Existiert ein Pioniervorteil?

Kritische Analyse über die Erfolgsamkeit der Pionierstrategie in Theorie und empirischer Praxis


Bachelorarbeit, 2011

50 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einführung

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Die Pionierstrategie
2.1.1 Pionier, Frühe und Späte Folger
2.1.2 Bedingungen und Wirkungsmechanismen
2.2 Pioniervorteile
2.2.1 Angebotsseitige Pioniervorteile
2.2.2 Nachfrageseitige Pioniervorteile
2.3 Pioniernachteile
2.3.1 Kostenbezogene Faktoren
2.3.2 RisikobezogeneFaktoren
2.3.3 Unternehmensbezogene Faktoren

3 Empirische Evidenz des Pioniervorteils
3.1 Modellentwicklungen
3.1.1 Grundmodell mit direkten Beziehungen
3.1.2 Modelle mit moderierenden Variablen
3.1.3 Modelle mit markt- und ressourcenbasierten Variablen
3.2 Variablenoperationalisierung
3.2.1 Operationalisierung der Pioniervariablen
3.2.2 Operationalisierung des Erfolgsmaßes
3.3 Fazit und Überblick über empirische Studien

4 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anzahl WÖrter: 132

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.1 Markteintrittszeitpunkte im Marktlebenszyklus

Abbildung 2.2 Wirkungskette der Pionierstrategie

Abbildung 3.1 Das Grundmodell mit direkten Beziehungen nach Urban et al. (1986)

Abbildung 3.2 Direkte und indirekte Erfolgswirkung der Markteintrittsstrategie

Abbildung 3.3 Umfassendes Strukturmodell zur Analyse von Pioniervorteilen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 3.1 Marktanteilswerte aus verschiedenen PIMS-Studien im Vergleich

Tabelle 3.2 Verwendete Erfolgsmaße in empirischen Studien

Tabelle 3.3 Methoden und Ergebnisse empirischer Studien im Überblick

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung

Die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft zählt seit einigen Jahrzehnten zu den herausragenden Themen der ökonomischen Diskussion. Angesichts der Internationalisierung der Märkte und des Wettbewerbs gewinnen grenzüberschreitende Wirtschaftsaktivitäten und Transaktionen zunehmend an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund sind immer mehr Unternehmen zur systematischen Erschließung neuer Absatzmärkte gezwungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So stellt sich in diesem Kontext insbesondere die Frage nach einer geeigneten Markteintrittsstrategie.

Im Rahmen der Markteintrittsplanung nimmt neben der Zielmarktselektion und der Festlegung der institutionellen Markteintrittsform vor allem die Auswahl des optimalen Eintrittszeitpunkts, das sogenannte Timing, eine Schlüsselrolle ein (Oelsnitz, 1996a). Ein Unternehmen hat dabei grundsätzlich die Wahl zwischen den Strategiealternativen Pionier, oder früher bzw. später Folger (Robinson/Fornell, 1985). Der Pionier ist das erste Unternehmen, welches ein neues Produkt am Markt einführt. Folgerunternehmen treten hingegen erst eine gewisse Zeit nach dem Pionier in den Markt ein (Schnaars, 1986).

Diese besondere Fokussierung auf die zeitliche Dimension des Markteintritts ist mit der zentralen Vorstellung verbunden, dass der Markteintritt zu unterschiedlichen Zeitpunkten zugleich unterschiedliche Erfolgsaussichten impliziert. Die pauschale Erfolgshypothese lautet: Je früher ein Unternehmen den Markt betritt, desto erfolgreicher wird es auf lange Sicht in diesem Markt sein (u. a. Clement/Litfin/Vanini, 1998; Szymanski/Troy/Bharad-waj, 1995). Der generelle Vorzug eines frühen Markteinstiegs stützt sich insbesondere auf eine Vielzahl von Beispielen aus der Praxis, die den nachhaltigen Erfolg von Pioniermarken wie Coca Cola, Aspirin, Pampers, etc. belegen (Fischer, 2001, S. 135).

Die praktische Bedeutung der Pionierstrategie hatte zur Folge, dass sich die wirtschaftswissenschaftliche Forschung seit Ende der 1970er Jahre verstärkt mit diesem Thema beschäftigt (Busch, 2005). Vor allem in den frühen Phasen der Pionierforschung konnte die Mehrzahl der wissenschaftlichen Untersuchungen einen deutlichen und langfristigen Pioniervorteil ermitteln (Robinson/Fornell, 1985; Urban et al., 1986; Lambkin, 1988). Die Pionierolle wurde daraufhin sowohl in der Theorie als auch in der Praxis als gesicherter Erfolgsfaktor angesehen (Clement/Litfin/Vanini, 1998). Erst im späteren Verlauf der Forschung wurde eine generell-unmittelbare Erfolgswirksamkeit des frühen Markteintritts von einigen Seiten zunehmend kritisch betrachtet, da erste theoretische Ansätze und empirische Arbeiten auch auf mögliche Nachteile der Pionierstrategie aufmerksam machten (Li-lien/Yoon, 1900; Golder/Tellis, 1993; Oelsnitz, 1996a).

An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an. Es werden im Folgenden sowohl theoretische Überlegungen als auch empirische Befunde betrachtet, um die Frage nach der generellen Vorteilhaftigkeit einer Pionierstrategie bzw. der grundlegenden Existenz eines Pioniervorteils beantworten zu können.

Im Anschluss an die Einführung werden im zweiten Kapitel zunächst die Grundlagen der theoretischen Pionierforschung erörtert, die sich insgesamt in drei Teile aufgliedern. Der erste Teil beinhaltet die Darstellung der Pionierstrategie in Abgrenzung zu den alternativen Timingstrategien (frühe und späte Folger). Nach der Definition des Pionierbegriffs erfolgt die Beschreibung von Bedingungen und Wirkungsmechanismen der Pionierstrategie. Im Anschluss werden im zweiten Teil Pioniervorteile aufgezeigt, denen im dritten Teil Pioniernachteile gegenübergestellt werden.

Das dritte Kapitel bildet den Kern dieser Arbeit und vermittelt einen Überblick über den Stand der empirischen Pionierforschung. Dabei werden empirische Studien zum Pioniervorteil systematisch untersucht, um die im Grundlagenkapitel diskutierten theoretischen Wirkungsmechanismen auf ihre praktische Relevanz zu überprüfen. Die Analyse der empirischen Befunde stellt einen Methoden-Ergebnis-Zusammenhang dar und orientiert sich dabei an zwei Beurteilungskriterien. Zu Beginn werden die zugrunde liegenden Modellstrukturen der Arbeiten betrachtet und Schwächen in der Modellierung herausgearbeitet. Anschließend erfolgt die Auseinandersetzung mit der Operationalisierung der in den Studien verwendeten Modellvariablen. Danach wird ein kurzes Fazit zu den empirischen Forschungsergebnissen verfasst, dem ein tabellarischer Überblick über die behandelten Studien folgt.

Abschließend werden die Ergebnisse der Arbeit im vierten Kapitel zusammengefasst und dabei auf die eingangs formulierte Forschungsfrage Bezug genommen.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Die Pionierstrategie

Der Gegenstand des vorliegenden Kapitels sind die Grundlagen der theoretischen Pionierforschung. Zunächst werden Definitionsansätze des Pionierbegriffs in Abgrenzung zu Frühen und Späten Folgern dargelegt. Im Anschluss erfolgt die Beschreibung von Bedingungen und Wirkungsmechanismen der Pionierstrategie anhand eines zusammenfassenden Rahmenmodells.

2.1.1 Pionier, Frühe und Späte Folger

Die Auswahl der geeigneten Timingstrategie bildet eine der grundlegenden Kernfragen im Markteintrittsmanagement (Fritz/Oelsnitz, 2007). Im Hinblick auf die Festlegung des optimalen Markteintrittszeitpunkts wird zwischen drei zeitlichen Eintrittsalternativen unterschieden: Ein Unternehmen kann entweder als Führer (pioneer) oder als Früher bzw. Später Folger (early follower bzw. late entrant) in den Markt eintreten (Robinson/Fornell, 1985; Schnaars, 1986). In der Literatur besteht allerdings weitgehend Uneinigkeit hinsichtlich der verwendeten Definitionen sowie der Abgrenzung und Operationalisierung dieser Eintrittstypen (Oelsnitz, 1996a, S. 108).

Für den Pionierbegriff ergeben sich daher unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. Technologieorientierte Klassifizierungsansätze betonen vordergründig die Neuartigkeit der eingesetzten Produkt- oder Fertigungstechnologie (Oelsnitz, 1996b, S. 181). Als exemplarisch gilt folgende Definition von Lieberman/Montgomery (1990, S. 3): „first-movership may entail being the first to produce a new product [or] the first to use a new process”.1 Golder/Tellis (1993) sprechen in diesem Zusammenhang vom „product pioneer“, der als Erster ein neues Produkt in wirtschaftlichen Größenordnungen herstellt.

Zu unterscheiden ist der Produktpionier vom „market pioneer“, „the first entrant in a new market” (Robinson/Fornell, 1985, S. 305), oder auch „the first firm to sell in a new product category“(Golder/Tellis, 1993, S. 159). Nach diesem marketingorientierten Klassifizierungsansatz steht die von Kunden subjektiv wahrgenommene Neuartigkeit eines Produkts im Mittelpunkt. Der Pionierbegriff umfasst somit auch Produkte, die mit einer gängigen Technologie erzeugt wurden oder vom einführenden Unternehmen bereits in anderen Märkten angeboten werden (Oelsnitz, 1996b, S. 101). Dieses Verständnis von der Pionierrolle ist konsistent mit dem Großteil der in der Literatur vertretenen Auffassungen vom Marktpionier (u. a. Schmalensee, 1982, Urban et al., 1986; Min/Kalwani/Robinson, 2006). In der theoretischen Diskussion besteht Einigkeit darüber, dass sich First Mover-Theorien auf den Marktpionier beziehen (Lieberman/Montgomery, 1988; Robinson/Kalyanaram/ Urban, 1994; Fischer, 2001).

Buchholz (1998) orientiert die Identifikation des Pioniers an der jeweiligen Lebenszyklusphase des Eintrittsmarktes. Abbildung 2.1 zeigt die Absatzentwicklung in einem idealtypischen Marktlebenszyklusmodell mit den Phasen Entstehung, Wachstum, Stagnation und Schrumpfung. Der Pionier tritt als Erster in den Markt ein. Per definitionem ist der Markteintrittszeitpunkt des Pioniers mit dem Entstehungszeitpunkt des Marktes identisch, da der Pionier beim erstmaligen Angebot einer bestimmten Produkt- bzw. Marktkombination im Prinzip den neuen Markt erst gründet (Remmerbach, 1988, S. 54-58). An dem ökonomischen Erfolg, der dort erreicht werden kann, wollen sich Folger beteiligen und treten folglich ebenfalls in den Markt ein (Fischer, Himme, Albers, 2007, S. 541).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.1 Markteintrittszeitpunkte im Marktlebenszyklus Quelle: In Anlehnung an Buchholz (1998, S. 27)

Dabei erfolgt der Eintritt der Frühen Folger nach dem Pionier, aber noch innerhalb der Entstehungsphase des Marktes. Ihr mögliches Eintrittskontinuum endet mit dem als Take-off gekennzeichneten Übergang in die Wachstumsphase. Alle nachfolgenden Unternehmen werden als Späte Folger definiert (Buchholz, 1998, S. 26). Hintergrund dieser Klassifizierung ist die Idee, dass Frühe Folgerschaft ebenso mit erheblichen Risiken verbunden ist wie der Pionierstatus. Der wesentliche Unterschied zwischen Pionier und Frühem Folger ist, dass der Frühe Folger keine wettbewerbsfreien Eintrittsentscheidungen mehr treffen kann (Busch, 2005, S.21). Er betritt den Markt zu einem Zeitpunkt, an dem sich bereits einzelne Marktspielregeln verfestigt haben und verfügt daher nicht mehr über den maximalen Spielraum des Pioniers. Dennoch sind die Nachfrager in dieser Phase noch aufnahmebereit hinsichtlich neuer Produkte, sodass der Frühe Folger ebenfalls von der positiven Marktentwicklung profitieren kann (Buchholz, 1998, S. 28).

Späte Folger treten erst dann in den Markt ein, wenn eine weitestgehende Stabilität gegeben ist und sich bereits technologische Standards herausgebildet haben, an die sie anknüpfen können (Robinson, 1988, S. 87). Da der reife Markt bereits mit vielen etablierten Anbietern besetzt ist, können Späte Folger das Verhalten der Nachfrager gut beurteilen und die eigene Strategie an den Schwachstellen der Konkurrenz ansetzen, um auf diese Weise an den mittlerweile deutlich erkennbaren Marktchancen partizipieren zu können (Remmer-bach, 1988, S. 63).

2.1.2 Bedingungen und Wirkungsmechanismen

Die Pionierstrategie wird Fischer (2001, S. 137) zufolge durch eine Vielzahl nicht direkt beeinflussbarer Umweltfaktoren, wie Zufall oder politisch-rechtliche Rahmenbedingungen, maßgeblich beeinflusst bzw. überhaupt erst ermöglicht. Vorteilhafte Umweltveränderungen und Diskontinuitäten in der Marktentwicklung, wie technologischer Fortschritt oder Wandel von Kundenbedürfnissen, rufen eine anfängliche Asymmetrie unter den Marktteilnehmern hervor, die letztlich ein bestimmtes Unternehmen gegenüber der Konkurrenz begünstigt (Lieberman/Montgomery, 1988, S. 42). Lieberman/Montgomery (1988) schlussfolgern daraus, dass ein Unternehmen sich nicht einfach für die Verfolgung der Pionierstrategie entscheiden kann, da die notwendige Bedingung für den pionierhaften Marktauftritt, die pioneering opportunity, endogen bedingt ist.

In diesem Zusammenhang zeigt sich eine Analogie zum Konzept der „Strategischen Fenster“ von Abell (1978, S. 21f.). Er versteht darunter eine begrenzte Zeitspanne, innerhalb derer ein optimaler Fit zwischen den spezifischen Kompetenzen und Eigenschaften eines Unternehmens und den Kernanforderungen des Marktes vorliegt. Gelingt es einem potenziellen Pionier, innerhalb eines Zeitfensters den „richtigen“ Eintrittszeitpunkt auszuwählen, hat er die Chance, nachhaltige Pioniervorteile aufzubauen und so die Grundlage für einen langfristigen Markterfolg zu schaffen (Kerin/Varadarajan/Peterson, 1992, S. 40). Der Unternehmenserfolg wird hierbei in ökonomischen Kenngrößen gemessen, die sowohl marketingbezogene (bspw. Marktanteil; Wiederkaufsrate) als auch finanzorientierte Größen (Return on Investment, ROI; Return on Sales, ROS) umfassen können (Fischer, 2001, S. 136). Der Markterfolg ermöglicht wiederum spezifische Investitionen, um bspw. die Fertigungstechnik des Pionierunternehmens effizienter zu gestalten, Verbesserungen an der Angebotsqualität vorzunehmen sowie vorhandene Ressourcen auszubauen (Fischer, 2001, S. 136). Das Rahmenmodell in Abbildung 2.2 bietet einen zusammenfassenden Überblick über die Bedingungen und Wirkungen der Pionierstrategie.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.2 Wirkungskette der Pionierstrategie Quelle: In Anlehnung an Fischer (2001, S. 137)

Aus dem Modell geht hervor, dass die Entstehung von Pioniervorteilen und deren Wirkung auf den Unternehmenserfolg in eine mehrteilige Wirkungskette integriert ist. Umfang und Nachhaltigkeit der Wettbewerbsvorteile sind von den Ressourcen, Kompetenzen und insbesondere von der Wettbewerbsstrategie des Pioniers abhängig (Kerin/Varadarajan/Pe-terson, 1992, S. 39f.), werden allerdings auch entscheidend durch Produkt- und MarktCharakteristika beeinflusst und unterliegen den Auswirkungen diverser Umwelteinflüsse wie Zufallsgrößen oder demografischer Wandel (Oelsnitz, 1996b, S. 186).

Unter den Wirkungsmechanismen der Pionierstrategie finden sich neben positiven Einflüssen auch Effekte, die sich nachteilig für den Pionier auswirken können und Wettbewerbern die Möglichkeit zum Markteintritt bieten. Die Pionierrolle ist mit einer Reihe erheblicher Risiken verbunden, die ebenfalls vom Wettbewerbsumfeld und Umweltfaktoren beeinflusst werden und den Pioniererfolg schmälern (u. a. Schnaars, 1986; Lilien/Yoon, 1990; Golder/Tellis, 1993).

2.2 Pioniervorteile

Das folgende Kapitel zeigt Ursachen für die Existenz langfristiger Pioniervorteile auf. Anlehnend an Vidal (1995) und Mueller (1997) wird dabei eine grobe Differenzierung zwischen angebots- und nachfrageseitigen Pioniervorteilen vorgenommen.

2.2.1 Angebotsseitige Pioniervorteile

Angebotsseitige Pioniervorteile stützen sich im Kern auf das Konzept der Markteintrittsbarrieren (Golder/Tellis, 1993, S. 160). Diese stellen mögliche Kosten dar, die für ein neu in den Markt eintretendes Unternehmen anfallen, jedoch nicht für das bereits etablierte Unternehmen (Kerin, Varadarajan/Peterson, 1992, S. 34). Ein Pionier kann laut Fischer (2001, S. 139-152) angebotsbezogene Markteintrittsbarrieren errichten, indem er

- Skalen- und Erfahrungskurveneffekte nutzt,
- Kostenvorteile durch die effiziente Nutzung von Ressourcen realisiert,
- eine Technologie- und Qualitätsführerschaft entwickelt,
- strategische Abschreckungsmaßnahmen ergreift.

Skalen- und Erfahrungskurveneffekte

Ein zentrales Argument für die dominante Position von Pionierunternehmen ergibt sich aus dem Umstand, dass sie die Zeit ihrer Monopolstellung am Markt dazu nutzen können, eine bestimmte Betriebsgröße aufzubauen (Vidal, 1995, S. 46). Die damit einhergehenden Skaleneffekte haben Auswirkungen auf zwei Dimensionen: Zum einen können Kostenvorteile erzielt werden, wenn die Stückkosten mit zunehmender Outputmenge pro Periode langfristig sinken (Clement, Litfin, Vanini, 1998, S. 208). Dies stellt allerdings nur dann eine wirksame Eintrittsbarriere dar, wenn der Pionier verhindern kann, dass Folger vergleichbare Betriebsgrößen erreichen und folglich ebenfalls von Betriebsgrößenersparnissen profitieren (Robinson/Fornell, 1985, S. 308). Darüber hinaus verleihen Skaleneffekte dem Pionier gewissermaßen Kontrollmacht über den Markt. Bedingt durch seine Betriebsgröße kann das Pionierunternehmen als Erster das Marktpotenzial weitgehend ausschöpfen, so-dass den Nachzüglern angesichts begrenzter Nachfrageverhältnisse nur noch geringe Erfolgsaussichten bleiben. Die Voraussetzungen hierfür sind allerdings enorme finanzielle Ressourcen und hohe Produktionskapazitäten (Lambkin, 1992, S. 6).

Im Lernkurvenmodell sinken die Produktionskosten pro Einheit mit steigender kumulierter Ausbringungsmenge. Erfahrungskurveneffekte sind daher ebenfalls mit Kosteneinsparungen verbunden, die bspw. auf die Optimierung von Arbeitsabläufen oder die Eliminierung von Fehlerquellen zurückzuführen sind (Lieberman/Montgomery, 1988, S. 42f.). Voraussetzung dafür ist, dass der Pionier diese Lerneffekte vor den Wettbewerbern geheim halten kann undkontinuierlichverbessert(Lieberman/Montgomery, 1990, S. 6f.).

Sicherung knapper Ressourcen

Pioniere können sich durch die Besetzung knapper Ressourcen Wettbewerbsvorteile erarbeiten. Der Begriff der Ressource wird hierbei weit gefasst und schließt neben physischen Inputfaktoren auch räumliche Faktoren mit ein (Lieberman/Montgomery, 1988, S. 44f.).

Da Pionierunternehmen durch ihre anfängliche Alleinstellungsphase am Markt einen In-formationsvorsprung gegenüber Folgern besitzen, können sie knappe Inputfaktoren (natürliche Ressourcen und Humanressourcen) durch langfristige Exklusivverträge mit Lieferanten zu günstigen Konditionen an sich binden und dadurch absolute Kostenvorteile erwirken (Clement/Litfin/Vanini, 1998, S. 208). Diese kommen durch niedrigere Beschaffungspreise oder eine höhere Qualität der Zuliefererleistungen zustande, die anderen Unternehmen verwehrt bleiben (Fischer, 2001, S. 141).

Zu den knappen Ressourcen gehört auch Raum - in geographischer sowie vertriebstechnischer Hinsicht. Pioniere können sich erstklassige Produktionsstandorte, Verkaufsflächen und Regalplatz sichern, sodass Folgerunternehmen bei Markteintritt auf andere, eventuell minderwertigere Alternativen ausweichen müssen (Lieberman/Montgomery, 1990, S. 911). Ferner sind Pioniere in der Lage, Kostenvorteile durch die Besetzung von Distributions- und Marketingkanälen zu erringen. So müssen später eintretende Unternehmen zusätzliche Mittel in die Suche nach geeigneten Vertriebspartnern investieren und höhere Werbekosten auf sich nehmen, um sich gegen das etablierte Pionierprodukt behaupten zu können (Busch, 2005, S.36).

Technologie- und Qualitätsführerschaft

In technologieintensiven Märkten können Pioniere durch einen Vorsprung in Forschung und Entwicklung (F&E), der in ständige Produkt- und Prozessinnovationen mündet, die technologische Führerrolle übernehmen (Vidal, 1995). Um daraus Wettbewerbsvorteile zu generieren, müssen die Innovationen umfassend durch Patente und Copyrights vor Imitationen geschützt werden (Lieberman/Montgomery, 1990, S. 6). Präventive Patente schließen Konkurrenzprodukte temporär aus und können als wirksame Eintrittsbarriere fungieren. Das Patentrecht stellt jedoch keine Garantie für einen langfristigen Pioniervorteil dar, denn in F&E- intensiven Industrien können Imitatoren oftmals „um Patente herum imitieren“ (inventing around) (Vidal, 1995, S. 45). Darüber hinaus können Patente innerhalb kürzester Zeit wertlos werden. Dies tritt dann ein, wenn Mitbewerber aufgrund der rasanten technologischen Entwicklung fähig sind, die Pioniertechnologie zu „überspringen“ (leapfrogging) undüberlegenere Produkte anbieten (Lambkin, 1988, S. 127).

Eng mit der Technologieführerschaft verknüpft ist die Strategie der Qualitätsführerschaft. An der Spitze des technologischen Fortschritts zu stehen ermöglicht es Pionieren überdies, qualitativ höherwertige Produkte als ihre Konkurrenz anzubieten und sich dadurch über ein positives Qualitätsimage Reputation aufzubauen (Golder/Tellis, 1993, S. 160). Die Basis für das gehobene Qualitätsniveau sind hohe Qualitätsstandards bei der Produktion und bei der Lieferung von Materialien und Vorleistungen. Pioniere erreichen diese Standards, weil sie im Vergleich zur Konkurrenz umfangreicheres Fertigungs-Know-how besitzen und mehr Erfahrung im Umgang mit Zuliefern haben (Fischer, 2001, S. 143).

Strategische Abschreckung

Wettbewerbsbarrieren in Form von strategischen Abschreckungsmaßnahmen sind eine weitere Möglichkeit, potentielle Konkurrenten vom Markteintritt abzuhalten (Fischer, 2001, S. 144). Eine strategische Option stellt das Limitpricing dar - ein Vorgehen, bei dem der Pionier Betriebsgrößenersparnisse nutzt, um den Markteintritt von Nachfolgern unrentabel zu gestalten (Vidal, 1995,S. 46). Im Limit-Preis-Modell wählt der Pionier eine hohe Ausbringungsmenge und setzt prohibitiv niedrige Preise, die minimal unterhalb der Durchschnittskosten der Folgerunternehmen liegen. Diese schrecken folglich vor dem Markteintritt zurück, da ihnen aufgrund der Limit-Preise nur eine mengenmäßige Restnachfrage verbleibt, die unterhalb ihrer mindestoptimalen Betriebsgröße liegt und sie dementsprechend keine Gewinne realisieren könnten (Busch, 2005, S. 30). Die Limit-Preis-Strategie des Pioniers ist allerdings nur wirksam, wenn sie durch bindende Verpflichtungen (bspw. in Form von hohen Reservekapazitäten) untermauert wird und so gegenüber Nachfolgern glaubhaft gemacht werden kann (Vidal, 1995, S. 46).

Schließlich können Pioniere auch durch signifikante Investitionen in Produktionsanlagen eintrittswillige Mitbewerber abschrecken. Damit signalisieren sie möglichen Konkurrenten, dass sie über hohe Kapazitäten verfügen, die bei Markteintritt mobilisiert werden könnten. Angesichts der Gefahr eines Preiswettbewerbs erscheint der Markteintritt für Folger daher unprofitabel (Lieberman/Montgomery, 1988, S. 45).

2.2.2 Nachfrageseitige Pioniervorteile

Neben den Vorteilen auf der Angebotsseite existieren für die Entstehung von Pioniervorteilen auch wirksame Mechanismen auf der Nachfrageseite. Nachfragebezogene Pioniervorteile kommen dann zustande, wenn potentielle Kunden bereits positive Erfahrungen mit dem Pionierprodukt gemacht haben und es demzufolge wiederholt kaufen. Sie resultieren demnach aus der unterschiedlichen Produktwahrnehmung und -beurteilung der Konsumenten (Golder/Tellis, 1993, S. 159). Zu ihnen zählen folgende Aspekte:

- Produktdifferenzierung
- Präferenzbildung
- Informations- und Wechselkosten

Produktdifferenzierung

Ausgangspunkt der Produktdifferenzierungsstrategie ist die Annahme, dass Konsumenten die Produkte konkurrierender Anbieter nicht als homogene, beliebig substituierbare Güter wahrnehmen, sondern ihre Kaufentscheidung an spezifischen Produktmerkmalen festmachen (Vidal, 1995, S. 49). Diese Überlegungen knüpfen an die Theorie des räumlichen Wettbewerbs (spatial competition) an, wonach der Wahrnehmungsraum von Konsumenten durch Attribute bzw. Attributkombinationen definiert werden kann (Walgenbach, 2007, S. 119f.). Je mehr kaufrelevante Eigenschaften das Pionierprodukt abdeckt, desto positiver wird es von den Konsumenten wahrgenommen und desto weniger Differenzierungsmöglichkeiten verbleiben letztlich für die Folger. Da reale Märkte aber multidimensional wahrgenommen werden, ist es nichtsdestotrotz für den Pionier schwierig, die aus Konsumentensicht am stärksten favorisierten Attributkombinationen eines Produkts eindeutig zu identifizieren, um seine Produktpositionierung danach auszurichten (Vidal, 1995, S.50). Der Begriff „Differenzierung“ beinhaltet in diesem Zusammenhang nicht nur die ideale Positionierung eines Produkts im Wahrnehmungsraum der Konsumenten, sondern auch die physische Produktdifferenzierung im Sinne von Produktlinienerweiterungen und Parallelmarkenstrategien (Vidal, 1995, S. 49). Pioniere haben die Chance, als Erste die attraktivsten Marktsegmente für ihre Produktpositionierung zu wählen und sukzessiv weitere Segmente bis zur weitestgehenden Marktabdeckung zu erschließen, wodurch der Produktmarktraum für andere Wettbewerber stark eingegrenzt wird (Walgenbach, 2007, S. 119). Vidal (1995, S. 49) entgegnet dem jedoch, dass die Produktpositionierung des Pioniers für Folger eher eine Chance als ein Hindernis darstellt, denn sie können mit Neueinführungen, die sich wesentlich vom bestehenden Angebot abheben, deutlich höhere Erfolgsquoten erzielen als mit imitativen „me-too“-Produkten (Urban et al., 1986, S. 655).

Präferenzbildung

In den frühen Phasen der Marktentwicklung besitzen Konsumenten für gewöhnlich nur wenige Informationen über Produkte, die eine völlig neuartige Produktklasse gründen, und haben daher noch keine festen Präferenzen entwickelt (Clement/Litfin/Vanini, 1998, S. 209). Carpenter/Nakamoto (1989) sprechen von der Ambiguität der Präferenzen, d. h. aus Konsumentensicht ist die Bedeutung einzelner Produktattribute bzw. deren optimale Kombination vor dem Erstkauf noch nicht konkret formuliert (Vidal, 1995, S. 49). In dieser Situation tritt das Pionierprodukt als zentraler Anker für die Präferenzbildung auf, denn in erster Linie lernen die Konsumenten durch dessen Nutzung die Besonderheiten der neuen Produktkategorie kennen. Die wiederholte Nutzung hat zur Folge, dass Konsumenten ihre subjektiv empfundene Idealausprägung der Produktattribute an die des Pionierprodukts anpassen (Fischer, 2001, S. 149).

Durch eine geeignete Kommunikationspolitik können Pioniere die Erwartungen und Idealvorstellungen der Konsumenten so zu ihren Gunsten prägen, dass die stärksten Leistungsmerkmale des eigenen Produkts von den Konsumenten mit dem höchsten Bedeutungsgewicht versehen werden (Clement/Litfin/Vanini, 1998, S. 209). Im Idealfall avanciert das Pionierprodukt zum Standard (Prototyp) der Produktkategorie, an dem alle nachfolgenden Konkurrenzprodukte gemessen werden (Carpenter/Nakamoto, 1989, S. 289f.). Aufgrund der Beständigkeit einmal gefallener Wahrnehmungsurteile und Käuferpräferenzen können Pioniere somit von einem dauerhaften Wettbewerbsvorteil profitieren (Vidal, 1995, S. 53).

Informations- und Wechselkosten

Pioniervorteile können Schmalensees Modell (1982, S. 360f.) zufolge dann entstehen, wenn im Markt unvollständige Informationen über die Qualität von Produkten neu eintretender Anbieter vorhanden sind. Da ein Pionier zu Anfang eine Monopolstellung inne hat, können Nachfrager nur sein Produkt konsumieren und so ihre Unsicherheiten in Bezug auf dessen Qualität abbauen (Clement/Litfin/Vanini, 1998, S. 209). Sind sie von der Produktqualität überzeugt, neigen sie zu Trägheit und rationalen Verhaltensmustern, sodass sie auch zukünftig das Pionierprodukt kaufen werden (Vidal, 1995, S.51).

[...]


1 Die Begriffe „pioneer“ und „first mover“ werden im Folgenden synonym verwendet.

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Existiert ein Pioniervorteil?
Untertitel
Kritische Analyse über die Erfolgsamkeit der Pionierstrategie in Theorie und empirischer Praxis
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Strategisches Marketing
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
50
Katalognummer
V175497
ISBN (eBook)
9783640965052
Dateigröße
813 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pioniervorteil, First-mover, pioneering brand, Markteintrittstiming, time in market, pioneering advantage, Pionierrolle, order of entry, first-mover advantage
Arbeit zitieren
Quynh Phan (Autor:in), 2011, Existiert ein Pioniervorteil?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/175497

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