[...] Der den Ort der Handlung betonende Titel der Ausgabe von 1927, ‚Amerika‘, stammte von Max Brod, während Kafka in einem Brief an Felice Bauer vom November 1912 den Roman eindeutig ‚Der Verschollene‘ nennt und damit das ungewisse Schicksal des Helden hervorhebt. Dieser Held ist Karl Roßmann, ein sechzehnjähriger Auswanderer, „der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte“. Seine Reise, die ihn zunächst per Schiff über den Atlantik führt, ist demnach keine freiwillige. Karl wirkt dennoch schon zu Beginn des Romans wie ein positiv denkender Mensch, der sich seiner Lebenssituation stellt und versucht, diese nach Möglichkeit selbst zu gestalten. „‚Ich bin doch fertig‘, sagte Karl […] und hob aus Übermut, und weil er ein starker Junge war, seinen Koffer auf die Achsel.“ Kafka führt den Rezipienten jedoch gleich im Anschluss die Möglichkeit des Scheiterns vor Augen: „Aber wie er über seinen Bekannten hinsah, […], merkte er, bestürzt, daß er seinen eigenen Regenschirm unten im Schiff vergessen hatte.“ Karls Wunsch nach selbstbestimmter Gestaltung des eigenen Lebens erscheint im Laufe der Handlung als unerfüllbar. Das fremde Land Amerika kann vonseiten der Rezipienten aber als potenzielles „gelobtes Land“ gewertet werden, da Kafka dies durch seine Wahl der Motive im Text assoziiert. Die vorliegende Arbeit analysiert diese religiösen Motive sowie einen religiös geprägten Aufbau innerhalb des Romans, wobei die Darstellung des Landes Amerika als „gelobtes Land“ mit Ähnlichkeit zum alttestamentarischen Paradies als Ausgangspunkt fungiert. Die Arbeit konzentriert sich dabei vor Allem auf das abschließende Kapitel „Das Naturtheater von Oklahoma“. Zu Beginn werden die Begriffe Schuld, Sünde und Erbsünde im Sinne Kafkas präsentiert und somit ein Zusammenhang hergestellt zwischen alttestamentarischer Bedeutung und Kafkas Interpretation und Verwendung der Begriffe. Bei der anschließenden Textanalyse liegt der Schwerpunkt auf dem genannten letzten Kapitel. Die Fülle an religiösen Elementen in Kafkas Roman wirft die Frage auf, ob Amerika als mögliches Paradies im alttestamentarischen Sinne verstanden werden kann und ob der Protagonist Karl eine Chance hat, dieses „gelobte Land“ zu erreichen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Kafka und das Alte Testament
- 2.1. Schuld und Sünde
- 2.2. Erbsünde als philosophische Begrifflichkeit
- 3. Amerika als „gelobtes Land“
- 3.1. Das Naturtheater von Oklahoma als positive Gegenwelt
- 3.2. Religiös geprägter Romanaufbau
- 4. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die religiösen Motive und den religiös geprägten Aufbau in Franz Kafkas Roman „Amerika“, insbesondere im abschließenden Kapitel „Das Naturtheater von Oklahoma“. Ziel ist es, zu untersuchen, ob Amerika als mögliches Paradies im alttestamentarischen Sinne verstanden werden kann und ob der Protagonist Karl Roßmann eine Chance hat, dieses „gelobte Land“ zu erreichen. Die Analyse basiert auf der Verbindung zwischen Kafkas Werk und alttestamentarischen Begriffen wie Schuld und Sünde.
- Kafkas Verwendung alttestamentarischer Motive in „Amerika“
- Die Darstellung Amerikas als „gelobtes Land“ und seine Parallelen zum alttestamentarischen Paradies
- Die Rolle von Schuld und Sünde im Roman und ihre alttestamentarische Konnotation
- Die Analyse des Kapitels „Das Naturtheater von Oklahoma“ als Schlüssel zum Verständnis der Thematik
- Die Frage nach der Möglichkeit der Erlösung für Karl Roßmann
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Entstehungsgeschichte von Kafkas „Amerika“ ein, beleuchtet die verschiedenen Titelvarianten und stellt Karl Roßmann als Protagonisten vor, dessen Amerikareise als ungewisse Suche nach dem „gelobten Land“ interpretiert wird. Die Arbeit kündigt die Analyse der religiösen Motive und des religiösen Aufbaus des Romans an, wobei das Kapitel „Das Naturtheater von Oklahoma“ im Mittelpunkt steht. Die zentrale Forschungsfrage betrifft die Lesbarkeit Amerikas als Paradies und Karls Möglichkeiten, dieses zu erreichen.
2. Kafka und das Alte Testament: Dieses Kapitel untersucht die Begriffe Schuld und Sünde im Kontext des Alten Testaments und ihrer Verwendung bei Kafka. Es differenziert zwischen der alttestamentarischen und der von Kafka verwendeten Interpretation dieser Begriffe. Der Fokus liegt auf dem Sündenfall und der damit verbundenen Schuld, die Kafka als existentielle Bedingung des Menschen in einer entfremdeten Welt darstellt, wobei er alttestamentarische Bilder und Handlungsabläufe nutzt, um den Zustand des Individuums in einer Gesellschaft zu beschreiben, die es in Isolation zwingt und mit einem Makel der Schuld belastet. Der Begriff der Erbsünde wird sowohl religiös als auch philosophisch betrachtet.
3. Amerika als „gelobtes Land“: Dieses Kapitel analysiert die Darstellung Amerikas im Roman als potenzielles „gelobtes Land“, welches mit dem alttestamentarischen Paradies verglichen wird. Die zentrale Rolle des Kapitels „Das Naturtheater von Oklahoma“ als scheinbar positive Gegenwelt wird hervorgehoben. Der religiös geprägte Aufbau des Romans wird untersucht, um die Frage zu beantworten, ob Amerika tatsächlich als Paradies im alttestamentarischen Sinne interpretiert werden kann und ob Karl Roßmann die Möglichkeit hat, dieses zu erreichen. Der Fokus liegt auf der Analyse der religiösen Symbole und ihrer Funktion im Kontext der Handlung und der Charakterentwicklung.
Schlüsselwörter
Franz Kafka, Amerika, Der Verschollene, Altes Testament, Schuld, Sünde, Erbsünde, gelobtes Land, Paradies, religiöse Motive, Naturtheater von Oklahoma, Karl Roßmann, Existenz, Entfremdung, Autorität, Isolation.
Häufig gestellte Fragen zu Franz Kafkas "Amerika"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese akademische Arbeit analysiert die religiösen Motive und den religiös geprägten Aufbau in Franz Kafkas Roman "Amerika", insbesondere im Kapitel "Das Naturtheater von Oklahoma". Der Fokus liegt auf der Frage, ob Amerika als mögliches Paradies im alttestamentarischen Sinne verstanden werden kann und ob der Protagonist Karl Roßmann eine Chance hat, dieses "gelobte Land" zu erreichen. Die Analyse basiert auf der Verbindung zwischen Kafkas Werk und alttestamentarischen Begriffen wie Schuld und Sünde.
Welche Themen werden im Einzelnen behandelt?
Die Arbeit untersucht Kafkas Verwendung alttestamentarischer Motive in "Amerika", die Darstellung Amerikas als "gelobtes Land" und seine Parallelen zum alttestamentarischen Paradies, die Rolle von Schuld und Sünde im Roman und ihre alttestamentarische Konnotation, sowie das Kapitel "Das Naturtheater von Oklahoma" als Schlüssel zum Verständnis der Thematik und die Frage nach der Möglichkeit der Erlösung für Karl Roßmann.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in ihnen?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel zu Kafka und dem Alten Testament (mit Fokus auf Schuld und Sünde und der Erbsünde), ein Kapitel zu Amerika als "gelobtes Land" (mit Schwerpunkt auf dem "Naturtheater von Oklahoma") und ein Fazit. Die Einleitung führt in die Entstehungsgeschichte und die zentrale Fragestellung ein. Das Kapitel zu Kafka und dem Alten Testament untersucht die alttestamentarischen Bezüge in Kafkas Werk. Das Kapitel zu Amerika als "gelobtes Land" analysiert die Darstellung Amerikas als potenzielles Paradies und die Rolle des "Naturtheaters von Oklahoma".
Welche Schlüsselbegriffe sind für das Verständnis der Arbeit relevant?
Wichtige Schlüsselbegriffe sind Franz Kafka, Amerika, Der Verschollene, Altes Testament, Schuld, Sünde, Erbsünde, gelobtes Land, Paradies, religiöse Motive, Naturtheater von Oklahoma, Karl Roßmann, Existenz, Entfremdung, Autorität und Isolation.
Wie wird Amerika in der Arbeit interpretiert?
Amerika wird als potenzielles "gelobtes Land" im alttestamentarischen Sinne interpretiert und mit dem Paradies verglichen. Die Analyse untersucht, ob diese Interpretation im Roman tragfähig ist und ob Karl Roßmann eine Chance hat, dieses "gelobte Land" zu erreichen. Das Kapitel "Das Naturtheater von Oklahoma" spielt dabei eine zentrale Rolle als scheinbar positive Gegenwelt.
Welche Rolle spielt das "Naturtheater von Oklahoma"?
Das "Naturtheater von Oklahoma" wird als Schlüsselkapitel im Roman betrachtet, welches als scheinbar positive Gegenwelt zum restlichen Geschehen interpretiert und analysiert wird, um die zentrale Fragestellung nach Amerika als Paradies und Roßmanns Möglichkeiten zu beantworten.
Welche Rolle spielen Schuld und Sünde in der Arbeit?
Schuld und Sünde, im Kontext des Alten Testaments und ihrer Verwendung bei Kafka, werden als zentrale Motive analysiert. Die Arbeit untersucht die alttestamentarische und Kafkas Interpretation dieser Begriffe und deren Bedeutung für die Darstellung des Protagonisten und seines Schicksals in Amerika.
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- Krizia Schroeder (Author), 2011, Die Amerikareise des Karl Roßmann in Franz Kafkas Roman „Amerika“ als unmöglich erscheinende Suche nach dem gelobten Land, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/175423