Neuronale Repräsentationen des menschlichen Geistes

Drei philosophisch-theoretische Beiträge zur Bedeutung neurowissenschaftlicher Erkenntnis für Fragen des menschlichen Geistes


Seminararbeit, 2011

116 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Neuronale Repräsentationen des menschlichen Geistes
1.1 Einleitung
1.2 Konzepte zur Repräsentation intentionaler Zustände
1.3 Ansätze zur Naturalisierung des Inhalts mentaler
Repräsentationen
1.4 Repräsentation von Empfindungen
1.5 Der Repräsentationsbegriff in den Neurowissenschaften

2 Zwischen Sein und Wissen
2.1 Einleitung
2.2 Damasios Bewusstseinstheorie
2.3 Das Selbst
2.4 Fazit

3 Human volition
3.1 Einleitung
3.2 Wille und Entscheidung
3.3 Willentliche Handlungen
3.4 „Agency“ und „Intention“
3.5 Revision des Willenskonzepts
3.6 Fazit

4 Quellenverzeichnis

1 Neuronale Repräsentationen des menschlichen Geistes

Zum Repräsentationsbegriff in den kognitiven Neurowissenschaften

1.1 Einleitung

1.1.1 Forschungsfeld der kognitiven Neurowissenschaften

Die kognitiven Neurowissenschaften befassen sich mit den neuronalen Grundlagen mentaler Eigenschaften wie Denken, Fühlen, Lernen, Gedächtnis und Wahrnehmung. In diesem Teilbereich der Neurowissenschaften kommen unterschiedliche Disziplinen zusammen. Es werden Fragestellungen aus Psychologie, Soziologie, Ökonomie und anderen Wissenschaften aufgegriffen und es wird nach Gesetzen gesucht, die menschliches Handeln auf neuronaler Ebene erklärbar machen.

Eine der Grundannahmen der kognitiven Neurowissenschaften ist die These, dass kognitive Funktionen auf neuronaler Ebene realisiert sind. Was aber ist eine kognitive Funktion? Um sich dieser Frage zu nähern, hilft ein Blick in die verschiedenen Arbeitsfelder der kognitiven Neurowissenschaften. Zu diesen Feldern gehören zum Beispiel: „visual, auditory, haptic and multisensory perception, attention, language, […] learning and memory, emotion and motivation, executive functions, […] and consciousness“ (aus dem Vorlesungsverzeichnis zur Vorlesung „Introduction into Cognitive Neuroscience“, 2009, Universität Hamburg, FB Psychologie). Diese Auswahl wirkt heterogen. Es stellt sich die Frage, welche Merkmale diesen Bereichen gemeinsam sind und gleichzeitig ausreichen, sie zu charakterisieren. Weiter unten werde ich auf die Frage nach charakterisierenden Merkmalen kognitiver Funktionen eingehen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, was es bedeutet, von der Realisierung kognitiver Funktionen auf neuronaler Ebene zu sprechen. Zunächst liegt dieser Annahme die simple Idee zugrunde, dass der Besitz mentaler Eigenschaften das Vorhandensein eines normal funktionierenden Gehirns voraussetzt. Man kann davon ausgehen, dass kognitive Fähigkeiten mit bestimmten hirnphysiologischen Mechanismen in gesetzmäßiger Weise zusammenhängen. Im Rahmen dieser Arbeit sollen diese Mechanismen aber nicht untersucht werden, sondern es soll diskutiert werden, inwiefern es Sinn macht, von einer Realisierung kognitiver Funktionen im Gehirn zu sprechen.

Mit modernen Forschungstechniken, wie zum Beispiel der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), lässt sich Aktivität im Gehirn „sichtbar“ machen. Die Stärke des fMRT-Signals ist abhängig von der Sauerstoffkonzentration des Blutes im gemessenen Hirnareal (Blood Oxygenation Level Dependancy, BOLD-Effekt) und reflektiert so den erhöhten Energiebedarf der Gehirnzellen, der vornehmlich von gesteigerter physiologischer Aktivität der Zellen herrührt. Während einer Untersuchung liegt die Versuchsperson im fMRT-Scanner, wobei sensorische Reize dargeboten werden können, wie zum Beispiel die Fotografie eines Gesichts. Mithilfe statistischer Methoden lässt sich anschließend zeigen, in welchem Hirnbereich es während der Darbietung des Reizes gesteigerte Aktivität gab. Durch fMRT wird Hirnaktivität jedoch nur indirekt gemessen. Es können somit Aussagen über Aktivitäten von Gehirnarealen, jedoch nicht von einzelnen Zellverbänden oder gar einzelnen Neuronen gemacht werden. In Tierversuchen werden hingegen auch Daten über neuronale Aktivität auf zellulärem Niveau gewonnen. So kann beispielsweise gezeigt werden, dass bestimmte Klassen visueller Reize (wie zum Beispiel Gesichter) mit der Aktivität bestimmter Neuronenverbände zusammenhängen.

Betrachtet man das experimentelle Vorgehen der kognitiven Neurowissenschaften, so wird deutlich, dass hier ein Zustand des Gehirns oder eines Gehirnbereichs aufgezeigt werden soll, der mit der Ausführung einer kognitiven Funktion zusammenhängt. Wenn wir also von der Realisierung kognitiver Funktionen im Gehirn sprechen, so ist damit gemeint, dass ein bestimmter mentaler Zustand mit einem bestimmten neuronalen Zustand einhergeht und auf diesen zurückgeführt werden kann. Dieser neuronale Zustand wird auch als die (neuronale) Repräsentation jenes mentalen Zustands bezeichnet.

1.1.2 Die Repräsentation im Verständnis neurowissenschaftlicher Forschung

In einem Review-Artikel entwickeln deCharms und Zador (2000) ein Repräsentationskonzept, von dem man annehmen kann, dass es auch die Sichtweise anderer Forscher auf dem neurowissenschaftlichen Gebiet wiederspiegelt. Dabei verstehen sie unter Repräsentation folgendes:

(DZ-R 1) Eine neuronale Repräsentation ist eine Nachricht (message), die auf Basis bestimmter Regeln Information transportiert. Diese Regeln beruhen auf den Mechanismen neuronaler Informationsverarbeitung.

(DZ-R 2) Eine neuronale Repräsentation ist Teil eines Transformationsprozesses von Information zwischen Input und Output.

DeCharms und Zador stellen zwei Prinzipien heraus, nach denen neuronale Repräsentationen definiert werden können: Gehalt (content) und Funktion (function). Diese zwei Prinzipien lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

(DZ-G) Der Gehalt einer Repräsentation ist die Information, die eine Repräsentation trägt.

(DZ-F) Die Funktion einer Repräsentation ist der Effekt, den ein Signal auf einen kognitiven Prozess und resultierendes Verhalten haben kann.

DeCharms und Zador illustrieren ihre These (DZ-G) unter anderem am Beispiel von Neuronen, die eine Bedeutung in der visuellen Informationsverarbeitung von Reizen haben. Im visuellen Cortex von Tieren lassen sich Neuronen identifizieren, die auf die Wahrnehmung von Linien mit bestimmter räumlicher Ausrichtung mit gesteigerter Aktivität reagieren. Diese Neuronen feuern verstärkt, wenn sich Objekte mit der präferierten Ausrichtung im visuellen Feld dieses Neurons befinden. Je stärker der Winkel ist, in dem die tatsächliche Ausrichtung des Objekts von der präferierten Ausrichtung abweicht, desto schwächer wird die Feuerungsrate. Nach deCharms und Zador trägt dieses Neuron N Information über die Ausrichtung eines Objekts O in seinem visuellen Feld. Mit (DZ-R 1) kann der Zustand von N bei Vorliegen von O als neuronale Repräsentation des Vorliegens von O gesehen werden.

In (DZ-R 2) geht es darum, dass neuronale Repräsentationen Teil eines komplexen Verarbeitungsprozesses sind. DeCharms und Zador versuchen mit Prinzip (DZ-F) diese Rolle neuronaler Repräsentationen fassbar zu machen. Die Funktion eines neuronalen Signals wird hier als eine Bedingung dafür formuliert, dass es als Kandidat für eine Repräsentation in Frage kommt. Nach Ansicht der Autoren ist die Funktion – oder besser, der Effekt – des Signals sogar eine notwendige Bedingung für seinen repräsentationalen Charakter:

„To the extent that a neuron with no axon represents anything at all, it does so only for the experimentalist because no one else is „listening“. […] The issue here is not only about neurons without projections, it is that the representational relevance of neuronal signals comes not from content alone, but also from the functions that result from the way in which the content is used.” (deCharms & Zador, 2000, S 615)

Die Ausführungen der Autoren zu Gehalt und Funktion neuronaler Repräsentationen sind problematisch. Zum Einen ist es nicht korrekt zu behaupten, dass der Gehalt mit der Information eines neuronalen Signals identisch ist [siehe (DZ-G)]. Wenn wir vor uns eine Kuh stehen sehen, gelangen wir gewöhnlich schnell zu der Überzeugung, dass es sich bei dem Tier um eine Kuh, und nicht etwa um ein Pferd oder ein anderes Tier handelt. Das neuronale Signal, welches unsere Repräsentation kodiert, trägt physikalische Informationen über das Objekt – also die Kuh. Beim Gehalt handelt es sich jedoch um ein inhaltliches Konzept, nämlich um die Überzeugung, dass es sich bei dem Tier um eine Kuh handelt. Diese Überzeugung lässt sich jedoch nicht aus dem Signal selbst erschließen, sondern kann nur aus anderen Informationsquellen erschlossen werden (zum Beispiel durch Nachfragen, oder durch frühere Beobachtungen des Verhältnisses zwischen dem beobachteten neuronalen Signal und der gleichzeitig auftretenden Überzeugung, eine Kuh zu sehen). Die Beziehung zwischen Signal und Gehalt einer Repräsentation ist also keineswegs eine unmittelbare, wie es aus der deCharms und Zadors These entnommen werden könnte.

Ein anderes Problem liegt darin, die Funktion einer Repräsentation durch ihren messbaren Effekt bestimmen zu wollen. Man kann (DZ-F) so verstehen, dass die Funktion einer Repräsentation mit ihrem Effekt identisch ist. Hierin liegt aber kein Erkenntnisgewinn über die Funktion. Die Problematik der These liegt vor allem darin begründet, dass physiologische, Verhaltens- oder andere messbare Effekte niemals eindeutig bestimmbar sind. Wenn der Effekt des Feuerns von Neuron A in der Auslösung des Blinzelreflex BR des rechten Auges liegt, dann lernen wir nichts Neues dadurch, dass wir sagen: „die Funktion des Feuerns von A liegt in der Auslösung von BR“. Ebenso könnten wir beobachten, dass das Feuern des Neurons A zum Feuern von Neuron B führt und behaupten, dass die Funktion des Feuerns von A in der Aktivierung von B liegt. Diese Behauptungen sind zwar nicht falsch, aber reichlich banal. Das Problematische der These (DZ-F) wird vielleicht deutlicher, wenn es darum geht, komplexe Verhaltensweisen zu untersuchen. Die neuronale Repräsentation, die in unserem Gehirn durch die Wahrnehmung einer giftigen Schlange entsteht, kann zum Beispiel zum Erstarren führen oder unsere Flucht vor dem Tier auslösen. Beide Verhaltensweisen können auch als Angstverhalten bezeichnet werden. Was ist nun der Effekt der Repräsentation? Es wäre gleichermaßen legitim zu behaupten, (1) der Effekt läge in der Auslösung des Erstarrens beziehungsweise der Flucht, (2) allgemein in der Auslösung von Angstverhalten oder aber (3) in der Rekrutierung von Selbstschutzmechanismen. Wie weit wir bei der Bestimmung des Effekts letztendlich gehen oder welche Konzepte wir dabei miteinbeziehen ist beliebig und kann abhängig von unserer wissenschaftlichen oder weltanschaulichen Perspektive erheblich variieren.

Der Standpunkt der Autoren wird durch eine Variation des Prinzips (DZ-F) deutlicher hervorgehoben:

(DZ-F 2) Die Funktion einer Repräsentation ist die adaptive Leistung, die sich aus dem Effekt ergibt, den ein Signal auf einen kognitiven Prozess und resultierendes Verhalten haben kann.

Durch diese Erläuterungen schränken deCharms und Zador die Beliebigkeit bei der Bestimmung des Effekts etwas ein.

Ich sehe zwei weitere Einwände, die deCharms und Zadors Repräsentationsbegriff revisionsbedürftig erscheinen lassen:

Aus den Ausführungen der Autoren geht hervor, dass der Effekt eines Signals mit der messbaren Wirkung der repräsentationalen Hirnaktivität einhergeht. Wenn niemand einem neuronalen Signal „zuhört“ [„… no one else is ‘listening‘“ (deCharms & Zador, 2000, S 615)], so soll auch nicht von einer Repräsentation gesprochen werden. Erstens ist es aber methodisch nicht zu rechtfertigen, dass ein neuronales Signal nur deshalb nichts repräsentiert, weil man keinen Effekt messen kann. Ob ein Effekt gemessen werden kann oder nicht hängt von der Hypothese ab, die getestet werden soll und von den angewandten Messmethoden. Zweitens erscheint es seltsam zu behaupten, dass ein neuronales Aktivitätsmuster erst zur Repräsentation wird, wenn es in irgendeiner Weise weiter verarbeitet wird. Wie kann man logisch erklären, dass ein neuronales Signal keine repräsentationale Bedeutsamkeit für den tierischen Organismus hat aber, sobald es von einem Experimentator gemessen wird, plötzlich etwas repräsentiert?

1.1.3 Kategorien kognitiver Funktionen

Weiter oben wurde bereits angemerkt, dass unter kognitiven Funktionen eine heterogene Ansammlung von mentalen Fähigkeiten zusammengefasst wird. In der Literatur werden zwei Typen von mentalen Zuständen unterschieden: intentionale Zustände und Empfindungen (Beckermann, 2008). Unter intentionalen Zuständen versteht man zum Beispiel Überzeugungen, Wünsche, Befürchtungen oder Erwartungen. Die Gemeinsamkeit dieser Zustände ist ihre Gerichtetheit auf ein Objekt. Zum Beispiel bin ich überzeugt, dass etwas der Fall ist, oder ich wünsche mir, dass ein Ereignis eintritt. Mit anderen Worten: intentionale Zustände haben propositionalen Gehalt, sie sind semantisch bewertbar.

Unter Empfindungen fasst man mentale Zustände zusammen, die einen qualitativen Charakter haben. Manchmal auch als „Qualia“ bezeichnet, teilen mentale Zustände dieser Kategorie die Eigenschaft einer subjektiven Erlebniskomponente. Wenn wir ein heißes Bad nehmen, so spüren wir, wie das warme Wasser unseren Körper umgibt. Und tauchen wir mit der Hand durch die Flüssigkeit, so spüren wir den Widerstand an unseren Händen. Alle diese Sinneseindrücke geschehen in unserem Erleben, das heißt, sie sind „qualitativ“. Bei einigen kognitiven Funktionen ist die subjektive Erlebniskomponente besonders hervorstechend, wie zum Beispiel bei den Emotionen. Das Gefühl panischer Angst ist wahrscheinlich jedem bekannt. Aber auch andere kognitive Funktionen wie Wahrnehmung, Denken und Erinnern haben qualitative Aspekte. Wenn wir beispielsweise nachdenken, so haben wir die Empfindung, dass wir es sind, die gerade einen Gedanken fassen (vergleiche die Ausführungen zum Selbstsinn im Abschnitt 2.3).

Viele kognitive Funktionen lassen sich nicht eindeutig in die Kategorien „Empfindung“ und „intentionaler Zustand“ einordnen. Ich kann zum Beispiel Angst davor haben, dass ein Ereignis eintritt oder ich kann mich daran erinnern, dass mein erstes Auto rot war. Beide mentalen Zustände haben proportionalen Gehalt. Es ist aber gleichzeitig möglich, dass ich wirklich Angst mit allen ihren körperlichen und Gefühls-Komponenten empfinde oder, dass ich eine visuelle Vorstellung von meinem ersten Auto und seiner roten Farbe habe.

Die Repräsentation von Empfindungen und intentionalen Zuständen gleichermaßen betreffend, vertreten deCharms und Zador folgende Kernthese:

„Neuronal representations and internal mental representations, whether subjective experiences such as sensory percepts or behavioral templates such as motor plans, can both be measured in terms of the same two representational characteristics: content and function.” (deCharms und Zador, 2000, S. 632)

Die Autoren gehen also grundsätzlich davon aus, dass Gehalt und Funktion wesentliche Aspekte aller mentaler Repräsentationen sind: von intentionalen Zuständen wie auch von Empfindungen. Wäre dies der Fall, so wäre es möglich, mit denselben Mitteln die neuronale Realisierung von intentionalen Zuständen und Empfindungen zu untersuchen. Dies ist aber leider nicht so, da sich Empfindungen nicht durch einen semantischen Gehalt definieren lassen. Meine Rot-Empfindung beim Betrachten eines roten Apfels ist nämlich nicht dadurch gekennzeichnet, dass ich dem Apfel in irgendeiner Form die Farbigkeit „rot“ zuschreibe. Dies wäre eine intentionale Komponente, die sich zum Beispiel in meiner Überzeugung ausdrücken könnte, der Apfel sei rot. Meine Rot-Empfindung ist hingegen charakterisiert durch eine Empfindungsqualität oder einen Bewusstseinseindruck. Dieser Bewusstseinseindruck hängt mit meiner Überzeugung in irgendeiner Art und Weise zusammen, ist jedoch etwas grundsätzlich anderes. Es ist wichtig zu entscheiden, ob ein mentaler Zustand hinsichtlich seiner Intentionalität oder seiner Qualität untersucht werden soll (siehe hierzu auch die Ausführungen zu Selbst und Bewusstsein unter 2.3). Wie wir sehen werden, hat dies wichtige Konsequenzen für eine Theorie, die die physische Realisierung mentaler Zustände erklären will.

1.2 Konzepte zur Repräsentation intentionaler Zustände

Die Idee der neuronalen Repräsentation geht auf die Annahme zurück, dass mentale Zustände auf neuronale Zustände zurückgeführt werden können. Damit dieses Kriterium erfüllt werden kann, müssen wir zeigen, dass sich physische Zustände durch dieselben Merkmale beschreiben lassen können, wie mentale Zustände. Es macht nur Sinn von einer Repräsentation zu sprechen, wenn es einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen physischem und intentionalem Zustand gibt. Damit ein physischer Zustand einen intentionalen Zustand repräsentieren kann, muss er sich also durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen. Wenn sich ein intentionaler Zustand auf eine bestimmte Art und Weise verändert, so sollte sich diese Veränderung in gleicher Weise in seiner physischen Repräsentation wiederspiegeln. Genauso sollten gleiche Bausteine intentionaler Zustände auf physischer Ebene gleichen repräsentationalen Elementen zugeordnet werden können.

In diesem Abschnitt werden zunächst charakteristische Merkmale intentionaler Zustände vorgestellt. Danach werden zwei Ansätze dargestellt, die sich mit der Repräsentation intentionaler Zustände beschäftigen: Fodors Repräsentationale Theorie des Geistes und der Konnexionismus.

1.2.1 Merkmale intentionaler Zustände

Neben ihrer semantischen Bewertbarkeit führt Beckermann (2008) einige weitere Charakteristika intentionaler Zustände an: sie sind opak, haben eine logische Form, stehen häufig in Kausalbeziehungen zueinander, welche semantische Beziehungen zwischen ihren Inhalten berücksichtigen, sie sind produktiv und systematisch.

Opakheit intentionaler Zustände bedeutet, dass „Zustände, die mit extensionsgleichen, aber sinnverschiedenen dass-Sätzen zugeschrieben werden, […] typverschieden“ (Beckermann, 2008, S. 297) sind. Dies soll an folgendem Beispiel erläutert werden. Wir gehen vom Vergleich zweier Zuschreibungen von Überzeugungen aus:

1. Andreas ist der Überzeugung, dass die Hauptstadt Burkina Fasos mit einem „O“ beginnt.
2. Andreas ist der Überzeugung, dass Ouagadougou mit einem „O“ beginnt.

Beide Sätze sind extensionsgleich. Die Nebensätze, in denen Andreas Überzeugungen ausgedrückt werden, sind zwar bezugsgleich, der Sinn ist doch jeweils ein anderer. Unter Typverschiedenheit ist zu verstehen, dass es sich hier um unterschiedliche Überzeugungen handelt, die sich hinsichtlich ihrer kausalen Rolle unterscheiden. Die Unterschiedlichkeit zeigt sich daran, dass (1) und (2) unabhängig voneinander wahr sein können. Eine unterschiedliche kausale Rolle typverschiedener intentionaler Zustände lässt sich in unserem Beispiel an möglichen praktischen Konsequenzen Andreas Verhalten veranschaulichen: Angenommen, (1) und (2) sind wahr und Andreas schreibt eine Klausur im Fach Geografie, in der die Hauptstädte afrikanischer Staaten abgefragt werden. Vorausgesetzt, Andreas weiß nicht, dass Ouagadougou die Hauptstadt Burkina Fasos ist, so wird er in die entsprechende Zeile des Klausurblatts wahrscheinlich allenfalls „O…“ schreiben, während Andreas mit hoher Wahrscheinlichkeit der Überzeugung ist, dass das Wort „Ouagadougou“ mit einem O beginnt. Jedoch auch im Falle Andreas Kenntnis, dass Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou heißt, ändert dies nichts an der Typverschiedenheit der Überzeugungen (1) und (2). In diesem Fall nehmen wir implizit lediglich eine zusätzliche Überzeugung an: (3) „Andreas ist der Überzeugung, dass Ouagadougou die Hauptstadt Burkina Fasos ist“ dazu.

Verknüpfungen zwischen intentionalen Zuständen erfolgen häufig nur aufgrund ihrer logischen Form. In vielen psychologischen Gesetzen spielt der Inhalt der Sätze eine Rolle, wie das folgende Beispiel aus der Alltagspsychologie zeigt:

„Menschen mit einer höheren Neigung zu Schamgefühlen haben ein verringertes Selbstbewusstsein.“

Andere Gesetze nehmen aber nicht Bezug auf den Inhalt, sondern auf die logische Form. Als Beispiel soll ein Gesetz aus der Wahrnehmungspsychologie dienen, das so formuliert werden kann:

(W) P‘s prototypische Vorstellung eines Objekts V beinhaltet die Menge M definierender Merkmale. O hat M. Also glaubt P, dass O ein V ist.

An diesem Beispiel lässt sich auch das nächste Merkmal intentionaler Zustände verdeutlichen:

Intentionale Zustände stehen häufig in Kausalbeziehungen zueinander, welche semantische Beziehungen zwischen ihren Inhalten berücksichtigen. (W) lässt sich in drei Zuschreibungen intentionaler Zustände unterteilen:

(W 1) P ist der Überzeugung, dass sich alle Objekte V durch die Menge M definierender Merkmale auszeichnen.

(W 2) P glaubt, O hat M.

(W 3) P glaubt, dass O ein V ist.

Zwischen diesen Inhalten besteht eine logische Beziehung: (W 3) ist wahr, wenn (W 1) und (W 2) wahr sind. In (W) ist ausgedrückt, dass P’s Überzeugung (W 3) kausal aus P’s Überzeu-gungen (W 1) und (W 2) folgt, und wir haben gesehen, dass dies auf dem semantischen Inhalt von P’s Überzeugungen beruht.

Ein weiteres Merkmal intentionaler Zustände ist ihre Produktivität. Damit ist gemeint, dass unendlich viele Arten von intentionalen Zuständen möglich sind. Es ist jedoch nicht etwa gemeint, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt unendlich viele intentionale Zustände in einem Wesen auf einmal realisiert sind. Es ist vielmehr die Idee, dass potentiell unendlich viele dieser Zustände generiert werden können.

Systematizität bezieht sich darauf, dass „zum Beispiel die Fähigkeit, bestimmte Überzeugungen zu haben, […] notwendig mit der Fähigkeit verbunden [ist], auch andere Überzeugungen zu haben“ (Beckermann, 2008, S. 300). Wenn ich die Überzeugung haben kann, dass die Relation Rab wahr ist, so kann ich auch die Überzeugung haben, dass die Relation Rba wahr ist. Wenn ich beispielsweise glauben kann, dass Andreas Paul kennt, so kann ich auch glauben, dass Paul Andreas kennt.

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Ende der Leseprobe aus 116 Seiten

Details

Titel
Neuronale Repräsentationen des menschlichen Geistes
Untertitel
Drei philosophisch-theoretische Beiträge zur Bedeutung neurowissenschaftlicher Erkenntnis für Fragen des menschlichen Geistes
Hochschule
Universität Hamburg  (Philosophisches Seminar, Fachbereich Psychologie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2011
Seiten
116
Katalognummer
V174724
ISBN (eBook)
9783640953769
ISBN (Buch)
9783640954001
Dateigröße
893 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychologie, kognitive Neurowissenschaft, Neurowissenschaft, Philosophie, Bewusstsein, Selbst, freier Wille, Wille
Arbeit zitieren
Christian Paret (Autor:in), 2011, Neuronale Repräsentationen des menschlichen Geistes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174724

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