Wenn es um generelle Lösungsansätze für die im Gesundheitssystem vermuteten Problemstellungen geht, wird vor allem der Terminus Case Management in aktuelle gesundheitspolitische Überlegungen immer wieder einbezogen.
Der Sachverständigenrat für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen beispielsweise hält Case Management für ein sehr wichtiges Zukunftsinstrument.
Dabei wird der Begriff Case Management inhaltlich keineswegs einheitlich ausgelegt.
Die unterschiedlichen praktischen Anforderungen an das Instrument Case Management im deutschen Gesundheitswesen scheinen mit den Vorgaben der Theorie kaum in Einklang gebracht werden zu können.
Um diesen Sachverhalt näher zu beleuchten, folgt die vorliegende Arbeit dem Case Management-Ansatz aus der Theorie in die Praxis.
Der Autor wählt dafür ein deduktives Vorgehen vom Allgemeinen zum Speziellen:
In einem theoretischen Teil wird zunächst generell auf das Konzept des Case Management-Modells eingegangen, bevor sich die Betrachtungsperspektive auf das Gesundheitswesen fokussiert.
Die in diesem Bereich an das Instrument Case Management gerichteten Zielvorstellungen und Erwartungen werden in der Folge ebenso vorgestellt wie wichtige Definitionsversuche und Systematisierungsschemata aus der Fachliteratur.
Im nächsten Schritt arbeitet der Autor die Besonderheiten und Rahmenbedingungen für den CM-Ansatz im Krankenhaussektor heraus.
Ein kurzer Überblick zum aktuellen Entwicklungsstand des klinischen Case Managements in Deutschland bildet dann die Brücke zur Beschreibung eines konkreten
Beispiels.
Die praktische Anwendbarkeit von Case Management wird an der Implementierung des Instrumentes am St. Anna Krankenhaus in Sulzbach-Rosenberg aufgezeigt.
Die Ausgangslage der Klinik, die Intention zur Einführung von Case Management, die Vorbereitungsphase und die konkrete Umsetzung werden dargestellt.
Eine erste Zwischenbilanz geht sowohl auf die positiven Wirkungen von CM als auch auf die Probleme bei der Anwendung ein. Außerdem werden Empfehlungen zur Weiterentwicklung des konkreten CM-Ansatzes gegeben.
Aus dem geschilderten Exempel heraus wird dann versucht, allgemeine Aussagen über Kongruenz bzw. Divergenz von Theorie und Praxis im Case Management zu treffen.
Die Arbeit schließt mit einer persönlichen Stellungnahme des Autors zum Potenzial und zur Zukunft des Case Managements in den deutschen Krankenhäusern.
Inhaltsverzeichnis
Gesetzesverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anlagenverzeichnis
1 Zu Intention und Aufbau dieser Arbeit
2 Theoretische Grundlagen des Case Managements
2.1 Die historische Entwicklung
2.2 Grundlagen von CM im Gesundheitswesen
2.2.1 Übergeordnete Ziele
2.2.2 Definitionen
2.2.3 Case Management-Dimensionen
2.2.3.1 Gestaltungsebenen
2.2.3.2 Kernfunktionen
2.2.3.3 Phasen
2.2.3.4 Berufsmuster
2.2.4 Systematisierung vorhandener Modelle
2.2.5 Ziele des Case Management-Ansatzes
3 Case Management im Krankenhaus
3.1 Hemmende Faktoren
3.1.1 Das komplexe System
3.1.2 Die Expertenorganisation
3.1.3 Die ungeklärte Rolle von CM
3.2 Fördernde Faktoren
3.2.1 Die demografische Entwicklung
3.2.2 Gesundheitspolitische Intentionen
3.2.2.1 Gesetzliche Regelungen
3.2.2.2 Das G-DRG-System
3.3 Der aktuelle Stand an deutschen Kliniken
4 Case Management am St. Anna Krankenhaus
4.1 Die Ausgangslage
4.2 Beweggründe zur Einführung von CM
4.3 Die Vorbereitungsphase
4.3.1 Organisatorische Eingliederung
4.3.2 Das Case Management-Team
4.3.3 Der Auftaktworkshop
4.3.3.1 Die Vision
4.3.3.2 Die langfristigen Ziele
4.3.3.3 Der Zeitplan
4.3.4 Die Schulungsphase
4.3.5 Die Informationsveranstaltungen
4.3.6 Sonstige Vorbereitungen
4.4 Die Umsetzung
4.4.1 Tagesablauf und Dienstplanung
4.4.2 Die Integration in die Leistungsprozesse
4.4.3 Die CM-Dokumentation
4.4.4 Die Kontaktaufnahme mit den Kunden
4.5 Eine erste Zwischenbilanz
4.5.1 Finanzielle Ergebnisse
4.5.1.1 DRG-Kennzahlen
4.5.1.2 Rechnungsstellungen
4.5.1.3 MDK-Fallprüfungen
4.5.2 Der Behandlungsprozess
4.5.2.1 Das Aufnahmemanagement
4.5.2.2 Das Behandlungsmanagement
4.5.2.3 Das Entlassungsmanagement
4.5.3 Sonstige Entwicklungen
4.5.4 Probleme in der Umsetzung
4.6 Empfehlungen zum weiteren Vorgehen
5 Über Anspruch und Wirklichkeit im Case Management
Quellenverzeichnis
Anlagen
Gesetzesverzeichnis
GKV-WSG:
Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, GKV-WSG) vom 26. März 2007, (BGBl. 2007 I Nr.11: 378), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 28. Mai 2008, BGBl. 2008 I: 874.
KHG:
Krankenhausfinanzierungsgesetz.
Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze vom 29. Juni 1972 (BGBl. 1972 I: 1009), neugefasst durch Bekanntmachung vom 10 April 1991 (BGBl 1991 I: 886), zuletzt geändert durch Artikel 18 des Gesetzes vom 26. März 2007, BGBl. 2007 I: 378, 455.
SGB V:
Sozialgesetzbuch. Fünftes Buch -Gesetzliche Krankenversicherungvom 20. Dezember 1988 (BGBl. 1988 I: 2477, 2482), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 28. Mai 2008, BGBl. 2008 I: 874.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Case Management-Ziele nach Zeithorizont (eigene Darstellung).
Quelle: Satinsky 1995: 3.
Tabelle 2:
Archetypen des Case Managements nach Moxley (eigene Darstellung).
Quelle: Klug 2005: 49.
Tabelle 3:
Systematisierung von CM-Modellen (eigene Darstellung).
Quelle: Werthemann 2006: 64 f..
Tabelle 4:
Ziele und Maßnahmen von Case Management im Gesundheitswesen (eigene Darstellung). Quellen: Werthemann 2006: 65; svr-gesundheit 2007: 151.
Tabelle 5:
CM-Entwicklungsstufen und Zeithorizont im St. Anna Krankenhaus (eigene Darstellung).
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Übersicht über die Abteilung Medizin Management im St. Anna Krankenhaus (eigene Darstellung)
Abbildung 2: Die Case Management-Vision: Case Management als Bindeglied innerhalb der Organisation und mit der Unternehmensumgebung (eigene Darstellung, entwickelt nach Berchtold, Schmitz 2008: 21)
Abbildung 3: Qualität und Wirtschaftlichkeit durch Case Management (eigene Darstellung)
Abbildung 4: Kooperation zwischen CM und Medizin im Behandlungsprozess (eigene Darstellung)
Abbildung 5: Der CM-Stempel (eigene Darstellung, entwickelt nach Toth 2007: 18)
Abbildung 6: Vergleich Case Mix Index 2007 und 2008 (eigene Darstellung) Quelle: St. Anna Krankenhaus 2008b
Abbildung 7: PCCL-Verschiebung 2007/2008 (eigene Darstellung) Quelle: St. Anna Krankenhaus 2008b Roland Ganzmann Matrikel-Nr. 1082454 Seite 7 von
Abbildung 8: Zeitraum zwischen Entlassung und Rechnungsstellung (eigene Darstellung) Quelle: St. Anna Krankenhaus 2008b
Abbildung 9: MDK-Fallkonferenzen. Verlust in % der verhandelten Gesamtsumme bei arztkodierten Fällen (eigene Darstellung) Quelle: St. Anna Krankenhaus 2008b
Abbildung 10: MDK-Fallkonferenzen. Verlust in % der verhandelten Gesamtsumme bei CM-kodierten Fällen (eigene Darstellung) Quelle: St. Anna Krankenhaus 2008b
Abbildung 11: Überschreitungen der OGVD in Tagen 2007 und (eigene Darstellung) Quelle: St. Anna Krankenhaus 2008b
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anlagenverzeichnis
Anlage 1: Case Management Schulungskalender. 95
Anlage 2: Fieberkurve mit Raum für 96 Case Management-Dokumentation (Teildarstellung).
Anlage 3: Stationär oder AOP: 97 Standardisiertes Vorgehen.
Anlage 4: Abteilung Medizinmanagement. 98 Monatsgespräch mit Fachabteilung. Protokollvorlage.
Anlage 5: Pneumonie. 99 Vorgaben zur Verlaufsdokumentation in Anlehnung an die geforderten Angaben zur Qualitätssicherung / QS-Bögen.
Anlage 6: Chronische Niereninsuffizienz. 100 Hinweise zu Diagnostik und Kodierung.
Anlage 7: Behandlungsprozess Knie-TEP. 101 Übersicht Prozesskosten.
Erfassung durch Team Case Management.
1 Zu Intention und Aufbau dieser Arbeit
Desintegration und Diskontinuität werden zu den zentralen Problemen innerhalb von und zwischen den budgetierten Sektoren des Gesundheitswesens gezählt. Sie scheinen auch ein Grund für mangelnde Effizienz und Effektivität, für fehlende Transparenz und Qualität sowie für unzureichende Patienten- und Ergebnisorientierung zu sein (vgl. Ewers, Schäffer 2005: 8 f.).
Die politischen Bemühungen der letzten Jahre waren deshalb unter anderem darauf ausgerichtet, die Voraussetzungen für kontinuierliche und integrierte Versorgungsstrukturen zu schaffen.
Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass es durchaus auch Experten gibt, die das deutsche Gesundheitssystem gerade im internationalen Vergleich sehr positiv beurteilen (vgl. zum Beispiel IGSF 2005: 1 ff.).
Wenn es um generelle Lösungsansätze für die im System vermuteten Problemstellungen geht, wird vor allem der Terminus Case Management in aktuelle gesundheitspolitische Überlegungen immer wieder einbezogen.
Der Sachverständigenrat für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen beispielsweise hält Case Management für ein sehr wichtiges Zukunftsinstrument. Der Ausdruck wird im entsprechenden Gutachten aus dem Jahr 2007 mehr als einhundertmal verwendet (vgl. svr-gesundheit 2007: 142 ff.).
Das vielfältige Fort- und Weiterbildungsangebot zum Thema hat sich bereits bis in den Hochschulbereich ausgeweitet und ist mittlerweile kaum mehr überschaubar (vgl. zum Beispiel Fachhochschule Potsdam 2008).
Dabei wird der Begriff Case Management inhaltlich keineswegs einheitlich ausgelegt. Die Interpretationen der Praktiker sind zum Teil sogar sehr divergierend.
Die unterschiedlichen praktischen Anforderungen an das Instrument Case Management im deutschen Gesundheitswesen scheinen mit den Vorgaben der Theorie kaum in Einklang gebracht werden zu können.
Um diesen Sachverhalt näher zu beleuchten, folgt die vorliegende Arbeit dem Case Management-Ansatz aus der Theorie in die Praxis.
Der Autor wählt dafür ein deduktives Vorgehen vom Allgemeinen zum Speziellen: In einem theoretischen Teil wird zunächst generell auf das Konzept des Case Management-Modells eingegangen, bevor sich die Betrachtungsperspektive auf das Gesundheitswesen fokussiert.
Die in diesem Bereich an das Instrument Case Management gerichteten Zielvorstellungen und Erwartungen werden in der Folge ebenso vorgestellt wie wichtige Definitionsversuche und Systematisierungsschemata aus der Fachliteratur.
Im nächsten Schritt arbeitet der Autor die Besonderheiten und Rahmenbedingungen für den CM-Ansatz im Krankenhaussektor heraus.
Ein kurzer Überblick zum aktuellen Entwicklungsstand des klinischen Case Managements in Deutschland bildet dann die Brücke zur Beschreibung eines konkreten Beispiels.
Die praktische Anwendbarkeit von Case Management wird an der Implementierung des Instrumentes am St. Anna Krankenhaus in Sulzbach-Rosenberg aufgezeigt.
Die Ausgangslage der Klinik, die Intention zur Einführung von Case Management, die Vorbereitungsphase und die konkrete Umsetzung werden dargestellt. Eine erste Zwischenbilanz geht sowohl auf die positiven Wirkungen von CM als auch auf die Probleme bei der Anwendung ein. Außerdem werden Empfehlungen zur Weiterentwicklung des konkreten CM-Ansatzes gegeben.
Aus dem geschilderten Exempel heraus wird dann versucht, allgemeine Aussagen über Kongruenz bzw. Divergenz von Theorie und Praxis im Case Management zu treffen.
Die Arbeit schließt mit einer persönlichen Stellungnahme des Autors zum Potenzial und zur Zukunft des Case Managements in den deutschen Krankenhäusern.
2 Theoretische Grundlagen des Case Managements
Der Case Management-Ansatz ist zwar nicht primär für das Gesundheitswesen entwickelt worden, besitzt jedoch vor allem in den USA, in Kanada und in Australien bereits eine lange praktische Tradition in den jeweiligen Gesundheitssystemen.
In Deutschland zeigten die zentralen Berufsgruppen - Krankenhausmanager, Ärzte und Pflegende - lange Zeit kaum Interesse an der Diskussion über die Einführung von Case Management-Modellen.
Erst die Einführung des G-DRG-Systems in den Jahren 2003 und 2004 hat dies verändert und Case Management zu einem fast schon inflationär verwendeten Ansatz zur Lösung der Probleme des deutschen Gesundheitssystems werden lassen. Denn im DRG-Zeitalter sollen Gesundheitsdienstleistungen vernetzt, eine kontinuierliche Versorgung garantiert und bessere Ergebnisse erzielt werden. Die Qualität der Patientenversorgung ist zu steigern und die vorhandenen Ressourcen sind effizient zu nutzen.
Das DRG-System und die demografische Entwicklung verlangen speziell von den Kliniken eine erhebliche Produktivitätssteigerung und eine Erhöhung ihrer Anpassungsfähigkeit. Die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus sinkt trotz tendenziell höherer Morbidität der Patienten, die Fallzahl steigt dagegen bei sinkender Betten- und Krankenhausanzahl an (vgl. Köpfer 2008: 1 f.).
Deshalb müssen auch und vor allem im Klinikbereich Qualitätsdefizite, unnötig hohe Kosten und Ineffizienzen in der Versorgung beseitigt werden.
Dem Case Management-Ansatz wird das Potenzial zur Bewältigung dieser Aufgabe vielerorts zugesprochen.
2.1 Die historische Entwicklung
Die ersten Ansätze von Case Management wurden in Amerika entwickelt. Sie werden gewöhnlich bis in das Jahr 1863 rückdatiert, als Bürgerkrieg und Sklaverei unter der Präsidentschaft Lincolns ein Ende fanden.
Der amerikanische Staat befand sich im Neuaufbau, sehr viele Siedler und Einwanderer mussten versorgt werden. Für die Koordination dieser Aufgabe wurden sogenannte Boards of Charities und Charity Organization Societies gegründet.
Es waren in dieser Zeit zunächst meist ehrenamtliche Helfer, die den Versorgungsbedarf erhoben und systematisch dokumentierten.
Sozialwissenschaftler sprechen im Rückblick vom traditionellen Case Management. CM entstand also zunächst im Bereich der Sozialen Arbeit und wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest in entsprechende Konzepte wie case coordination, service integration und service coordination eingebaut (vgl. Ewers 2005: 41).
Erst ca. 1940 fand der CM-Ansatz auch im Gesundheitswesen erstmals Anwendung. Das sog. Medical Case Management gewann dann nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges rasch an Einfluss.
Es gab in dieser Zeit viele Menschen mit komplexen Problemstellungen (Kriegsverletzte, psychisch Erkrankte) und gleichzeitig ungesicherter Finanzierung. Case Management wurde angewendet, um den Betroffenen im unstrukturierten System Hilfestellung anbieten zu können.
Nach Jahren der Expansion und Prosperität trat in den 60ern ein Grundproblem im amerikanischen Gesundheitssystem immer mehr in den Vordergrund: die fragmentierte und diskontinuierliche Versorgung. Verschiedene Reformen sollten die Gesundheitsversorgung sichern. Hierbei entstanden auch die ersten sozialen Krankenversicherungen Medicaid (für Einkommensschwache) und Medicare (für Senioren). In dieser Zeit konnte sich CM endgültig im Gesundheitswesen der USA etablieren.
Triebkräfte für die Entwicklung des modernen amerikanischen CM waren ab den 70ern die zunehmende Enthospitalisierung, die Dezentralisierung und Privatisierung der Dienstleister, die immer höhere Komplexität der Problemlagen, die schwierige Zugangslogik der sozialen Dienste, fehlende soziale Netzwerke und eine Explosion der Kosten (vgl. Klug 2005: 40 f.).
Die Bedeutung von Case Management wuchs deshalb stetig an bis hin zur offiziellen Anerkennung der Berufsbezeichnung und der Aufnahme in gesetzliche Regelungen (vgl. Netting 1992: 161).
Während das traditionelle CM in der Sozialarbeit vorwiegend eine Supportfunktion innehatte, übte das Case Management im Gesundheitswesen immer mehr zusätzlich auch eine Kontrollfunktion aus, die den Einsatz der vorhandenen Ressourcen optimieren sollte.
In den 80er Jahren entstanden schließlich zahlreiche weitere CM-Modelle mit unterschiedlichen Zielgruppen und ausübenden Professionen.
Dass CM in dieser Zeit auch in den amerikanischen Krankenhäusern Einzug hielt, hatte vor allem einen Grund: Die Finanzierungssystematik wurde geändert und ein DRG-System eingeführt, welches den Kliniken optimierte Prozesse abverlangte (vgl. Werthemann 2006: 31 ff.).
Seit den 80ern findet Case Management den Weg nach Europa, wobei eine große Bandbreite in der praktischen Anwendung festzustellen ist. Entsprechend divergierende Definitionen und Zielsetzungen werden unter dem Begriff Case Management subsumiert. Die hohen Erwartungen an CM sind dabei das gemeinsame Merkmal in allen Anwendungsbereichen.
Mehr als 20 Jahre nach Einführung der DRGs in den USA befindet sich das deutsche Gesundheitssystem in vergleichbarer Lage:
Fragmentierung und Diskontinuität in der Versorgung werden bemängelt. Wirtschaftlichkeit, Effizienz, Transparenz und Qualität sind zu steigern.
Die Implementierung des G-DRG-Systems soll dabei helfen.
Für die Lösung des Problems der unzureichenden Koordination und Steuerung in einem System mit hoher Spezialisierung und Dynamik scheint der Case Management-Ansatz auf allen Ebenen prädestiniert und nahezu alternativlos zu sein.
2.2 Grundlagen von CM im Gesundheitswesen
Die Anwendung von Case Management in Deutschland und Europa orientiert sich in weiten Teilen an der Entwicklung in Amerika. Der Vorsprung in den USA an praktischer Erfahrung und theoretischem Wissen ist unvermindert groß. Amerikanische Standardwerke zum Thema wurden deshalb ins Deutsche übertragen (vgl. zum Beispiel Ewer]s, Schäffer 2005).
Der Case Management-Gedanke zeichnet sich durch eine hohe Adaptionsfähigkeit und Variabilität aus. Bei fast allen prozessbedingten Versorgungsproblemen kann er als Modell herangezogen werden. Die Methode wird deshalb in unterschiedlichster Intention und praktischer Anwendung von verschiedenen Berufsgruppen benutzt.
Eine Beschreibung der konzeptionellen Grundlagen muss zu den amerikanischen Quellen führen. Diese werden deshalb im Folgenden mit herangezogen.
2.2.1 Übergeordnete Ziele
Moderne Gesundheitssysteme sind komplex und hochgradig arbeitsteilig.
Ihr Ziel ist aber eine kontinuierliche und integrierte Versorgung (continuum of care). Kurzfristige und punktuelle Interventionen reichen dafür oftmals nicht mehr aus. Langfristige Lösungen und andauernde Unterstützungsformen sind beispielsweise schon durch die Zunahme der Morbidität gefragt.
Die zeitlichen und räumlichen Dimensionen der Versorgung sind deshalb zu überbrücken. Diese Aufgabe beschreibt Ewers als das Proprium des Case Managements (vgl. Ewers 2005a: 54 f.).
Auf der Makroebene Gesundheitswesen kann als übergeordnetes Ziel die Maximierung der Effizienz der Gesundheitsversorgung genannt werden.
Case Management sollte dafür die Koordination sämtlicher Leistungen über die Grenzen der Einrichtungen hinaus (across the services) und während des gesamten Krankheitsverlaufs eines Patienten (over time) übernehmen. Der Case Manager wäre somit Schnittstellenmanager und zentrale Ansprechperson über organisatorische und professionelle Grenzen hinweg (vgl. Rubin 1986: 213).
Satinsky formuliert dazu Zielvorstellungen an die CM-Methode im Gesundheitssystem, die er nach zeitlichem Horizont staffelt (s. Tabelle 1):
Tabelle 1: Case Management-Ziele nach Zeithorizont
(eigene Darstellung). Quelle: Satinsky 1995: 3.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.2 Definitionen
Mit dem Terminus Case Management werden unterschiedlichste Vorstellungen verknüpft.
„Case Management ist immer Mehreres zugleich: ein System, eine Technologie, eine Funktion, ein Prozess und eine Dienstleistung“ (Eggers et al. 2008: 4) Wesentliche Gedanken sind aber in den folgenden Definitionen zu finden.
Ewers und Schäffer formulieren sehr allgemeingültig:
„Case Management ist eine auf den Einzelfall ausgerichtete diskrete, d.h. von unterschiedlichen Personen und in diversen Settings anwendbare Methode zur Realisierung von Patientenorientierung und Patientenpartizipation sowie Ergebnisorientierung in komplexen und hochgradig arbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitssystemen“ (Ewers, Schäffer 2005: 8).
Die Definition der Case Management Society of America betont die begrenzten Ressourcen und die notwendige Ausrichtung auf eine effiziente Leistungserbringung:
„Case management is a collaborative process of assessment, planning, facilitation and advocacy for options and services to meet an individual's health needs through communication and available resources to promote quality cost-effective outcomes” (Case Management Society of America 2008).
Löcherbach weist auf den wichtigen Aspekt der zwei Ebenen des Case Management-Ansatzes hin und „...unterscheidet prinzipiell Fallmanagement (-steuerung) und Systemmanagement (-steuerung)... In der konkreten Praxis fließen beide Aspekte zusammen“ (Löcherbach 2005: 220).
Die Definition der ACMA nimmt vor allem auf das Gesundheitswesen Bezug: „Case Management in Hospital/Health Care Systems is a collaborative practice model including patients, nurses, social workers, physicians, other practitioners, caregivers and the community. The Case Management process encompasses communication and facilitates care along a continuum through effective resource coordination. The goals of Case Management include the achievement of optimal health, access to care and appropriate utilization of resources, balanced with the patient’s right to self determination” (ACMA 2008).
In den meisten Definitionen des Case Managements werden folgende Bestandteile mehr oder weniger direkt genannt:
- Die bereits genannten Aspekte over time und across services.
- Die ganzheitliche Sichtweise einer Patientenproblematik.
- CM als ein auf Kooperation angelegter dynamischer Prozess.
- Involvierung mehrerer Parteien, die durch CM zu einem Hilfesystem verbunden werden sollen.
- CM benötigt zur Problemlösung und für die Erreichung definierter Ergebnisse eine geschickte Koordination und Kommunikation (vgl. Ewers 2005a: 57).
2.2.3 Case Management-Dimensionen
Werthemann skizziert vier Dimensionen, aus denen sich grundsätzlich jedes CM- Modell zusammensetzen lässt:
Die Gestaltungsebenen, Kernfunktionen, die Phasen und Berufsmuster (vgl. Werthemann 2006: 41 ff.):
2.2.3.1 Gestaltungsebenen
Systemorientiertes CM bezieht sich mehr auf das Umfeld des Patienten.
Durch übergeordnete Koordination werden die vorhandenen Ressourcen gesteuert. Ein optimiertes Versorgungssystem und Behandlungskontinuität sind die Ziele.
Aufgabe von CM auf der Makroebene wäre die Kommunikation und Verhandlung mit staatlichen Institutionen und den verschiedenen Versicherungen des Gesundheitswesens.
Wesentlicher Bestandteil von CM auf der Mesoebene ist die Kenntnis der verfügbaren Dienstleistungsangebote. Dies beinhaltet die Zusammenarbeit mit öffentlichen Diensten und umgebenden Einrichtungen.
Konsumentenorientiertes CM bedeutet dagegen Eingehen auf die individuellen Patientenbedürfnisse. Der Behandlungsprozess soll in Interaktion mit Patient und Leistungserbringern optimiert werden. Dies schließt auch die konkrete Unterstützungsarbeit auf der Mikroebene zur Optimierung der individuellen Patientennetzwerke (z.B. Freunde oder Angehörige) ein.
Moxley unterscheidet zwei Archetypen, das system-driven und das consumer- driven Case Management (vgl. Moxley 1997: 15 ff.):
Der konsumentenorientierte Case Manager vertritt die Patienteninteressen, der systemorientierte Case Manager hingegen vorwiegend die Interessen des Leis- tungsfinanzierers (s. Tabelle 2).
In Moxley’s Unterteilung wird aber das zentrale Spannungsfeld deutlich, innerhalb dessen sich Case Management grundsätzlich bewegt:
Case Manager sind Helfer und Kontrolleure gleichzeitig.
In der Sozialen Arbeit wird analog vom sogenannten doppelten Mandat gesprochen (vgl. Wendt 2008: 22).
Tabelle 2: Archetypen des Case Managements nach Moxley
(eigene Darstellung). Quelle: Klug 2005: 49.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.3.2 Kernfunktionen
In der Literatur werden meist drei oder vier Grundfunktionen des Case Managements beschrieben, von denen allerdings „...keine ... in der Realität in der .. idealtypisch dargestellten Form anzutreffen ist“ (Ewers 2005a: 71).
- Gatekeeper
Ein Gatekeeper ermöglicht dem Patienten überhaupt erst den Zugang zu Versorgungsangeboten. Der Case Manager im Gesundheitssystem würde dann beispielsweise über ein festgelegtes Budget verfügen.
Durch die Einschränkung der Leistungsansprüche des Einzelnen soll für die Gesamtheit der Versicherten die bestmögliche Verteilung der begrenzten Ressourcen ermöglicht werden.
Im Idealfall entsteht dadurch ein Interessenausgleich zwischen den Kostenträgern (Ausgabenminimierung) und den Leistungsempfängern (Optimierung der Therapie).
Damit hätte CM den Auftrag, die Verteilung der knappen Ressourcen der Gemeinschaft unter Wahrung der sozialen Gerechtigkeit vorzunehmen (vgl. Ewers 2005a: 63f).
Diese hohe Verantwortung kann zu ethischen Konflikten, dem sogenannten Case Managers Dilemma führen, da der Case Manager zusätzlich auch als Anwalt des Patienten fungieren und daher eine Interessenabwägung vornehmen müsste.
Objektive Entscheidungshilfen wie eine Kosten-Nutzenbewertung oder Critical Pathways sind dafür nicht immer vorhanden (vgl. Kane et al. 1993: 249 ff.).
- Broker
Die fragmentierte Struktur im Gesundheitssystem macht eigentlich einen neutralen Vermittler zwischen den Leistungserbringern, den Versorgungsinstanzen und den Patienten notwendig. Die Neutralität von CM hängt dabei aber natürlich von seiner Finanzierung ab. Im Idealfall könnte der Broker den Einsatz der diversen Leistungserbringer mit dem Ziel einer optimalen Behandlung zu langfristig vertretbaren Kosten koordinieren.
- Advocate
Der Case Manager ist Anwalt des Patienten und übernimmt die Vertretung und Sicherung der Patienteninteressen und Ansprüche.
Diese Funktion ist in der Sozialarbeit tief verwurzelt. Im Gesundheitswesen besteht die Schwierigkeit, objektivierbaren Bedarf und Bedürfnisse des Patienten voneinander abzugrenzen. Eine bedürfnisgerechte Versorgung nach individuellen Wünschen wäre gegenüber der finanzierenden Gemeinschaft nicht gerecht.
- Supporter
Ziel von Case Management ist nicht dauernde Abhängigkeit des Klienten, sondern eine Wiedereingliederung in sein soziales Umfeld.
Die Abhängigkeit vom Gesundheitssystem soll durch Stärkung der Selbstverantwortung und durch Mobilisierung von Hilfeleistung aus dem Patientenumfeld gemildert werden. Ziel ist ein Empowerment des Patienten.
Dessen Compliance kann durch den Case Manager gestärkt werden, indem er eine Übersetzer- und Vermittlerrolle in der Arzt-PatientenBeziehung übernimmt (vgl. Werthemann 2006: 47 f.).
2.2.3.3 Phasen
In allen wichtigen Quellen wird eine Unterteilung des Case ManagementProzesses in 5-8 aufeinander aufbauende Phasen vorgenommen (vgl. zum Beispiel Ewers 2005a: 73 ff.).
Damit soll ein systematisches Vorgehen gesichert werden. Vergleichbare methodische Ansätze existieren z.B. auch im Qualitätsmanagement als PDCA-Zyklus (vgl. Deming 1997: 88) oder in der Krankenpflege als Pflegeprozessmodell (vgl. Cesta et al. 1998: 37).
Die Phaseneinteilung kann beispielsweise wie folgt ausgestaltet werden:
- Identifikation
Diese erste Phase wird auch als Case Finding bezeichnet. Anhand festgelegter Kriterien werden diejenigen Patienten selektiert, die vom CM profitieren könnten. Dieser Vorgang kann durch eine EDV- Auswahl (etwa anhand definierter Aufnahmediagnosen) unterstützt werden. Es existieren auch aufsuchende Programme, um Klienten mit einem hohen Bedarf zu identifizieren, die von sich aus keinen Kontakt zu Versorgungseinrichtungen aufnehmen (Obdachlose, senile Menschen). Auslöser dieser ersten Phase kann der Case Manager oder der Patient sein, aber auch eine Zuweisung durch Einrichtungen oder Behörden.
- Assessment
In diesem sehr wichtigen Arbeitsschritt werden möglichst umfassende Informationen gesammelt, um die individuelle Situation, die Problematik und den Unterstützungsbedarf einschätzen zu können. Das Assessment beleuchtet die individuelle Person-Umwelt-Beziehung des Patienten. Eine möglichst sorgfältige und umfassende Datenerhebung ist die Grundlage zur Ableitung eines angemessenen und bedarfsorientierten Versorgungsplanes.
- Planung
Auf Grundlage der erhobenen Informationen entsteht ein Versorgungsplan unter Einbeziehung des Patienten. Darin werden kurz-, mittel- und langfristige Ziele, die einzelnen Arbeitsschritte und die Verantwortlichkeiten festgehalten. Dadurch wird auch die Dauer des Case-Management- Prozesses festgelegt.
Die Ziele müssen realisierbar und überprüfbar sein.
- Umsetzung
Nach der Zustimmung von Klient und Angehörigen zum gemeinsam erstellten Versorgungsplan kommt es zur Durchführungsphase.
Der Case Manager organisiert, steuert und koordiniert die Versorgung. Er verhandelt mit Leistungsanbietern und Kostenträgern, koordiniert das
Leistungsgeschehen und stellt die Einhaltung des Planes sicher. Diese Phase zeichnet sich durch ein dynamisches Kommunikations- und Interaktionsgeschehen aus.
Der Case Manager fungiert als Bindeglied zwischen Klienten, sozialem Umfeld und Leistungserbringern.
- Monitoring
Im Rahmen der Leistungserbringung gilt es kontinuierlich zu beobachten, ob sich der Versorgungsbedarf eventuell ändert, ob Qualitätsmängel bestehen, ob der prospektiv festgelegte Finanzierungsrahmen eingehalten wird und ob die Leistungserbringung der Planung entspricht.
- Evaluation, Re-Assessment und Abschluss
Nach Beendigung der Versorgung ist deren Verlauf und der Zielerreichungsgrad zu bewerten. Die Patientenzufriedenheit ist dabei der zentrale Parameter. Sowohl die individuelle als auch die systemische Ebene des Case Managements sollten in die Evaluation einbezogen werden.
Auf der individuellen Ebene hängt das Vorgehen im Case ManagementProzess von der Evaluation ab. Besteht weiterer Bedarf, folgt ein ReAssessment und ein erneutes Einsteigen in den Regelkreis mit einem adaptierten Versorgungsplan.
Auf der systemischen Ebene werden die Dokumentation und die Ergebnisse kumuliert ausgewertet. Der CM-Einsatz kann dadurch optimiert und legitimiert werden.
Zielplanung und Empowerment-Ansatz sollen den Case-Management- Prozess zeitlich begrenzen helfen.
„Es ist nicht Sinn und Zweck eines Case-Management-Prozesses, eine Endlosbetreuung abzubilden“ (Fries 2002: 113).
2.2.3.4 Berufsmuster
Die konkrete Durchführung von Case Management ist grundsätzlich in unterschiedlichen beruflichen Konstellationen vorstellbar:
- Der Generalist
Alle Teilfunktionen des Case Managements werden durch den Case Manager ausgeübt. Die anderen Berufsgruppen im Leistungsgeschehen können sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren und werden von administrativen Aufgaben entlastet. Der Generalist wird als zusätzlicher Akteur im System eingesetzt. Dadurch entstehen neue Schnittstellen mit entsprechenden Gefahren für die Effizienz der Versorgung. Der Case Manager benötigt deshalb unter anderem umfassendes berufsgruppen- und sektorübergreifendes Fachwissen sowie hohe Kommunikationskompetenz.
- Der primäre Therapeut
Vorrangig der Arzt übernimmt in diesem Ansatz das Case Management zusätzlich zu seinen therapeutischen Aufgaben. Diese Konstellation fördert das Vertrauen und das Empowerment. Die Gatekeeper-Funktion kann sehr gut ausgeübt werden. Allerdings werden andere Case Management-Aufgaben wie die Koordination der nichtmedizinischen Leistungen oftmals vernachlässigt.
- Das interdisziplinäre Team
Das Case Management Team besteht aus Spezialisten, die jeweils einen Teil der CM-Aufgaben übernehmen. Damit wird das Team als Ganzes zum Generalisten. Vorteile sind die Möglichkeit zur gegenseitigen Unterstützung, der teaminterne Austausch und die fachliche Bandbreite, was eine hohe Ergebnisqualität ermöglichen kann. Allerdings gibt es oftmals keine richtige Verantwortungszuteilung für einen einzelnen Fall, keinen eindeutigen Ansprechpartner für den Patienten und das Problem zusätzlicher teaminterner Schnittstellen und Informationsasymmetrien.
2.2.4 Systematisierung vorhandener Modelle
Trotz der langen amerikanischen Tradition fehlt dem CM-Modell ein abgrenzender Rahmen:
„Case Management is so formless that agencies project onto particular solutions to whatever problems they face“ (Rothmann 1991: 521).
Das bedeutet Chance und Risiko gleichermaßen. CM besitzt ein breites Anwendungsspektrum, allerdings besteht auch die Gefahr der Verwässerung des Begriffes. Vorhandene Modelle lassen sich über folgendes Raster einordnen (s. Tabelle 3):
Tabelle 3: Systematisierung von CM-Modellen (eigene Darstellung).
Quelle: Werthemann 2006: 64 f..
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.5 Ziele des Case Management-Ansatzes
Allgemeine Aufgabe von Case Management ist es, analysierte Problemstellungen durch gezielte Vernetzung von Dienstleistungen methodisch zu bearbeiten, um vorher definierte Ergebnisse zu erreichen (vgl. Quinn 1993: 3).
Daraus lassen sich folgende Ziele und Maßnahmen für CM auf der Makroebene ableiten (s. Tabelle 4):
Tabelle 4: Ziele und Maßnahmen von Case Management im Gesundheitswesen (eigene Darstellung).
Quellen: Werthemann 2006: 65; svr-gesundheit 2007: 151.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3 Case Management im Krankenhaus
Krankenhäuser haben ganz eigene Probleme zu bewältigen. Sie sind traditionell relativ strukturstarre, statische und bürokratisch reglementierte Expertenorganisationen. Diese Charakterisierung Mintzbergs ist leider immer noch sehr aktuell (vgl. Mintzberg 1991: 184).
Die Komplexität der Organisation Krankenhaus kann beinahe nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Interdependenzen in der Aufbau- und Ablauforganisation sind dabei zumindest formal noch gut zu vermitteln, für die Ausmaße der Entscheidungs- und Verhaltensdimensionen seiner Mitglieder ist dies dagegen kaum mehr möglich.
Die Einführung der DRGs, die Auswirkungen der demografischen Entwicklung (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2007: 23) und die zunehmende Begrenztheit der finanziellen Ressourcen im Gesundheitssystem stellen diese Organisationen vor sehr große Herausforderungen. Als konkrete Beispiele können die immer weiter sinkenden Verweildauern, steigende Fallzahlen, höherer administrativer Aufwand oder der verstärkte Wettbewerb bei zunehmender Transparenz genannt werden.
Mit den lange gepflegten Organisationsstrukturen können diese Aufgaben nicht bewältigt werden. Die drei Säulen im Krankenhaus, bestehend aus Ärzten, Pflege und Verwaltung, sind nicht mehr zeitgemäß. Dies gilt ebenso für das Herrschaftsdenken leitender Ärzte über ihre Fachabteilungen.
Erschwert wird die notwendige Organisationsentwicklung auch noch durch die hohe soziale Komplexität, die dem System Krankenhaus inhärent ist.
Dringend erforderlich sind jedoch Prozessorientierung, strenge Kundenausrichtung in allen Bereichen, flache Hierarchien, schnelle Kommunikationswege und ein kontinuierliches Verbesserungsmanagement (vgl. Töpfer 2006: 333 f.).
Deshalb ist Case Management auch und vor allem im Krankenhaus ein hochaktuelles Thema.
3.1 Hemmende Faktoren
In den aktuellen Praxisberichten der Fachliteratur wird stets herausgestellt, dass Case Management in der Klinik als zentrale Steuerungsinstanz eingesetzt werden sollte. Allerdings divergieren die geschilderten praktischen Ausprägungen von CM doch sehr stark, sowohl im Aufgabenspektrum als auch in der aufbauorganisatorischen Eingliederung.
3.1.1 Das komplexe System
Die systemorientierte Managementlehre beschreibt Organisationen wie Krankenhäuser als komplexe Systeme. Systeme verstehen sich in diesem Kontext als die geordnete Gesamtheit von Elementen. Komplex wird ein System, wenn die einzelnen Elemente in vielfältiger Weise in Interaktion treten und in dynamischer Beziehung zueinander stehen. Kerngedanke jeglichen Managementhandelns sollte die Beherrschbarkeit der Komplexität sein. Innerorganisatorische Eigengesetzlichkeiten stehen dieser Beherrschbarkeit jedoch entgegen. Hinzu kommt die wachsende Dynamik unserer Zeit, die zur Frage führt, inwieweit Entwicklungsverläufe von Unternehmen überhaupt beherrschbar sein können.
Die gewohnten Aufgaben, Rollen, Instrumente und Methoden des Managements sind vor diesem Hintergrund jedoch zu hinterfragen (vgl. Bleicher 2004: 25, 37).
Wie kann das Konzept Case Management dabei in das System Krankenhaus integriert werden?
Ribbert-Elias ist der Meinung, dass CM „...nur dort fruchtbar eingesetzt werden kann, wo das System entsprechend aufgestellt ist“ (Ribbert-Elias 2008: 13).
Huber führt aus, dass die Etablierung des Managementsystems Case Management ausgehend von der Unternehmensverfassung zunächst eine strategische Entscheidung der Unternehmensleitung ist. Case Management wäre dabei am ehesten auf der Ebene des operativen Managements anzusiedeln (vgl. Huber 2008: 5).
Das grundsätzliche Problem der Integration eines zusätzlichen Elements in ein bereits komplexes System bleibt damit jedoch bestehen.
3.1.2 Die Expertenorganisation
Hauptmerkmal einer Expertenorganisation ist die sogenannte Standardisierung der Fertigkeiten im operativen Kern. Diese Spezialisierung induziert gleichzeitig eine horizontale Dezentralisierung. Es entsteht somit ein breites Arbeitsfeld der Experten (Mediziner) mit einem hohen Autonomiegrad. Die Leistungsfähigkeit der Experten ist das Kapital der Organisation. Der wichtigste Produktionsfaktor, das Wissen, befindet sich in der Hand der Experten des operativen Kerns und damit nicht im Bereich der strategischen Spitze.
Die Reputation der einzelnen Experten ist von großer Bedeutung für die Reputation des Unternehmens.
Von den sechs Basisbestandteilen einer Organisation (Strategische Spitze, operativer Kern, mittleres Linienmanagement, Technostruktur, unterstützende Einheiten und Ideologie) besitzen im Krankenhaus eigentlich nur vier eine wirksame Funktion.
Die mittleren Managementfunktionen zwischen strategischer Spitze und operativem Kern spielen keine eigenständige Rolle (Oberärzte und Stationsleitungen verfügen über keine eigenständigen Kompetenzen).
Die Ideologie oder Unternehmenskultur als Ganzes ist höchstens rudimentär ausgeprägt, denn sie leidet unter der Vielzahl der berufsständisch ausgebildeten Subkulturen, was oftmals ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial verursacht.
Damit dezentralisieren sich Macht und Einfluss horizontal und vertikal in den Bereich der Experten des operativen Kerns. Eine Expertenorganisation zeichnet sich durch relative Starrheit aus, ein offenes Herangehen an neue Probleme mit innovativen Ideen und Lösungsansätzen ist kaum möglich. Die Strategieentwicklung erschöpft sich in weiten Bereichen auf die Auswahl der im Unternehmen tätigen Experten. Die Chefärzte kontrollieren das Produkt- und Dienstleistungsangebot in maßgeblicher Weise. Durch die Fragmentierung und Spezialisierung der Leistungen ist eine außergewöhnliche Strategiestabilität vorhanden, die unternehmensweite Änderungen kaum zulässt.
Deshalb definierte sich die übergeordnete Strategie für viele Krankenhäuser in den letzten Jahren ausschließlich über den Versorgungsauftrag.
Gestärkt wird die unternehmensinterne Stellung der Mediziner noch durch die aktuelle Knappheit der Ärzte auf dem Arbeitsmarkt. Machtpositionen können hierdurch oftmals zumindest gefestigt werden.
Die Starrheit der Expertenorganisationen hat bereits so manche Reorganisationsprojekte zum Scheitern gebracht und stellt auch für die Implementierung von Case Management eine nicht zu vernachlässigende Bedrohung dar (vgl. Mintz- berg 1991: 107 ff.; Kühnle 2003: 9 ff.).
Denn der Horizont der Experten reduziert sich auf Fragestellungen ihrer Fachabteilung oder ihres Berufsstandes. Entwicklungsbedürfnisse der Organisation, wie die Konzeption eines interdisziplinären Handlungsrahmens in Form von Case Management, werden ignoriert.
„Das wohl wichtigste Problem einer Expertenorganisation liegt im Selbstverständnis und im Verhalten der Experten selbst und scheint ein unlösbares Problem darzustellen“ (Kühnle 2003: 11 f.)
Expertenorganisation Krankenhaus und Case Management sind also sehr schwierig zu vereinbaren, sei es in der aufbauorganisatorischen Eingliederung oder in einer berufsgruppenübergreifend akzeptierten Rolle für das Case Management in den Kernprozessen des Krankenhauses.
3.1.3 Die ungeklärte Rolle von CM
Unter der Prämisse, dass Case Manager in der Praxis auch tatsächlich als Manager zu verstehen sind, die Managementaufgaben zu erfüllen haben, wurden in einer aktuellen empirischen Untersuchung Entscheidungsträger des strategischen Krankenhausmanagements in Deutschland zum Thema CM befragt. Sie sollten beantworten, welche Erwartungen sie aus ihrer Sicht an die Rolle des Case Managements stellen, wie sie CM aufbauorganisatorisch integrieren würden und welche Bereiche CM bearbeiten könnte.
Das Ergebnis dieser Untersuchung fällt sehr uneinheitlich aus. Auffallend ist jedoch, dass jede der drei tradierten Säulen des Krankenhausmanagements Case Management als Stabsstelle an das eigene Direktorium binden will.
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- Arbeit zitieren
- Roland Ganzmann (Autor:in), 2009, Klinisches Case Management: , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174361
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