Leseprobe
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungen
1. Einführung
1.1 Wirtschaftliche Ausgangslage, Rahmenbedingungen
1.2 Typologie
1.3 Einordnung des Sanierungskonzepts in den Krisenverlauf
2. Vorstellung IDW S 6
2.1 Überblick
2.2 Darstellung und Analyse des Unternehmens
2.2.1 Analyse der Unternehmenslage
2.2.2 Feststellung des Krisenstadiums
2.2.2 Aussagen zur Unternehmensfortführung
2.3 Ausrichtung am Leitbild des sanierten Unternehmens
2.4 Stadiengerechte Bewältigung der Unternehmenskrise
2.5 Integrierte Sanierungsplanung
2.6 Die zusammenfassende Schlussbemerkung
3 Gegenüberstellung des IDW S 6 und des FAR 1/1991
3.1 Neue Ansätze
3.1.1 Phasenmodell
3.1.2 Modularer Ansatz
3.2 Weitere Bemerkungen
3.2.1 S 6 als Standardsetter
3.2.2 Die integrierte Sanierungsplanung
3.2.3 Der Begriff der Sanierungfähigkeit
3.2.4 Änderungen des Titels
3.2.5 Wegfall der Checklisten
4 Geänderte Gewichtung qualitativer Themen - Leitbild des sanierten Unternehmens
4.1 Der Begriff des Leitbildes in der wissenschaftlichen Literatur
4.2 Leitbild des sanierten Unternehmens in IDW FAR 1/1991
4.3 Leitbild des sanierten Unternehmens in IDW S6
4.4 Neuerungen von FAR 1/1991 zu IDW S6
5 Implikationen auf die Beratungspraxis
5.1 Änderungen in der Sanierungspraxis
5.2 Ausgewählte Fallbeispiele
5.2.1 „Typischer Krisenverlauf“: Die Insolvenz von Karstadt
5.2.2 Finanzinduzierte Krisen: Beispiel Leveraged-Buyout
5.2.3 Beispiel Automobilindustrie
6 Kritische Würdigung des IDW S 6
6.1 Phasenmodell
6.2 Modularer Ansatz
6.3 Wegfall der Checklisten
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Inhalte eines Sanierungsplans (eigene Darstellung)
Abbildung 2: Entwicklungsmöglichkeiten für Unternehmen in der Krise (Drax [2008]; S. 76-78)
Abbildung 3: Aufbau von FAR 1/1991 und Übertragung auf IDW S 6 (eigene Darstellung)
Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einführung
1.1 Wirtschaftliche Ausgangslage, Rahmenbedingungen
Die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise hat den seit einigen Jahren rückläufigen Trend der Unternehmensinsolvenzen umgekehrt. (Vgl. Destatis [2010]) Unternehmensinsolvenzen sind dabei kein Konjunkturindikator, sie folgen der wirtschaftlichen Entwicklung mit einem gewissen zeitlichen Abstand. (Vgl. Sahm [2008] ; S. 38-40) Der Anstieg der Unternehmensinsolvenzen lässt vermuten, dass auch andere Unternehmen weiter unter den Folgen der Krise zu leiden haben.
In einer von Roland Berger Strategy Consultants durchgeführten Studie zu Restrukturierungen in Deutschland wurde erforscht, wie stark und in welchen Bereichen die Krise die Unternehmen in 2010 noch beschäftigt und welche Trends sich für die Zukunft abzeichnen. (Vgl. Deck, S. [2010]; S. 2010) Dabei sieht die Mehrheit der Unternehmen den Tiefpunkt der Krise in 2010 als überstanden an und erwartet gute Wachstumschancen für 2011; mit steigender Arbeitslosigkeit und restriktiver Kreditvergabe wird aber weiterhin gerechnet. Aktuelle wichtige Maßnahmen sind für viele Unternehmen Kostensenkungen und das Working Capital Management, zukünftig soll auch wieder ein starker Fokus auf Wachstum und Vertrieb fallen. Die Mehrheit der Unternehmen plant mit einer Restrukturierungsdauer von maximal 12-18 Monaten, d.h. viele Programme befinden sich noch in der Umsetzung. Positive Erwähnung findet die Personalkostenreduktion, häufig ohne betriebsbedingte Kündigungen durch flexible Arbeitszeitmodelle und enge Zusammenarbeit aller Beteiligten. Ein spezielles Phänomen dieser Krise war die kritische Liquiditätssituation, viele Unternehmen mussten größere Risikoaufschläge für ihre Refinanzierung bezahlen, dementsprechend wurden operative Maßnahmen zur Liquiditätssicherung häufig genutzt. Für die Zukunft bereiten sich die Unternehmen wieder auf Wachstum vor, viele wollen dieses aus eigenen Mitteln finanzieren und insbesondere im Kerngeschäft vom Aufschwung profitieren. Als Lehren aus der Krise bleiben der Aufbau von Liquiditätspuffern, die Stärkung des Eigenkapitals, die Flexibilisierung von Kostenstrukturen und das Vorbereiten auf künftiges Wachstum. Unternehmen wollen so künftige Krisen besser meistern, indem sie diese früher erkennen, ausreichend Puffer auf der Pas sivseite sammeln und gegebenenfalls die Produktionskapazitäten angemessen skalieren können.
In Anbetracht der Aktualität des Themas Restrukturierung und Sanierung liefert die Arbeit eine detaillierte Analyse des im Herbst 2009 vom Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW) vorgelegten Standards IDW S 6 „Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten“.
1.2 Typologie
Der neue Standard ersetzt nach 18 Jahren die Vorgängerregelung IDW Stellungnahme FAR 1/1991 („Anforderungen an Sanierungskonzepte“). In der Systematik sind Sanierungskonzept, Sanierungsgutachten und Insolvenzplan Ausprägungen eines Sanierungsplans (siehe auch Abb. 1). (Vgl. Eisolt [2010]; S. 427 ff)
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Abbildung 1: Inhalte eines Sanierungsplans (eigene Darstellung)
Das Sanierungsgutachten ist die umfassendste Ausprägung. Es geschieht eine Ableitung und Darstellung der Wege, die das Unternehmen aus der Krise führen sollen. Das Sanierungskonzept ist eine reduzierte Version mit den wichtigsten Eckpunkten der Sanierung. Sanierungskonzepte werden i.d.R. unter Zeitdruck erstellt und sollen den Stakeholdern als Entscheidungsgrundlage für ihr weiteres Vorgehen dienen. Diese Informationen stehen meist einem größeren Kreis von Adressaten, die an dem Krisenunternehmen interessiert sind, zur Verfügung. Der Insolvenzplan ist dem Sanierungskonzept ähnlich. Er ist durch die Insolvenzordnung (InsO) vorgegeben und unterscheidet sich oft lediglich formell vom Sanierungskonzept, da das Insolvenzplanverfahren gesetzlich geregelt ist. (Vgl. Eisolt [2010]; S. 427 ff)
Diese Arbeit wird sich hauptsächlich mit der Erstellung von Sanierungskonzepten auf Grundlage des neuen Standards auseinandersetzen. Ein Sanierungskonzept soll dabei i.d.R. eine Aussage über die Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens in einem beliebigen Krisenstadium treffen. Das Konzept soll Handlungsalternativen aufzeigen und muss für dritte nachvollziehbar, überprüfbar, schlüssig und realisierbar sein.
Wenn die Insolvenz des Unternehmens nicht vermieden werden kann, dann gelten die Grundregeln für Sanierungskonzepte für die Sanierung innerhalb eines Insolvenzplanverfahrens (§§217 ff InsO). Diese seit der Insolvenzrechtsreform 1999 neu geschaffene Form der Insolvenz ähnelt der amerikanischen Regelung des Chapter 11 und zielt auf eine Fortführung des Unternehmens nach der Insolvenz. Das Insolvenzplanverfahren kann auf Antrag auch in Eigenregie vom bisherigen Management durchgeführt werden. (Vgl. Roselieb [2008]; S. 44-46) Auch aus diesem Grund sind die Themen Insolvenz und Sanierung/Restrukturierung eng miteinander verknüpft, und somit werden neben dem originären Thema der Sanierung nach IDW S 6 auch Insolvenzen immer wieder aufgegriffen.
1.3 Einordnung des Sanierungskonzepts in den Krisenverlauf
Die Restrukturierungsbranche hat sich in Deutschland in den letzten Jahren stark verändert und professionalisiert. Es gibt viele Berufsgruppen die sich mit dem Thema beschäftigen, insb. sind hier Wirtschafsprüfer, Rechtsanwälte, Interimsmanager und Unternehmensberater zu nennen. (Vgl. Hofelich [2008]; S. 22-26) Ein Standard für die Erstellung von Sanierungskonzepten muss all diese Berufsgruppen ansprechen und sich strategischen und operativen Gesichtspunkten widmen.
Neben der Heterogenität auf Seite der Ersteller ist auch die Adressaten-Seite größer geworden. Erfolgreiche Sanierungen bedürfen des Beitrags aller Interessengruppen, das sind intern Mitarbeiter und Management; extern die Geldgeber wie Banken und Investoren, zunehmend aber auch Hedge-Fonds und Private Equity Häuser. Die unterschiedlichen Interessenlagen der Gruppen müssen in der Sanierung auf ein Ziel ausgerichtet werden.
Eine empirische Betrachtung von Untemehmenskrisen hat ergeben, dass es „die“ Krisenursache nicht gibt. Unternehmenskrisen sind das Ergebnis eines komplexen Wirkungsgeflechts, eine Auswirkung von Kreditprotokollen von ausgefallenen KMUs hat jedoch sechs Haupttypen hervorgebracht. (Vgl. Lenker [2008]; S. 42 f) Dazu zählen interne Faktoren wie technologische Gefährdung durch mangelnde Investitionen, Nachfragerückgänge durch schlechtes Produktmanagement, unkontrollierte Expansion, patriarchalische Führung oder unkorrekte Mitarbeiter. Es gibt aber auch externe Faktoren wie die Abhängigkeit von Dritten (z.B. bei Zulieferern) oder bei Marktverwerfungen. Insbesondere in der jetzigen Krise sind finanzielle Probleme aufgrund erschwerter Refinanzierung häufiger geworden.
Zu einer Vielzahl von Krisenursachen gesellt sich eine Menge an möglichen Entwicklungen von Unternehmen in der Krise. Die Fortführung des Unternehmens nach einer Restrukturierung ist dabei nur eine Ausgangsmöglichkeit. Die folgende Abbildung 2 verdeutlicht die vielen Optionen, die sich für die Unternehmensleitung bzw. die mit der Sanierung Beauftragten bieten. Für jede der Möglichkeiten gibt es eine Vielzahl an Maßnahmen, die ergriffen werden können. Dabei wird noch einmal deutlich, dass die Sanierung unter der Prämisse des Going Concern sowie aus der Insolvenz heraus geschehen kann. Die dargestellten Möglichkeiten schließen sich nicht gegenseitig aus, denn eine Restrukturierung mit dem Ziel der Unternehmensfortführung kann auch einen Unternehmensteilverkauf bedingen, um das Unternehmen auf die Kemkompetenzen zu konzentrieren („asset deal“). Ein Fremdkapitalverkauf („non-performing loan deal“), etwa durch Factoring, kann dazu eingesetzt werden, um im Zuge der Restrukturierung Liquidität zu generieren. (Vgl. Luxa [2008]; S. 97)
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Abbildung 2: Entwicklungsmöglichkeiten für Unternehmen in der Krise (Drax [2008]; S. 76-78)
In Spannungsfeld von Ursachenkomplexität und Lösungsvielfalt müssen Sanierungsberater unter Zeitdruck ein auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittenes Sanierungskonzept erstellen. In der Praxis blieben Sanierungskonzepte dabei meist hinter den Anforderungen der FAR 1/1991 zurück. (Vgl. Buth/Hermanns [2010]; S. 288 ff) Der IDW S 6 soll sich als neuer Standard etablieren. Er wurde vom FAS (Fachausschuss Sanierung und Insolvenz des IDW) seit 2005 in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Praktikern entwickelt und beinhaltet Erkenntnisse aus den Erfahrungen mit dem vorherigen de-facto-Standard FAR 1/1991.1
Im Nachfolgenden werden wesentliche Grundsätze des IDW S 6 erläutert. Kapitel 2 geht auf die vielen Neuerungen des IDW S 6 ein und Kapitel 3 stellt wesentliche Unterschiede systematisch gegenüber. Kapitel 4 widmet sich explizit dem Leitbild und der höheren Gewichtung qualitativer Dimensionen. Kapitel 5 beschreibt Implikation für die Sanierungspraxis die sich durch den neuen Standard ergeben. Abschließend folgt in Kapitel 6 eine kritische Betrachtung als Aufarbeitung der aus der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse und der Literatur.
2. Vorstellung IDW S 6
2.1 Überblick
An Sanierungskonzepte werden nach dem neuen Standard folgende Kernanforderungen gestellt (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 7):
die Beschreibung von Auftagsgegenstand und -umfang
die Darstellung der wirtschaftlichen Ausgangslage
die Analyse von Krisenstadium und -ursachen
die Darstellung des Leitbilds des sanierten Unternehmens
die Maßnahmen zur Bewältigung der Unternehmenskrise
ein integrierter Unternehmensplan
Diese Bestandteile sind die Grundlage für eine Aussage, ob ein Unternehmen Sanierungsfähig ist oder nicht. Dabei sind auch die bestehenden Querbeziehungen zwischen den Komponenten zu beachten, um zu einer umfassenden Betrachtung zu gelangen.
Die aus dem Konzept abgeleitete Sanierungsfähigkeit eines erwerbswirtschaftlichen Unternehmens kann nur dann bejaht werden, wenn die Annahme der Unternehmensfortführung i.S.d. §252 Abs.1 Nr.2 HGB gegeben ist und darüber hinaus eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit und Renditefähigkeit besteht (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 10).
Ein neuer Bestandteil des IDW S 6 ist der modulare Ansatz. Dieses Zwei-Stu- fenkonzept beinhaltet auf der ersten Stufe Sofortmaßnahmen zur Herbeiführung der Fortführungsfähigkeit und auf der nächsten Stufe Maßnahmen, um das zu sanierende Unternehmen nachhaltig wettbewerbs- und sanierungsfähig zu machen.
Der S 6 nennt die verschiedenen charakteristischen Arten einer Krise, nämlich die Stakeholder-, Strategie-, Produkt- und Absatzkrise sowie die Erfolgskrise bis hin zu einer Insolvenzlage. (Vgl. IDW [2009]; Rdnr. 17) Dabei sind der Inhalt und der gebotene Detailierungsgrad des Sanierungskonzeptes vom jeweiligen Krisenstadium abhängig. Es ist zu beachten, dass ein vollständiges Sanierungskonzept nur dann vorliegt, wenn alle krisenauslösenden Faktoren aller Krisenstadien aufgearbeitet wurden.
Das Krisenstadium ist also maßgeblich für den Auftragsinhalt. Darüber hinaus müssen Haftungsfragen gegenüber Dritten beantwortet und Verträge über das Auskunftsrecht getroffen werden.
2.2 Darstellung und Analyse des Unternehmens
„Die Darstelllung des Unternehmens umfasst die wesentlichen Eckpunkte der rechtlichen Verhältnisse und wirtschaftlichen Ausgangsdaten.“ (IDW [2009]; Rdnr. 28)
Besondere Anforderungen werden an die Qualität der Informationen gestellt. Diese müssen gerade in Krisensituationen bezüglich der Glaubhaftigkeit und Richtigkeit überprüft werden. Durch ein planvolles Vorgehen ist sicherzustellen, dass die erforderliche Vollständigkeit der wesentlichen Informationen gegeben ist (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 32 f). Außerdem hat der Wirtschaftsprüfer bei Maßnahmen, die auf die Informationsgewinnung ausgerichtet sind, folgendes zu beachten:
Kenntnis über die Geschäftstätigkeit sowie wirtschaftliches und rechtliches Umfeld des zu sanierenden Unternehmens
Bedeutung von Geschäftsvorfällen und deren Auswirkungen auf Ertrag, Liquidität und Vermögen
Möglichkeit falscher Annahmen und Schlussfolgerungen im Sanierungskonzept wegen fehlerhafter Informationen
Die so gewonnen vergangenheitsbezogenen Daten bilden die Grundlage für die Ableitung von Plandaten, wobei, wie bereits erwähnt, Informationen Dritter besonders auf Herkunft und Richtigkeit überprüft werden müssen.
Die vergangenheitsorientierten Daten bilden die Basisinformationen des zu sanierenden Unternehmens. Zu ihnen gehören u.a. die rechtlichen und organisatorischen, die finanzwirtschaftlichen, die leistungswirtschaftlichen und die personalwirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 42).
2.2.1 Analyse der Unternehmenslage
In der Lagebeurteilung des Sanierungskonzeptes werden Sachverhalte und Zusammenhänge aufgezeigt, die sich nicht unmittelbar aus diesen Basisinformationen ergeben. Externe Faktoren sind darauf ausgerichtet, Chancen und Risiken des Unternehmens im Markt zu identifizieren, bei den internen Faktoren hingegen stehen die Stärken und Schwächen des Unternehmens selbst im Vordergrund (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 44). Es gibt viele verschiedene Techniken, um diese Analyse durchzuführen. Hierzu zählen z.B. Portfolio-Methode, Szenario-Analyse, Stärken- Schwäche-Analyse oder die Konkurrentenanalyse (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 46 ff).
Die Analyse der externen Faktoren, beinhaltet die gesamtwirtschaftliche Lage sowie das rechtlich-politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Umfeld des Unternehmens. Besonders die voraussichtliche Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch demographische, technologische, politische und gesellschaftliche Trends steht hier im Vordergrund. Mögliche Quellen für die Informationsgewinnung können z.B. Markstudien von Verbänden, Banken und anderen Institutionen sein.
„Grundlage für die Ableitung eines strategischen Restrukturierungsplanes sind die relevanten Faktoren und Entwicklungen der Branche.“ (IDW [2009]; Rdnr. 49) Dabei sind z.B. die Anzahl und Stärke der Wettbewerber, die aktuellen und potenziellen Kunden und neue Technologien innerhalb der Branche interessant. Es muss bei diesen Entwicklungen jedoch zwischen langfristigen Branchentrends und der Branchenkonjunktur unterschieden werden, um verlässliche Rückschlüsse auf den strategischen Restrukturierungsplan vorzunehmen.
Bei den internen Unternehmensverhältnissen soll zunächst die Ergebnis-, Finanz- und Vermögenslage des Unternehmens erfasst werden. „Im Mittelpunkt stehen die Entwicklung der Umsätze, Kosten und Deckungsbeiträge der Produktgruppen und Geschäftsbereiche.“ (IDW [2009]; Rdnr. 52) Es muss sich auch mit dem bestehenden Leitbild für die Strategie des Unternehmens kritisch auseinandergesetzt und hier besonders der Blick auf den Kernauftrag, die Kerngeschäfte und deren Rentabilität sowie die Kernfähigkeiten gerichtet werden.
Bei der internen Unternehmensanalyse ist es wichtig, die Interessen der Stakeholder und der Führungsebene zu berücksichtigen und diese in die Analyse mit einzubeziehen, da sie zum Einen bei der Informationsbeschaffung von Bedeutung sind und zum Anderen die Durchsetzung der Sanierungsmaßnahmen begleiten müssen (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 54 f).
2.2.2 Feststellung des Krisenstadiums
„Unternehmen in der Krise durchlaufen regelmäßig verschiedene Stadien“ (IDW [2009]; Rdnr. 58), wobei verschiedene Arten einer Krise auftreten können, nämlich die Stakeholder-, Strategie-, Produkt- und Absatzkrise sowie die Erfolgskrise bis hin zur Insolvenzlage. Diese Stadien müssen sich nicht zwangsläufig in dieser Folge entwickeln, sondern können auch parallel, singulär oder überlappend auftreten. Meistens spitzen sich die Krisen im Zeitablauf zu, jedoch reichen Maßnahmen, die allein auf die Behebung einer Überschuldungskrise zielen, nicht aus, solange nicht auch die Ursachen vorgelagerter oder paralleler Krisen identifiziert und behoben sind. Häufig lösen Probleme in der Personalentwicklung und Personalführung Krisen aus. Außerdem können u.a. ein fehlendes oder unzureichend kommuniziertes Leitbild, ein nicht markt- und zeitgemäßer Wissensstand der Belegschaft, niedrige Motivation oder eine mangelende Identifikation der Mitarbeiter mit den Produkten und Dienstleistungen des Unternehmens mögliche Gründe für krisenauslösende Faktoren sein (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 59).
Krisen auf Ebene der Stakeholder entstehen durch Konflikte zwischen den verschiedenen Interessengruppen des Unternehmens. Besonders Probleme bei der Corporate Governance strahlen auf das gesamte Unternehmen aus, führen zu Reibungsverlusten und verhindern so notwendige Entscheidungen (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 61 f). So können z.B. Aktivitäten des Controllings bewusst behindert, falsche Bereichsergebnisse veröffentlicht werden und Unstimmigkeiten in den Potenzialen auftreten.
Strategiekrisen können, falls die krisenauslösenden Faktoren des vorgelagerten Krisenstadiums nicht gelöst werden konnten, auf Stakeholderkrisen folgen. Sie entstehen aufgrund unzureichender Kundenorientierung und unsystematischer Beobachtung der Wettbewerbsentwicklung. Ineffektive Innovationen und Investitionen sind die Folge. Erkennbar ist dieses Krisenstadium vor allem am Verlust von Marktanteilen, die einen Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit indizieren (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 64).
An die Strategiekrise kann eine Produkt- und Absatzkrise anknüpfen. Hier geht die Nachfrage nach den Hauptumsatz- und Haupterfolgsträgern nachhaltig zurück. Daraus resultieren steigende Vorratsbestände und letztendlich eine Zunahme der Kapitalbindung. Ursachen hierfür sind ein qualitativ nicht ausreichendes Marketing- und Vertriebskonzept, Sortimentsschwächen, Qualitätsprobleme bei Produkten des Unternehmens, fehlerhafte Preispolitik, Schwächen in der Liefertreue und Fehler in der Vertriebssteuerung (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 67).
Ohne wirksame Gegenmaßnahmen in den vorangegangen Krisen ist eine Erfolgskrise unausweichlich. Hier kommt es zu einem Renditeverfall, weil die Eigenkapitalkosten nicht mehr verdient werden. Starke Gewinnrückgänge, bzw. Verluste, führen zu Einbußen bis hin zum kompletten Verzehr des Eigenkapitals. Geprägt wird diese Entwicklung durch weiteren Nachfragerückgang im gesamten Produktportfolio, Preisverfall und der Verschlechterungen der Artikeldeckungsbeiträge. Wegen des sinkenden Eigenkapitals wird das Unternehmen zunehmend kreditunwürdiger und durchläuft einen kritischen Punkt der Krisenentwicklung. Die Zahlungsunfähigkeit lässt sich durch geschickte Liquiditätspolitik zunächst noch abwenden, jedoch fehlen für eine nachhaltige Sanierung die erforderlichen Mittel (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 69).
„In der Liquiditätskrise ist das Unternehmen in seiner Existenz erhöht gefährdet.“ (IDW [2009]; Rdnr. 76) Die auftretenden Liquiditätsschwierigkeiten indizieren ein Insolvenzrisiko, falls keine oder unzureichende Maßnahmen getroffen werden. Gründe für eine krisenverschärfende Finanzierungsstruktur können dabei z. B. fehlende Übereinstimmung zwischen Geschäftsmodell und Eigenkapitalsituation, eine komplexe Finanzierungsstruktur aufgrund bilateraler Beziehungen zu Finanzgebern und unzureichendes Working-Capital-Management sein (vgl. IDW [2009]; Rdnr. 72 f).
Wenn sich die Liquiditätskrise weiter zuspitzt, kann es zur Insolvenzlage bzw. der Zahlungsunfähigkeit kommen. Diese kann nur dadurch überwunden werden, dass durch geeignete und schnell realisierbare Maßnahmen die Voraussetzung für eine positive Fortbestehungsprognose geschaffen wird.
2.2.3 Aussagen zur Unternehmensfortführung
„Spätestens in der Liquiditätskrise ist von der Geschäftsführung ein Liquiditätsstatus zu erstellen (§17 InsO) und die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens zu untersuchen.“ (IDW [2009]; Rdnr. 77) Maßgeblich für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit ist dabei nicht die stichtagsbezogene Gegenüberstellung der verfügbaren Finanzmittel mit den fälligen Verbindlichkeiten, sondern vielmehr, ob der Liquiditätsengpass nur eine sogenannte Zahlungsstockung darstellt und ob das Unternehmen in der Lage ist, diese zu beseitigen.
[...]
1 Interview mit RA Ehrenfried Kuss, Mitglied des inhaltlich für IDW S6 verantwortlichen IDW- Fachausschusses Sanierung und Insolvenz (FAS); 17.6.2010.