Diskurs um die Wahrnehmung von Wahrnehmung
jeweils eingenommen werden. Das Feld wird einerseits abgesteckt durch
die Annahme, es handle sich um einen rein rezeptiven Akt, Wahrnehmung bestehe
sozusagen im Eindringen von Qualitäten existenter Entitäten in das psychische System
des Menschen, und der konstruktivistischen Auffassung andererseits, die davon
ausgeht, daß die neurologisch erzeugten Wahrnehmungsinhalte eine Interpretation
des Neuronencodes darstellen, die keinerlei Schlüsse auf die (möglicherweise vorhandenen)
Objekte zulassen. Wahrnehmung kann also durchaus nicht unproblematisch
als Fundament einer Erkenntnistheorie gesetzt werden.
Gleichzeitig legt das Attribut `neue´ nah, daß eine Abgrenzung von bisherigen Konzepten
stattfindet, die es qualitativ erlaubt, die Dichotomie `alt´ vs. `neu´ zu bemühen.
Natürlich handelt es sich nicht um eine gänzlich neue Denkfigur, die ohne historische
Vorläufer auskäme. Zu nennen wäre hier etwa das Prinzip der `sinnlichen Erkenntnis´
im ästhetischen Modell Baumgartens ebenso wie der Gegenpol Goethe als Vertreter
der `klassischen´ Sinneshierarchie. Beispielhaft können die Veränderungen an einzelnen
Motiven, wie dem des Spiegels, dargelegt werden.
Trotz aller Heterogenität sind die Linien – zumindest in der Theorie – recht deutlich zu
erkennen. Die traditionelle Sinneshierarchie mit dem Distanzsinn Auge als höchstem
Sinn erfährt eine radikale Umwertung. Die sogenannten niederen Sinne, die Nahsinne,
und hier insbesondere das Taktile, werden zur zentralen Größe des Selbstgewahrwerdens. Der Begriff der `Unmittelbarkeit´ tritt in seiner ganzen körperlichen Dimension
an die Stelle des Wahrheitsbegriffs. Die transzendentale Obdachlosigkeit
kann so durch die sinnliche Heimat wettgemacht werden. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das konstruktivistische Paradigma
- Eindringen der Welt....
- Konstruierte Welten........
- Sinneshierarchien..........\li>
- Das Primat der Objektivität.
- Das Primat der Unmittelbarkeit..
- Malerei vs. Plastik
- Sehen.....
- Blinde Flecken und Blendungen .......
- Hören..........\li>
- Riechen.......
- Schmecken..........\li>
- Tasten..........\li>
- Propriozeption......
- Körperbilder und -diskurse..
- Körper und Zeichen.........
- Der gezeichnete Körper
- Verdrängte Körper
- Körper in Bewegung
- Haut
- Offener vs. geschlossener Körper.
- Häutungen...
- Am eigenen Leib erfahren: Raum und Zeit.........
- Künstliche Intelligenz: Die leiblose Maschine?
- Beruhigung im Unbewußten?.
- Identitätsbildung..........\li>
- Selbstbegegnungen..
- Eigenleib und Körperding .....
- Selbstbewußtsein.
- Die Entstehung des Subjekts (historische Perspektive).............
- Intimisierung der Gesellschaft.
- Emanzipation vom Leib
- Geschlechterrollen..
- Der Andere ......
- Der Blick
- Der Versuch, den Anderen zu lesen..
- Zersplitterungserscheinungen.......
- Geschwindigkeit...
- Die verdoppelte Realität: das Medium Film..
- Virtuelle Realität..
- Spiegelungen..
- Präsenz und Repräsentation.............
- Ähnlichkeit vs. Repräsentation...........
- Der konstitutive Charakter des Zeichens: Saussure
- Der Verlust der Präsenz: Derrida
- Der Sündenfall der Sprache'.
- Ästhetischer Widerstand: Jetzt, Präsenz und Körper............
- Erkenntnis.........
- Sinnliche Erkenntnis
- Umkehr der Lichtmetaphorik...
- Sinnliche Heimat?.
- Die Einbildungskraft .............
- Der Beobachter............
- Schein und Sein …………………………………..\li>
- Verlust der Transzendenz.
- Die Simulation..
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit analysiert die Rolle der sinnlichen Wahrnehmung und des Körperdiskurses in der Gegenwartsliteratur. Sie beleuchtet, wie diese beiden Elemente zur Konstruktion von Wirklichkeit und Identität in literarischen Texten beitragen.
- Konstruktivistische Ansätze in der Literaturwissenschaft
- Die Bedeutung des Körpers als Zeichen und Medium
- Die Rolle der Sinne in der Wahrnehmung und Erfahrung
- Die Entstehung und Entwicklung von Identität im Kontext des Körpers
- Die Auswirkungen von Medien und Technologie auf die Wahrnehmung und den Körper
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung präsentiert das konstruktivistische Paradigma als theoretischen Rahmen für die Analyse. Sie untersucht verschiedene Sinnesmodalitäten und ihre Bedeutung in der Literatur. Kapitel 2 befasst sich mit Körperbildern und -diskursen, die in der Literatur vorkommen. Die Rolle des Körpers als Zeichen und die Bedeutung der Haut werden hervorgehoben. Kapitel 3 analysiert die Identitätsbildung im Kontext des Körpers. Es betrachtet verschiedene Perspektiven auf die Entstehung und Entwicklung von Identität.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt zentrale Themen wie sinnliche Wahrnehmung, Körperdiskurs, Konstruktivismus, Identität, Gegenwartsliteratur, Literaturwissenschaft, Medien und Technologie, Zeichen, Wahrnehmung, Erfahrung, Subjektivität, Körperbilder, Körperlichkeit, Häutung, Selbstbewusstsein, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, Propriozeption, Raum und Zeit.
- Arbeit zitieren
- Meike Adam (Autor:in), 2001, Neue Sinnlichkeit? Sinnliche Wahrnehmung und Körperdiskurs in Texten der Gegenwartsliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17429