Die Ausbildung von Physiotherapeuten und die Bedeutung des Fachgebietes in der DDR


Diplomarbeit, 2011

90 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemhintergrund
1.2 Forschungsziel und erkenntnisleitende Fragestellungen
1.3 Forschungsstand, Untersuchungsmethodik, Vorgehensweise

2 Die Stellung der Physiotherapie innerhalb des Gesundheitswesens der DDR
2.1 Übersicht über die Berufsgruppen und deren Aufgaben im physikalisch-therapeutischen Bereich der DDR
2.2 Gesundheitspolitische Rahmenbedingungen
2.3 Die Entwicklung des Fachgebietes in der DDR
2.4 Definition der Physiotherapie und ihre Bedeutung im therapeutischen System
2.5 Teilgebiete der Physiotherapie
2.6 Schwerpunktsetzung bei physiotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen
2.7 Die Bedeutung der Physiotherapie in den verschiedenen medizinischen Betreuungsbereichen
2.7.1 Ambulanter Betreuungsbereich
2.7.2 Stationärer Betreuungsbereich
2.7.3 Kur- und Bäderwesen
2.8 Das Forschungsprofil der Wissenschaftsdisziplin Physiotherapie

3 Physiotherapieausbildung in der DDR
3.1 Veränderungen in der Sowjetischen Besatzungszone bis zur Gründung der DDR (1945-1949)
3.2 Die Ausbildung von Krankengymnasten an Medizinischen Fachschulen (1950-1960)
3.3 Die Einführung des Facharbeiterberufs „Physiotherapeut“ und dessen Eingliederung in die Systematik der Ausbildungsberufe (1961-1973)
3.4 Die Reintegration der Physiotherapieausbildung in das staatliche Fachschulsystem (1974-1990)
3.5 Gegenüberstellung der Lehrprogramme für die Fachrichtung Physiotherapie
3.6 Qualifizierungsmöglichkeiten durch Fort- und Weiterbildung für Physiotherapeuten

4 Diskussion
4.1 Diskussion der Untersuchungsergebnisse
4.2 Methodendiskussion

5 Zusammenfassung

6 Summary

7 Literatur- und Quellenverzeichnis
7.1 Literaturverzeichnis
7.2 Archivalische Quellen

8 Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Vergleich der Unterrichtsanteile in der Physiotherapieausbildung der DDR mit den derzeitig gültigen Ausbildungsrichtlinien von 1994

Abb. 2: Entwicklung verschiedener Lehrgebiete in der Physiotherapieausbildung der DDR und Vergleich mit den derzeitig gültigen Ausbildungsrichtlinien von 1994

Tab. 1: Übersicht über die abschnittsweise Erwachsenenqualifizierung in der Fachrichtung Physiotherapie

1 Einleitung

1.1 Problemhintergrund

Bereits seit einigen Jahren befindet sich die Physiotherapie in Deutschland auf dem Weg der Professionalisierung. Darunter kann ein Entwicklungsprozess verstanden werden, der für Berufe notwendig ist, sich dem Phänomen der Profession anzunähern. Der Begriff Profession wird von Büschges (2007, S. 514) als „ein für die Gesellschaft relevanter Dienstleistungsberuf mit hohem Prestige und Einkommen, der hochgradig spezialisiertes und systematisiertes, nur im Laufe langer Ausbildung erwerbbares, technisches und/oder institutionelles Wissen relativ autonom und kollektivitätsorientiert anwendet“ definiert. Bezogen auf das Fachgebiet der Physiotherapie wurden von Schämann (2006, S.32-38) als charakteristische Wesensmerkmale der Professionalisierung der Erwerb von Autonomie im beruflichen Handeln, der Aufbau eines spezialisierten und systematisierten Fachwissens, die Konstituierung einer einflussreichen und berufsständigen Organisation, eine vom Berufsstand etablierte akademische Ausbildungsstruktur sowie die Kodifizierung berufsethischer Normen identifiziert. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte jedoch nicht für sämtliche genannten Kriterien ein gleiches Ausmaß in der Umsetzung erreicht werden.

Bezüglich der Verwissenschaftlichung des Fachwissens wurden in den letzten Jahren bereits große Fortschritte realisiert. Hierfür bildete die Einführung einer Dokumentation von Untersuchungsergebnissen sowie eines Behandlungsplanes und –verlaufes eine wichtige Voraussetzung, wodurch gleichzeitig die Therapiesteuerung verbessert und eine Erfolgskontrolle gesichert werden konnten. Ein weiterer bedeutsamer Schritt zur fachlichen Autonomie wurde dadurch erreicht, dass Physiotherapeuten bei der Entwicklung von Lehrbüchern nicht mehr bloß Koautoren von Ärzten sind, sondern nunmehr ihre Fachliteratur selbst schreiben. Darüber hinaus spielen in der Physiotherapie Qualitätssicherung, Evidenzbasierung sowie die Durchführung von Effektivitätsstudien eine zunehmende Rolle (Hüter-Becker 2004b, S. 42-45).

Im Gegensatz zu diesen positiven Entwicklungen blieb die berufliche Handlungsautonomie auf die Konzipierung und Ausdifferenzierung von neuen Behandlungstechniken beschränkt. Hierbei bestimmen jedoch die Spitzenverbände der Krankenkassen darüber, in wie weit eine Therapiemethode als „verordnungsfähig“ im Sinne der Heilmittelrichtlinien eingestuft werden kann. Ferner sind Physiotherapeuten, da sie dem Heilpraktikergesetz aus dem Jahr 1939 unterliegen, für die Durchführung von Behandlungsmaßnahmen im therapeutischen und rehabilitativen Sektor auf eine vorangegangene ärztliche Verordnung angewiesen. Lediglich auf dem Gebiet der Prävention dürfen Physiotherapeuten als „First-Contact Practitioner“, d.h. ohne ärztliche Überweisung, eigenständig tätig werden. Während sich dieses Prinzip beispielsweise in den USA, in Australien, Schweden und den Niederlanden für alle physiotherapeutischen Handlungsbereiche erfolgreich durchsetzen konnte (Goodman / Snyder 2007; Leemrijse et al. 2008; Leinich 2007; Repschläger 2007), wurde durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.08.2009 die bestehende rechtliche Lage in Deutschland bekräftigt (BVerwG 2009). Demnach verfügen die deutschen Physiotherapeuten nicht über die notwendigen diagnostischen Kenntnisse zur eigenverantwortlichen Krankenbehandlung und benötigen für die Durchführung von Therapiemaßnahmen ohne ärztliche Verordnung eine auf die Ausübung der Physiotherapie beschränkte Heilpraktikererlaubnis. Folglich ist zu konstatieren, dass die Entwicklung der Handlungsautonomie durch die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen stark eingeschränkt wird.

Mit der Einführung des „Neuen Denkmodells“ im Jahr 1997 trat ein Paradigmenwechsel im Selbstverständnis des Fachgebietes ein. So wurde durch dieses neue Theoriemodell die klassische Gliederung von physiotherapeutischen Anwendungen, die sich bis dahin an den klinischen Fächern der Medizin orientierte, verlassen und stattdessen die Organ- und Funktionssysteme, an denen physiotherapeutische Interventionen ihre Wirkungen entfalten, in den Blickpunkt genommen. Infolgedessen dient die Behandlung nicht mehr, wie in Zeiten biomedizinischen Verständnisses, der Beseitigung von Störungen im somatischen und psychischen Bereich, sondern zielt darauf ab, die Funktionen des Bewegungssystems und der inneren Organe, die Bewegungsentwicklung und Bewegungskontrolle sowie das Verhalten im Alltag des Patienten positiv zu beeinflussen. Die heutige Physiotherapie steht somit für ein ganzheitliches Konzept, in dem der Leib-Seele-Dualismus überwunden wurde und davon ausgegangen wird, dass sämtliche Funktionssysteme, die als „Wirkorte“ bezeichnet werden, miteinander verbunden sind (Hüter-Becker 1997, S. 565-569).

Die Umsetzung dieser neuen Denkweise wird jedoch durch die aktuelle Ausbildungs- und Prüfungsverordnung von 1994 erschwert, da sie die berufstheoretischen und fachpraktischen Lehrinhalte nach den medizinischen Fachgebieten gliedert (PhysTh-APrV 1994). Des Weiteren nimmt die Physiotherapieausbildung im deutschen Bildungssystem eine Sonderstellung ein, da sie nicht im Berufsbildungsgesetz integriert, sondern durch das Masseur- und Physiotherapeutengesetz geregelt wird (MPhG 1994). Das Gesetz schreibt eine dreijährige Ausbildung an Berufsfachschulen vor, wobei mindestens 2900 Stunden in theoretischen und praktischen Unterrichtseinheiten sowie 1600 Stunden in praktischer Ausbildung absolviert werden müssen. Obwohl die Ausbildung mit einem Staatsexamen abschließt, existiert kein einheitliches und national verbindliches Curriculum.[1] Darüber hinaus wird die Mehrzahl der gegenwärtig bestehenden 268 Berufsfachschulen als so genannte Ersatzschulen in freier Trägerschaft geführt (ZVK 2010a). Die Qualität der Ausbildung sowie die materielle Ausstattung der Bildungseinrichtungen unterliegen derzeitig ökonomischen Zwängen und variieren somit deutlich. Bislang konnte sich auch noch kein verbindliches Qualitätssicherungssystem etablieren. Ferner gibt es bei den Schulaufsichtsbehörden der verschiedenen Bundesländer keinen Konsens über die notwendigen Qualifikations-anforderungen des Lehrpersonals.

Da die Ausbildung von Physiotherapeuten in den übrigen europäischen Ländern an Fachhochschulen bzw. Universitäten verortet ist, wurden im Zuge des Bologna-Prozesses ab 2001 auch in Deutschland erste Bachelor-Studiengänge für Physiotherapeuten an Fachhochschulen etabliert (Scherfer 2004, S. 47-53). Lange Zeit konnte ein Studium jedoch nur ausbildungsbegleitend (dual) oder im Anschluss an eine schulische Physiotherapieausbildung aufgenommen werden. Eine Gesetzesänderung im Jahr 2009 ermöglicht, zunächst im Modellversuch bis 2015, die Einführung von primärqualifizierenden Studiengängen in der Physiotherapie (Bundesministerium für Gesundheit 2009). Gegenwärtig bieten bundesweit 26 Fachhochschulen die Möglichkeit für ein Bachelor-Studium an. Obwohl derzeit bereits 14 Studiengänge akkreditiert sind, divergiert die inhaltliche Schwerpunktsetzung stark.[2] Darüber hinaus wurde seit 2005 an 7 deutschen Hochschulen die Qualifizierung für einen Master-Studiengang geschaffen (ZVK 2010b). Zusammenfassend ist jedoch festzustellen, dass der Erwerb eines akademischen Grades in der Physiotherapie die Ausnahme darstellt. So ermittelte Juhnke (2009) in ihrer Untersuchung, dass gegenwärtig nur etwas mehr als 1% der praktizierenden Physiotherapeuten in Deutschland über einen berufsspezifischen Hochschulabschluss verfügen. Des Weiteren existieren auf dem Arbeitsmarkt nur wenige Stellen, die ein der Qualifizierung angemessenes Beschäftigungsverhältnis sowie die damit verbundene Vergütung garantieren.

Da die geplante Neukonzipierung der Physiotherapieausbildung in Deutschland die Berücksichtigung von Vergangenem einschließen sollte, ist es unabdingbar auch die Ausbildungsstrukturen der ehemaligen DDR zu beleuchten. So erfuhr die Ausbildung von Physiotherapeuten bereits in der DDR durch die Umgestaltung von einer Berufsausbildung in eine medizinische Fachschulausbildung eine Aufwertung. Erste Ansätze für eine Akademisierung wurden dadurch bereits von dem Bildungssystem der DDR initiiert. Nach der deutschen Wiedervereinigung fanden diese aufgebauten Strukturen im neuen gemeinsamen Berufsgesetz sowie in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung keine Beachtung. Indem man die Chance zur Implementierung einer gesamtdeutschen akademischen Ausbildungsstruktur verpasste, gingen auch die bereits gewonnenen Erfahrungen aus der DDR für die derzeitig angestrebte Professionalisierung der Physiotherapie verloren. Zu erwähnen sind hierbei insbesondere das damalige ganzheitlich ausgerichtete Therapieverständnis des Fachgebietes sowie die Anwendung von klinisch-experimentellen Forschungsmethoden zur Entwicklung optimaler Behandlungsstrategien. Des Weiteren fand seit 1990 kein wissenschaftlicher Diskurs über die erhaltenswerten Anteile der medizinischen Fachschulausbildung der DDR statt.

1.2 Forschungsziel und erkenntnisleitende Fragestellungen

Primäres Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, die Entwicklungslinien der Physiotherapie in der DDR aufzuzeigen. Durch eine historische Überblicksarbeit soll hierbei die Position des Fachgebietes im Gesundheitswesen der DDR skizziert sowie die Ausbildung von Physiotherapeuten dargestellt werden. Ein weiteres Anliegen der Untersuchung besteht darin, diese aktuelle Forschungslücke innerhalb der Geschichte der Physiotherapie zu reduzieren und somit einen Beitrag zur Identitätsbildung des Fachbereichs zu leisten.

In diesem Zusammenhang ergaben sich folgende Fragestellungen:

- Unter welchen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen erfolgte die Entwicklung des Fachgebietes in der DDR und in wie weit kam der Physiotherapie innerhalb des komplexen Systems der medizinischen Betreuungsbereiche eine tragende Funktion zu?
- Welches theoretische Konzept lag dem Selbstverständnis des Fachgebietes zugrunde und in welche Teilgebiete wurde die Physiotherapie gegliedert?
- Welchen Stellenwert nahmen die Forschung sowie die Anwendung von evidenzbasierten Behandlungstechniken auf dem Gebiet der Physiotherapie ein und wo lag die Schwerpunktsetzung bei physiotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen?
- Welche Entwicklungsetappen der Physiotherapieausbildung lassen sich im gesellschaftlich-historischen Kontext der DDR identifizieren und in welchem politischen Rahmen waren die jeweiligen Veränderungen eingebettet?
- Wie veränderte sich in den jeweiligen Lehr- bzw. Studienplänen das quantitative Stundenvolumen bezüglich des berufstheoretischen und fachpraktischen Unterrichts sowie der praktischen Ausbildung am Patienten?
- Wie sahen die Qualifikationswege für Physiotherapeuten in der DDR aus?

1.3 Forschungsstand, Untersuchungsmethodik, Vorgehensweise

Seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 fand kaum ein Diskurs über die Position der Physiotherapie im Gesundheitswesen der DDR statt, noch wurde über erhaltenswerte Anteile der medizinischen Fachschulausbildung von Physiotherapeuten diskutiert. Auch wurde in den derzeitigen Professionalisierungsbestrebungen für das Fachgebiet die Notwendigkeit zur Aufarbeitung der historischen Entwicklungslinien des Berufes in der DDR nicht erkannt. Infolgedessen existieren in der Fachliteratur nur vereinzelte Beiträge zum Thema, die die Vergangenheit bruchstückhaft skizzieren (Hüter-Becker 2004a, S. 27-29). Selbst in einer Chronik zum 60jährigen Bestehen des deutschen Zentralverbandes der Physiotherapeuten / Krankengymnasten (ZVK) wurde zur Physiotherapie in der DDR nur marginal Stellung bezogen (Deutscher Verband für Physiotherapie 2009, S. 35).

Lediglich die „Zeitschrift für Physiotherapeuten“ widmete sich in den letzten Jahren in verschiedenen Beiträgen der Thematik, wobei allerdings vorrangig die Entwicklungs-geschichte verschiedener Behandlungstechniken dargestellt wurde (Wilda-Kiesel 1998, 2003). Ferner veröffentlichte die oben genannte Zeitschrift zwei Beiträge zur medizinischen Fachschulausbildung von Physiotherapeuten in der DDR, die sich jedoch nur auf den letzten Zeitabschnitt zwischen 1974 und 1989 bezogen (Hüttich 2006a) bzw. die Veränderungen innerhalb eines Lehrgebietes aufzeigten (Hüttich 2006b). Des Weiteren wurden im Jahr 2000 drei Interviews mit Physiotherapeutinnen, die in der DDR-Zeit tätig waren, veröffentlicht (Böttcher 2000; Ehrhardt 2000; Popp 2000). Diese ermöglichten einen Einblick in die damaligen Arbeitsbedingungen und zeigten die inhaltliche Schwerpunktsetzung des Fachgebietes in der DDR auf.

Eine Übersicht zur Ausbildung der mittleren medizinischen Fachkräfte in der DDR wurde durch Wolff (1994) erarbeitet, wobei jedoch die Pflegeberufe im Vordergrund standen und somit die Besonderheiten in der Physiotherapieausbildung weitgehend unberücksichtigt blieben. Während in der Pflege eine Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung der beruflichen Bildung in der DDR bereits in den letzten Jahren statt fand (Thiekötter 2006), geschah dies nicht für den Fachbereich der Physiotherapie.

Somit ist zu konstatieren, dass der derzeitig vorhandene Fundus an Literatur zur Physiotherapie in der DDR als defizitär einzustufen ist.

Ausgehend von dem beschriebenen lückenhaften Forschungsstand wurden in einem ersten Arbeitsschritt der Heuristik erkenntnisleitende Fragestellungen entwickelt. Hierbei begründete das Vorhaben unbekannte Aspekte und neue Zusammenhänge zu beschreiben die Wahl für ein qualitatives Forschungsdesign. Als geeignetes nichtreaktives Verfahren zur Material-erhebung wurde für die Untersuchung die Sammlung von Dokumenten bzw. Quellen ausgewählt. Hierzu wurden in Berlin das Bundesarchiv sowie die dazugehörige Bibliothek, die Medizinische Bibliothek der Charité am Campus Mitte und die Bibliothek des Instituts der Geschichte der Medizin genutzt. Darüber hinaus wurden in Dresden die Bibliothek der Stiftung Deutsches Hygiene-Museum sowie die Zentralbibliothek, die Zweigbibliothek Erziehungswissenschaften und die Zweigbibliothek Medizin mit deren Teilbibliothek Geschichte der Medizin der Sächsischen Landesbibliothek Staats- und Universitätsbibliothek in die Recherche einbezogen. Ferner wurden weitere Primärquellen in der Deutschen Nationalbibliothek am Standort Leipzig erschlossen.

Zu Beginn der Recherche wurden die zur Verfügung stehenden traditionellen Quellen rückwärts bibliographiert, d.h. die Hinweise im Literaturverzeichnis auf Primärquellen zurückverfolgt. Von besonderer Relevanz waren drei Fachzeitschriften der DDR – „Humanitas“, „Zeitschrift für Physiotherapie“ sowie „Heilberufe“. Für die Entwicklung der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Physiotherapeuten in der DDR war die Zeitung „Humanitas“, die von der Gewerkschaft Gesundheit im FDGB ab 1961 in einem zweiwöchentlichen Abstand herausgegeben wurde, aussagekräftig. In dem Zeitfenster von 1949-1960 wurden diesbezügliche Informationen der Zeitschrift „Heilberufe“ entnommen. Das Auffinden von verwendbarem Material gestaltete sich jedoch aufwändig, da die Ausgaben nicht digitalisiert vorlagen und somit keine elektronische Schlagwortsuche erfolgen konnte. Insbesondere in der Zeitung „Humanitas“ mussten auf Grund mangelnder Literaturverweise die einzelnen Jahrgänge manuell durchsucht werden. Hinsichtlich der Bedeutung des Fachgebietes im Gesundheitswesen der DDR brachte die „Zeitschrift für Physiotherapie“ viele Erkenntnisse. Dabei wurde das Auffinden verwertbarer Publikationen ab 1980 durch eine elektronische Suchhilfe erleichtert.

Um weitere Primärquellen zum Themengebiet zu erschließen, wurde die Suche auf die Akten des Bundesarchivs Berlin erweitert. Dabei wurden mit Hilfe von Schlagworten in der elektronischen Archivgutsuche (ARGUS) die Bestandssignaturen des Ministeriums für Gesundheitswesen (DQ 1) sowie des Instituts für Weiterbildung mittlerer medizinischer Fachkräfte (DQ 110) systematisch durchgesehen. Dies war möglich, da die sonst übliche 30-jährige Sperrfrist für Akten des Archivguts der DDR entfiel. An schriftlichen Quellen wurden Protokolle der Ministerdienstberatungen, Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Gesundheitswesen sowie Briefe, Zeugnisse und Ausbildungsmaterialien, wie z.B. Lehr-programme oder Studienpläne, die zu den Forschungsfragen auskunftsfähig waren, in die Datenerhebung einbezogen und ausgewertet. Darüber hinaus fanden die Gesetzesblätter und statistischen Jahrbücher der DDR aus der Bibliothek des Bundesarchivs für die Aufarbeitung der Problemstellung Verwendung. Ferner konnten durch eine Recherche in der Deutschen Nationalbibliothek am Standort Leipzig neue Erkenntnisse zur beruflichen Qualifizierung von Physiotherapeuten eruiert werden, da dort weitere Publikationen des Instituts für Weiterbildung mittlerer medizinischer Fachkräfte verfügbar waren.

Schließlich wurden aus der „Zeitschrift für Physiotherapeuten“ die drei Interviews von

Physiotherapeutinnen, welche in der DDR-Zeit tätig waren, in die Literatursammlung aufgenommen und mit den Daten aus Literatur- und Quellenfunden verglichen.

Zur Erschließung und Auswertung der Primärquellen wurde die historisch-kritische Methode der Geschichtswissenschaft angewandt. Dabei handelte es sich um Arbeitstechniken, die auf dem Prinzip des hermeneutischen Verstehensprozesses beruhen und den gesamten Erkenntnisweg, angefangen vom alleinigen sprachlichen Verständnis bis zur Bestimmung der Aussagekraft von Quellen sowie deren Einordnung in einen größeren historischen Kontext, umfassen. In Anlehnung an Borowsky et al. (1989) wurden zur Vorbereitung der Interpretation die Quellen einer philologisch-hermeneutischen Textkritik sowie einer historischen und ideologischen Kritik unterworfen.

Während die Textkritik darauf abzielte, die Evidenz der Schriften hinsichtlich der Urheber-schaft sowie deren Angabe zur Entstehungszeit bzw. den Wortlaut selbst zu hinterfragen, bezog sich die historische Kritik auf den Versuch, die zeitbedingten Eigenheiten der Quellen zu rekonstruieren und somit einer monokausalen Wiedergabe von Fakten bzw. Verhältnissen der Vergangenheit entgegenzuwirken. Schließlich wurde durch eine Ideologiekritik sowohl die politisch-gesellschaftliche Perspektive des Quellenverfassers als auch der Standpunkt des Forschenden befragt (Borowsky et al. 1989, S. 157-169).

Bei der kritischen Analyse galt es hierbei in einem ersten Arbeitsschritt die Zugehörigkeit zu einer Quellengruppe zu bestimmen sowie den Fund- bzw. Aufbewahrungsort zu registrieren. In dem Fall, das der äußere Erhaltungszustand die Lesbarkeit beeinträchtigte, hatte darüber ein Vermerk zu erfolgen. Um die sich nun anschließende Textsicherung vorzunehmen, mussten sämtliche fremde Einschübe aus dem Quellenmaterial bereinigt werden. Insbesondere bei den Akten des Bundesarchivs gestaltete sich dies jedoch schwierig, da es sich mitunter um mehrfach korrigierte und inhaltlich geänderte Konzepte handelte. Infolgedessen konnte die Frage, ob die späteren Zusätze bzw. Streichungen vom ursprünglichen Verfasser stammten, nicht immer eindeutig beantwortet werden.

Im Rahmen der äußeren Kritik eines Dokumentes war die Frage nach der Entstehungszeit, dem Entstehungsort, dem Verfasser sowie dem Adressaten zu klären. Im Gegensatz dazu diente die innere Kritik der sprachlichen und sachlichen Aufschlüsselung der Texte. Hierfür musste die Bedeutung von heute nicht mehr geläufigen Wortinhalten, von unbekannten Wörtern sowie von Begriffen, die sich im Laufe der Zeit verändert haben, geklärt werden. Des Weiteren war zu berücksichtigen, dass der Sinngehalt von Wörtern in direkter Abhängigkeit zum Kontext stand sowie bestimmte Termini in der DDR ideologisch besetzt waren. Anschließend konnte nach unbekannten Sachverhalten, Entscheidungsabläufen oder Strukturen gesucht werden.

Mit dem Ziel, die gedankliche Abfolge des Quellenmaterials leichter erkennbar werden zu lassen, wurde zu Beginn der Interpretation eine inhaltliche Zusammenfassung der einzelnen Abschnitte vorgenommen. Nachdem der Inhalt des Textes erarbeitet wurde, folgte eine Eingrenzung des Aussagebereichs. Hierbei galt es die Darstellung von Sachverhalten, Auffassungen, Zielsetzungen bzw. Ar­gumentationen in Bezug zur politisch-gesellschaftlichen Position des Verfassers zu setzen sowie die Aussagen in einen größeren historischen Zusammenhang einzuordnen. Als Resultat der Quellenarbeit entstanden schließlich die problemorientierte Übersicht der Ergebnisse und die Bestimmung des Erkenntniswertes für die eigene Fragestellung (Borowsky et al. 1989, S. 160-174).

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde für alle Personenbezeichnungen die männliche Form gewählt, jedoch beziehen sich die Inhalte auf beide Geschlechter.

2 Die Stellung der Physiotherapie innerhalb des Gesundheitswesens der DDR

2.1 Übersicht über die Berufsgruppen und deren Aufgaben im physikalisch-therapeutischen Bereich der DDR

Da die DDR im physikalisch-therapeutischen Sektor im Vergleich zur heutigen Situation in der Bundesrepublik Deutschland ein breiteres Spektrum von Berufsgruppen aufwies und zum Teil andere Berufsbezeichnungen existierten, soll im Folgenden eine Übersicht zum besseren Textverständnis gegeben werden.

Die Physiotherapie ging aus dem in der Medizin als „Naturheilkunde“ bezeichneten Gebiet hervor und wurde in der DDR ab 1955/56 unter dem Namen „physikalisch-diätetische Therapie“ geführt. Im Zuge der Anpassung an internationale Entwicklungen wechselte 1961 die Bezeichnung zu „Physiotherapie“ (Krauß 1969, S. 57).

Als Berufsgruppe mit leitender Funktion existierte seit 1956 der „Facharzt für physikalisch-diätetische Therapie“, welcher Mitte der 60er Jahre in „Facharzt für Physiotherapie“ umbenannt wurde (Cordes 1979, S. 66). Neben der Koordinierung des Arbeitseinsatzes von medizinischen Fachkräften und deren Unterweisung oblagen ihm die Durchführung der Diagnostik sowie die Überwachung des von ihm erstellten Therapieplanes. Hinsichtlich der Verordnung von physikalisch-therapeutischen Maßnahmen war er als Berater für Ärzte anderer Fachrichtungen tätig (Albrecht 1988, S. 267-279).

Bereits während des Medizinstudiums wurden den künftigen Ärzten Grundkenntnisse des Fachgebietes vermittelt, die sich jedoch auf ausgewählte Inhalte beschränkten (Krauß 1969, S. 58-61). Die Weiterbildung zum Facharzt für physikalisch-diätetische Therapie bzw. zum Facharzt für Physiotherapie sah nach Erlangung der Approbation eine 4-jährige Ausbildungszeit, welche im Zuge der Facharztreform 1967 um ein Jahr erweitert wurde, vor (Krauß 1961, S. 277-288; ebd. 1969, S. 61-62). Anschließend bestand die Möglichkeit einer Subspezialisierung auf den Gebieten der Rheumatologie und der Kardiologie-Angiologie (Stahn 1982, S. 56).

Als medizinische Fachkräfte wurden im physikalisch-therapeutischen Bereich bis 1961 die Berufe „Krankengymnast“, „Masseur und medizinischer Bademeister“[3] sowie „Hydro-therapeut“ ausgebildet. Für diese Berufe existierten definierte Kompetenzbereiche, wobei sich jedoch zum Teil die Handlungsfelder überschnitten.

Die Krankengymnasten zeichneten sich durch ein weites Aufgabengebiet aus, das sich nicht nur auf die Krankengymnastik am Patienten beschränkte, sondern auch auf die Elektrotherapie und Massage erstreckte (Ministerium des Gesundheitswesen 1951, S. 52-53). Für therapeutische Wasseranwendungen waren hingegen primär Hydrotherapeuten zuständig, welche jedoch nicht an allen Einrichtungen verfügbar waren, so dass in diesen Fällen den Krankengymnasten und den Masseuren dieser Aufgabenbereich übertragen wurde (Krauß 1955, S. 206-207). Das Tätigkeitsfeld von Masseuren lag neben der hydrotherapeutischen Behandlung vorrangig in der Durchführung der Klassischen Massage und Spezialmassagen sowie in diversen Anwendungen aus der Photo- und Elektrotherapie (Zeibig 1976, S. 14).

Parallel zu den oben genannten Berufen wurden „Badegehilfen“, „Medizinische Bademeister“ und „Krankengymnastikhelfer“ als Hilfspersonal ausgebildet. Diese übernahmen vor allem im Bäderbereich vor- und nachbereitende Aufgaben und leisteten den Patienten Hilfestellung (Gehring 1952, S. 2; Institut für Weiterbildung mittlerer medizinischer Fachkräfte 1963, S. 3-5).

1961 wurde der Universalberuf „Physiotherapeut“ durch die Zusammenlegung der Berufe „Krankengymnast“ und „Hydrotherapeut“ eingeführt, welche in der Konsequenz dieser Umstrukturierung nicht mehr ausgebildet wurden. Des Weiteren wurde im Zuge dieser Veränderungen das Berufsbild des „Krankengymnastikhelfers“ abgeschafft und die Ausbildung von Masseuren stark eingeschränkt.[4]

Sämtliche erwähnten medizinischen Fachkräfte waren für die Durchführung der Therapie-maßnahmen auf eine ärztliche Verordnung angewiesen (Binder 1990, S. 133-136).

2.2 Gesundheitspolitische Rahmenbedingungen

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der DDR die Organisation und der Aufbau des Gesundheitswesens nach sozialistischen Grundsätzen geschaffen und sich dabei am sowjetischen Modell orientiert. Infolgedessen kam es zur staatlichen Lenkung im Gesund-heitswesen sowie zum Aufbau von zentralistischen und hierarchisch gegliederten Strukturen. Personelle und materielle Erfordernisse wurden in die jährlichen Volkswirtschaftspläne eingearbeitet. Alle grundsätzlichen Entscheidungen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens gingen vom Gesundheitsministerium der DDR aus, das allerdings an die Direktiven des Zentralkomitees der SED gebunden war (Spaar 1999, S. 30-34). Die Aufwendungen aus dem Staatshaushalt für das Gesundheits- und Sozialwesen stiegen mit dem wachsenden Nationaleinkommen der DDR von Jahr zu Jahr, blieben jedoch anteilig zwischen 5 und 6% eine relativ konstante Größe bei den Staatsausgaben (Ruban 1981, S. 106).[5] Durch die Zahlung eines geringen Beitrages in die Sozialversicherung hatten die Bürger der DDR als Patienten kostenlosen Zugang zu allen ambulanten und stationären medizinischen Einrichtungen.

In der medizinischen Betreuung wurde primär der ambulante Bereich umgestellt. So verringerte sich die Anzahl der Ärzte, die ihre Tätigkeit in eigener Niederlassung ausübten, stetig, während die Zahl von staatlichen Arztpraxen von 298 im Jahr 1960 auf 1631 im Jahr 1982 anstieg. Mit dem Ziel der Erhöhung der Leistungsfähigkeit und der Verbesserung der Qualität wurden im ambulanten Sektor zunehmend mehr Polikliniken und Ambulatorien konstituiert. Verfügte die DDR 1950 lediglich über 184 Polikliniken, so waren es 1982 bereits 577 (o.V. 1984, S. 3).[6] In diesen ambulanten Versorgungszentren der DDR bestanden gute Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit, die durch eine gemeinsam betriebene Röntgen- und Labortechnik unterstützt wurde. Lästige Überweisungsverfahren konnten dadurch vermieden werden, so dass sich der Diagnose-Therapie-Prozess verkürzte. Allerdings wurden diese potentiellen Vorteile oftmals durch erhebliche Mängel bei der technischen Ausstattung blockiert.

Konsequent wurde auch bei den stationären Einrichtungen dieser Konzentrationsprozess in der medizinischen Betreuung durchgeführt. Durch die Auflösung kleinerer Hospitale bzw. das Zusammenlegen mehrerer Häuser zu einer größeren leistungsfähigeren Einheit, ging die Zahl der Krankenhäuser in der DDR ständig zurück, bei gleichzeitiger Zunahme der Bettenzahl je Anstalt. Seit 1965 wurde aber auch die Gesamtzahl der Betten ständig reduziert (Ruban 1981, S. 116). Dies geschah auf Grund des nachlassenden Bedarfs, der auf dem Rückgang bestimmter Infektionskrankheiten, wie z.B. der Tuberkulose und der immer kürzer werdenden Verweildauer je Patient beruhte. Kleinere Krankenhäuser, die nicht wie Universitätskliniken und Bezirkskrankenhäuser die Funktion einer Leitklinik[7] innerhalb einer Region hatten, waren jedoch häufig überbelegt und ihre technische Ausrüstung veraltet. Darüber hinaus fehlte es an Pflegepersonal.

Die Konzentration ärztlicher Arbeitsplätze zwang auch in der Physiotherapie zur Schaffung leistungsfähiger Einrichtungen in Polikliniken oder Ambulatorien. Dieser Transformations-prozess in der physiotherapeutischen Betreuung kann am Beispiel der Hauptstadt der DDR belegt werden. Erfolgte 1949 in Ost-Berlin die physiotherapeutische Behandlung noch an 358 Einrichtungen, so verblieben 1964 noch 200 und im Jahre 1980 lediglich 152 Standorte.[8] Da kaum noch Genehmigungen für die selbständige Tätigkeit von Physiotherapeuten erteilt wurden, verringerte sich vor allem die Anzahl von Praxen und medizinischen Badeanstalten in eigener Niederlassung. So stellte die Selbständigkeit bei Physiotherapeuten bereits zu Beginn der 70er Jahre eine absolute Ausnahme dar (Panzer et al. 1983, S. 66).

Insgesamt kam es zu einer Konzentration von physiotherapeutischen Einrichtungen in Wohngebieten mit größerer Einwohnerzahl (Brückner et al. 1973, S. 31-35).

Spezielle physiotherapeutische Behandlungstechniken wurden somit häufig nur noch in größeren Kliniken angeboten, was sich durch die lange Anreise negativ auf die Möglichkeit einer adäquaten und regelmäßigen Behandlung auswirkte (Brückner et al. 1973; Ehrhardt 2000; Popp 2000).

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass es dem Ministerium für Gesundheitswesen der DDR nicht gelang eine gute Relation von leistungsfähigen großen physiotherapeutischen Einrichtungen und dezentralisierten kleinen physiotherapeutischen Abteilungen zu schaffen, so dass als Folge dieser Entwicklung innerhalb der DDR oftmals territoriale Disproportionen in der ärztlichen und insbesondere der physiotherapeutischen Versorgung entstanden.

1984 wurden diese Missstände offen von der Gesellschaft für Physiotherapie thematisiert:

„Trotz Bereitstellung umfangreicher personeller, materieller und finanzieller Fonds für das Fachgebiet der Physiotherapie führte dies noch nicht in allen Territorien der DDR zu einer spürbaren Verbesserung der physiotherapeutischen Betreuung unserer Bürger und zur Zufriedenheit der Bürger mit ihrer physiotherapeutischen Behandlung“ (Gesellschaft für Physiotherapie der DDR 1984, S. 6).

2.3 Die Entwicklung des Fachgebietes in der DDR

Die Anfänge bei der Neugestaltung des Gesundheitswesens in der DDR wurden maßgeblich durch den Arzt und Gesundheitspolitiker Maxim Zetkin geprägt. Er erkannte der Physiotherapie für die medizinische Betreuung eine entsprechende Bedeutung zu, obwohl ein Großteil der physikalischen Therapiemethoden zum damaligen Zeitpunkt von den Schul-medizinern abwertend als „intuitiv“ angewandtes und „suggestiv“ wirkendes Naturheilverfahren eingestuft wurde (Lampert 1954, S. 5-7). Um „Scharlatanerie“ und „Kurpfuschertum“ entgegenzutreten, sollten jedoch mit der Gründung von physikalisch-theoretischen Instituten an den Universitäten der DDR die entsprechenden Bedingungen für die wissenschaftliche Untermauerung des Fachgebietes geschaffen werden. Unter der strengen Diktion zur Wissenschaftlichkeit gelang es der Physiotherapie sich zunehmend von ihrer Außenseiterrolle in der Medizin zu befreien. In diesem Sinn distanzierte man sich von Therapiemethoden, die auf keiner wissenschaftlichen Grundlage beruhten. Die strikte Einhaltung von evidenzbasierten Grundsätzen bei der Zulassung von physiotherapeutischen Behandlungsmethoden wurde somit zur Leitlinie für das Fachgebiet (Callies 1985, S. 323-326; Reinhold 1984, S. 1). Zu späteren Zeitpunkten erschwerte dies allerdings die rasche Aufnahme und Anerkennung von innovativen Therapieverfahren, wie z.B. der Manuellen Therapie und des Yogas (Sachse 1999, S. 48-52).

Als periodisch erscheinendes Publikationsorgan des Fachgebietes wurde ab 1949 das „Archiv für Physikalische Therapie“ bzw. seit 1953 das „Archiv für Physikalische Therapie, Balneologie und Bioklimatologie“ herausgegeben. 1971 ging daraus die vom Georg Thieme Verlag, Leipzig, herausgegebene „Zeitschrift für Physiotherapie“ hervor (Callies 1974, S. 251-255).

1954 wurde das „Institut für Kur- und Bäderwesen und physikalische Therapie“ in Bad Elster gegründet. Damit gelang es die Physiotherapie als festen Bestandteil auf dem Forschungsgebiet der Balneologie zu integrieren (Jordan 1975, S. 8-14).

Nachdem 1955 das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR die „physikalisch-diätetische Therapie“ als eigenständige Fachrichtung bestätigte, wurde im darauf folgenden Jahr 1956 mit der Anordnung über die Ausbildung und staatliche Anerkennung des „Facharztes für physikalisch-diätetische Therapie“, dem späteren „Facharzt für Physiotherapie“, ein bedeutsamer Meilenstein für die Entwicklung des Fachgebietes in der DDR geschaffen (Conradi 1974, S. 247). Mit der Übergabe der fachlichen Verantwortung an die Fachärzte für Physiotherapie, wurden diese mit der Leitung von physiotherapeutischen Abteilungen eines bestimmten Territoriums beauftragt. Neben der Anleitung der Physiotherapeuten und der Überwachung einer fachgerechten Anwendung von physiotherapeutischen Maßnahmen, oblagen ihnen die Erfassung der Auslastung der Kapazitäten und die Bedarfsentwicklung an Physiotherapieleistungen. Darüber hinaus waren die Fachärzte für Physiotherapie für die dringend notwendige Vermittlung von Kenntnissen bezüglich eines adäquaten indikations- und zeitgerechten Einsatzes von Physiotherapiemaßnahmen an die verordnenden Ärzte, insbesondere an die Fachärzte für Allgemeinmedizin, zuständig (Reinhold 1985a, S. 57; Stahn 1982, S. 54).

In Zusammenhang mit der Etablierung des Facharztes für Physiotherapie entstand 1957 die „Gesellschaft für physikalisch-diätetische Medizin der DDR“, die sich 1962 in „Gesellschaft für Physiotherapie der DDR“ umbenannte (Kilbach 1990, S. 34). Als primäres Ziel übernahm sie die zielstrebige Koordinierung von Lehre, Forschung und Therapie innerhalb des Fachgebietes.

„Die Gesellschaft für Physiotherapie der DDR stellt sich die Aufgabe, die wissenschaftliche Tätigkeit, den Erfahrungsaustausch, die Aus-, Weiter- und Fortbildung sowie die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Physiotherapie zu fördern und zu koordinieren, sowie eine enge Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis herzustellen“ (Gesellschaft für Physiotherapie der DDR 1963, S. 1)

Ärzte, Wissenschaftler und andere Personen mit abgeschlossener Hochschulbildung konnten als „ordentliches Mitglied“ der Gesellschaft beitreten. Auf Grund der in der DDR eingeschränkten Koalitionsfreiheit, gab es für Physiotherapeuten nicht die Möglichkeit sich in einem eigenständigen Berufsverband zu organisieren. Für sie bestand jedoch die Möglichkeit ihre Interessen durch eine „außerordentliche Mitgliedschaft“ in der Gesellschaft für Physiotherapie zu vertreten (Gesellschaft für Physiotherapie der DDR 1963, S. 4-5).

Innerhalb der Gesellschaft für Physiotherapie existierte für Ärzte und Physiotherapeuten die Möglichkeit in Arbeitsgemeinschaften zusammenzuarbeiten. Dies brachte einerseits den Vorteil des permanenten Austauschs untereinander, andererseits war es auch eine Chance bestehende hierarchische Strukturen abzubauen. Zielstellungen und Probleme des Fachbereichs wurden regelmäßig auf Kongressen, die zugleich Ort für Rechenschaftslegungen waren, diskutiert.

Für die Bereiche Sportmedizin, Orthopädie und Rehabilitation gelang es der Gesellschaft für Physiotherapie, durch Kooperationsvereinbarungen mit den entsprechenden medizinischen Fachgesellschaften, die interdisziplinäre Zusammenarbeit auf nationaler Ebene herzustellen bzw. zu verbessern. Eine Zusammenarbeit, die den Austausch von Informationen und Zeitschriften sowie auch gegenseitige Hospitationen beinhaltete, bestand mit den Partnergesellschaften der UdSSR, ČSSR, VR Bulgarien und Polen (Reinhold 1985b, S. 370-372).

Die Kontakte zu Kollegen aus dem nichtsozialistischen Ausland beschränkten sich auf vereinzelte von der DDR ausgeschriebene Symposien mit internationaler Beteiligung, wie z.B. die „Erste zentrale Weiterbildungstagung der Krankengymnasten“ in Leipzig 1961 (Institut für Weiterbildung mittlerer medizinischer Fachkräfte 1962). Die Verschlechterung des politischen Klimas bewirkte jedoch, dass in der DDR ab 1961 der fachliche Austausch mit Kollegen aus den nicht-sozialistischen Ländern, insbesondere der BRD und den USA, nicht erwünscht war (Popp 2000). Infolgedessen war die Gesellschaft für Physiotherapie der DDR auch nicht in der internationalen Vereinigung der Physiotherapeuten, der Weltkonföderation für Physikalische Therapie (WCPT), als Mitglied vertreten. Zu den internationalen Kongressen des Weltverbandes, wie z.B. 1970 in Stockholm, wurden lediglich einzelne ausgewählte Vertreter zum Informationsaustausch geschickt.[9]

Aus bundesdeutscher Perspektive zurückblickend, konstatiert Frau Hüter-Becker zu der getrennt verlaufenden Entwicklung der Physiotherapie in beiden deutschen Staaten:

„[…] die ostdeutschen Krankengymnasten waren für […] 40 Jahre von den Entwicklungen der Medizin und Physiotherapie in der westlichen Welt abgeschnitten“ (Hüter-Becker 2004a, S. 27).

Die Folge der sozialistischen Abschottung war, dass die Schwerpunktsetzung bei der Erforschung und Anwendung neuer Behandlungsverfahren in der Physiotherapie zwischen der DDR und der BRD deutlich divergierte. So fanden in den westlichen Ländern vor allem Entwicklungen im Bereich krankengymnastischer Techniken statt, während in der DDR die Erforschung von physikalischen Therapiemaßnahmen, insbesondere der Elektrotherapie, dominierten. Trotz der teilweisen Isolation der DDR vom nichtsozialistischen Ausland, waren die Vertreter der Physiotherapie hinsichtlich innovativer Therapiemethoden aufgeschlossen, sofern bei diesen bereits eine wissenschaftliche Wirksamkeit nachgewiesen wurde. So etablierte sich seit 1973 in der DDR bei orthopädischen und neurologischen Erkrankungen das therapeutische Reiten (Hippotherapie) und wurde als physiotherapeutische Sachleistung verordnungsfähig (Riede 1985, S. 345-347). Aus Kostengründen war und ist diese Therapieform in der BRD keine Kassenleistung.

Mit Beginn der 70er Jahre wurde die Physiotherapie in der DDR zu einem unentbehrlichen Bestandteil der medizinischen Grundbetreuung. Dadurch wurden physiotherapeutische Grundkenntnisse für das ärztliche Handeln in fast allen medizinischen Fachdisziplinen relevant. In diesem Zusammenhang wurden 1973 die an den Universitäten und Medizinischen Akademien der DDR bislang nur auf fakultativer Ebene angebotenen Lehrinhalte aus dem Fachbereich der Physiotherapie in das obligatorische Lehrprogramm von Medizinstudenten eingereiht (Callies et al. 1989, S. 383; Stahn 1982, S. 56).

2.4 Definition der Physiotherapie und ihre Bedeutung im therapeutischen System

Herbert Jordan, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Balneologie der DDR, schuf mit folgender Definition die Grundlage für das Verständnis des Fachgebietes der Physiotherapie.

„Physiotherapie ist im weitesten Sinne funktionelle Therapie, mit dem Ziel die körpereigenen reaktiven Leistungen in einem möglichst gesamtorganismischen Umfang zu stimulieren und zu optimieren. Sie besteht aus einer seriellen Applikation der ‚Physiotherapiemittel’, deren Hauptparameter Qualität, Intensität, Applikationsdauer, Intervall, und Wiederholung sind“ (Jordan 1985, S. 224).

Im komplexen System der medizinischen Betreuung wurden der Physiotherapie konkrete Aufgaben zugeschrieben, wie z.B. die Beurteilung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit sowie die Durchführung komplexer Übungs- und Konditionierungsprogramme. In diesem Zusammenhang wurde die Physiotherapie primär als Reiz- und Reaktionsbehandlung gekennzeichnet, die sich vorwiegend physikalischer und gewebeschonender Applikationsformen mit adäquater Dosierung bediente. Die serielle Anwendung von physiotherapeutischen Maßnahmen zielte dabei auf Adaptatbildungen, die im physiologischen Variationsbereich blieben. Ferner galten Physiotherapiemittel hinsichtlich ihrer Wirkfaktoren als genau definierte Therapeutika. Infolgedessen wurden neue Behandlungsverfahren nur eingesetzt, wenn ihre wirkungsphysiologischen Bezüge bekannt, ihre Dosierbarkeit garantiert und ihr indikationsbezogener Nutzen ausreichend überprüft worden waren. Bei der Auswahl der Therapiemittel wurde hierbei insbesondere die Relation zwischen Aufwand, Nutzen und Risiko berücksichtigt (Cordes 1978, S. 8-12).

Die Physiotherapie stand in der DDR für einen selbständigen und interdisziplinären Teil im Gesamtsystem der medizinischen Wissenschaften. Der Rat der medizinischen Wissenschaft unterstrich 1983 die Bedeutung der Physiotherapie für das therapeutische System.

„Es wurde eingeschätzt, dass die Physiotherapie eine bedeutsame und unverzichtbare Komponente des Gesamtsystems der therapeutischen Möglichkeit darstellt und ihr dabei ein hoher Stellenwert zukommt, dass aber auch die Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen, die Aufklärung der Wirkungsphysiologie und Präzisierung der Indikationsstellung zukünftig großer Aufmerksamkeit bedarf“ (Reinhold 1985b, S. 373).

Auch Jordan wies in seinen ganzheitlichen Betrachtungen bereits zu Beginn der 80er Jahre der Physiotherapie eine integrative und teilweise auch eine alternative Position im therapeutischen System zu.

Von erkenntnistheoretischen Überlegungen ausgehend postulierte Jordan:

„Im Rahmen des therapeutischen Systems der Medizin ist die Physiotherapie nicht nur als eine komplementäre, wahlweise einsetzbare Therapieform zu betrachten, sondern muss als eine komplementaristische, d.h. aus dem Ganzheitskomplex eines Behandlungsplanes prinzipiell nicht herauslösbare Kategorie verstanden werden, die sich sowohl qualitativ als auch quantitativ reziprok zur Arzneimitteltherapie verhält“ (Jordan 1985, S. 223).

Mit der Implementierung des Begriffs „komplementaristisch“ schrieb er somit der Physiotherapie eine Notwendigkeitsfunktion zu. In diesem Zusammenhang hielt Jordan physiotherapeutische Therapiemaßnahmen umso früher und dringlicher für erforderlich, je weniger nützlich oder vertretbar sich andere Behandlungsformen des therapeutischen Systems erwiesen. Nachdrücklich betonte er, „dass anstelle eines therapeutischen ‚entweder-oder’ das ‚sowohl-als-auch’ zu treten hat“ (Jordan 1986, S. 140). In diesem Sinne interpretierte er das therapeutische Gesamtsystem als dialektische Einheit.

2.5 Teilgebiete der Physiotherapie

Nach Cordes (1976, S. 5-9) wurde die Physiotherapie in 9 Teilgebiete gegliedert. Dabei ist die nachfolgende Darstellung nicht als Rangfolge zu betrachten, da die Physiotherapiemittel gleichberechtigt nebeneinander standen.

Kinesitherapie

Das Behandlungsverfahren der Bewegungstherapie bedeutete in seiner Anwendung die individuelle Anpassung der Körperbewegung an das pathologische Krankheitsgeschehen.

In diesem Zusammenhang umfasste die Therapie sowohl Übungen für einzelne Muskeln als auch das Einüben komplizierter Bewegungsabläufe.

Dabei schloss die Bewegungsbehandlung Krankengymnastik, Arbeits- und Sporttherapie ein.

Zu den Kernelementen der Krankengymnastik zählten aktive und passive Bewegungen, isometrisches Muskeltraining, Lagerungen, Reflexbewegungen und die Bewegungs-behandlung im Wasser. Darüber hinaus wurden zum Anbahnen physiologischer Bewegungsmuster die so genannten Komplexbewegungen nach Kabat, die sich an der Methode der propriozeptiven neuromuskulären Fazilitation anlehnten, eingesetzt. Ferner kamen Übungen aus der Atem- und Entspannungstherapie zur Anwendung (Cordes 1970).

Die Ergotherapie beinhaltete primär handwerkliche Tätigkeiten zur Schulung der Feinmotorik. In der Sporttherapie wurde im Sinne des Rehabilitationssports eine der Schädigung entsprechend modifizierte Sportart durchgeführt (Cordes 1978). Eine besonders innovative Behandlungsmethode stellte dabei das therapeutische Reiten (Hippotherapie) dar (Riede 1985 S. 345-347).

Manuelle Therapie

Unter dieser Therapieform wurden die manualtherapeutischen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auf dem Gebiet der reversiblen Funktionsstörungen des Bewegungs-systems verstanden. Zur Lösung von Gelenkblockierungen existierten Manipulations-, Mobilisations- und Automobilisationstechniken. Darüber hinaus kam die so genannte Muskel-Energie-Technik, die einer Mobilisation in postisometrischer Relaxation entsprach, zur An-wendung. Die Manuelle Therapie fand jedoch erst spät Eingang in das physiotherapeutische Behandlungsspektrum der DDR (Cordes 1978; Schildt-Rudloff / Coburger 2003)

Massagetherapie

Sie umfasste Massagen ausschließlich zu therapeutischen Zwecken, so dass Sportmassagen und kosmetische Massagen davon ausgenommen waren. Das Behandlungsspektrum erstreckte sich neben der Klassischen Massage auch auf verschiedene Spezialmassagen, wie z.B. Segment-, Bindegewebs-, Periost- und Kolonmassage. Als indirekte Behandlungsmaßnah-men galten sowohl die Bürsten- als auch die Unterwasserstrahlmassage (Cordes 1970, 1978).

Elektrotherapie

Auf dem wirkungsphysiologisch differenten Gebiet der Elektrotherapie kam eine Vielzahl von Behandlungsverfahren zum Einsatz.

Im Niederfrequenzbereich (0-1000 Hz) wurden Plattenelektroden und hydroelektrische Teil- bzw. Vollbäder als Behandlungsform der Gleichstromtherapie (Galvanisation) verwendet. Als Sonderform der Galvanisation wurde die Iontophorese zur Inkorporation von Medikamenten durchgeführt. Darüber hinaus wurden die Reizströme nach Bernard und Träbert sowie verschiedene Impulsströme als Elektrostimulationsverfahren zur neuromuskulären Reizung und zur Schmerzbekämpfung angewandt. Hierbei wurden die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) und die Elektroakupunktur als analgetische Impulsströme favorisiert. Im Mittelfrequenzbereich (1000-300000 Hz) existierte das Interferenzstromverfahren nach Nemec. Die Kurzwellen- und Mikrowellenbehandlung waren die bevorzugten Analgesieverfahren im Hochfrequenzbereich (ab 300 kHz) (Cordes 1978).

Ultraphonotherapie

In der Behandlung mit hochfrequenten mechanischen Schwingungen wurden in der DDR Geräte mit 800 bzw. 880 kHz eingesetzt. Als therapeutische Anwendung kamen Dauer- und Impulsschallform zum Einsatz (Cordes 1978).

Hydrotherapie

Zur Wasserbehandlung gehörte eine große Gruppe variabler Therapieverfahren.

So zählten zu den „Anwendungen mit dem Tuch“ Waschungen, Abreibungen, Wickel, Umschläge, Packungen sowie Auflagen und Kompressen. Als „Anwendungen mit fließendem Wasser“ seien exemplarisch die druckschwachen „Flachgüsse“, Druckstrahlgüsse, verschiedene Duschformen sowie die Unterwasserstrahlmassage genannt. Die Wirkungen des hydrostatischen Drucks wurden bei Bädern und Teilbädern therapeutisch ausgenutzt.

Eine weitere Therapieoption stellten Bäder ohne hydrostatischen Druck, wie z.B. Dampf- und Saunabäder dar (Cordes 1978).

Inhalationstherapie

Durch die Applikation therapeutisch wirksamer Substanzen in die Atemwege, wie z.B. Antibiotika, Glukokortikoide, Bronchospasmolytika, Sekretolytika, konnten Entzündungen und Infektionen der Schleimhaut durch eine lokale Behandlung therapiert sowie das Bronchialsystem gereinigt werden. Dies gelang mit Inhalationsnebel, welche in lungengängige, kleintropfige Aerosole (0,5-5µm) und nicht lungengängige, großtropfige Sprays (10-40µm) unterteilt wurden (Cordes 1978).

Phototherapie

Die Anwendung der Phototherapie erfolgte mit sichtbarem Licht sowie ultravioletten und infraroten Strahlen. Letztere wurden zur Erwärmung kalter Körperpartien vor der Massage und zur Behandlung älterer posttraumatischer Zustände oder chronischer Entzündungs-prozesse bevorzugt eingesetzt (Cordes 1978).

Balneo- und Klimatotherapie

Dieses Teilgebiet der Physiotherapie stand für die „ortsgebundenen Heilmittel“ und repräsentierte somit den Schwerpunkt der Behandlung von Kranken an einem staatlich anerkannten Kurort oder Seeheilbad. Nach den lokalen Besonderheiten wurde in Trink-, Bäder-, Inhalations- und Klimakuren unterschieden, wobei diese ortseigenen natürlichen Heilmittel, wie z.B. Heilwässer, Heilpeloide, Heilgase und Heilklimafaktoren sinnvoll in den Gesamtheilplan ausgewählter Krankheitsbilder integriert wurden (Jordan 1964, 1975).

2.6 Schwerpunktsetzung bei physiotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen

Die DDR folgte in ihren Behandlungskonzepten den Ergebnissen internationaler Studien. So wandte man sich z.B. nach Bekannt werden der Framingham-Studie verstärkt der sozialmedizinisch immer bedeutsamer werdenden Gruppe der Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu. In der Physiotherapie führte dies auf dem Gebiet der Bewegungstherapie zu festgelegten Betreuungsprogrammen, so dass die Frühmobilisation nach Herzinfarkt ab 1973 Eingang in das bestehende Rehabilitationsprogramm fand (Conradi 1973, S. 243-248).

In diesem Zusammenhang wurde in den 70er Jahren zunehmend die enorme Relevanz aktiver physiotherapeutischer Maßnahmen (Bewegungstherapie als Gruppen- oder Einzelbehandlung, Wassergymnastik) erkannt. Bei den Verordnungen war jedoch die Relation deutlich zu Gunsten der passiven Maßnahmen, wie z.B. der Elektrotherapie und der Massage, verschoben.

In der im Jahr 1971 durchgeführten Analyse der ambulanten physiotherapeutischen Einrichtungen der Stadt Dresden offenbarten Brückner et al. (1973, Anlage 4; Anhang 1), dass von allen Verordnungen 35% auf die Massagetherapie und 30% auf die Elektrotherapie sowie Ultraschallbehandlungen entfielen. Die bewegungstherapeutischen Maßnahmen waren hingegen nur mit einem Anteil von 11% vertreten.[10] Auch in den folgenden Jahren zeigten sich keine deutlichen Veränderungen in der Schwerpunktsetzung des Behandlungsspektrums. So betrug 1980 in Berlin das Verhältnis von aktiven zu passiven physiotherapeutischen Leistungen im ambulanten Betreuungsbereich noch 1:2,6.[11] Während die Elektrotherapie 44,4% und die Massage 11,1% von den gesamten Therapieleistungen ausmachten, beinhalteten lediglich 17% aller physiotherapeutischen Behandlungen die Bewegungstherapie (Panzer et al. 1983, S. 68-70).[12] Im ambulanten Betreuungsbereich der Hauptstadt stieg in den folgenden Jahren die Gesamtzahl physiotherapeutischer Leistungen kontinuierlich an. Da die Mehrzahl der Verordnungen allerdings von Allgemeinmedizinern und nicht von den Fachärzten für Physiotherapie ausgestellt wurde, kam es nur zu geringfügigen Änderungen im Verhältnis von aktiven und passiven Leistungen (Jacob et al. 1986, S. 467-471).

Die obigen Daten spiegeln allerdings nur den ambulanten physiotherapeutischen Versorgungsbereich der Hauptstadt Berlin und der Stadt Dresden wider. Somit lassen sich die Ergebnisse nicht ungehindert auf andere Territorien der DDR oder den kurörtlichen und stationären Betreuungsbereich übertragen. Zur damaligen Zeit wurden in der DDR jedoch die Elektrotherapieverfahren im physiotherapeutischen Behandlungsspektrum als Analgesieverfahren favorisiert und folglich auch das Versorgungsnetz mit Therapiegeräten stark ausgebaut (Stahn 1982, S. 56). Daher ist anzunehmen, dass vielleicht nicht im stationären, jedoch im gesamten kurörtlichen und ambulanten Betreuungsbereich der DDR die aufgezeigte Dominanz von passiven Maßnahmen existierte.

2.7 Die Bedeutung der Physiotherapie in den verschiedenen medizinischen Betreuungsbereichen

2.7.1 Ambulanter Betreuungsbereich

Durch ambulante physiotherapeutische Behandlungsmaßnahmen wurde ein sehr breites Indikationsspektrum abgedeckt. So wurden neben der Behandlung von akuten Erkrankungen auch Patienten aus dem stationären Bereich zur Nachbehandlung z.B. bei Frakturen oder Lähmungen übernommen, oder aber die Zeit bis zu dem Beginn einer Heilkur überbrückt.

Infolgedessen ergaben sich folgende Therapieschwerpunkte:

- Unfall- und Verletzungsfolgen
- Rehabilitation des Herzinfarktes Phase 2 und 3 nach WHO gemeinsam mit der Sportmedizin
- Chronisch bronchitische Syndrome besonders des Kindes
- postpartale Bandinsuffizienzen und Haltungsschäden
- Degenerative Leiden des Bewegungsapparates
- Haltungsschäden des Kindes (Albrecht 1974, S. 257)

[...]


[1] Im Masseur- und Physiotherapeutengesetz sowie in der dazugehörigen Ausbildungs- und Prüfungs-verordnung sind lediglich Vorschriften zu dem Ausbildungsablauf, den Prüfungen und den Lehrinhalten enthalten. Die didaktische Umsetzung obliegt auf Grund der in Deutschland existierenden föderalistischen Strukturen den jeweiligen Bundesländern.

[2] Während an einigen Fachhochschulen für Physiotherapie biomedizinische und berufsspezifische Inhalte akzentuiert werden, dominiert an anderen Hochschuleinrichtungen die Vermittlung von personal- und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen oder auch die wissenschaftliche Methodenlehre (Schämann 2006, S. 20-23).

[3] Die offizielle Bezeichnung lautete „Masseur und medizinischer Bademeister“. Zur Vereinfachung wird im folgenden Text der Begriff „Masseur“ verwendet.

[4] Vgl. hierzu: Brief von Dr. Neubert zur Ausbildung von medizinischen Hilf- und mittleren medizinischen Fachkräften in der Physiotherapie, 6.6.1967. In: DQ 1, 10450, o. Pag.

[5] Vgl. Anhang: A 1.

[6] Vgl. Anhang: A 2.

[7] Die Leitkliniken übernahmen richtungsweisende Aufgaben für die in ihrem Bezirk untergeordneten Krankenhäuser und gaben somit medizinische Standards für die Diagnostik und Therapie vor. Auf Grund der in den Leitkliniken vorhandenen speziellen apparativen Ausstattung wurden Patienten mit komplizierten Krankheitsgeschehen bevorzugt in diese Einrichtungen überwiesen (Vgl. Ruban 1981, S. 30-32; Wolf 2000, S. 137).

[8] Vgl. Anhang: A 3.

[9] Reisebericht über den VI. Internationalen Kongress der World Confederation for Physical Therapy, 1970. In: DQ 1, 10450

[10] Vgl. Anhang: A 4.

[11] Vgl. Anhang: A 5.

[12] Vgl. Anhang: A 6.

Ende der Leseprobe aus 90 Seiten

Details

Titel
Die Ausbildung von Physiotherapeuten und die Bedeutung des Fachgebietes in der DDR
Hochschule
Charité - Universitätsmedizin Berlin  (Institut für Medizin-, Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
90
Katalognummer
V174718
ISBN (eBook)
9783640953745
ISBN (Buch)
9783640953929
Dateigröße
834 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Physiotherapie, Ausbildung, DDR
Arbeit zitieren
Uwe Schwender (Autor:in), 2011, Die Ausbildung von Physiotherapeuten und die Bedeutung des Fachgebietes in der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174718

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